Leben

Das Schicksal eines Bombenbauers als Vorbild für den Lebenslauf des Normalen Kleinbürgers

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20 Munitions_Production

Als Jugendlicher bin ich in der Nähe einer renommierten Waffenfabrik aufgewachsen. In deren Werkhallen wurden DIN-ISO-zertifizierte Jenseitstickets allererster Güte hergestellt: Bomben, Granaten, Raketen und Kanonengeschütze, je nach Kundenwunsch in glänzend lackierten Hülsen oder auch in klassischer, sandgestrahlter Edelstahloptik.

Dass die Produkte, die bei uns vom Förderband liefen, um heimische Abbeizbläzze zu sichern, anderen Menschen Tod und Verderben brachten, interessierte uns damals nicht, ganz einfach deshalb, weil diese anderen Menschen, die die Zielkunden unserer glänzenden Industrieprodukte waren, sich eben auch auf der anderen Seite unseres Globus befanden.

„Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“, war ein geflügelter Werbeslogan der regionalen Wirtschaftslobby und der Parteien, die sich christlich und demokratisch nannten. Und in der Tat, die Granaten waren ein Bombengeschäft. Die Bombenfabrik sorgte im weitesten Landkreis für Wohlschand. – Wobei da jetzt nicht nur diejenigen Angestellten in moralisch schlechtem Licht dastehen sollen, die reale Bomben mit Sprengstoff und tödlichem Zünder bauten. Viele andere Menschen arbeiteten derweil in scheinbar ganz biederen Berufen, in Banken und Wirtschaftskratzleien, in denen sie mit ihren Spekulationen und technischen Innovationen aber oft noch sehr viel umfassenderen menschlichen und ökologischen Kollateralschaden anrichteten als ein gemeiner Arbeiter am Bombenförderband – wenn auch nur mit einem Mausklick im weißen Hemd und nicht im Blaumann und mit ölverschmierten Händen wie der Arbeiter am Bombenförderband. Der Großindustrielle Warren Buffet zum Beispiel ist sich dessen voll bewusst, er nennt die in seinen eigenen Wirtschaftskratzleien mitgeschaffenen Finanzprodukte „Massenvernichtungswaffen“.

Aber während der Arbeiter am Bombenförderband im Blaumann sich zumindest ab und zu schief anschauen lassen musste, wenn dem ein oder anderen Mitbürger während einer alkohol- und fernsehfreien Phase kurz dämmerte, dass die wohlschandsfördernden Bomben wohl nicht nur im Museum landen werden, so genossen die nadelgestreiften Saubermänner aus den Banken und Wirtschaftskratzleien doch immer höchstes Prestige.

Und der Wohlschand wuchs wirklich rasant an. Die Zeiten, wo man sich abends vor dem Hauptfamilienaltar im Wohnzimmer darüber streiten musste, ob „Derrick“ oder „Wetten Dass“ geschaut wurde, waren schnell vorbei. Bald schon waren der Zweitfernseher in der Küche, der Drittfernseher im Kinderzimmer und der Viertfernseher im Gästezimmer etwas ganz Normales. In Wohlschandszeiten muss schließlich jeder sein individuelles Programm haben.

Auch die Motorisierung ließ nicht zu wünschen übrig. Ganz normale Werkhallenmänner konnten sich plötzlich einen dicken Audi oder einen BMW leisten. Der Zweitwagen in der Familie – vormals noch obszöner Luxus – wurde schnell etwas Normales. Zwar fuhren die Hausfrauen damals noch nicht mit Panzern (SUVs) durch die Gegend wie es heute etwas Normales ist, sondern in der Regel mit einem Opel Corsa oder einem Nissan Micra Mouse, aber egal, wer zwei Wägen vorm Gartenzaun stehen hatte und am Wochenende Spanferkelgrill veranstalten konnte, von dem wusste man, dass er „es geschafft“ hatte.

