Politik

Zum Abschied: die unheimliche Welt des Joachim Gauck. Eine Interpretation.

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Freitag, 20.1.2017. Eifel. Ja, da geht er, der Bundespräsident. Eigentlich kein Grund, sich darüber zu äußern, wenn  nicht … ja, wenn nicht in der Rede Botschaften versteckt wären, die Aufschluss darüber geben, wie „da oben“ gedacht wird – und was wir noch zu erwarten haben. Ja, in der Rede steht in der Tat drin, welche Zukunft uns droht – doch dafür muss man ganz genau hinschauen. Sicher: die Rede hat ein Gauck ja nicht selbst geschrieben. Dafür gibt es ja Redenschreiber – wie für alle Politiker. Eigentlich huldigen wir da  immer einer Muppets-Show, also: Handpuppen und Pappkameraden, wenn wir uns diese Reden anhören. Ich möchte Sie, geschätzter Leser, auch nicht dazu verführen, die Rede selbst zu hören – es gibt ja kaum jemanden, der sich sowas antut. Sie ist langatmig und weitgehendst inhaltsleer, stellenweise codiert, dass nur Insider die Botschaft auf Anhieb verstehen – aber wer sie versteht, dem wird Angst und Bange. Dabei fängt sie so harmlos an (siehe Bundespräsident):

„Als ich vor fast fünf Jahren das Amt des Bundespräsidenten übernahm, habe ich mich und meine Landsleute gefragt, wie es denn aussehen sollte, dieses Land, zu dem unsere Kinder und Enkel einmal „unser Land“ sagen werden. Und ich fand vieles, auf das wir aufbauen können und das mich dankbar und zuversichtlich für die Zukunft stimmt.“

Ich sagte, es fängt harmlos an? War gelogen. Haben Sie schon einmal unserem Bundespräsidenten (oft nur „Grußonkel“ genannt) den Auftrag gegeben, das Land umzubauen? Hat der Bundestag diesen Auftrag vergeben? Welche Landsleute hat er da eigentlich gefragt: können Sie sich an eine Umfrage des Bundespräsidenten zu Neubau der Bundesrepublik erinnern? Ach – Sie hatten ihn ja noch nicht mal gewählt, wie können Sie davon ausgehen, dass er von Ihnen spricht. Immerhin hat ja auch seine Kanzlerin schon mal angedeutet, dass dieses Land nicht unter allen Umständen „ihr“ Land sei – jedenfalls nicht dann, wenn die Eingeborenen sich nicht so verhalten, wie sie es anordnet.

Wissen Sie, was mir zuerst in den Sinn kam, als ich diesen Satz las? Ein spanischer Konquistador, der in Südamerika einfällt, ein britischer Kommandeur, der Indien betritt – oder ein Cowboy auf den Weg in den in seinen Augen „leeren“ Westen. Der Satz eines Eroberers. Das, worauf er „aufbauen“ konnte, war unser Land, an dem unsere Großväter und Väter, unser Großmütter und Mütter ein Leben lang mitgearbeitet haben: zu Zeiten, wo ein Herr Gauck noch – zurecht – vom Sozialismus schwärmte, weil er dem christlichen Ideal so nahe kam. Jetzt schwärmt er nicht mehr vom Sozialismus – und – wie wir sehen werden – wohl auch nicht mehr vom Christentum.

„Ja: Wir leben in einer Republik, die persönliches Glück und Fortkommen ermöglicht und die Freiheit mit Chancengerechtigkeit und sozialem Ausgleich zu verbinden sucht. Das Recht ist nicht in der Hand der Macht. Verwaltungs- und Verfassungsgerichte garantieren, dass die Bürger ihre Rechte gegenüber dem Staat geltend machen können. Freie Gewerkschaften gestalten die Arbeitswelt mit, ebenso eine Unternehmerschaft, die weitestgehend eine gesellschaftliche Mitverantwortung akzeptiert und übernimmt. Soziale Marktwirtschaft, Kultur und die Künste können sich entfalten, freie Medien in großer Vielfalt beflügeln die Diskurse und fördern die Meinungsbildung.“

