Wikimedia/ CC BY 2.0 / U.S. Fish and Wildlife Service Northeast Region
Drei Jahre nachdem der letzte amerikanische Panzer aus Europa zurück in die USA gebracht wurde, verfrachtet die vierte US-Infanteriedivision aktuell eine ganze Panzerbrigade nach Europa, um an der Grenze des atomar bestückten russischen Bären für „Abschreckung“ zu sorgen. Durch ein Rotieren der US Panzerbrigade zwischen Polen und fünf weiteren Oststaaten wird die Nato-Russland-Akte aus 1997 umgangen, wonach die NATO an Russlands Grenzen nicht „dauerhaft“ größere Einheiten stationieren darf.
Wer sich wundert, warum Friedensnobelpreisträger Obama in den letzten Wochen seiner Amtszeit versucht, die Ost-West Beziehungen vollends zum Eskalieren zu bringen, der kennt die triftigen Hintergründe nicht. Laut NSA-Berichten hat sich nämlich das namenlose Grauen erhoben: „Russische Hacker“ mit „Verbindungen zu russischen Diensten oder dem Kreml“ hätten diverse Hacks ausgeheckt und betrieben gezielte Informations- bzw. Desinformationskampagnen. Für diese Anschuldigungen existieren zwar keine Beweise, aber immerhin „starke Indizien“.
Obwohl die vorgeblichen Indizien in einem Memorandum hochrangiger ehemaliger US-Geheimdienstveteranen, darunter der ehem. technische NSA-Direktor William Binney, nach eingehender Analyse als haltlos bezeichnet werden (siehe Memorandum „Allegations of Hacking Election Are Baseless“), so kolportieren die Leitmedien unserer garantiert fakenewsfreien und DIN-ISO-zertifizierten Wahrheitspresse die besagten Indizien als wenn sie erwiesene Tatsachen wären (siehe dazu auch Telepolis: „Russische Hacker sind das neue Der-Hund-hat-meine-Hausaufgaben-gefressen“).
Auch der designierte Präsident Trump lässt in einem Tweet von letzter Woche durchblicken, was er von den US Geheimdienstinformationen hält:
>>The „Intelligence“ briefing on so-called „Russian hacking“ was delayed until Friday, perhaps more time needed to build a case. Very strange! << (@realDonaldTrump 3. Jan.2017)
Studiert man den drei Tage nach Trumps Tweet veröffentlichten Report der US Geheimdienste über die angeblichen russischen Hackeraktivitäten (siehe Originaldokument auf dni.gov), dann findet man auf S.23 des PDF Dokuments eine hahnebücherne Erklärung von dem, was die US Dienste unter „niedriger, mittlerer und hoher“ Wahrscheinlichkeit bzw. Informationsqellengüte verstehen. Sogar das höchste Qualitätsniveau „High Confidence“ erfährt von den US Diensten selbst eine drastische Relativierung:
„High confidence in a judgment does not imply that the assessment is a fact or a certainty; such judgments might be wrong.“
( „Hohe Sicherheitswahrscheinlichkeit bei einer Beurteilung bedeutet nicht, dass die Einschätzung eine Tatsache oder eine Gewissheit ist; solche Beurteilungen könnten falsch sein.“)
Angesichts solcher Statements ist man an eine Szene aus John le Carrés Kalte-Kriegs Epos „Das Russland Haus“ erinnert, in der ein von Roy Scheider verkörperter US Agentenchef nach dem Durchackern ellenlanger Expertenberichte über den Wahrheitsgehalt geheimer Informationen eines russischen Dissidenten zum Fazit kommt: „Für Expertenberichte ist wirklich kein WC tief genug!“
Trotz der dünnen Suppe an Indizien schicken die USA nun eine Armada an Kriegsgerät direkt vor die Tore Russlands. Dass sich die zunehmende Dichte an Kriegsgerät und Manövern entlang der russischen Staatsgrenze – sei es durch menschliches oder technisches Versagen – schnell zu einem realen Konflikt entwickeln könnte, wird achselzuckend in Kauf genommen. Überhaupt gibt man sich auf westlicher Seite offensiv. Bereits die Namensgebung der an der russischen Grenze stattfindenden NATO-Manöver weckt beim russischen Bären historische Traumen und Urängste. Eines der größten jüngsten NATO-Manöver an der russischen Grenze vor dem aktuellen „Atlantic Resolve“ hieß etwa „Anaconda“, wurde also nach der weltgrößten Würgeschlange benannt, die sich hier sprichwörtlich um den russischen Bären legt. Inwieweit der atomar bestückte Bär angesichts dieser sich vor ihm aufbäumenden Würgeschlange die Nerven bewahren wird, steht noch nicht fest.
