(CC BY Parkwaechter 2017)
Obwohl ich mich durch tägliches Lesen in der Lügen-, pardon, in der Katzenstreupresse (siehe „Die Götterdämmerung der Lügenpresse“) für einigermaßen abgebrüht halte, hat mich vor Kurzem das nackte Grauen kalt erwischt. Immer noch ganz benommen, suche ich taumelnd nach Halt … wenn ich abends einschlafe, dreht sich vor meinen Augen ein Bilderkarussell, das mich am Menschen und an der Zukunft für unsere Kinder ernsthaft zweifeln lässt.
Wenn ich jetzt erzähle, was mir widerfahren ist, wird man mich auslachen, aber sei’s drum. Also: Nach dem Lesen eines bewegenden Artikels des Eifelphilosophen (“Die Vernichtung des sensiblen Mannes“) gab ein geschätzter Leser den Hinweis auf den „Butchelor“, meinte damit die unsägliche Fleischbeschaushow „The Bachelor“. Obwohl ich dieses Format bisher eisern verweigert hatte, dachte ich mir: So, nun ist’s aber an der Zeit, dass du dir da auch mal einen Eindruck in bewegten Bildern machst, um über diejenige Show mitreden zu können, die sogar „Deutschland sucht den Superstar“ an medialer Reichweite übertroffen hat und die einer ganzen Generation als Lifestyle-Rolemodel präsentiert wird. Mir schwante bereits Übles, immerhin hat sogar der Spiegel, die „Bildzeitung für Abiturenten“ (Volker Pispers), den Bachelor für das „Zelebrieren von Dekadenz, Oberflächlichkeit und Beklopptheit“ kritisiert. Nach Ansicht der Süddeutschen hat sich der Bachelor „von Folge zu Folge mehr und mehr als seelenloses Psychowrack erwiesen“ und wirke „emotional verarmt, sexuell verelendet und moralisch verwahrlost“.
Trotz dieser Vorwarnungen war ich als nicht-fernsehender Mensch, also als Mann hinterm Mond, über das, was ich zu sehen bekam, dann doch einigermaßen sprachlos. Jedenfalls kann ich nun dem nachfühlen, was auch der Eifelphilosoph gemeint hat, als er nach mehreren Jahren Fernsehabstinenz zum ersten Mal wieder den Kübel eingeschaltet hat: „Das gibt’s doch gar nicht“, sei noch das Geringste gewesen, was er sich angesichts der ihm entgegenkommenden Bilderflut gedacht habe.
Als ich in die Suchmaschine „Bachelor“ eingab, wunderte ich mich zunächst, dass mir „Die Bachelorette“ , also das Femininum zu „Der Bachelor“, als Suchvorschläge ausgegeben wurde. Den Vorwurf, eine frauenverachtende Sendung zu produzieren (Udo Jürgens bezeichnete das Buhlen von 20 paarungswilligen Weibchen um ein männliches Alphatier als „abstoßend und nuttig“), wischte der damalige RTL-Chef Gerhard Zeiler mit der Ankündigung weg, das ganze Spiel auch umgekehrt aufzuzäumen und die Frauen gleichziehen zu lassen. Gesagt, getan, durfte im Spin-off „Die Bachelorette“ fortan ein 25 Köpfe starkes Mannswolfrudel um eine giraffenbeinige Schönheit buhlen. Und in der Tat: Die „Bachelorettes“ zeigen, dass Barbie das Puppenspiel mit den Emotionen genauso beherrscht wie Ken.
