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Eigentlich müsste man die Werbeindustrie klagen. Schließlich müssen laut Produkthaftungsgesetz unerwünschte Nebenwirkungen auf einem Beipackzettel deklariert werden. Kommt ein Konsument zu Schaden, stehen ihm einklagbare Schadenersatz- und Regressansprüche zu. Denn der uns schon von Kindheit an täglich medial eingehämmerte Lifestyle führt zu einer mittlerweile unübersehbaren Zerstörung: ökologisch, ökonomisch, sozial und allgemeinmenschlich stehen wir heute am Abgrund.
Die Werbung suggeriert uns aber etwas anderes: Wir müssen bloß noch mehr diesen Lifestyle zelebrieren bzw. entsprechende Produkte konsumieren, dann werden wir strahlend glücklich.
Dass das Gegenteil der Fall ist – dass wir durch diesen Lifestyle krank, depressiv und ausgebrannt werden (lt. WHO werden im Jahr 2030 Depressionen die häufigste Krankheit sein) -, das verschweigt die Werbebranche wissentlich und daher vorsätzlich. Im Strafrecht werden vorsätzliche Schadenshandlungen mit ungleich schärferer Strafe belegt als fahrlässige oder unwissentliche Handlungen, wobei de jure sogar Unwissenheit nicht vor Strafe schützt.
Gäbe es die Werbung bzw. den von ihr produzierten Zuckerguss nicht, dann würde der unter dem Zuckerguss liegende, toxische Mistkrapfen niemandem mehr schmecken. Und das darf nicht sein. Denn unzählige Menschen sind mit der Produktion und dem Vertrieb solcher Mistkrapfen beschäftigt. Wenn Mistkrapfen nicht mehr nachgefragt und konsumiert werden, brechen wertvolle Arbeitsplätze weg. Und dass Arbeitsplätze entwickelt werden, an denen etwas anderes produziert wird als Mistkrapfen, das übersteigt anscheinend unseren momentanen Vorstellungshorizont.
In einem späteren Zeitalter wird man daher für den heute in Gang gesetzten ökologischen, ökonomischen und allgemeinmenschlichen Niedergang nicht die Diktatoren, Oligarchen und Politiker des 21. Jahrhunderts verantwortlich machen – obwohl auch ihnen in der Hall of Shame ein Ehrenplatz gewiss ist -, sondern als eigentliche Schergen des Wahn-Sinns wird man die Zunft der Werbefritzen ausmachen. Wären sie nicht gewesen bzw. hätten sie nicht ihr gewissenloses Handwerk verrichtet, dann wäre es unmöglich gewesen, den glitzernden Illusionsmantel aufrecht zu erhalten, hinter dem sich die dunklen Machenschaften des Mammon und der absolute Niedergang hemmungslos entfalten konnten.
Denn denkt man sich die von der Werbung erzeugten Illusionsbilder mit strahlend glücklichen, dank Photoshop von jedem Muttermal und sonstigen Makel befreiten Models, die sich lasziv in einer gleichzeitig nach Vanille, Himbeer und Pistazie duftenden Schokoladecreme räkeln und denen die Vibrationsfunktion ihres am Schoß liegenden neuen Smartphones die Erleuchtung beschert, einmal weg, dann wären die Menschen schlagartig aus ihrer Narkose aufgewacht. Sie wären vom Operationstisch aufgestanden und hätten sich nicht länger ein Glied nach dem anderen abnehmen lassen, ohne zu zucken. Dass der Mensch stattdessen ruhig am OP-Tisch liegengeblieben ist, bis man ihm schließlich auch seinen Kopf abgenommen hat, ist allein dem von der Werbeindustrie und dem Entertainment produzierten Narkosemittel geschuldet.
Schon als kleine Kinder werden wir an die virtuelle Infusionsflasche gehängt, über die uns dieses raffinierte Narkosemittel in die Blutbahnen gepumpt wird. Sind wir dann endlich herangewachsen und in einem Alter, in dem es die dem gesunden Menschenverstand entsprechenden Aufgaben anzupacken gälte, haben wir bereits fast alles vergessen. Nachdem uns das Förderband von Schule und Uni ausgespuckt hat, ist das, was wir für dieses Leben eigentlich sinnvollerweise als individuellen Lebenssinn vorhatten, zugeschottert und zugeteert. Stattdessen folgen wir wie die Lemminge einem fremdbestimmten Lebensstil, der uns zunehmend aushöhlt und kaputtmacht, von dem wir aber wie von einer Droge nur unter Mühe loskommen.