Nein – da leben wir nicht.  Chancengleichheit ist immer weniger vorhanden (siehe z.B. FAZ), die Schere zwischen arm und reich geht immer weiter auseinander … aber immerhin: er spricht ja hier von „suchen“ – nicht davon, das der soziale Ausgleich existiert. Suchen … kann man lange, wenn man nichts finden will. Parteien setzen die Richter ein, die Politik dirigiert die Staatsanwälte (siehe Taz), so dass viele Vergehen gar nicht beim Richter landen. Die Gewerkschaften werden von Jahr zu Jahr machtloser, „Union Busting“ wird flächendeckend als professionelle Dienstleistung angeboten (siehe Otto-Brenner-Stiftung), wir haben eine Unternehmerschaft, die durch Steuerhinterziehung glänzt: in einem Ausmaß, dass wir die Hartz IV-Sätze von den Beträgern verfünffachen könnten, eine Unternehmerschaft, die jede Chance auf Niedriglöhner, Zeitarbeiter oder unbezahlten Überstunden nutzt, um für sich fette Gewinne abzugreifen, die nicht vor Lug und Betrug (VW) oder Kriminalität (Deutsche Bank) halt macht, die völlig unverantwortlich auf Kosten der Allgemeinheit arbeitet (siehe Bankenkrise) und gigantische Vermögen spielerisch vernichtet. Die soziale Marktwirtschaft? Manche „Experten“ halten sie schon jetzt für abgeschafft (siehe Literaturkritik) – und die Mehrheit der Bürger in Deutschland (offenbar nicht jene „Landsleute“, mit denen Herr Gauck redet) sieht in dem Land sogar deutliche Anzeichen für eine Diktatur der Ökonomie über die Politik (siehe Handelsblatt).

Der Herr Präsident paukt hier Parolen durch, die seit Jahrzehnten nicht mehr der Realität entsprechen – aber als Staatsmeinung gelten, wer davon abweicht, wird mit Bannsprüchen belegt („rechts“, „rechts offen“, „Verschwörungstheoretiker“, „Populist“) um so eine Kaste der Unberührbaren, der Parias zu schaffen – wie im feudalen alten Indien. Freie Medien? In Deutschland in der Hand einiger weniger reicher Familien, die die Konkurrenz mit Hilfe der Banken aufgekauft haben. Kultur und Künste? Überleben nur dank Hartz IV … oder als Hofnarren der Reichen.

Doch dann wird es interessant: nach vielen Lobeshymnen auf das Establishment … eine Warnung:

„Nun, nach fast fünf Jahren bin ich stärker beeinflusst von dem Bewusstsein, dass diesem demokratischen und stabilen Deutschland auch Gefahren drohen.“

Es wir spannend: wo liegen denn die Gefahren, die so ein stabiles Land bedrohen können?

„Stattdessen sind wir uns in Europa heute weder alle einig, noch leben wir überall in Frieden. Die Bindekraft der Europäischen Union hat deutlich nachgelassen, Zweifel im Inneren werden auch von außen geschürt. Erstmals will sogar ein Staat die Union verlassen. Die Kriege im Nahen Osten und in der Ostukraine sowie die russische Besetzung der Krim haben die begrenzten Handlungsmöglichkeiten deutscher und europäischer Außenpolitik offenbart. Die Bedrohung durch den islamistischen Terror ist gewachsen. Mit dem Amtsantritt des neuen amerikanischen Präsidenten stehen wir vor Herausforderungen für die völkerrechtsbasierte internationale Ordnung und die transatlantischen Beziehungen, besonders die Nato.“

