Journalismus

Ausgevögelt: Über das Ende der alternativen Medien und Tomorrowland …

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Das große Desinfizieren

Eine beispiellose – und im übrigen vollkommen verfassungswidrige – Zensurwelle erschüttert gerade unsere marktkonformen Landstriche. Experten bewerten das aktuelle Beben mit >9 auf der Richterskala (Definition der Erdbebenstärke 9-10 lt. Charles Francis Richter / United States Geological Survey: TNT-Äquivalent 5,6 bis 1.000 Gigatonnen; Häufigkeit des Bebens: ca. alle 20 Jahre; Auswirkung: „extrem große Zerstörung in Bereichen von tausend Kilometern“). Das Epizentrum des aktuellen Bebens liegt nach Einschätzung des ehemaligen taz-Wissenschaftsredakteurs und US Experten Mathias Bröckers im militärisch-industriellen Komplex jenseits des Atlantik, als dessen fraglosen Teil er Silicon Valley Tech-Konzerne wie Google/Youtube und Facebook ansieht.

Diejenigen grauen Eminenzen, die Angela Merkel immer kryptisch lächelnd als „unsere verlässlichen Freunde“ bezeichnet, haben also nun ein großes Reinemachen angeordnet (siehe auch „Kopfmähroboter oder: Das große Desinfizieren“). Nach eigenen Angaben hat YouTube alleine im ersten Quartal dieses Jahres ca. 2,9 Millionen Kanäle mit über 74 Millionen Videos gelöscht. Die anderen Quasi-Monopolisten im Bereich Social Media betreiben gerade „eth(n)ische“ Säuberungen in ähnlichem Maßtab. Jüngste Opfer, die über Nacht gelöscht wurden: Nuoviso auf Youtube (siehe Videostatement), Epoch Times auf Facebook (siehe epochtimes) und das größte Unterstützerkonto für Julian Assange auf Twitter (siehe Bericht in FB).

Die derzeitige Marktbereinigung ist historisch wohl nur mit Bücherverbrennungen zu vergleichen, wie wir sie bereits im Vorfeld der unseligsten Zeiten unserer Geschichte erlebt haben. – Wesentlich smarter natürlich, ohne Rauch und große tumultarische Szenen auf den öffentlichen Straßen: Einfach, indem man auf einen Knopf drückt und im Rauschen des alternativen Medienwaldes Stille einkehrt.

Keine Sorge: Die Bordkapelle spielt weiter

Für Ersatz-Unterhaltung wurde bereits gesorgt. Mit großzügigem finanziellem Budget und/oder medialen Gratifikationen wurde bereits eine neue Generation an Influencern und Jungscharführern aufgebaut, die nun übernehmen sollen. So unfassbar dreist es ist, aber es ist eben nur konsequent: Nachdem das, was die alternativen Medien wollten, durch  professionelle und hippe Pseudoformate ersetzt wurde (Mr. WissenToGo, Joko&Klaas, Jung&Naiv, Neo Magazin Royal, Vice, Bento etc.), kann man die Originale nun ausknipsen. – Eine ganze Generation an potentiell systemkritischen Menschen kann damit abgeschöpft und in seichten Gewässern in Strandnähe gehalten werden, während auf hoher See gerade der entscheidende Kampf um unser aller Zukunft ausgefochten wird.

Das Geniale an der Medien-/Meinungsmaschinerie 4.0: Die neuen Influencer sind sich meist nicht einmal selbst des Bärendienstes bewusst, den sie leisten. Sie sind so von sich und ihrer Großartigkeit überzeugt, dass sie ihren Followern – wenn diese im Getriebe des Manufacturing Consent mal mit irritierenden alternativen Fakten konfrontiert werden – mit dem Brustton der Überzeugung sagen können: „Vorsicht, Verschwörungstheorie, guckt lieber weiter brav bei Tilo!“ Wer im transatlantischen Wind mitsegelt, der braucht dann auch keine Angst haben, als „Verschwörungstheoretiker“ geächtet und shadowgebannt zu werden, sondern der bekommt die Anerkennung samt allerlei Gratifikationen der etablierten Medienlandschaft. Im Falle von Tilo Jung (der nach eigenem Bekunden jeden seiner Jungschar-Follower blockt, der das Wort „Ganser“ erwähnt) z.B. nicht nur den Grimme-Preis, sondern auch den Axel Springer Preis und den von ZDF, RTL, SAT1 und Das Erste vergebenen „Deutschen Fernsehpreis“.

