Mike Oldfield, live on Discovery Tour 1984, Youtube
“How can you sleep
How can you turn away
Thinking so cheap
Some day you’re gonna pay …”
(Mike Oldfield, Discovery, 1984; „aufgenommen in den Schweizer Alpen, in 2000 Metern Höhe, an sonnigen Tagen“)
In einem jüngsten Essay schildert Dirk C. Fleck, wie er nach längerem Krankenstand wieder ein Café aufgesucht und die Zeitungen durchgeblättert hat. Sein Fazit: „Zum Glück habe ich die Zeitungen nur überflogen, andernfalls wäre ich wohl auf die Straße gestürmt und schreiend Amok gelaufen.“
In der Tat frägt man sich, was man angesichts eines in wahnwitziger Geschwindigkeit und mit kalt lächelnder Chuzpe vorangetriebenen Abrisses aller freiheitlichen und rechtsstaatlichen Grundsätze noch schreiben soll? Soll man die infamen Lügen und die unerträgliche Heuchelei einer regelrecht tollwütig gewordenen Regierung und ihrer hündischen Hofmedien noch mehr breittreten? Soll man sich die Mühe machen, über die Hintergründe der besinnungslosen Kriegstrommelei gegen unser Nachbarland Russland aufzuklären? Was soll man denn noch demaskieren, wo der Wahnsinn doch bereits nackt vor uns steht? Berufene Münder haben bereits versucht, das Unbegreifliche in Worte zu fassen. „Eine Republik wird abgewickelt“ – so lautet etwa der Untertitel eines neuen Buchs von Willy Wimmer, das sich wie ein Requiem auf das ausnimmt, was in der Zeit vor der Millenniumswende noch als durchaus hoffnungsvolle und selbstverständliche Ideale mitteleuropäischer Prägung vor uns gestanden hat.
Lassen wir die triste Gegenwart also einmal beiseite. Vielleicht ist es ja sinnvoller und können wir weitaus mehr Kraft schöpfen, wenn wir uns eine Zeit vergegenwärtigen, die gewiss auch nicht nur rosig war, aber in der noch alles möglich schien: Die neongelben 80er. In einer YouGov-Umfrage, in welchem Jahrzehnt seit 1950 die Menschen wohl die schönste Jugend hatten, nennen fast 50% der Befragten die 70er und 80er Jahre. Unser aktuelles Jahrzehnt wird hingegen nur von drei Prozent als schön bezeichnet. Warum schneidet unsere Jetztzeit aber so schlecht ab, obwohl sich doch der technische Fortschritt seitdem so gewaltig die Bahn gebrochen hat und alle relevanten Funktionen des öffentlichen Lebens nach streng wissenschaftlichen Kriterien gehandhabt werden?
Mancher mag gewiss auch die 80er Jahre zweifelhaft finden, man denke nur an Umweltkatastrophen wie Bhopal oder Tschernobyl, die uns seinerzeit die Abgründe einer auf Industrialisierung und Wirtschaftswachstum ausgerichteten Gesellschaft aufzeigten. Mancher mag auch die Wurzeln einer heute übermächtig gewordenen Showbiz-Unterhaltungsindustrie ebenso in den 80ern verorten wie eine damit einhergehende Wohlstandsverwahrlosung und Konsumkultur. Trotzdem verkennt man das Potential dieser Zeit, wenn man sie nur mit Nena, Boris Becker und Neuer Deutscher Welle assoziiert. Denn im Vergleich zu heute, wo sich viele den reinen Wahnsinn zur Normalität erklären haben lassen, so gab es damals doch einen fundamentalen Unterschied: Wenn auch nicht bei der Mehrheit, so doch bei einer hinreichend großen Anzahl an Menschen – zumindest empfanden wir das so – war die elektrisierende Einsicht vorhanden, dass wir ökologisch, politisch und allgemeinmenschlich einem Abgrund entgegengehen und ein fundamentales Umdenken auf allen Ebenen notwendig ist, wenn wir die Kurve in Richtung einer menschenwürdigen Zukunft bekommen wollen. Den Wahnsinn an den Hörnern zu packen und zu besiegen lag zwar wie ein gewaltiges Stück Arbeit vor der Menschheit, erschien uns aber nur noch als eine Frage der Zeit, als ein schlichtweg unausweichliches Gebot von Vernunft und Humanität.