Auch der Urlaubsradius wurde immer weiter ausgedehnt. War früher der Hausmeisterstrand im italienischen Bibione und Caorle Grund genug, um bei der Heimkehr einen Foto- oder Lichtbild-Diaabend zu veranstalten, bei dem man seine Nachbarn und Verwandten damit beglückte, ihnen zu zeigen, was man in seinem Urlaub alles gesehen und gegessen hatte, so waren bald Fernstreisen angesagt. Ägypten im Winter, Safari in Senegal, zwischendurch mal schnell nach Griechenland, Thailand oder in die Karibik, war alles bald Normal – selbst jemand, der gar nichts Anständiges gelernt hatte und in der benachbarten Waffenfabrik nur Bomben lackierte, konnte es sich leisten und Wohlschandstourismus betreiben. Wohlschandstourismus, der zwar in den von den Wohlschandsbürgern bereisten Ländern innerhalb weniger Jahrzehnte zu einer unglaublichen Zerstörung von Ökologie und traditioneller Kultur geführt hat, aber wen störte das schon, wenn man selbst mit gebräunter Haut und mit Meeresfrüchten gut gemästetem Bauch wieder vom Urlaub heimkommen und sich wieder an seinem Arbeitsplatz ins Neonlicht der Werkhalle stellen konnte, auf dem Bomben, Granaten und Elektronikzubehör vom Förderband liefen.

Da diese in die Safari-Länder exportierten Waren ja wieder die dortige Konjunktur belebten, profitierten auch die Entwicklungsländer von unserer Wirtschaftskraft. Eine Hand wäscht die andere, und alle zusammen wuschen wir die „invisible hand of the market“, die mit ihrer sklerotischen Krallenhand den Segen in Form von Technik, Kommerz und Wohlschand über uns ausgoss.

Bei so viel Segen, der über uns hereinprasselte, haben wir es uns in den 80ern auch innerhalb kürzester Zeit abgewöhnt, in die Kirche zu gehen. War die Kirchhalle zu meiner Zeit als Ministrant an Sonntagen noch immer pumpvoll, so drückten bald nur noch ein paar alte Mütterchen die Kirchenbank. Wozu auch einen Gott anbeten, wo man doch mit dem in der Bombenfabrik erwirtschafteten Sold nach Thailand fahren konnte und dort selbst wie ein Gott angebetet wurde, sobald man den Geldbeutel zückte? Warum vor einen Altar pilgern, wo man doch allabendlich vorm Fernseher mit dem Dosenbier in der Hand die persönliche Erleuchtung erhielt?

Zurück aber zur Waffenfabrik. Als Student war es einer meiner ersten Ferialjobs, dort Bomben zu schlichten. Obwohl ich mich heute abgrundtief dafür schäme, diese Arbeit nicht verweigert zu haben, kann ich es leider nicht mehr rückgängig machen. Kennedys Büchlein „Zivilcourage“ bekam ich erst zwei Jahre später erstmals in die Hände. Es folgten weitere Bücher, nach denen es mir wie Schuppen von den Augen fiel und der Reihe nach Lichter um Lichter aufgingen. Komisch, dachte ich – es gibt Literatur von unglaublicher Geistesgröße und da kommt man erst als Zwanzigjähriger drauf? Während man, obwohl man eine angeblich erstklassige Gymnasialausbildung besucht und bereits die ersten Studiensemester auf einer Universität von Weltrang besucht hat, bisher nur mit technokratischem Schmonsens und eitlem „wissenschaftlichen“ Nihilismus abgefüllt wurde? Dass man in seiner gesamten Adoleszenz kein einziges Wort von Platons Höhlengleichnis und auch nicht von Senecas „de brevitate vitae“ gehört hatte, sondern man im Literatur- und Lateinunterricht nur sämtliche Kapitel von Cäsars „de bello Gallico“ durchkaute? Sollte das ein Einzelschicksal sein, eine unglückliche Verkettung an Begegnungen mit besonders unfähigen Professoren und verkorksten Lehrplänen? Es konnte doch nicht etwa eine ganze Generation sein, die dermaßen grausam betrogen wird, indem man ihr in raffiniertester Weise die gesamten Schätze europäischer Geisteskultur vorenthält wie den Bienen ihren eigenen Honig und ihnen stattdessen eine schale Industriezuckerlösung füttert, von der sie dann sukzessive degenerieren und schließlich anfällig werden für Varoa-Milbe & Co. Oder steckte da System dahinter und erfolgte etwa eine gezielte Züchtung von Axolotl-Bürgern? Nein, das konnte einfach nicht sein, wir hatten doch die Aufklärung hinter uns und befanden uns am Zenit wissenschaftlicher Intelligenz. Fragen über Fragen quälten mich also nächtens. Und Gewissensbisse.

