Alltagsterror

Wir brauch’n kaane Meier mehr – Abgesang auf ein Auslaufmodell (Lied des Wochenendes)

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Die Veröffentlichung dieses Songs war vor 20 Jahren noch ein handfester Skandal. Die Zunft der ‚Meiers‘ erwirkte per gerichtlicher Verfügung sogar ein vorläufiges Verbot, das Lied im öffentlichen Rundfunk zu spielen. In der Tat geht der Bluessänger Heli Deinboek in seinem Opus Magnum mit der Spezies der Meiers schonungslos ins Gericht. Im Rhythmus von Randy Newmans „Don’t wanna short people“ plärrt bzw. plädiert er: „Mia brauch’n kaane Meier mehr“. Und setzt gleich noch eine deftige handgreifliche Empfehlung dazu: „Wer Maier heisst, gheat g‘haut am 1. Mai“.

Warum diese ungestüme Empörung über die Meier? Nun, Deinboek muss wissen, wovon er redet. Dank seinem Beruf als Sozialarbeiter hat er ein geschärftes Auge für die Ursache, warum unsere Gesellschaft heute immer mehr in Schieflage gerät und wir womöglich schon demnächst zu kentern drohen. „Wenn wir weiterleben wollen“, so nannte der Architekt Richard Neutra seinerzeit seinen in Buchform erschienenen flammenden Appell an die menschliche Vernunft. Ähnliche, durchaus lesens-/hörenswerte Appelle erklingen auch heute noch (siehe z.B. ein aktuelles Interview mit Noam Chomsky oder mit Stephen Hawking, in welchen uns beide Grandseigneurs bereits mit einem Fuß im Abgrund sehen) und eigentlich wollte ich als Wochenendlektüre auch diese beiden vorgenannten Interviews verlinken, nur irgendwie ist mein Vertrauen in die Resonanzfähigkeit des menschlichen Intellekts momentan im Sinken begriffen. Da ich aber heute trotz Regenwetters und chronisch trüber Tagesnachrichten gut aufgelegt bin, lassen wir die akademischen Analysen von Hawking&Co. ausnahmsweise einmal kurz beiseite und hören wir uns stattdessen an, wo ein bodenständiger Streetworker wie Heli Deinboek die Wurzel unserer gesellschaftlichen Misere verortet.

Alle Meiers/Mayrs/Meyers mögen ihm seine Wortwahl verzeihen. Natürlich ging es Deinboek nicht um die Verunglimpfung des vermutlich gängigsten deutschen Familiennamens. Auch ich zähle zu meinem Bekanntenkreis viele Meiers, die ich als außerordentlich wertvolle und herzliche Menschen schätze und an die Deinboek seinen Song wohl keineswegs adressiert hat. Er hat „Meier“ vielmehr nur als plakatives Synonym gewählt – für jene immer größer werdende Anzahl an Menschen, die der Gefahr der Vermassung zu unterliegen drohen und sich damit nicht nur zu Handlangern des marktradikalen („neoliberalen“) Wahn-Sinns machen, sondern diesen auch zur alternativlosen Normalität erklären und wählen. Menschen, die sich Rückschritt als Fortschritt, Unsinn als Sinn, Krankes als Gesundes, Hässliches als Schönes, Bullshitjobs als Berufe, Grausamkeit als Spaß und Müll als Essen verkaufen lassen. Axolotl-Bürger und GWUP-Nerds, die fast schon ersticken am technisch-kommerziellen Vielzuviel und trotzdem noch mehr wollen.

„Sie verstopfen die U-Bahn meierweis – dann foans haam zu eanara Meierspeis …“

Wenn also bei Heli Deinboeks Refrain das Wort „Meier“ erklingt, dann möge der Leser mit Namen Meier stattdessen Huber oder den Namen seines Lieblingspolitikers einsetzen (siehe auch „Was wir heute brauchen wie ein Loch im Knie: „Bodenständige“ Politiker im Maulwurfspelz und AFX-Parteien“)

Deinboeks Song aus 1995 ist heute aktueller denn je. Man sollte ihn wieder ins Bewusstsein heben, bevor nichts mehr geht und unsere U-Bahnen wirklich komplett mit der Spezies verstopft sind  (hier von Steve Cutts ins Bild gebracht), auf die Heli Deinboek schon seinerzeit einen deftigen Abgesang geleistet hat.

Vielleicht mag auch jemand ein Crowdfunding ins Rollen bringen, um Deinboeks „Meier“ im Werbeblock kurz vor der Tagesschau zu bringen oder in den Adventeinkaufsmeilen anstelle von „Jingle Bells“ oder Whams unsäglichem „Last Christmas“. Man stelle sich nur vor: Die einkaufenden Bürger flanieren in gewohnter Jahresendzeitfest-Stimmung mit Glühwein und Geschenksackbündeln durch die Fußgängerzonen, und auf einmal ertönt es durch die Lautsprecher:

„Wir brauchn kane Meier
Wir brauchn kane Meier
Wir brauchn kane Meier mehr

(…)

Olle Meier san so gierig
Olle Meier san so schmierig
Olle Meier san doch kaum zum ertrogn

(…)

Sie verstopfen die U-Bahn meierweis
dann foans haam zu eanara Meierspeis

(…)

Sie trogn Meier-Jeans und Meier-Koppn
sie haub‘m ziemlich schiache Meier-Gschroppn
kennst an, kennst olle,
s’is wie beim Bauer

ois Meier mocht da kana die Mauer

Den Bergers nehmens jede Hetz
Den Hubers dafür de Arbeitsplätz
A Prohaskas losst da Meier olle hängen
mia wa am liabsten, wenns olle meier gengan

(…)

Wer Maier heisst gheat ghaut am 1. Mai …“



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