Ja – wir sind uns nicht alle einig. Das ist die Grundlage jeder Demokratie – und jeder Kreativität. Die Zweifel im Inneren brauchen nicht von einem „außen“ geschürt werden – die Zweifel finden sie in breiter Front in alternativen Medien, getragen von 14 Millionen Menschen (darunter viele Akademiker und Künstler) die rund um „Hartz IV“ angesiedelt sind, von überzeugten Demokraten, die erleben mussten, wie mehrere Kanzler die eigene Bevölkerung, die eigenen Wähler und die eigenen Gesetze missachteten (Kohl, Schröder, Merkel), von engagierten Christen, die entsetzt mitansehen mussten, wie deutsche Soldaten in die Welt entsandt werden: trotz unserers festen Entschlusses, dass dies niemals wieder geschehen soll: trotzdem stehen sie wieder auf jenem Boden, wo ihre Vorväter schon marschierten – auf (ehemals) russischer Erde und haben Hitlers Traum erreicht, nach Asien einzufallen, zudem sind sie weiter gelangt, als Rommels Afrikakorps je gekommen ist.

Wer ist 2017 unser Feind? Nun – darf ich übersetzen? Der Russe. Der Brite. Die Europäer, die sich deutschem Diktat nicht beugen. Und jetzt … ab heute, dem Tag der Amtsübernahme: der neue amerikanische Präsident. Fünf Jahre, nachdem Herr Gauck und seine „Landsleute“ das Land umformen wollten, ist Deutschland wieder von Feinden umgeben. Ach ja – und der Moslem ist auch noch unser Feind – ausgenommen jene, die auf deutschem Boden leben. Die sind alle heilig, edel und gut – kehren sie zurück in ihre Heimat, darf wieder auf sie geschossen werden.

Wir haben aber noch andere Feinde.

„In unseren Gesellschaften wachsen Bewegungen heran, die Gegenentwürfe präsentieren, aber keine kohärenten Programme. Doch ihre Denkrichtung offenbaren sie deutlich: Sie propagieren die Rückkehr ins Nationale, die Abwehr von Fremden und Freihandel. Sie ziehen kulturelle Geschlossenheit der Vielfalt vor und präsentieren Konkurrenzmodelle zur repräsentativen Demokratie. Sie erklären sich zum alleinigen Sprecher des Volkes und attackieren das sogenannte System. Sie stellen das europäische Projekt in Frage. Einige mischen antiamerikanische und antiwestliche Reflexe mit Sympathien für die autoritäre Herrschaft in Moskau.“

Die Rückkehr ins Nationale? Was war denn das dann für eine Zukunft, die die Redenschreiber des Herrn Gauck mit „ihren Landsleuten“ besprachen? In welcher Welt leben die eigentlich? Einer Welt jenseits des „Nationalen“? Wir sind noch eine Nation. Wenn man nicht dazu neigt, den Begriff mystisch zu überhöhen, ist das auch eine ganz unspektakuläre Angelegenheit: eine Verwaltungseinheit jener Menschen, die sich sprachlich gut miteinander verständigen können. Die größere Form von selbstbestimmter Gemeinde. Was ist daran auszusetzen? Wer soll uns sonst bestimmen, wenn nicht wir?  Die Abwehr von Fremden? Wer faselt denn da von der „islamistischen Bedrohung“, von dem bösen „Außen“, das Zweifel schürt, von dem US Präsidenten, der eine Herausforderung für die Nato, das interantionale Völkerrecht und die „transatlantischen Beziehungen“ bedeutet? Konkurrenzmodelle zur repräsentativen Demokratie? Nun – auch Willy Brandt wollte mehr Demokratie wagen. Kulturelle Geschlossenheit? Sehe ich beim Islam recht deutlich – einfach mal nach Saudi-Arabien fahren, nach Dubai oder Kuweit – und dann mit einer Pulle Bier im Minirock Bibelverse singend über den Markt laufen. Hier bei uns in der Eifel geht das – ohne das man danach geköpft wird. Abwehr von Freihandel? Wie wäre es, wir nennen das Abwehr von Eroberern? Antiamerikanische Reflexe? Wie die, den heute eingesetzten US-Präsidenten zu dämonisieren?