In einem Spiegel-Interview sagt Kreml-Berater Sergej Karaganow jedenfalls klipp und klar, was eine Eskalation im momentanen NATO-Säbelrasseln für Deutschland bedeutete: Es würde ins offene Messer laufen. Russland wäre nämlich nicht bereit, sich auf eigenem Territorium in Scharmützel verwickeln zu lassen, sondern würde uns in solchem Falle einfach per Knopfdruck verdampfen (siehe Spiegel):
„Russland wird nie wieder auf seinem eigenen Territorium kämpfen (…) Im Falle einer Krise werden genau diese Waffen vernichtet (…) Wenn die NATO eine Aggression beginnt – gegen eine Atommacht wie uns -, wird sie bestraft werden.“
Das „Gerede“, dass Russland das Baltikum angreifen wolle, bezeichnet Karaganow als „idiotisch“. Nachdenklich stimmt beim Lesen des Interviews insbesondere, dass Russland die Hoffnung auf eine Kooperation mit Mitteleuropa und insbesondere mit Deutschland anscheinend bereits aufgegeben hat. Laut Karaganow werde Europa für die nächsten Jahrzehnte „kein Modell mehr für Russland“ sein. Selbst wenn es also zu keinem „heißen“ Konflikt kommt, vor dem Militärexperten derzeit warnen, so ist durch das willfährige Befolgen transatlantischer Lobbypolitik für Europa also bereits ein womöglich irreparabler Erfrierungsschaden eingetreten. Das von Denkpanzer-Generälen wie STRATFOR-Chef George Friedman mittlerweile ganz unverhohlen als strategisches Hauptanliegen der US Außenpolitik seit 1871 bezeichnete Ziel scheint somit realiter erreicht: Eine Freundschaft zwischen Europa und Russland – also das Entstehen einer Kultur- und Wirtschaftsmacht, im Vergleich zu welcher die USA wie ein gefracktes, dekadentes Popcornfeld erscheinen würde – zu verhindern (Quelle: Chicago Council on Global Affairs / siehe Kurzfassung via Youtube). – Nein, das ist keine Verschwörungstheorie eines psychopathischen Spinners, sondern die Aussage eines der einflussreichsten US Strategen und Politikwissenschaftlers, der nicht nur Kommandeure der US-Streitkräfte eigenhändig ausgebildet hat, sondern dessen Thinktank-Organisation laut New York Times weltweit über 4.000 Unternehmen, Personen und Regierungen berät, darunter das US-Außenministerium, Monsanto, Microsoft, Lockheed Martin und die Bank of America.
Obwohl unsere DIN-ISO-zertifizierten Qualitätsmedien ansonsten jede Verdauungsstörung jedes C-Promis eifrig protokollieren, sehen sie bei solchen transatlantischen Bekenntnissen betreten zur Seite. Willy Wimmer war meines Wissens der einzige, der sie öffentlich diskutiert hat. Ansonsten kursierten die Ausführungen Friedmans nur in den alternativen Medien. Und die sind ja ab heuer – Fake News.
Da die zynischen US Globalstrategien, von denen Friedman in Wirklichkeit nur ein mickriger Exponent ist, weder in der Presse noch im deutschen oder europäischen Parlament thematisiert wurden, finden auf europäischem Boden nun gespenstische Szenen statt, bei denen sich Willy Brandt im Grab umdrehen würde: Eine blecherne Anakonda aus 900 Waggons mit insgesamt 14 Kilometern Länge, beladen mit schwerem US-Kriegsgerät, schlängelt sich von der Nordseeküste Bremerhavens quer durch Deutschland Richtung russischer Grenze.