Als ich die Bachelorette Zaklina betrachtete (siehe unten), wie sie am Balkon einer mondänen Villa mit lasziv-abgeklärtem Blick nach unten auf den Parkplatz blickt, um sich zu entscheiden, welchem der dort versammelten Verehrer sie als nächstes den Laufpass geben soll, musste ich an eine Schilderung des französischen Philosophen Jacques Lusseyran denken (seine Autobiographie „Das wiedergefundene Licht“ ist eines der bemerkenswertesten Bücher, das ich kenne und von dem man auch als Normalsichtiger ein ganz neues Wahrnehmen der Welt lernen kann). In jungen Jahren erblindet, entdeckte Lusseyran seine Fähigkeit, trotzdem zu „sehen“, und zwar in intuitiven Farben. Die französische Widerstandsbewegung machte sich seine besondere Fähigkeit zunutze, um „in einer Zeit, in der jedes Treffen unter Menschen eine Begegnung auf Leben und Tod war und man schnell erkennen musste, ob man einen Freund oder Feind vor sich hatte“, NS-Spitzel zielsicher zu identifizieren: neue Mitglieder der Resistance wurden in einem abgedunkelten Zimmer zu „dem Blinden“ geführt, wie man ihn nannte. Lusseyran betrachtete dort die Farben, die von der jeweiligen Person ausgingen und konnte mit unfehlbarer Sicherheit sagen, ob bei neu rekrutierten Mitstreitern ehrliche oder unlautere Motive vorlagen.
Bemerkenswert fand ich insbesondere eine Aussage Lusseyrans über die Frauen (was vice versa für Männer genauso gilt). Von abendlichen Tanzveranstaltungen erzählt er, dass er ausgerechnet bei denjenigen Frauen, die ihm seine Kameraden als besonders schön und begehrenswert schilderten, im vis-à-vis beim Tanzen meist „Grausamkeit“ und Kälte wahrnahm, während er bei eher unscheinbaren bzw. unbeachteten Frauen oft wunderbar harmonische Farben sah, die er als wirkliche menschliche Schönheit empfand.
So nebenbei ein Tip eines 40+-Althasen an die Youngsters unter unseren Lesern: Auch ohne hellsehend zu sein wie Lusseyran kann man insbesondere an kleinen Details wie etwa den Mundwinkeln, der Gestik der Lippen oder der Bewegung der Augenlider einer Frau ersehen, welcher Geist sie beseelt (nicht umsonst betreiben Frauen einen beträchtlichen Aufwand, um gerade diese Gesichtspartien intensiv zu beschminken) – wer sich hierfür etwas sein Auge schult und sich nicht bloß von Wespentaillen und Gazellenschenkeln ablenken läst, der mag sich dadurch in seinem Leben fatalen Schiffbruch und ein übles Schicksal ersparen (in neoliberalen Zeiten ist nicht mehr gewährleistet, dass man einen Schiffbruch auf hoher See überlebt – eigentlich also verdammt schlechte Zeiten, um in Beziehungsangelegenheiten russisches Roulette zu spielen, so wie das von unseren Medien heute flächendeckend propagiert wird).
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Was hätte Lusseyran wohl über die Bachelorette Zaklina gesagt, die im oben ersichtlichen Video von der gesamten Männermannschaft angeschmachtet wird? – Ich mag zwar kein Maßstab sein, aber ich für meinen Teil habe eine Gänsehaut bekommen. Auch wenn eine andere als ‚Traumfrau‘ gehandelte Bachelorette-Kollegin namens Frieda auf ihrer Pinwand die Fotos der ihr dargebotenen männlichen Opferstiere seziert (siehe YouTube), wird mir innerlich nicht wärmer, sondern ich taste hilfesuchend nach meiner neben dem Bildschirm stehenden Kamillenteetasse und versuche von dieser etwas Restwärme zu erheischen.
Insbesondere hat mir der in Zalinkas Krallen geratene Opferstier Simon leid getan. Simon, ein vergleichsweise naiver und liebenswürdiger 24jähriger Mann (siehe YouTube), der im Gegensatz zu seinen abgebrühten Mitbuhlern (siehe YouTube) in seinem Leben bisher noch nie eine Freundin gehabt hat, gerät in die Fänge der rothaarigen Femme fatale, die es als besonderen Leckerbissen ansieht, sich den jungen Mann als Aperitif einzuverleiben. Unverdorbene Jungfräulichkeit bekommt man ja in heutiger Zeit nicht alle Tage serviert. Geschäftsmänner aus Hongkong ziehen für solche Angebote schon mal 2,3 Millionen Euro aus der Hosentasche (siehe Focus), warum sollte es also eine Frau in Zeiten des Gender verschmähen, eine solch seltene Okkasion gratis konsumieren zu können?