Ich merke nur eins: das, was da als „seine Landsleute“ gemeint ist, schrumpft ständig zusammen. Doch keine Sorge: wir kriegen noch die Antwort, wer das ist. Erstmal jedoch … verlängert sich die Liste der Feinde:

„In Teilen der Gesellschaft ist ein Anspruchsdenken gewachsen, das den Staat allein als Dienstleister sieht, von dem sie wie Kunden erwarten, dass er ihre Erwartungen und Wünsche möglichst umfassend befriedigt. Doch Demokratie ist kein politisches Versandhaus.“

Kein Satz läßt tiefer Blicken in das Selbstverständnis einer selbstverliebten Lumpenelite als dieser, kein Satz offenbart mehr, wie sehr und wie selbstverständlich sich eine gewissen Schicht vom Boden des Grundgesetzes, von der Demokratie, vom gesellschaftlichen Konsens und sogar vom Grundgedanken des Staatsgedanken selbst entfernt und entfremdet haben – viel weiter als preußische Könige, die sich noch als erste Diener des Landes verstanden.

Der Staat … ist in erster Linie ein Dienstleister. Dafür wird er bezahlt. Jedes Anspruchsdenken an den Staat ist gerechtfertigt. Was der Staat jedoch nie sein darf: ein isoliertes Gebilde innerhalb einer Gemeinschaft. Ist der das, ist die Diktatur, der Feudalstaat, das Cäsarentum durch die Hintertür wieder hereingekommen. „Staat“ ist kein Dienstleistungskonzern, der neben Mercedes Benz und Deutsche Bank Gewinne erwirtschaften soll (womit sich Finanzminister und Bundesagenturen für Arbeit absurderweise schon gebrüstet haben), Staat … das sind wir alle. Wir zahlen sehr viel Geld dafür: 50 Prozent unseres Gewinns aus Arbeit. Dafür darf auch mal geliefert werden – und zwar flott, effizient, mundgerecht und unkompliziert. Wem das nicht passt, soll alle Steuer- und Beitragsgelder zurückzahlen: wir werden sehen, wovon die „Landsleute“ dann leben.

Was sind das für Menschen, die sich anmaßen, so zu tun, als wäre der Staat ihr Eigentum? Die es für selbstverständlich halten, riesige Mengen an Geld zu kassieren, ohne dafür zu Gegenleistungen verpflichtet zu sein? Wissen Sie, wo wir da gelandet sind? Im finstersten Mittelalter, bei den Raubrittern, den Feudalherren, den gönnerhaften Lehnsherren … und der Leibeigenschaft der Bevölkerung. Das Geschäft ist wieder das gleiche: „Wir schützen euch vor dem bösen Feind, dafür gebt ihr uns die Hälfte der Ernte, damit wir tolle Partys feiern können“ … wie jene zur Einweihung der Elbphilharmonie, wo man genüsslich schmausen konnte, während gleichzeitig zehntausend deutsche Kinder vor den Türen vom Kältetod bedroht waren. Räuber, dass sind sie: asoziale Wesen, die den Staat als ihr Privateigentum betrachten, sobald sie ihr Amt antreten, die kassieren für selbstverständlich halten – und liefern für eine Zumutung.

Und so etwas wird in der Abschiedsrede des Bundespräsidenten öffentlich formuliert, so selbstverständlich ist dieses Denken in den Köpfen der Redenschreiber verankert.

Natürlich gibt es auch schätzenswerte Worte:

„Keinesfalls sollte allerdings geschehen, wovor der amerikanische Politologe Francis Fukuyama warnt: dass der Begriff Populismus zu einem Etikett wird, „mit dem politische Eliten die bei ihnen unbeliebten politischen Ansichten einfacher Bürger versehen“ und pauschal aus dem Diskurs ausgrenzen.“

Sollte nicht geschehen – geschieht aber: unter Mithilfe vieler Intellektueller, die am Hofstaat des Lehnsherren eine ansehnliche Leibrente erhielten. Bleiben wir bei den Feinden der Raubritter:

„Wir leben in rauen Zeiten: Oft ist nicht mehr erkennbar, was wahr ist und was falsch. Vor allem in den sozialen Netzwerken wird fast grenzenlos gelogen, beschimpft, verletzt. Ausländische Mächte betreiben zudem gezielt Informationskriege zur Destabilisierung anderer Staaten. Das fällt umso leichter, als Emotionen für die Meinungsbildung oftmals entscheidender geworden sind als Fakten. Wir sollten uns aber vor Augen führen: Wenn wir nur noch das als Tatsache akzeptieren, was wir ohnehin glauben, wenn Halbwahrheiten, Interpretationen, Verschwörungstheorien, Gerüchte genauso viel zählen wie Wahrheit, dann ist der Raum freigegeben für Demagogen und Autokraten.“

Da ist noch ein Feind, der die „politische Elite“ (ich leihe mir mal den Begriff von Fukuyama) beroht. „Ausländische Mächte“ sind immer gut, diffuse Ängste zu schüren, dass wussten die Lehnsherren seit Jahrtausenden: „Wenn ich nicht den Zehnten kriege, holt euch der Hunne!“ Und dann auch die „sozialen Netzwerke“ … die wir auch als unkontrollierte Selbstorganisation des Souveräns dieses Landes (also: UNS) begreifen könnten. Wer tummelt sich da? Wesen, die nicht zwischen Emotionen und Fakten unterscheiden können – so wird jedenfalls unterstellt. Wie nennen wir solche Wesen noch, die von Emotionen gesteuert werden anstatt von Fakten? Tiere. Vernunftlose Fressmaschinen. Ja – damit formuliere ich eine der „Interpretationen“, die jetzt – ganz neu – auch verpönt sind. Anordnungen der politischen Elite und ihrer „Landsleute“ ist kritiklos und wortgetreu Folge zu leisten; definieren sie, wer aktuell Feind zu sein hat, muss sofort marschiert werden. Jedes noch so wortschwallige Bekenntnis zur Demokratie, die im Dialog um die Wahrheit ringt (wir wissen seit 2500 Jahren, dass wir gar nicht anders zu „Wahrheiten“ gelangen können, als diese im Diskurs der Kontrahenten mühevoll zu erarbeiten – und zwar jeder für sich selbst), wird durch diesen Ansatz geleugnet – ganz offen. Und sind Emotionen wirklich wichtiger als „Fakten“ (was immer das auch sein mag)? Mitleid ist jene Emotion, die Grundlage allen sozialen Denkens und Handelns ist: eine pure Emotion. Liebe ist stärkste Kraft und unabdingbare Voraussetzung für entschlossenes politisches Handeln – Liebe zum Nächsten. Fakten, die gegen Liebe und Mitleid triumphieren? Da überlasse ich Ihnen die Bewertung einfach mal selbst, in welche Welt uns dies führen wird. Christlich … ist die nicht.

Natürlich beschäftigt sich unser scheidender Präsident auch mit dem „jungen Einwanderungsland“ Deutschland – was „Verfassungspatrioten“ wie er einer ist eigentlich verwundern sollte: eins der am dichtesten bevölkerten Länder der Erde mit hoher Staatsverschuldung und 14 Millionen wirtschaftlich komplett ausgegrenzten Menschen einfach so von oben herab als „Einwanderungsland“ zu definieren, zeigt von einem eigentümlichen Rechtsverständnis – das weit jenseits von Fakten und Gesetzen liegt. Fakten? Wir haben Einwanderer gehabt, „Gastarbeiter“. In der Sendung „Die Anstalt“ vom 6.12.2016 wurde ihr Status mal reflekiert: 8 Millionen von ihnen, die seit Jahrzehnten hier leben, arbeiten, Arbeitsplätze schaffen, Steuern zahlen haben KEIN WAHLRECHT, dafür aber Kanzler wie Helmut Schmidt und Helmut Kohl erdulden dürfen, die sie am liebsten sofort alle hinausbefördert hätten. Wir haben ein Asylrecht – aber das macht uns nicht zum Einwanderungsland. Eine so eingreifende Entscheidung über den Charakter eines Landes sollte auch umfassender fundiert sein als nur durch Wunschträume einer politischen Elite, die für eine Million „Neubürger“ genau so viel Geld ausgibt wie für 7 Millionen Arbeitslose und ihre Kinder (nur Bundesmittel) und 14 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund jeden Einwandererstatus seit Jahrzehnten vorenthält.