Auch wenn es mich immer noch schaudert, dass die Bombenhülsen, die ich damals angegriffen habe, auf der anderen Seite unseres Globus womöglich Häuser, Familien und Menschenleiber entzweigerissen haben. Aber das Wort ziviler Ungehorsam hat damals in meinem Kopf leider noch nicht existiert, wir waren in der Geistesart Cäsars „de bello Gallico“ dressiert. Jeder von uns grünschnäbeligen Schulabsolventen, die wir intellektuell scharf gemacht waren wie überspitzte Graphitbleistifte, hatte also sein persönliches kleines Gallien im Visier, das er erobern, unterwerfen und sich seine Bodenschätze und Humanressourcen nutzbar machen wollte. Es galt, so wie das auch heute in unserer postmodernen Zeit wieder die Doktrin des Neoliberalismus ist, der Wirtschaft und dem technischen „Fortschritt“ zu dienen und um jeden Preis etwas zu leisten, auch wenn diese Leistung pure Destruktion und ein Verrat an allen menschlichen Grundwerten, sogar an den offiziell festgeschriebenen Verfassungsgrundsätzen war. Es war also eine Ehre, in der renommierten Waffenfabrik Bomben schlichten zu dürfen. Die Tätigkeit bzw. der Name der Firma machte sich auch gut in meinem Lebenslauf und öffnete bei meinen späteren Bewerbungen so manche Tür zur „Karriere“. Wenn die Personaler meinen Lebenslauf studierten und auf meine Bombenqualifikation zu sprechen kamen, erntete ich stets wohlwollendes, anerkennendes Nicken, dass ich als ausgebildeter Maschinenbauingenieur auch über handfeste Praxiserfahrung verfügte.

Jedenfalls durfte ich in besagter Waffenfabrik auch über ein bemerkenswertes Schicksal erfahren, das damals einige Dominosteine meines Cäsarisch-kleinbürgerlichen Weltbildes ins Umfallen gebracht hat.

In der Waffenfabrik gab es nämlich einen altgedienten Arbeiter, der kurz vorm Ziel seiner Sehnsüchte stand: der Rente. – Endlich das Leben leben, das man wirklich leben will, ohne Chef und ohne Hundeleine. Urlaub machen ohne Grauen vor dem erneuten Arbeitsantritt am Montag. Mit einem Wort: Jetzt war die Karotte, die einem ständig vor die Nase gehalten wurde, damit man als Esel in der neoliberalen Tretmühle weitertrottet, endlich in Bissweite, jetzt sollte dann wirklich der verdiente Feierabend beginnen.

Der Betriebsrat hatte den altgedienten Arbeiter sogar für den Rest der allerletzten Arbeitswoche freigestellt, aber Herr Meier (Name aus Datenschutzgründen verändert) nahm das Angebot nicht an – er wollte wie gewohnt, gehorsam seinen Dienst ableisten, damit er nicht womöglich von seinem Chef eine schlechte Nachrede hat. Wer weiß, womöglich würde er später einmal ein Wort für seinen Sohn einlegen müssen, wenn dieser mit seinem Studium fertig war und eine Festanstellung suchte. Die Fabrikchefs würden dann sagen: „Ah, das ist der Sohn vom Meier, der hat bestimmt tüchtige Gene im Blut, den nehmen wir.“

Meier hat also seinen Dienst am Bombenförderband bis zum bitteren Ende abgeleistet. Im wahrsten Sinne des Wortes. Sie ahnen wohl bereits, was dann passiert ist.