„DUCHLESS“ – „SEELENKALT“, mit einem Wortspiel, zusammengesetzt aus dem russischen „duch“ (=Seele, Geist) und dem englischen „-less“ (=fehlend, ermangelnd), so betitelte der russische Autor Sergej Minaev seinen Bestsellerroman, in dem er unserer Generation einen Spiegel vorhält und eine unbarmherzige Abrechnung mit dem zur Normalität erklärten, in Wirklichkeit selbstzerstörerischen Lebensstil vornimmt.
In ihm erfährt man, dass die mit Botox auf Hochglanz polierten und dank Amphetaminen verzückt lächelnden Models, die sich im Werbespot in der Schokoladesauce räkeln, in Wirklichkeit depressive Borderline-Patienten, also psychische Wracks sind. Wie Menschen durch immer groteskeren Exzess und Steigerung der Beschallungslautstärke versuchen, das seelische Vakuum zu kompensieren, dadurch aber erst recht ausgehöhlt werden.
Im vorgenannten Buchtitel liegt aber auch gleichzeitig der Kern bzw. die Lösung unseres Problems: Wir haben unsere DUCH verloren bzw. verpfändet. Und einen Mensch, der seine Seele bzw. seinen individuellen Lebenssinn nicht mehr spürt, kann man beliebig gängeln (um Missverständnissen vorzubeugen: erfüllender, individueller Lebenssinn hat rein gar nichts mit dem in der Werbung propagierten Narzissmus zu tun, sondern ist immer auf den Anderen bzw. auf die Mitwelt bezogen. Verfehlt man diesen Sinn, indem man nur narzisstisch selbstbezogen lebt, ist man unglücklich. Verwirklicht man hingegen diesen Sinn, indem man notwendigen Konsum so weit wie möglich mäßigt, dafür aber soviel Erbauliches als möglich an Mitmensch und zukünftige Welt aktiv GIBT, dann ist man glücklich – das ist das wahrscheinlich bestgehütete Geheimnis der Welt. Denn würde es in unseren Schulen gelehrt, dann wäre der Wallstreet und den mit ihr zusammenhängenden Wirtschaftskratzleien in kürzester Zeit der Boden entzogen, das derzeit etablierte Macht- und Wirtschaftssystem hätte keinen Bestand mehr.)
Denn die Wahrheit ist: Man will in Wirklichkeit nicht konsumieren und kahlfressen, sondern im Gegenteil: Man will der Welt etwas geben, sie um eine spezifische individuelle Färbung und Qualität bereichern – und das ist bei jedem Menschen etwas anderes bzw. muss jeder individuell herausfinden, was er der Welt zu geben hat, wenn er glücklich sein will.
Freilich ist das eine auf die Seele bezogene Wahrheit. Indem man uns – wie derzeit in Schule und Uni gelehrt – nur auf die körperliche Existenz reduziert, gilt ein anderes Gesetz: Wer mehr frisst, hat mehr im Bauch.
Dann wird sich eine von Thomas Hobbes postulierte Realität verwirklichen, in der „jeder Mensch des anderen Menschen Wolf“ („homo homini lupus“) ist.
Ob wir DUCH-LESS bleiben und in eine vollendete Wolfsrealität einmünden wollen, oder ob wir die Ärmel hochkrempeln und wieder DUCH-RICH werden wollen, darf niemand anderer entscheiden als wir selbst. Und die Volksabstimmung zur Wahl, auf welchen dieser beiden Wege unsere Reise weitergehen soll, findet genau heute statt. Jeder darf sein Kreuzerl machen und seinen Stimmzettel in die Urne einwerfen.
Über den Ausgang der Wahl werden sich die Nichtwähler, die lieber daheim vorm Flachbildschirm sitzen bleiben, also nicht beschweren dürfen. Denn es wurde demokratisch abgestimmt und wir hatten die freie Wahl…