Die Anakonda wird eskortiert von dienstbeflissenem deutschen Militärpersonal. Einem im obigen Video gezeigten Logistik-General glänzen während des Interviews stolz die Augen, dass er mit dem in „seiner Schule“ ausgebildeten deutschen Mannen mithelfen darf, den Zünder in das große Pulverfass, auf dem wir alle sitzen, einzubauen. Das im Berliner Grundsatzprogramm der SPD vom 20. Dezember 1989 von Willy Brandt formulierte Ziel, die NATO als Relikt des Kalten Krieges aufzulösen und diese durch eine europäische Friedensordnung abzulösen („Von deutschem Boden muss Frieden ausgehen“) scheint vergessen.
Bei Betrachtung der Szenen und Interviews im obigen Video kommen einem unweigerlich wieder die dem ehem. US-Außenminister Henry Kissinger zugeschriebenen Worte in den Sinn: „Militärpersonal ist blödes, dummes Vieh, das man als Bauernopfer in der Außenpolitik benutzt.“
Persönlich drängt sich mir noch das grafische Werk Francisco de Goyas mit Titel „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“ auf (auf die darin ersichtlichen Fledermäuse komme ich unten gleich noch zurück).
Goya -„Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“ (PD)
In unserer streng wissenschaftlich vergletscherten Welt ist die Doppelblindstudie der unisono herrschende Maßstab. Da darf es niemanden wundern, wenn auch unsere führenden Politiker und Journalisten derzeit im Doppelblindmodus unterwegs sind. Während man über (angebliche) russische Meinungsmache hellauf empört ist und in dieser Grund genug sieht, nebst Einrichtung eines Orwell’schen Wahrheitsministeriums auf halsbrecherischen Konfrontationskurs mit einer benachbarten Atommacht zu gehen, so ignoriert man geflissentlich, was Snowden uns in Form unzweifelhafter Dokumente erwiesen hat:
Dass die US Geheimdienste im globalen Maßstab die öffentliche Meinung manipulieren und Regierungen sabotieren. Wie wir schon berichteten (siehe „Sex, Lügen und Videos“) betreibt die englischsprachige „Five Eyes“-Allianz eine Cyberabteilung mit Namen JTRIG / Joint Threat Research Intelligence Group, deren Trainingsprogramm sich – sic !– „The Art of Deception“ (Die Kunst des Hintergehens/Betrügens) nennt. Laut eigenem Bekunden auf der von Snowden geleakten Präsentationsfolie hat sich die JTRIG den folgenden 4 „D’s“ verschrieben (Quelle: The Intercept):
The 4 D’s: Deny / Disrupt / Degrade / Deceive
(Verleumden / Spalten / Erniedrigen / Irreführen)
Das Handlungsportfolio der JTRIG umfasst Kampagnen zu Verleumdung, Rufmord und Sabotage geschäftlicher Beziehungen, sexuelle Kompromittierung ebenso wie detaillierte Strategien zur Meinungssteuerung und Manipulation von Internetforen und Social Media (Glenn Greenwald: “…these agencies are attempting to control, infiltrate, manipulate, and warp online discourse”). Ein eigenes Strategiepapier der JTRIG, deren Logo eine schwarze Spinne ziert, ist dem Thema „Things that pull a group apart“ (Wie man eine Gruppe spalten kann) gewidmet.
(Faksimile des nicht gemeinfreien JTRIG-Logos)
Mit anderen Worten: Die JTRIG arbeitet an nichts weniger als an einer Totalsabotage von Demokratie, Rechtsstaat und Zivilgesellschaft. Für unsere DIN-ISO-zertifizierten Qualitätsjournalisten aber wie gesagt – uninteressant. Zum Kampf gegen russische Phantome und Pseudogefahren zu trommeln, deren Existenz noch gar nicht gesichert ist – da entwickeln selbst die zahnlosesten Schreibtischtiger wieder vehementen Kampfgeist und sind bereit, unsere Kinder an die Front zu schicken.
Auch dass die US-Geheimdienste sich selbst damit gebrüstet haben, die Wahlergebnisse in Russland manipuliert und Jelzin zum Sieg verholfen zu haben (siehe das im oben verlinkten Hund-frisst-Hausaufgaben-Artikel abgebildete Time-Cover von 1996), empört nicht. Britische und US-Geheimdienste sind doch die Guten und die Russen die Bösen – das weiß doch in unserer mit James Bond aufgewachsenen Generation jedes Kind.