Ja, die Ironie des Schicksals wollte es tatsächlich so, dass Meier am allerletzten Tag seiner Arbeit, ca. 2 Stunden vor Antritt seiner Freiheit, eine seiner Bomben hochging und ihn in die ewigen Jagdgründe beförderte.

Meier hat einen ehrenvollen Nachruf in Schwarz-Weiß in der Lokalzeitung bekommen. Nicht nur die Kollegen haben ihn gewürdigt, der Stadtbürgermeister hätte ihn gerne posthum zum Ehrenbürger ernannt.

Hat er doch eiserne Disziplin und ideales Timing bewiesen: In den besten Jahren seines Lebens hat er nicht nur regelmäßig beim Roten Kreuz Blut gespendet, sondern auch all seine Kraft der Waffenfabrik und somit der Schaffung von gesellschaftlichem Wohlschand.

Unmittelbar nach dem Ende seiner ökonomischen Verwertbarkeit hat er absalutiert, er ist dem Staat somit nicht mehr finanziell zur Last gefallen. Das Budget für nicht konsumierte Rentenzahlungen, Krankheits- und Pflegekosten konnte der Staat daher gewinnbringend in die Ausbildung junger Fachkräfte und Ingenieure stecken, die uns heute am laufenden Band mit neuen technischen Innovationen beglücken und Wohlschand sichern wie Meier senior.

Von der Arbeit direkt in die Sargkiste. Frei nach Friedrich Nietzsche:

Arbeite!

Iss!

Stirb.

Den Zustand des menschlichen Geistes, in den wir momentan getrieben wurden, nennt Friedrich Nietzsche das „Kamelstadium“. Nietzsche stellte allerdings auch ein Löwenstadium in Aussicht – das Bild des mündigen, selbstbestimmten und dennoch empathischen Menschen, der nicht mehr lebt um zu arbeiten, sondern arbeitet um zu leben und dessen primäres Bestreben es ist, im Leben Sinn zu finden bzw. selbst Sinn zu schaffen (die Welt durch das eigene Zutun und Leben ein kleines Stückchen besser, wahrer und schöner zu machen). Findet er auf diesen Weg des „Löwen“, dann wären auch all die derzeit ausufernden Epidemien an Burnout und Depressionen in Schach gehalten – die lt. WHO Prognose innerhalb der nächsten 15 Jahre in den westlichen Industrienationen zur Volkskrankheit Nr. 1 avancieren werden (siehe Ärztezeitung). Dass es in der Nomenklatur Nietzsches nach dem „Löwenstadium“ auch noch ein metamorphosiertes „Kindstadium“ gibt, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt, würde aber hier in unserer Meier-Elegie den Rahmen sprengen.

Wie dem auch sei. Dank dem Existenzkampf, der nun durch die Millionenschaft an herandrängenden neuen Migranten auf uns zukommt, ist dieses Kamelstadium jedenfalls für die nächsten Jahrzehnte gesichert. Die Migranten – in deren Heimat nicht zuletzt aufgrund unserer Bomben mittlerweile fast alles kaputt ist – werden Tag und Nacht alles geben, um ebenfalls Wohlschand zu schaffen wie wir in der Nachkriegszeit. Sie werden sich meist bedenkenlos ausquetschen lassen, ihre Gesundheit schinden, auf Gewerkschaften, Umwelt- und Arbeitnehmerschutz willig verzichten. Schließlich wollen sie sich um jeden Preis möglichst schnell ebenfalls die ersehnte Wohnung mit Waschmaschine und Flachbildschirm erringen und wenn das errungen ist, eben die Zweitwägen, den SUV etc.