Ja – natürlich: der Hass, der überall wächst. Vielleicht sollten wir hier mal die Emotionen (den Hass auf die Hassenden) beiseite lassen und Fakten präsentieren, wie es der Bundespräsident empfiehlt (siehe Spiegel):

„Die Opfer sind nicht nur sehr verzweifelt, hilflos und verspüren ein Gefühl von Ohnmacht. Sie entwickeln auch Rachegedanken und Hass. Wer Mobbing nicht selbst hat erfahren müssen, kann kaum nachvollziehen, was das mit einem Menschen macht. Das wird von außen, auch von den Lehrern, kleingeredet als harmlose Auseinandersetzungen zwischen Kindern. Es wird oft nicht erkannt, wie intensiv dieser Psychoterror tatsächlich ist.“

Das ist keine Meinung – sondern Fakt. Jedenfalls sagt das der Experte:

„In Experimenten, sagt er, konnte nachgewiesen werden, dass bei Menschen, die einen kleinen Stromschlag bekommen, dieselben Schmerzzentren im Gehirn aktiv werden wie bei Menschen, die sozial ausgegrenzt werden. Die Folge: Wut.“

Schon haben Sie eine erschöpfende Erklärung für Trump und AfD. Mehr braucht man nicht wissen. Hass und Wut sind nur Reaktionen sozialer Wesen auf Psychoterror, sie gehören nicht immanent zu ihrem Wesenszug: was ja auch eine zentrale Auffassung eines demokratischen, humanistischen Menschenbildes ist, dass keinen Gedanken an „Untermenschen“ irgendwelcher Art zulässt – noch nicht mal bei Menschen, die Ansprüche an den Staat stellen, die der Bundespräsident für überzogen hält … obwohl er selbst nur vom Geld dieser Menschen lebt.

Der Präsident hat aber eine andere Antwort für die Ausgegrenzten, eine Antwort, die einen erschauern läßt:

„Denn die Aussage, es könne niemals eine militärische Lösung geben, klingt gut und ist gut, allerdings nur, solange sich alle Seiten an diese Maxime halten.“

Und ob sich alle Seiten daran halten, bestimmt allein: unsere politische Elite, die sich zum Beispiel in den Machtkampf in Kiew massiv eingemischt hat, die Bevölkerung massiv gegen Trump und Putin aufwiegelt und sich jede Kritik, jede Interpretation, jede alternative Theorie zur Erklärung politischer Entwicklungen verbietet (siehe oben).

Es steht noch viel mehr in der ellenlangen Rede, die der scheidende Präsident gehalten hat. Wer gehau hinschaut, hört Kriegstrommeln:

„Wir wissen längst: Deutschland kann sich nicht zur Insel machen, kann sich nicht abschotten von der Welt, kann sich nicht zurückziehen ins Nationale. Frieden und Wohlergehen im eigenen Land sind untrennbar verwoben mit Frieden und Wohlergehen andernorts, verwoben mit internationalen Organisationen und militärischen Bündnissen, deren Mitglied Deutschland ist. Was etwa in China geschieht, hat Auswirkungen auf unser Leben in Deutschland.“

Und deshalb dürfen wir uns das Recht herausnehmen, miltiärisch mit China zu ringen? Immerhin haben die auch eine Armee … scheinen also für militärische Lösungen offen zu sein.