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Nachsatz:
Um nicht im unfruchtbaren Hickhack politischer Schubladen von Ost-West, NATO-Russland usw. hängen zu bleiben, ist es günstig, ab und zu einmal die Vogelperspektive einzunehmen. Dabei kann man sich fragen, was denn erwachsene Menschen überhaupt dazu treibt, aus hahnebüchernen Gründen solch unnütze, halsbrecherische Konflikte und sogar einen nuklearen Holocaust zu riskieren.
Wir schauen aber vor dem nackten Wahnsinn nicht umsonst weg und zelebrieren lieber Goyas Schlaf der Vernunft. Die Antwort auf diese Frage ist für unsere Gesellschaft nämlich noch viel unangenehmer als der Blick in giftspinnennetzverwobene JTRIG-Keller und in die Gesichter amoralischer Transatlantiker wie George Friedman. Denn die schlichte und ergreifende Ursache aller Konflikte ist: Die meisten Menschen haben heute keinen echten Inhalt und keine echte Beziehung (zu Mitmensch, Natur und sich selbst).
Wobei Beziehung nur dort gedeihen kann, wo Menschen einen Inhalt haben. Beziehungslosigkeit und Konflikte entstehen also immer dann, wenn Inhaltslosigkeit herrscht. Und solche Inhaltslosigkeit herrscht heute auf praktisch allen Lebensgebieten. Viktor Frankl nennt unsere Zeit daher eine Epoche der Sinnkrise und des existenziellen Vakuums. In einer sehr lesenswerten Analyse (siehe Nachdenkseiten) kommt auch der Philosoph Matthias Burchardt zum Schluss, dass unsere derzeitige, ökonomisch-technokratische Ausrichtung im Grunde „zutiefst nihilistisch und deshalb unfähig ist, eine Sinnfigur hervorzubringen“. Sie mache uns zu „Insassen einer apolitischen, technokratisch-ökonomistischen Untertanenfabrik und Sachzwangdiktatur“ und würde letztlich in nichts anderem enden als in einem barbarischen „Kampf Jeder gegen Jeden“.
Auch das, was uns in Schule, Uni und Werbung als Inhalte und erstrebenswerte Ziele beigebracht wird (z.B. Industrie 4.0., freier Wettbewerb und hedonistische Spaß- und Renditemaximierung) sind in Wirklichkeit gar keine Inhalte, sondern nur hohle Phrasen – die letztlich auch den Menschen, der sich ihnen verschreibt, als hohle, ausgebrannte Hülle zurücklassen werden. Ein wirklicher, tragfähiger Inhalt ist es also nicht bereits, wenn ich als Ziel habe, mir/den Meinigen ein schmuckes Eigenheim und einen stattlichen SUV zu erarbeiten, sondern hat immer etwas mit Gemeinwohl zu tun, weist immer über die kleinliche egoistische Sphäre hinaus – was so nebenbei erwähnt auch die Bedingung echten Glücks bzw. echter menschlicher Befriedigung ist (das vermutlich bestgehütete Geheimnis der Welt). Gerade durch diese Außen- bzw. Gemeinwohlorientierung stärkt sich die individuelle Persönlichkeit, während sie sich immer mehr schwächt und schließlich im Burnout zurückbleibt, wenn sie sich nur um kleinliche egoistische Belange und den eigenen Wohlschand kümmert.
Man muss also echte, humane Inhalte und durch Kommerzinteressen künstlich erzeugte Pseudo-Inhalte klar voneinander unterscheiden. Erstere haben die Kraft, Menschen zu verbinden und sogar in abgründigen Konfliktsituationen wieder eine erbauende Aufwärtsrichtung herbeizuführen (siehe z.B. Martin Luther King mit dem Inhalt von Gleichheit und Gerechtigkeit oder Gandhi mit dem Inhalt von Friedfertigkeit und Freiheit). Wenn wir es also schaffen, wieder echte, substanzielle Inhalte zu formulieren, dann steht uns eine durchaus konstruktive Zukunft offen, die derzeitigen schwarzen Rauchschwaden könnten sich schnell wieder verflüchtigen. Dass ich Anfang dieses Jahres von der Gründung einer „Humanistischen Friedenspartei“ erfahren habe, mag da Hoffnung geben (siehe Interview Daniele Ganser und Paula P’Cay).