Niemals hätten wir es uns träumen lassen, dass das Platz greift, was heute zu beobachten ist: Dass eine retardierende Gegenreformation stattfindet, im Zuge derer alle Entwicklungen des Wahnsinns für alternativlos und alles tiefergehende Nachdenken über die Ursachen der globalen Probleme und ihrer Drahtzieher für unstatthaft erklärt werden. Eine Sprecherin der heute in allen Leitmedien präsenten GWUP-/Skeptikerbewegung, die sich auf rein wissenschaftliche Methodik und naturalistische Erklärungen des Daseins beruft, erklärt: „Anstatt manchmal zu akzeptieren, dass die Welt scheiße ist und es Kriege und Krankheiten gibt — und es dafür keinen Grund gibt —, werden Verschwörungstheorien erfunden“ (Quelle: Wired). Dass einmal eine Nichtwissenwollenschaft die Deutungshoheit übernimmt und sich noch besonders schlau dabei vorkommt, als „akademisch zertifiziertes, aber intellektuell desinteressiertes Diplom-Proletariat“ ( ) ein Gastmahl der Geistlosen zu veranstalten und einen auf „Generation Doof“ zu machen, nein, das hätten wir ehrlich nicht für möglich gehalten und reiben uns auch immer noch die Augen, ob wir denn das Ganze nicht womöglich einfach nur träumen. Dass unsere Universitäten von Soziologen mittlerweile als schlichte „Entfremdungszonen“ bezeichnet werden, in denen schon junge Menschen in der Blüte ihrer Jahre von Angstzuständen und Burnout geplagt sind (siehe Zeit), von Kindesbeinen an durch Science-Busting und frühkindliches GWUP-Edutainment weitgehend in die Zweidimensionalität plattgehämmert und in eine Weltanschauung zurückkatapultiert werden, wie sie im 19.Jhdt. zu Ernst Haeckels Zeit geherrscht hat, wo man einer naiven mechanistisch-technizistischen Weltsicht gehuldigt hat … und nun mit der gleichen geistlosen Geisteshaltung der digitalen Transformation und der Robotisierung des Menschen entgegenjubelt – wir Kinder der 70er/80er Jahre hätten herzhaft aufgelacht, wenn uns beim abendlichen Zusammensein jemand eine solche groteske Dystopie geschildert hätte.
Als 1983 und 1987 eine bundesweite Volkszählung samt Erhebung privater Daten stattfinden sollte, gab es volksaufstandsartige Tumulte, auf den Straßen herrschte Empörung, da der beginnende Aufbau eines Überwachungsstaats und die Gefahr des gläsernen Bürgers gewittert wurden. Wohlwissend, dass die Einführung eines Bürgerüberwachungssystems in der Geschichte bisher ausnahmslos zu Willkür, Repression und schließlich zu einer Katastrophe geführt hat, bildeten sich innerhalb weniger Wochen mehrere hundert Bürgerinitiativen, die dem Datenhunger der Staatsmacht entgegentraten. „Jeder Vernichtungsaktion ging die Erfassung voraus, die Selektion an der Rampe beendete die Selektion auf dem Papier“, gemahnte der Historiker Götz Aly. Das zivilgesellschaftliche Engagement mit zahlreichen Verfassungsklagen mündete schließlich sogar in einen bedeutsamen legislativen Fortschritt zum Schutz der Privatsphäre. Mit dem sogenannten Volkszählungsurteil vom 15. Dezember 1983 formulierte das Bundesverfassungsgericht das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, das sich aus der Menschenwürde des Art. 1 GG und dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG ableitet.