Nicht umsonst jubeln die Industrieverbände über den neuen Zustrom an Humanressourcen. Schließlich waren wir mitteleuropäischen Eingeborenen nach einer Zeitspanne von über 50 Jahren nach dem Wiederaufbau nun endlich soweit, dass wir es nicht mehr notwendig hätten, zu leben um zu arbeiten, sondern bloß zu arbeiten um zu leben und uns aber primär um ein sinnvolles und glückliches Dasein, also um das wirklich „gute Leben“ zu bemühen. In einer jüngsten sozialempirischen Umfrage äußerte bereits ein unerwartet großer Anteil der Arbeitnehmer den Wunsch, lieber weniger zu arbeiten und dafür sogar auf Lohn verzichten zu wollen – was für eine Häresie wider unsere Staatsreligion, den Mammonismus! Für einen großen Teil der gebildeten jungen Leute stellt es lt. Umfrage weiters ein sehr wichtiges Kriterium dar, ob ihre Arbeit sinnvoll und nachhaltig sei und sie recherchierten vor einer Bewerbung, ob ihr potentieller zukünftiger Arbeitgeber auch eine humane Unternehmenskultur und ökologische Verantwortung auf seine Fahnen schreibt oder ob er nur ein Profitbordell betreibt. Immer mehr Absolventen lehnen daher das (praktische oder virtuelle) Bombenbauen ab.

Auch bekam man im Vieraugengespräch mit Personalchefs schaurige Geschichten zu hören, bei denen einem gestandenen Industriellen Angst und Bang über die Zukunft werden konnte. Z.B. dass bei Bewerbungsgesprächen nach einer Stellenausschreibung nicht mehr wie üblich mindestens 70 Personen in gebückter Haltung vorsprechen kommen, um einen miesen unterbezahlten Job zu ergattern, sondern oft nur noch eine Handvoll, und die wären meist schlecht motiviert. – Was für eine Beleidigung für das Selbstverständnis von renommierten Bombenfabriken und Wirtschaftskratzleien, die es gewohnt waren, dass man bei ihnen um Arbeit bettelt!

Noch dazu der radikale Prestigeverlust. Galten Banker und Aktenschlepper im Nadelstreif noch vor kurzen als pharaoähnliche Respektspersonen höherer Ordnung, so schimpft man sie nun „Finanzgesindel“ und reckt die Faust gegen sie. Sogar in London und New York, denjenigen Finanzmetropolen, die sich als erste bedingungslos dem Mammon verschrieben hatten und alles, was dessen globalem Siegeszug im Weg war, gnadenlos deregulierten – sogar in diesen Herzen des Mammonismus wurde jüngst zu „Bankster hunting days“ aufgerufen. An solchen in den sozialen Medien ausgeschriebenen Tagen gaben die Wirtschaftskratzleien an ihre Mitarbeiter die schriftliche Warnung heraus, sich nicht im grauen Anzug ins Büro zu begeben, sondern möglichst im „casual look“ in Jeans und T-Shirt, andernfalls sie womöglich auf ihrem Weg zur Arbeit gelyncht werden könnten.

„We are the 99%“, dröhnte es vom Volk. Und obwohl sich die oberen 1% sicher sein konnten, dass die aufbegehrende Masse mangels wirklicher Ideale bald wieder im Sumpf von Konsum und Unterhaltungsanreizen versinken wird – ein Hauch von Gänsehaut blieb bei den Herren der Welt doch am Rücken zurück. Was, wenn ihr Kumpel vom Milliardärsklub rechtbehalten sollte, und schon demnächst am Horizont Mistgabeln auftauchen? (siehe deutsche Übersetzung) Im Schlusssatz seines Plädoyers für mehr Gerechtigkeit meint er: „Und dann werden wir keine Zeit mehr haben zum Flughafen zu fahren, in unsere Gulfstream V zu steigen und nach Neuseeland zu fliegen.“

Nein, so weit wollen die Habichte es natürlich gar nicht erst kommen lassen. Dazu schmecken ihnen der Kaviar, der Champagner und die Sportcoupè-Spritztouren zu gut. Das System, in dem andere Leistung bringen und dabei das eigene Konto ohne Zutun exponentiell wächst, sodass man zurückgelehnt mit über den Tisch geschlagenen Füßen genüsslich die neuesten Hochglanzbroschüren durchblättern und nach dem SUV seiner Wahl gustieren konnte – dieses System will der Pöbel nun etwa in Frage stellen? Na, dann Gnade diesem Pöbel Gott!