Während echte Inhalte eine große verbindende Kraft besitzen, wirken Pseudo-Inhalte definitiv spaltend, lassen die soziale Schere immer weiter auseinanderklaffen und drohen unsere Gesellschaft zu zerreißen. Nicht umsonst bezeichnete Pier Paolo Pasolini den geistlosen Konsumismus unserer heutigen Zeit als „größten Faschismus“. Solange man in einem echten, humanen Inhalt gegründet ist und ihn authentisch ausdrücken kann, besteht keine Gefahr. Ohne Inhalt jedoch, also mit einem Vakuum im Inneren, schwankt der Mensch fortwährend zwischen den Extremen von irrationaler Selbstüberschätzung auf der einen Seite und Selbstaufgabe auf der anderen. Und wenn es im eigenen Inneren nicht mehr stimmt, dann beginnt der Krieg nach außen. Man projiziert in der Folge sein eigenes Defizit bzw. seine Beziehungsunfähigkeit auf x-beliebige Feindbilder und Sündenböcke. Mit besonderer Aggressivität wird dann sogar auf diejenigen Personen, Bürgerbewegungen oder Lebensgebiete losgeschlagen, bei denen noch Reste von echtem, humanem Inhalt vorhanden sind. Man will diese am liebsten wie mit einer großen Walze niederwalzen, da Personen, die sich einem nihilistischen, verlogenen Lebensstil bar jeder Nachhaltigkeit und Verantwortung verschrieben haben, es nicht ertragen, wenn andere Personen es wagen, öffentlich einen wahren, ethischen oder moralischen Inhalt zu formulieren. Deshalb auch die Dampfwalzen-Kampagnen gegen Friedensaktivisten, alternative Denker und alternative Medien. Aus Sicht der Nihilisten sind sie „Verschwörungstheoretiker“ und verbreiten „Fake News“ und „pseudowissenschaftliches Geschwurbel“. So wie etwa Christian Felber, der Vordenker der Gemeinwohl-Ökonomie, der vor Kurzem vom Chef der GWUP/GfK/Skeptikerbewegung DrDr. Ulrich Berger samt einem Tross an über 100 weiteren akademisch akkreditierten „Wissenschaftlern“ attackiert wurde (siehe Bericht von Norbert Häring). Die „Wissenschaftler“ (siehe dazu auch ein Essay von Noam Chomsky: „Die Wachhunde der Machtelite“) haben schließlich durchgesetzt, dass das Thema Gemeinwohlökonomie aus einem Schulbuch und damit aus dem Bewusstsein unserer nachfolgenden Generation wieder gestrichen wird. – Hinreichender Grund für die Streichung: „Unwissenschaftlichkeit“ und mangelnde Reputation bzw. Publikation Felbers in der wissenschaftlichen Fachwelt. So einfach ist heute also die Sabotage alternativer Denkansätze : die Bezeichnung als „Pseudowissenschaft“ – dem Lieblingswort des GWUP-Doppelnullagenten DrDr. Ulrich Berger – reicht heute zur Ausgrenzung unliebsamer Personen genauso aus wie zu Zeiten des Mittelalters der bloße Vorwurf, „Ketzer“ oder „Hexe“ zu sein. Wobei, wie Daniele Ganser im obigen Interview feststellt, als Hexen im Mittelalter bereits alle Frauen verbrannt wurden, die zuviel Wissen besaßen, während ja das Patriarchat und die Großinquisitoren den alleinigen Anspruch auf Wissen und somit auf die Macht für sich proklamierten.
Was wie eine gewaltige Signatur – ähnlich wie die in Goyas Schlaf-der-Vernunft-Radierung ersichtliche schwarze Fledermauswolke – für 2017 und auch für die kommenden Jahre am Himmel steht, ist die Ambition, alle Abweichler und alternativen Denker aus dem öffentlichen Dialog auszugrenzen bzw. unschädlich zu machen. Um der restlosen Verwertung unserer Umwelt- und Humanressourcen den Weg zu ebnen, ist es notwendig, Geist und Seele endgültig aus dem Menschen auszutreiben und eine rein szientistische Weltsicht zu etablieren.