Für diejenigen Influencer, die man mit ein paar Trophäen der Eitelkeit nicht so leicht abspeisen kann, greift man von konzernwirtschaftlicher Seite durchaus auch ein bisschen tiefer in die Tasche. Das geht dann so:

siehe Porsche Newsroom
(Konsumentenschutzhinweis: vor Anklicken des Videos sollte man allfällig im Mund befindliche Speisen und Getränke gut runterschlucken, denn es könnte sein, dass man plötzlich losprusten muss wie ein Elefant)

Wenn denn die Doomsday Clock nicht gerade auf „zwei Minuten vor Mitternacht“  stehen würde und alle Alarmglocken läuteten, dann könnte man über die derzeitige Chose ja eigentlich nur noch lachen. Aber wenn nun Plattformen, die sich mit der Aufklärung über die Mechanismen von Krieg, Ausbeutung und Manipulation beschäftigen, mundtot gemacht werden, dann bedeutet das leider nichts Gutes für den Frieden. Ein Frieden, den wir in den letzten Jahrzehnten anscheinend für vollkommen selbstverständlich gehalten haben – siehe auch ein denkwürdiges Stimmungsbild im jüngsten Friedenscamp gegen die US Airbase Ramstein von eingeschenkt.tv:  Darin geben die „Großen“ unserer alternativen Medienszene frei zu, dass es eigentlich immer die gleichen Leute seien, die die anderen 5000 Leute, die ohnehin schon Bescheid wüssten, über die globalpolitischen Machenschaften aufklären. Obwohl die Bombeneinschläge immer näher kommen und die Leitmedien mittlerweile ganz unverhohlen von Krieg gegen Russland sprechen und die Notwendigkeit nuklearer Erstschläge in Erwägung ziehen, „um Putin zu stoppen“, können sich scheinbar immer noch die wenigsten vorstellen, dass auch ihnen selbst auf ihrer Astroturf-Couch womöglich schon demnächst der Laden um die Ohren fliegen könnte.

Tomorrowland

Von den Super-Youtubern, die die Drohnenmord-Praxis in Ramstein angeprangert hatten, war auf der aktuellen Ramstein-Friedensdemo leider ebensowenig zu sehen wie von den 15 Millionen Sehern, die im bundesweit bekannten Video vor der EU-Wahl angeblich empört über diese Praxis waren und daher anders gewählt haben bzw. überhaupt erst wählen gegangen sind, um etwas zu verändern. Vielleicht war aber auch einfach nur das Wetter schuld. Oder es gab eben attraktivere Events – wo man nicht über die Zukunft redet und sich den Kopf zerbrechen muss, sondern wo man diese Zukunft jetzt schon herbeiholt und feiern kann. Beim legendären Tomorrowland-Festival etwa (siehe official aftermovie), bei dem aus ganz Europa Menschenmassen (zuletzt: 400.000)  herbeiströmen und sich in Form einer Menschentraube fast bis zum Horizont ergießen, soweit die Kameras reichen. Tomorrowland … ja, da wird scheinbar bereits das Morgen, die Zukunft zelebriert:  alle Probleme haben sich in Rauch aufgelöst, am Firmament detonieren in endloser Serie gewaltige Feuerwerkskörper, Flugshow-Jets fliegen in 10 m Höhe über die Zuschauerköpfe, von unzähligen Stages schallt Musik, die einem durch Mark und Bein geht und alle haben strahlende Augen und sind einfach nur happy.

Ich hatte erst gestern Gelegenheit, mit einem solchen Pionier der Zukunft zu plaudern. War wirklich ein netter, aufgeweckter Kerl, der jenseits der Alpen gerade fünf Tage durchgefeiert hat. Diesmal nicht am Tomorrowland, sondern am „Electric Love Festival“, einem neuen Geheimtip, der „noch nicht Mainstream“ sei … Anm.: aber vorige Woche immerhin nicht zu verachtende 180.000 Nicht-Mainstreamer zählte, die noch etwas auf Individualismus halten und sich nicht vermassen lassen wollen (hier ein aftermovie für die Partylöwen und hier the day after für die 120 Mann starke Putzkolonne, die auf 58 Hektar Fläche Tonnen von Plastikmüll, zurückgelassene Zelte und Schlafsäcke einsammeln musste). Mit nur einer Vergewaltigung und 64 anderen Straftaten (Quelle: oe24) wurde unter Beweis gestellt, dass die Kriminalität bei Menschen, die einfach abfeiern und Party machen, nach prozentualer Statistik praktisch gegen Null tendiert (mit anderen Worten: nur 0,036% der Menschen sind straffällig geworden, während 99,96% mustergültig gefeiert und konsumiert haben – auf diese unbestreitbaren „evidence based“-facts wäre wohl jedes Entwicklungsland neidisch und wird wohl noch Generationen an Entwicklung brauchen, um diesen Level ebenfalls zu erreichen). Vielleicht arbeiten wir Sauertöpfe von den alternativen Medien wirklich nur an der falschen Front. Vielleicht sollten wir unsere Zeit und Kraft auch dazu aufwenden, um unter dem Tomorrowland-Motto „Live today, love tomorrow, unite forever“ die ganze Welt zu einer einzigen Dauerparty zu machen, die uns zusammenschweißt und auf der jeder grenzenlos Spaß haben kann – und wir hätten im Handumdrehen Frieden.