Höchste Zeit also, ein paar Hebel in Bewegung zu setzen und diesen Pöbel aufzumischen. Und wenn er nicht spuren will, dann tauschen wir ihn eben aus, den Pöbel – gegen neue Untertanen, die sich noch aufs willfährige Spuren verstehen.

In Zeiten, in denen man als Global Player mit einem Mausklick vierstellige Milliardenbeträge zwischen Chiemsee, China und den Cayman Inseln hin- und herschieben und durch virtuelle Spekulationen Staatsressourcen sprengen, gewählte Regierungen abservieren und ganze Völkerschaften in den Abgrund führen kann, ist da auch das Austauschen seines Volkes keineswegs utopisch, sondern in Wirklichkeit nur ein Klacks.

Wozu hat man denn Jahrzehntelang daran gearbeitet, ausnahmslos alle Fäden der Macht in die Hand zu bekommen, alle Polit- und Wirtschaftsressorts, alle Medien, meinungsbildenden Institute, Think Tanks, ein weltumspannendes Netz an Lobbyisten, aus im Dunklen operierenden Nachrichtendiensten und im Scheinwerferlicht operierenden akademischen Experten, die alle im eigenen Sold stehen und die dem gleichen Götzen huldigen? Etwa, um jetzt einfach klein beizugeben und vom Gipfel der Macht abzusalutieren? Außerdem, selbst wenn einzelne Machtfürsten einen solchen Gesinnungswandel dem Fortbestand der Welt, dem Überleben der Umwelt und dem Schicksal ihrer Kindern zuliebe heute durchaus erstmals erwägen – spätestens dann aber packt sie das große Zittern. Denn was soll jemand, der es bisher gewohnt war, ein leistungsfreies oder zumindest ein leistungsträges, von anderen erwirtschaftetes Einkommen zu beziehen und der eigentlich gar nichts Anständiges gelernt hat, denn dann tun, wenn er nicht mehr am Schmalztopf des Reichtums und der Macht hängt und wenn im neoliberalen Rattenrennen niemand mehr mitmachen will? Nein, da werden nun wirklich dem bulligsten Leistungsträgen die Knie weich und er huldigt lieber nostalgischen Zeiten…

Aber sei’s drum, die Herren der Welt werden ja jetzt wieder beruhigt schlafen und sich ihres Reichtums erfreuen können. Werden die derzeit neu in unserem System angekommenen Migranten befragt, was sie hier nun als Ziel haben, so erhält man immer die gleichen Antworten: „Arbeiten und ein Normales Leben leben wie ihr hier“ oder „Studieren und dann arbeiten.“

Wie’s scheint, wird nun also alles weitergehen wie zu besten Wohlschandszeiten. Das Rattenrennen bzw. Nietzsches Kameltreiben kann in die nächste Runde gehen. Und bald schon werden sich auf einen ausgeschriebenen Abbeizblatz in der Wirtschaftskratzlei bzw. Waffenfabrik wieder 500 scharf wettbewerbende Menschen bewerben, die zu einem aufschauen und für die man Herr über Sein oder Nichtsein ist.

– Außer wir machen einen Strich durch die neoliberale Rechnung und schwingen uns zu Nietzsches „Löwenstadium“ auf. Dann würden wir erkennen, dass es eigentlich unwürdig für einen Löwen ist, in einem Hamsterrad zu laufen.

 

 

Foto: PD



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