Die Heckenschützen zur Sabotage ganzheitlicher alternativer Denkansätze stammen hierbei nicht nur aus den Reihen amoralischer Geheimdienstbrigaden wie der JTRIG, sondern kommen in immer größerer Anzahl aus den Reihen der Zivilgesellschaft selbst. Hierbei erfüllen z.B. diejenigen Studenten, Journalisten und ehrenamtlichen Hassblogger, die sich der GWUP/Skeptikerbewegung anschließen und für eine „säkulare Welt“ kämpfen (zur Schwarmintelligenz der sich gerade epidemisch in den Medien ausbreitenden Skeptikerbewegung und ihren Horrorclown-Veranstaltungen siehe Nachrichtenspiegel: „Liebe, Tod und Gwup“ sowie „Über GWUP-Pastafaris, die neue Aluhut-Inquisition und neoliberale Arschlöcher wie mich“), heute diejenige Rolle, die man im Kalten Krieg der 80er Jahre als „nützliche Idioten“ bezeichnet hat (=diejenige Zeit, in der der US Thinktank- und Atheisten-Verband „Thinktanks Committee for Skeptical Inquiry / CSI“ auch die GWUP/Skeptikerbewegung nach Europa verpflanzt hat) – wobei wir uns ja laut Michail Gorbatschow heute wieder im Kalten Krieg befinden. Wenn Daniele Ganser im vorhin erwähnten Interview davon spricht, dass wir heute „voll im Informationskrieg angekommen“ sind, dann meint er vermutlich dasselbe.
– Wobei wesentlich ist, dass der neue Kalte Krieg zunächst die Eroberung unserer Köpfe und Herzen zum Ziel hat (Zitat aus der Presseaussendung des englischen Militärs / siehe Spiegel: „Großbritanniens Armee baut eine neue Brigade auf. Die 1500 Soldaten, die ab April im südenglischen Hermitage stationiert sind, sollen nicht schießen, sondern twittern. Die Aufgabe der 77. Brigade sei die Kriegsführung im Informationszeitalter … Künftig soll die Social-Media-Brigade dabei helfen, „die Herzen und Köpfe der Menschen zu gewinnen“, wie es in der Militärsprache heißt.“)
Ein großer Fehler wäre es zu glauben, dass der derzeit laufende Kalte Krieg nur den Russen gilt. Nein, er gilt uns allen und unsere Köpfe und Herzen sind selbst das Kampffeld. Und dieser Kampf wird auch nicht auf politischem oder militärischem Gebiet entschieden, die auf diesen äußeren Gebieten stattfindenden Ereignisse sind ja bereits nur die letzte Konsequenz von den Siegen und Niederlagen bzw. Manipulationen, die in unseren individuellen Köpfen und Herzen stattgefunden haben. Hingegen wird der Kampf um unsere Zukunft auf ideologischer bzw. weltanschaulicher Ebene entschieden werden. Und auf dieser Ebene fliegen uns bereits Bomben und Granaten um die Ohren, es wird verbissen gelogen, verdreht, geheuchelt, diffamiert und die Wahrheit ebenso wie die Würde anderer Menschen gemordet.
Zwei Optionen stehen uns heute also offen (siehe dazu das brillante Essay des Eifelphilosophen: „Liebe, Tod und Gwup“). Wir wollen weiter Goyas Schlaf der Vernunft schlafen und uns an GWUP-Horrorclowns amüsieren, die uns in Wirklichkeit gar nicht unterhalten, sondern uns bloß mit ihrer technokratisch-nihilischen Weltsicht des Szientismus indoktrinieren und Geist und Seele endgültig aus dem Menschen austreiben wollen? – Wunderbar, dann wird der nackte Wahnsinn weiterhin triumphieren und von Sieg zu Sieg schreiten. Der seiner Würde beraubte Mensch wird dann der restlosen ökonomischen Verwertung unterworfen sein und in einer Welt sein Dasein fristen müssen, in der jeder Mensch des anderen Menschen Wolf sein wird wie von Thomas Hobbes postuliert.