30 Jahre später werden die diesbezüglichen Errungenschaften nun quasi über Nacht dekonstruiert und über Bord geworfen. Soeben hat die Merkel-Regierung erst den Bundestrojaner und das lückenlose Ausspionieren der privaten Kommunikation der Bürger beschlossen, bei dem sogar dem ehemaligen Richter und Staatsanwalt Heribert Prantl die Spucke wegbleibt („Man soll nicht bei jeder Gelegenheit von einem Skandal reden. Aber das, was heute am späten Nachmittag im Bundestag geschehen soll, ist eine derartige Dreistigkeit, dass einem die Spucke wegbleibt. Ein Gesetz mit gewaltigen Konsequenzen, ein Gesetz, das den umfassenden staatlichen Zugriff auf private Computer und Handys erlaubt, wird auf fast betrügerische Weise an der Öffentlichkeit vorbeigeschleust und abgestimmt … Der Staat liest mit. Und der Staat kann auch noch am PC das Mikrofon und die Webcam einschalten.“ / Quelle: Süddeutsche).
Doch dass der Staat mitliest, ist für Merkels Maasmännchen und Heimatminister schon wenige Monate später nicht mehr genug. Ein weiteres Gesetz wird auf Schiene gebracht, das Bayern in einen orwell‘schen Präventivstaat verwandeln soll. Die Maasmännchen dürfen die privaten Daten nun nicht nur durchsuchen und speichern, sondern auch willkürlich löschen und VERÄNDERN (!) Als Zugabe dürfen Polizisten ab kommenden Sommer Handgranaten tragen und bewaffnete Drohnen einsetzen.
(Bild: Rubikon/facebook CC 4.0)
Gemäß dem im Juli des Vorjahres mit den Stimmen der CSU beschlossenen Polizeiaufgabengesetz wurde bereits das unbefristete Inhaftieren von Personen ermöglicht, die zwar keinen Straftatbestand begangen haben, aber als „Gefährder“ eingestuft werden (siehe Kommentar von Heribert Prantl in Süddeutscher: „Bayern führt die Unendlichkeitshaft ein“)
Aber auch das ist noch nicht genug und es wird nachgelegt. Laut einem neuen Gesetzesentwurf werden nun auch Menschen mit psychischen Erkrankungen mit Gefährdern gleichgesetzt. Depressive Menschen sollen künftig nach Regeln, die bisher nur für Straftäter galten, in Krankenhäusern festgesetzt werden können – wiederum ohne dass ein Straftatbestand vorliegt. Heribert Prantl spricht diesbezüglich von einer Mollathisierung des Rechts (siehe sueddeutsche). Wenn man sich ausmalt, nach welchen Kriterien in den Riegen der transatlantisch-außerirdischen Maasmännchen künftig beurteilt wird, wer von uns „gefährlich“ ist und wer nicht, kann einem in der Tat schummrig werden. Der Journalist Dirk C. Fleck, der nach dem Studium der Tagesnachrichten wie eingangs berichtet in Aussicht stellt, Amok gegen eine offensichtlich nicht mehr zurechnungsfähige Regierung zu laufen – ein typischer Gefährder? Oder der unten noch zitierte Ulrich Mies: ein noch schlimmerer Finger und Wehrkraftzersetzer? Eigentlich ist es ja gar nicht Dirk C. Fleck, von dem Amokgefahr ausgeht, sondern es ist ein offensichtlich vollständig durchgeknalltes Regierungskabinett, das gerade Amok gegen die Interessen der Bürger und gegen den Weltfrieden läuft. Reisegesellschaften wären aus haftungsrechtlichen Gründen jedenfalls gut beraten, wenn sie in ihren Prospekten für Bayern eine Reisewarnung ausgeben. Wenn die Reisegesellschaft gerade in der straßenseitigen Laube eines Eissalons sitzt und ein mit Handgranaten bekränzter Polizist marschiert auf Augenhöhe vorbei … wenn dann plötzlich, was ja auf deutschem Boden keinesfalls mehr unrealistisch ist, ein Lieferwagen hält und schwarze Männer mit Teppichmessern herausspringen oder plötzlich ein motorisiertes Objekt in der Fußgängerzone beschleunigt … wenn dann der Polizist eine seiner Handgranaten einsetzt, um noch schlimmeres Unheil abzuwenden und die Gefährder gemäß Dienstvorschrift zu neutralisieren, nun, welche Versicherung wird den Schaden decken, wenn es dann als Kollateralschaden auch den Eiscafe-Shake des Tui-Touristen zerfetzt und er sich seine khakifarbene Tommy Hilfiger-Jean nicht nur mit brauner Flüssigkeit bekleckert?
