Mercedes AMG / pixabay / CC0
Vorgestern war ein Freund zu Besuch, er ist Unternehmer. Mit seinem neuen Wagen – natürlich wieder ein Mercedes. Sein alter, ein Diesel, wurde von der Vertragswerkstatt der Schrottpresse zugeführt: „Reparaturaufwand nicht mehr wirtschaftlich vertretbar“ (es lag kein Unfall vor, sondern nur diverse materialermüdete Teile, verrostete Bremsschläuche etc.). Der Wagen war 10 Jahre alt und ein E-Klasse Modell. Soviel zu „Nur ein Mercedes ist ein Mercedes“. Der neue Mercedes, ein 6-Zylinder Benziner, hat nun 340 PS, ein AMG Sportfahrwerk und eine Innenausstattung wie ein futuristisches Raumschiff. An den Fahrassistenten, der bei Betätigung des Blinkers selbständig überholt und an die interaktive Bluetooth-Quasselstrippe, die ihm während des Fahrens jeden Wunsch von den Lippen ablesen möchte, müsse sich unser Freund zwar noch gewöhnen, aber ansonsten komme er schon zurecht.
Seine Vertragswerkstatt hätte bei allen Händlern bis oben nach Stuttgart nachgefragt, aber es wäre derzeit leider kein Benziner mit kleinerem Motor verfügbar. Man müsse nehmen, was man kriegen könne. Der Umstand, dass unser Freund nun im städtischen Stauverkehr einen Rennboliden mit stark erhöhtem Spritverbrauch und Schadstoffausstoß steuern muss, dessen Ledersitzfarbe er sich nicht aussuchen konnte, wurde ihm von der Vertragswerkstatt durch einen kleinen Stammkundenrabatt versüßt: 25% Abschlag auf den Listenpreis gab es. Welche Summe er im Endeffekt trotzdem hinblättern musste, wollte Herbert sogar unter Freunden nicht sagen. Mit nach oben verdrehten Augen und einer abwinkenden Geste deutete er an, wie verrückt das Ganze eigentlich sei. Er hoffe jedenfalls, dass der neue Mercedes etwas länger halte als der letzte.
Herberts Hoffnung besteht durchaus zurecht. AMG-Motoren sind die leistungsstärksten, von Mercedes-Benz in Handarbeit zusammengebauten Triebwerke für den „high performance“-Motorsport. Jeder AMG-Motor wird von einem einzelnen, roboterassistierten Mechaniker nach dem Prinzip „ein Mann – ein Motor“ zusammengesetzt. Im letzten Arbeitsschritt wird am Motor eine Plakette mit der Unterschrift des Mechanikers angebracht. Deutsche Wertarbeit at its best.
Wie es jedenfalls scheint, sind Benziner im gehobenen Mittelklassesegment derzeit rar – während Diesel-Limousinen im Top-Zustand, die locker noch 10-15 Jahre fahren würden, gerade ohne Not en masse abgewrackt werden. Eine Schrotthändlerin aus München berichtet (Quelle: focus): Die durch Fahrverbote verunsicherten Diesel-Besitzer hätten Angst, dass sie einen noch größeren Wertverlust erleiden, wenn sie jetzt noch zuwarten. 150.000 Diesel wären aufgrund der Abwrackprämie bereits von der Straße geholt worden. Da die wenigsten der 150.000 Fahrer auf Fahrrad umsteigen werden, kann davon ausgegangen werden, dass nun 150.000 neue Wägen angeschafft werden. Da soll noch jemand sagen, dass die Wirtschaftspolitik unserer Regierung doof wäre.
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