Als ich den jungen Hipster fragte, ob er kommende Woche auch zur Mutter aller Festivals, zum „Tomorrowland“ fahren werde, war ich allerdings über seine Reaktion überrascht. Er verdrehte die Augen und machte eine abwinkende Handbewegung, als ob ich mich wirklich so besonders dumm anstellen wolle, dass er mir das noch auch erklären müsse. „Warum denn nicht?“, fragte ich Naivling. Er, kopfschüttelnd: Tomorrowland sei doch nur eine verpisste Sandkiste, in der „kleine Kinder komasaufen und sich das Hirn rausvögeln“.

Ob das wirklich so ist oder mein Bekannter nur ein ‚Hater‘ dieses Festivals, ich weiß es nicht. Wenn ich mir das Aftervideo anschaue, dann tragen viele der dort herumlaufenden Kinder Bart und sind schon über 1,80 m groß, hängen also wohl nicht mehr an der Milchflasche. Aber was ist heute schon ein Kind und was ein Erwachsener? Und ab wann ist ein Mensch für das, was er tut, verantwortlich? Diese Frage habe ich mir schon zuletzt gestellt, und auch Staatsanwälte verzweifeln gerade an ihr (siehe Kindergarten Gang Bang).

Römischer Rammsteinwurf aufs Gallierdorf

Zurück aber zum aktuellen Rammsteinwurf der Römer nach den alternativen Medien. Warum will man die unbelehrbaren Hinkelsteinklopfer und Aluhüte nun plattmachen? Reichweitenstarke Pattformen wie Nuoviso stören offensichtlich die Kriegsvorbereitungen, die ja – wenn man unsere Leitmedien so querliest – anscheinend bereits auf Hochtouren laufen. Auch die Straßen Europas in Richtung Russland werden ja bereits auf Anordnung der EU-Kommission für 6,5 Milliarden Euro panzertauglich gemacht (Quelle: Welt). Nachdem in letzter Zeit, womöglich nicht zuletzt aufgrund des doch vehementen Aufschreis innerhalb der alternativen Medien, die geplanten Coups gegen Venezuela und den Iran (noch) nicht aufgegangen sind, will man sich jetzt anscheinend nicht mehr länger ins Geschäft pfuschen lassen.

Lassen wir die ohnehin hilflose Ironie, mit der wir uns über Wasser zu halten versuchen, aber mal beiseite. Wenn ein marktradikales („marktkonformes“) System, das Jean Ziegler als kannibalisch bezeichnet und das laut Jean Jaurès „den Krieg in sich trägt wie die Wolke den Regen“, momentan derart dreiste Zensurmaßnahmen ergreift, dann sollte uns das mehr als wach machen. Denn wenn wir das, was jetzt geschieht, hinnehmen, dann hat es sich womöglich bald ausgesuvt – sowohl für die SUV-Kapitäne als auch für die Couch-Surfer, die gerne Deutschland sucht den Superstar und Dschungelcamp gucken … und auch im Tomorrowland hat es sich dann womöglich ausgevögelt und keine einzige Amsel findet mehr einen Regenwurm.

Wie auch immer. Man kann trotzdem hoffen, dass sich die Dinge eben oft bis ins Groteske steigern müssen, bis die Menschen daran aufwachen und dem Ganzen eine Wende geben. Ich bin also trotz allem zuversichtlich. Denn jeder, der bei dieser Chose mitmacht und weiter die Produkte der Rat Media Solutions GmbH (Relotius-Narrenspiegel, Südtäusche & Co.) konsumiert, der sich von diesem kannibalischen System und seiner  Medien-/Manipulationsmaschinerie nicht emanzipiert und der jetzt nicht selbstaktiv wird, der verliert einfach seine Würde.

„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“
(Martin Niemöller, KZ-Häftling und Friedenskämpfer)

Foto: pixabay/CC0



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