Wie auch immer. Eigentlich könnten die aktuellen Ambitionen unserer Obrigkeit genauso wie bei den Volkszählungsinitiativen der 80er Jahre einen willkommenen Anlass geben, um solche Macht- und Überwachungsgelüste kräftig zurückzustutzen und einen für die technologischen Möglichkeiten des Informationszeitalters angemessenen, noch drastisch verstärkten Schutz der Privatsphäre und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung legislativ zu verankern. Krasser und in seiner Gefährlichkeit für Demokratie und Rechstaat offenkundiger als mit den aktuellen Gesetzesentwürfen kann sich der grundrechtswidrige Affront ja gar nicht zeigen – wäre also quasi ein aufgelegter Elfmeter, um im Sinne des Bürgers zu punkten. Ebenso wie jetzt die beste Gelegenheit wäre, um Kriegstreiberei in Europa endgültig als NoGo zu ächten (siehe Heimatflug der transatlantisch-außerirdischen Maasmännchen). Welch bessere Gelegenheit gäbe es, um daran zu erinnern, dass der Bürger ja der Souverän des Staates ist und ihm alle Staatsmacht zu dienen hat und sich selbige Macht nicht zu einem repressiven Moloch auswachsen darf, der in der Folge alle Bürgerrechte verschlingt und sich damit auf historisch äußerst unselige Gleise begibt.
Was macht heute aber die überwältigende Mehrheit der Gwupie-Nerds? Ganz nach dem Vorbild von China basteln die technikbegeisterten Freunde Sheldon Coopers nach Leibeskräften mit an der totalen Überwachung. Dank ihrer unermüdlichen Entwicklungsarbeit hat biometrische Gesichtserkennung auch auf Videosequenzen mittlerweile einen ungeahnten Grad an Professionalität erlangt. Bereits während der G20-Proteste konnte die Hamburger Polizei damit die Menschenmenge nach mutmaßlichen Gefährdern durchforsten oder umgekehrt: die elektronischen Datenbanken mit neuen, von nun an als potentiell gefährlich eingestuften Gesichtern bereichern. In autoritären Regimen wie Myanmar werden solche – tw. durch deutsche Konzerne wie Siemens gelieferte – Systeme übrigens schon seit Jahren höchst effektiv genutzt, um Bürgerrechtsbewegungen im Keim zu ersticken: Kaum gab es eine Demonstration gegen staatliche Korruption und Repression, fuhren Autos mit Kameras an den Menschen vorbei und scannten alle Gesichter der Demonstrierenden (heute übernehmen diese Aufgabe vermutlich Drohnen). Noch am selben Abend bekamen die hierbei erfassten Gesichter „Besuch“ von grauen Männern, die sie abführten. Viele verschwanden für immer oder kehrten mit schweren Folterwunden zurück.
