Gestern fragte mich ein Journalist, welche Philosophen mich geprägt haben. Die Antwort war einfach: Kant – wegen seiner rigorosen Stingenz im Denken und Schopenhauer – wegen der wissenschaftlich fundierten Entdeckung des Mitleids, aber auch, weil er die Philosophie aus dem Elfenbeinturm zurück auf den Marktplatz geholt hat, wo sie hingehört. Ich hätte auch noch Gerd Gerken nennen können, der mir aufzeigte, wie Philosophie und Wirtschaft miteinander arbeiten können – aber ich wollte nicht übertreiben.
Ja – ich bin sprachlich wohl im 19. Jahrhundert stecken geblieben, das fiel mir bei der Antwort auf. Schopenhauer galt als der letzte Philosoph, der es gewagt hat, eine komplette Theorie der Welt zu erstellen. Seitdem – so sagt man – ist die Welt immer komplizierter geworden, so kompliziert, dass niemand mehr sie ganz erfassen kann.
Was für ein Quatsch, oder? Es gibt da draußen immer mehr Menschenwelt und immer weniger Umwelt, die Zahl der ausgestorbenen Arten steigt jedes Jahr rasant an, Wissenschaftler sprechen schon vom Anthropozän … und wir wollen angeblich zu doof sein, eine Theorie über eine Welt zu schreiben, die wir selber geschaffen haben? Absurd.
Aber nur im ersten Moment, denn … dann fällt uns auf, dass diese Theorie einer von Menschen für Menschen geschaffenen Welt ja Absicht, Plan und Bewusstheit unterstellt: und schon sind wir in der Welt der verbotenen Verschwörungstheorien. Ja: in der Welt der modernen politischen Wissenschaft geschieht alles – aber auch wirklich alles – ganz spontan, absichtslos, planlos und unbewusst. Alle handeln einfach irgendwie herum und große Weltgeister (die „unsichtbare Hand des Marktes“) gestalten den Rest: ein so primitiv-naives Denken hatten wir das letzte Mal vor der Geburt der griechischen Philosophie.
Begleitet wird diese Un-Philosphie von einem sprachlichen Bullshit-Tornado, dem großen, wahren Shitstorm der Moderne. Die Sprache – die große Kunst des Menschen – wird zu einem blähenden Hülsengewächs: aus ganz wenig Inhalt macht man ganz viel Luft.
Ja – diesem Thema widmete sich in Hamburg eine ganz besondere Veranstaltung (siehe Spiegel): der erste deutsche Bullshit-Slam:
„Bullshit ist eine dritte Kategorie zwischen Wahrheit und Lüge“, zitiert Ramge den Philosophen Harry Frankfurt. „Wer lügt, muss sich festlegen. Mit Bullshit vermeidet der Sprecher eine klare Aussage und täuscht trotzdem Kompetenz vor.“
Man kannte das schon früher als „Uni-Bluff“, aber „Bullshit“ hört sich ja an sich schon viel kompetenter und moderner an. Man konzentriert sich auch auf den Bullshit, der in Konzernen (der modernen Form des zeitlich limitierten Beamtentums) für Mitarbeiter und Kunden am Fließband fabriziert wird (einiges davon findet man in der Quengelzone auf Zeit-online), meidet aber das politische Gewäsch: das ist wohl wieder zu brisant.
Dabei wäre eine politische Bullshitsammlung sicher sehr interessant, sogar die Bundeskanzlerin meldet sich hier mit denkwürdigen Zitaten an (siehe Zitate.de)
Es geht bei der Stärkung der gemeinsamen Währung darum, ob mit der Währungsunion die ganze europäische Idee ins Wanken gerät.
Ja – das ist das Niveau der Moderne – weit jenseits der sprachlichen Prägnanz, die das Land der Dichter und Denker dereinst weltberühmt gemacht hat. Doch es handelt sich hierbei nicht nur um sprachliche Entgleisungen, die vor allem in Wahlkampfzeiten aus großen Kübeln über uns ausgeschüttet werden: auch die Seele spielt da eine Rolle (siehe Sprache-Werner, hier auch mit einem angehängten „Sprachmüllfüller“) : „Die Sprache ist ein Bild der Seele“, so sagt es uns der Herr Werner, ein ehemaliger Mitarbeiter des deutschen Patentamtes.
Eine Sprache voller Bullshit förderte eine Seele voller Bullshit … und ein Land voller Bullshitsprache wird schnell zur Bullshitrepublik Deutschland.
Bullshitrepublik?
Machen wir den Test: wo Bullshitsprache drauf steht, sollte auch Bullshitpolitik drin sein, und die finden wir im Interview der Aachener Allgemeinen Zeitung mit Dr. Christoph Butterwege, der uns kurz darauf hinweist, dass die Politik im Rahmen von Hartz IV die Wirtschaft mit jährlich 75 Milliarden Euro unterstützt: dem dreifachen dessen, was Erwerbslose als Hungerlohn zum Überleben zugeteilt bekommen. Ja – da sind die „Aufstocker“ drin … und die Gewinne der Unternehmen werden so direkt vom Steuerzahler getragen. So könnte ich auch zum Millionär werden.
Bullshitrepublik, oder?
(PS: Quellenangaben zu dem Interview … bitte mal selber suchen, ok?)