Wenn wir uns hingegen aufraffen und uns Geist und Seele nicht nehmen lassen sondern in dieser von Viktor Frankl als „noetische und spezifisch-humane Dimension des Menschseins“ neue Wertmaßstäbe finden, dann wird der Wahnsinn dahinschmelzen wie ein Schneemann im Frühling. An welchen Inhalten unser Geist und unsere Seele Feuer fangen, ist individuell verschieden und kann niemals vorgeschrieben werden. Beim einen ist es vielleicht Rilke, beim anderen Schopenhauer, Goethe oder Hermann Hesse. Tatsache ist jedoch, dass wir als Europäer mit unseren Dichtern und Denkern einen großen geistig-seelischen Schatz besitzen, noch vor Kurzem hat man uns deswegen als ‚Volk der Dichter und Denker‘ bezeichnet. Dieser geisteswissenschaftliche Schatz, auf dem wir in Mitteleuropa sitzen, besitzt genügend Zündkraft und Potential, um eine nach humanistischen Gesichtspunkten orientierte Gesellschaft zu schaffen, die auch anderen Ländern und Kontinenten impulsgebend unter die Arme greifen und zu einem nachhaltigen Aufbau verhelfen kann. Dann wird man uns im Ausland nicht mehr hassen, sondern uns dankbar sein. Eine neue Ära der Verständigung und der Kooperation könnte einsetzen, in der nicht mehr der Mensch der Wirtschaft dient so wie derzeit, sondern in der die Wirtschaft dem Menschen dient – Gemeinwohl-Ökonomie eben. Man stelle sich vor, was wir allein mit 600 Milliarden Dollar, die jährlich vom Pentagon für nutzlose und halsbrecherische Anakonda-Aktionen verpufft werden, in der Welt an fruchtbaren Projekten realisieren könnten, sobald wir aus Goyas Schlaf aufwachen und wieder zur Vernunft erwachen. Wir könnten die ganze Welt zum Blühen bringen, alle Slums revitalisieren, Elend beseitigen und uns sogar ein freies Grundeinkommen einräumen.
Merken Sie, wie man bereits Frischluft wittern und tiefer durchatmen kann, wenn man sich solche Möglichkeiten nur einmal gedanklich vorstellt?
Die neoliberale Wirtschaftsdirektive bzw. das transatlantische Frackingprinzip („Put in poison, get out money“), wonach der Gewinn des einen immer auf Kosten einer Beschneidung bzw. Ausbeutung eines anderen beruht – im Grund genommen also das harsche kolonialistische Selbstverständnis – hätte dann allerdings keinen Bestand mehr und würde jede Legitimation verlieren. Genau hierin liegt auch der eigentliche Grund, warum die neoliberal-transatlantischen Apologeten, von denen der vorhin erwähnte George Friedman in Wirklichkeit nur ein kleiner, trauriger Exponent ist, seit über 100 Jahren unglaubliche Energie, Lobbyingmilliarden und militärische Winkelzüge dazu einsetzen, um Europas Potential unter dem Deckel zu halten (von George Friedmann als quälende „Deutsche Frage“ bezeichnet, die die US Thinktank-Strategen in der Geschichte am meisten beunruhigte). Dabei ist es in Wirklichkeit weniger der deutsche Erfindergeist, der von den Strategen des Grand Canyon an Deutschland gefürchtet wird, sondern vielmehr der vorgenannte Kulturschatz, die Denkungsart von Goethe & Co., die den atlantischen Denkpanzergenerälen zutiefst unheimlich ist wie einer Fledermaus die Sonne. Denn die Fledermaus weiß, dass sie nur in der Dämmerung erfolgreich sein kann, in dieser fühlt sie sich wohl und sie besitzt auch einige hochentwickelte Echolotorgane, um sich in dunkler Umgebung perfekt zurechtzufinden und die waghalsigsten Jagdmanöver zu fliegen. Womöglich nicht ganz ohne Grund wurde daher im Land of the Free ausgerechnet der Batman zur Ikone erhoben, der schon die kleinen Kinder nacheifern.