„Oder Deutschland, als starker und verantwortungsvoller Partner in der Union, kann mehr Gestaltungswillen als bisher für das größere Ganze aufbringen. Wir können? Nein, wir müssen! Wir müssen mehr tun, um gemeinsam mit anderen Ordnung zu erhalten, Konflikten vorzubeugen, Krisen zu entschärfen und Gegner abzuschrecken.“

Wir hören hier Worte, die wir lange überwunden glaubten – aber für unser politische Elite Norm geworden ist: nun wissen wir, welche Zukunft „unser Landsleute“ für unser Kinder wollen:

„Selbstvertrauen haben wir lange nicht leben wollen. Zu nah schien es uns an einem Gefühl unaufgeklärten Stolzes. Und so entstand die dominierende Kultur von Zurückhaltung und Selbstbeschränkung. Aber wann, wenn nicht mit dem Aufbau der Demokratie in Westdeutschland und der Friedlichen Revolution im Osten, mit der Vereinigung Deutschlands und Europas hätte es bessere Gründe für ein gesundes Selbstvertrauen gegeben?“

Wir sind die Guten … die sich aufmachen, mit militärischer Gewald die Chinesen abzuschrecken. Und den Russen. Und den Trump. Und die sozialen Netzwerke. Und die Muslime (außer jene, die Merkel für unklare Ziele im Inland braucht). Und die Bürger, die Leistungen für ihre Beiträge fordern. Man hört insgeheim … den Marschtritt des Vierten Reiches, in dem der Bürger zahlen darf, ohne Leistungen einzufordern, Fakten akzeptieren muss, ohne Fragen stellen zu dürfen, keine Emotionen haben darf und Psychoterror gehorsam als selbstverständlich erduldet und die grausamen Folgen seiner Ohnmacht passiv erträgt.

Ich gestehe: die Rede des Herrn Gauck ist viel länger. Ich weiß nicht, wie viele daran geschrieben haben. Ich gestehe: ich habe eine eigene Interpretation dieser Rede angefertigt, manches überspitzt (sehe noch keinen Krieg mit China am Horizont), manches verkürzt. Ich verlange auch von einem Bundespräsidenten die Kompetenz, Reden zu  halten, die keinerlei Interpretation zulassen – so etwas geht. Klare Worte ohne Schnörkel, geheime Codes und schlecht versteckte Andeutungen. Ich verlange eine Rede ohne Widersprüche, die nicht zuerst das Nationale verdammt, um es später als stolzes neues Deutschland mit legitimen Gestaltungswillen in fremden Ländern wieder hochleben zu lassen. Dafür bezahle ich diesen Menschen und seine Redenschreiber.

Aber ich merke auch: auch das sind „Ansprüche“, „Erwartungen“ und „Wünsche“, die ich – als vernunftloses Tier – gegenüber der hochstehenden politischen Elite gar nicht mehr formulieren darf. Noch darf ich mir Gedanken darüber machen, welche Grundlage, welches Menschenbild, welches Politikverständnis eigentlich die Grundlage ihrer „Fakten“ ist.

Aber: diskutieren Sie mit mir. Sollte ich mit meiner Interpretation falsch liegen: nur zu. Ich produziere keine „Fakten“, weiß um die Schwierigkeit der Wahrheitsfindung. Habe sowas studiert – und deshalb keine Hörigkeit gegenüber „Fakten“, die mir eine politische Elite serviert. Das ist auch die Grundlage der Demokratie – sonst hätten wir ja eine Diktatur der politischen Elite, die vorschreibt, was jetzt „wahr“ ist und was als „falsch“ zu gelten hat.

Und jene Diktatur sollten wir schon in der Entstehung verhindern – eine solche Zukunft möchte ich meinen Kindern nicht gönnen.

Und darüber – sollten wir wirklich mal reden.

PS: Inwieweit Herr Gauck für seine Worte verantwortlich ist, kann ich nicht beurteilen, noch möchte ich den Eindruck erwecken, er sein ein schlechter Mensch. Es mag sein, dass er nur in übler Gesellschaft ist – und soziale Wesen wie der Mensch überleben halt durch Anpassung. Das sollte man immer beachten – bei jedem sozialen Wesen, auch denen, die noch Emotionen haben.

 

 

 

 

 

 



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