Was die Gwupies in demokratisch-freiheitlichen Gefielden hierzulande dazu treibt, solche Überwachungssysteme zu entwickeln, mag sich mancher fragen. Die Wochenzeitung gibt uns einen Einblick in deren Motivlage:
„Diese sogenannte Augmented-Reality-Brille [zur automatisierten Gesichtserkennung] nennt sich «Hololens» und ist das neuste Spielzeug von EntwicklerInnen und Zukunftsbegeisterten. «Das Ganze hat als Jux angefangen», erinnert sich Cubera-Entwickler Dominik Brumm. Man habe einfach ausprobieren wollen, was mit gängigen Technologien möglich sei.“
Zurück aber nochmals in die 80er Jahre, als das zivilgesellschaftliche Immunsystem noch einigermaßen gesund war. Auch der Spiegel galt damals noch als „Sturmgeschütz der Demokratie“ und nicht als Dampfwalze der Dämlichkeit, wie das der Eifelphilosoph treffend feststellt. Als solches „Sturmgeschütz der Demokratie“ klärte der Spiegel noch bis zur Milleniumswende über „Kriege, die aus dem Think Tank kommen“ auf und über die „bizarren und schockierenden“ Pläne von PNAC & Co. (Project for a New American Century) rund um Dick Cheney & Konsorten, die sich daranmachten, der europäischen Friedensordnung mit kaltem Kalkül den Garaus zu bereiten und Europa in eine von Terror und kriegerischen Konflikten zerrüttete und unter „full spectrum dominance“ stehende Vassallenprovinz des transatlantischen Hegemon umzubauen (siehe auch in Kurzform die mittlerweile ganz unverblümt auf Pressekonferenzen verkündete Vision der Neocon-Falken für das zukünftige Europa: Chicago Council on Global Affairs via Youtube) – Themen, die dem DIN-ISO-zertifizierten Qualitätsjournalisten heute ein absolutes NoGo sind und umgehend als Verschwörungstheorie gebrandmarkt würden. Spiegel-Aufklärung, die damals aber noch breiteste Leserschichten erreicht hat, sodass nicht nur unter der Zivilgesellschaft, sondern ebenso unter Spitzenpolitikern wie Brandt, Bahr, Genscher, Schmidt und Kohl trotz aller transatlantischen Einflussnahmen doch ein einigermaßen solides Selbstverständnis und vor allem ein Bewusstsein für die Vermittlerrolle Mitteleuropas zwischen Ost und West und für die zukunftsweisende Wichtigkeit einer Freundschaft mit Russland geherrscht hat. Entsprechend konnte das Land auch wirtschaftlich und kulturell prosperieren, ein Sozialsystem konnte entstehen, auf das jeder US Bürger nur neidisch sein kann. Dass die Bundesrepublik einmal wirklich von einer Schar schamloser Maasmännchen im Sinne des PNAC „abgewickelt“ wird und dass sogar der Chef der Grünen (in den 80ern noch eine Friedenspartei) Mitglied des PNAC wird, der unablässig zur Konfrontation mit der Nuklearmacht Russland trommelt (siehe Nachrichtenspiegel), das hätte sich damals niemand träumen lassen.
Mit einem PNAC-Boy und einer Atlantikbrücken-Cheerleaderin an der Parteispitze darf es dann auch nicht wundern, wenn in der einstigen Friedenspartei nun vollends die Lichter ausgegangen sind. Die ehemalige Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und Grünen-Politikerin Antje Vollmer schildert in einem jüngsten Interview, welcher Wind heute weht:
„Wer sich für Mäßigung im Umgang mit Russland einsetzt, wer gar Fehler auf der eigenen Seite, im eigenen Lager, offen anspricht, muss sich warm anziehen. (…) Als Pazifistin und Befürworterin einer modernen Entspannungspolitik sind Sie innerhalb der Grünen heute ein Alien von einem fernen Stern. (…) Was wirklich fehlt, ist die Kraft auf der Straße. Um ein Beispiel anzuführen: Als es die jüngsten Angriffe der amerikanischen, britischen und französischen Bomber auf Ziele in Syrien gab, hatten die Grünen ihren Kongress in Berlin zur neuen Standortbestimmung und zum Einläuten der „vierten Phase“ ihrer Parteientwicklung. Frühere Grüne hätte es sofort auf die Straße getrieben: Beendet das Bombardement! Beachtet das Völkerrecht! Aber dieser Kongress tanzte und tagte weiter.“ (Quelle: nachdenkseiten / siehe auch Nachrichtenspiegel: „SOS im Grünen Buntbarsch-Aquarium – die Sauerstoffpumpe ist ausgefallen … und mein Schwein pfeift!“)