Simon gibt sich also der Bachelorette hin, auf einer romantischen Dschunke an Thailands Küste wiegt er sich mit ihr fast schon im 7. Himmel (siehe YouTube), die Kameras folgen dem Paar noch bis zum Fallen der ersten Hüllen ins Schlafzimmer. In einem nachfolgenden Interview schildert Simon mit naivem Gutglauben, dass er in Zaklina nun seine Seelenpartnerin gefunden habe und sein Herz fortan ganz für seine Angebetete schlage. Bachelorette Zaklina gibt sich indes jedoch wesentlich professioneller (siehe YouTube): Zwar attestiert sie Simon, dass er ein ungewöhnlich sensibler Mann sei – was, wie der Eifelphilosoph zuletzt berichtete, heute an Seltenheit fast schon der Begegnung mit einem Einhorn gleichkommt -, die Medusa behält sich jedoch vor, noch herauszufinden, ob Simon auch eine ausreichend „wilde und leidenschaftliche Seite“ vorzuweisen habe.
Diese Erwartung der Bachelorette sollte Simon dann auch zum Verhängnis werden. Denn in dieser Hinsicht konnte Simons Mitbewerber am freien Fleischmarkt, der stramme Michel, anscheinend einen höheren Score erzielen (siehe YouTube), obwohl letzterer von seinen Kommilitonen als gefühlskalt und als Pokerface charakterisiert wurde. Gemäß den eisernen Gesetzen der unsichtbaren Hand des darwinistischen Marktes war daher die Entscheidung der Bachelorette vorprogrammiert: Obwohl der sensible Simon bis zum Schluss in banger Erwartungshoffnung verblieb, musste sie ihm angesichts des strammen Michels bei Sonnenuntergang am Meer schließlich das Herz brechen und ihm den Laufpass geben. Was bleibt, ist ein perfekter, schmalztriefender Werbespot für den neoliberalen „survival of the fittest“: Ein bis über die Ohren grinsender Winner, der die Beute einkassiert und ein in Tränen aufgelöster Looser, der schauen kann, wo er bleibt und um den sich niemand mehr schert, während die Winner die Korken knallen lassen.
Dass der strahlende ‚Winner‘ nach wenigen Wochen ebenfalls ausrangiert wird und Platz für einen noch tolleren Hecht machen muss, wird tunlichst verschwiegen – auch, wieviele Scherbenkinder in solchen auf bloßen Sexappeal aufgebauten Sandburgen aufwachsen müssen.
– f i n –
Demnächst im Nachrichtenspiegel:
Teil 2: Die Grausamkeit der Männer – Wenn der Butchelor das Fleischmesser auspackt …
zum Thema passend siehe auch: „5000 Politiker-Penisse online – über Ashley Madison, das größte Tabu und die Anleitung zu Glück und Unglück“
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Epilog / Requiem für Simon:
„Gehe nicht oh Gregor, gehe nicht zum Abendtanz…
(ukrainisches Volkslied aus dem 17. Jahrhundert):
Text (Marusai Churai):
Gehe nicht, oh Gregor, gehe nicht zum Abendtanze.
Zauberische Mädchen folgen deinen Schritten dort.
Weiße Hand, wie Schnee braut dir Tee aus Zauberkräutern.
Trübt den Spiegel deiner Seele, wie der Wind den See
Dort ist auch die eine mit den schwarzen Augenbraun.
Glaube uns, oh Gregor, das ist eine Zauberin.
Ihre schmale Hand braut dir Tee aus Zauberkräutern.
Legt sich über deine Seele, wie der Herbst auf’s Land
Sonntag früh beim Glockenläuten grub sie aus das Kraut.
Schnitt es Montag, alle Sünden hexte sie hinein.
Holt‘ es Dienstag vor, kochte Zaubertrank aus Kräutern,
Mittwoch Nacht beim Reigentanze gab sie ihn Gregor.
Und am Tag darauf, am Tage war Greschenko tot.
Freitag kam voll Leid und Klage und beim Abendrot
trug man ihn zur Ruh, an der Grenze an der Straße.
Viele frommen Leute kamen, viele sahen zu.
Viele Knaben, viele Burschen, klagten um Gregor.
Böse Hexe, Zauberhexe, schwarze Zauberfrau.
Deine Augenbraun werden keinen mehr betören,
niemals wird ein zweiter Gregor deinen Künsten traun.