Obwohl kritische Wachheit heute mit Gold aufzuwiegen ist, erscheint es gleichzeitig wichtig, sich im kommenden Jahr nicht zu sehr vom eskalierenden Wahnsinn aus der Ruhe bringen zu lassen, sondern die Möglichkeiten zum Erarbeiten kreativer humaner Inhalte zu nutzen.
Solange unsere Politiker (siehe: „Was wir heute brauchen wie ein Loch im Knie: „Bodenständige“ Politiker im Maulwurfspelz und AFX-Parteien“) nicht gewillt sind, die Maßstäbe menschlichen Daseins neu zu denken, sondern stattdessen die vermeintlich alternativlose Flucht nach vorne antreten, obwohl dort der gähnende Abgrund des technokratischen Grand Canyons wartet, stehen die Karten für unsere Zukunft natürlich schlecht. Insbesondere steht es schlecht um unser Schicksal, wenn wir uns politisch und ideologisch ausgerechnet mit derjenigen Weltmacht vereinigen, die sich ganz der Technokratisierung verschrieben und sich menschlich-moralischer Kategorien weitgehend entledigt hat, obwohl die marktradikale („neoliberale“) Wirtschaftsweise selbst nach Überzeugung ihrer eigenen Apologeten dem Untergang geweiht ist. Wir haben natürlich heute die freie Wahl, uns diesem Weg hinab in den Grand Canyon anzuschließen, weil er zunächst müheloser erscheint, während der Aufstieg zu einer menschengerechten, sinnerfüllten Denk- und Lebensweise ungleich mühsamer ist. Um ersterem Weg zu folgen, brauchen wir uns nur vom Rückenwind treiben zu lassen. Wenn wir letzteren Weg wählen, werden wir uns hingegen wie ein Bergsteiger mühsam Griff für Griff und Schritt für Schritt durch vergletscherte Felsregionen arbeiten müssen, bevor wir endlich durch die Wolken zum Sonnenlicht durchstoßen. Da ist es natürlich, dass viele Bürger lieber die politische Option „betreutes Dahindämmern“ (Peter Sloterdijk) und damit den Abwärtsgang wählen, anstatt die Bergtour in Angriff zu nehmen.
Allerdings ist die Bequemlichkeit an der schicksalsträchtigen Wegscheide, an der wir uns heute befinden, ein fataler Ratgeber. Denn wenn wir uns aus dem Würgegriff der Anakonda nicht rechtzeitig befreien, dann werden sich Berge von Leichen auftürmen, und zwar nicht nur in Syrien, Irak und Afghanistan. Für viele heute noch schier unvorstellbar, aber das alljährliche Oktoberfest wird dann abgesagt sein, ebenso wie für Dieter Bohlens DSDS-Show Sendeschluss sein wird und auch unsere Fußballesterer mangels grünem Rasen daheim bleiben werden. Denn der vermeintlich bequeme Schlaf der Vernunft wird Ungeheuer gebären wie in Goyas oben abgebildeten Gemälde.
Aber wir wollen das Neue Jahr nicht gleich mit apokalyptischen Visionen beginnen. Noch ist nicht aller Tage Abend. Ein sinnvolles, inhalts- und beziehungsreiches Leben ist immer möglich. Und der beste Augenblick, um damit zu beginnen, ist immer jetzt. Zum Abschluss daher ein ermutigender Ausspruch Viktor Frankls:
„Jeder Mensch besitzt seinen „Willen zum Sinn“, wie ich ihn nenne, das heißt, das dem Menschen zutiefst innewohnende Bedürfnis, in seinem Leben oder vielleicht besser gesagt in jeder einzelnen Lebenssituation einen Sinn zu finden – und hinzugehen und ihn zu erfüllen.“
In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern des Nachrichtenspiegel für 2017, dass sie trotz aller Spannungen einige profunde Schritte in Richtung der Ergründung dieses Sinns – der immer ein individueller und gleichzeitig auf die Mitmenschen ausgerichteter ist – beschreiten können. Dann wirkt jeder einzelne von uns deeskalierend und friedensstiftend, der Hund kann nicht mehr unsere Hausaufgaben auffressen und die Anakonda muss zurück ins Körbchen.