Noch bis vor Kurzem habe ich gedacht, der Politikwissenschaftler Ulrich Mies übertreibt, wenn er in einem Essay auf Rubikon von einer Merkel-Regierung spricht, die „als illegitimes selbstinstalliertes Konzern-Regime der administrative Putsch-Part einer verfassungsfeindlichen Oligarchenherrschaft ist, nichts anderes als: ein antidemokratisches Krebsgeschwür … das alle maßgeblichen Positionen in Parteien, Regierungsinstitutionen und Medien kontaminiert. Sie hält das Land im Zangengriff und metastasiert ihren widerwärtigen marktradikalen Ungeist — als Ökonomisierung — in alle Bereiche der Gesellschaft (…) eine Regierung, die auf alle Grundsätze spuckt, die für ein halbwegs funktionierendes demokratisches Gemeinwesen konstitutiv sind, die der Öffentlichkeit täglich ihre Verachtung zeigt, Amtseide, Recht und Gesetz beiseite schiebt, die Gewaltenteilung massakriert und sich längst als rechtsnihilistisches, machiavellistisches und sozialdarwinistisches Regime etabliert hat.“
Ich habe diese Zeilen immer wieder zitiert, aber sie insgeheim doch für Satire gehalten und dazu geschmunzelt. Wenn ich wie Dirk C. Fleck nun die Zeitungsmeldungen der letzten Wochen studiere, dann drängt sich mir der erschütternde Verdacht auf, dass diese Charakterisierung von Ulrich Mies womöglich buchstäblich wahr ist und mein Schmunzeln weicht einem Gesichtsausdruck, wie ihn vermutlich auch die Insassen der Titanic gehabt haben müssen, als sie merkten, dass sie trotz der immer lauter spielenden Musikkapelle in einem erbarmungslosen Strudel versinken und sich Richtung Meeresgrund bewegen.
Nachsatz:
– So, eigentlich wollte ich ja eine kleine nostalgische Kulturreise antreten und über Mike Oldfield schreiben und jetzt bin ich doch wieder im Strudel des Tagesgeschehens hängengeblieben. Nun, man darf die Sogwirkung dieses Strudels wahrlich nicht unterschätzen und man muss alle verbliebenen Kräfte aufwenden, wenn man sich von ihm befreien und nicht von ihm verschlungen werden will. Mehr dazu dann aber in Teil 2 – versprochen. Keine Miesmacherei, keine suizidalen Bundeskanzlerinnen und keine durchgeknallten Maasmännchen mehr, sondern eine „Discovery“ (Entdeckungsreise), so der euphorische Titel von Mike Oldfields Hit-Album aus 1984, das seinerzeit eine ganze Generation begeistert und inspiriert hat. Oldfield war es wichtig, im CD-Inlet kurz anzumerken, unter welchen Umständen er den Genius zu diesem Album geschöpft hat: „Aufgenommen in den Schweizer Alpen, in 2000 Metern Höhe, an sonnigen Tagen“. – Vielleicht können wir diesem Genius auch heute wieder begegnen und in diesen unseligen Tagen, in denen uns sogar vom Fortschritt überzeugte Realos wie Sigmar Gabriel „am Abgrund“ sehen (Quelle: nzz), ein Stück Inspiration finden, um die kommende Dunkelheit geistig unbeschadet zu überstehen. Vielleicht ist uns Oldfields Genius heute sogar näher als jemals zuvor … und klopft bereits an unsere Tür.
Was wir jedenfalls auch in schwarz bewölkten Zeiten niemals vergessen sollten (von der politisch-medialen Lügen-/Manipulationsmaschinerie werden ja derzeit auf offener Straße en masse Autoreifen abgebrannt, deren beißender schwarzer Rauch mittlerweile fast den gesamten Himmel verdunkelt; Peter Sloterdijk spricht davon, dass heute der „Lügenäther“ so dicht sei wie zu Zeiten des Kalten Krieges nicht mehr): Oberhalb der tristen Wolkenschicht scheint trotzdem immer die Sonne. Sich aus eigener Kraft und auf ganz individuelle Weise immer wieder durch die Wolken hindurch und zu dieser Sonne emporzuringen, wird für die kommende Zeit nichts mit Eskapismus zu tun haben, sondern mehr mit schlichter Überlebensnotwendigkeit.
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