Alltagsterror

Spielen wir das Spiel vom Tod – Krieg als Unterhaltung

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Es ist Krieg. Kein normaler Krieg. Zur Zeit läuft der 3. Weltkrieg. Haben Sie das bemerkt? Die Wenigsten realisieren,dass es rund um den Globus weltkriegsgleich kriselt. Die Kriegsschauplätze umspannen wie ein Spinnennetz die Erde und man kann nicht mehr genau sagen, wo was begonnen hat oder womöglich endet. Aber das betrifft uns ja nur am Rande. Wir können mit einem Kaffee die morgendlichen Medienlügen konsumieren, dazu den Computer einschalten, zwischendurch den Sandmann aus den Augen spülen und wenn’s drückt den obligaten Gang auf den häuslichen Thronsessel vollziehen. Alles alltägliche Abläufe, die für uns banal sind, aber für andere unvorstellbar.

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Um sich ein wenig in die Welt der Not und Angst umzusehen hat das Entwicklerstudio 11Bytes ein Computerspiel kreiert, dass einem zum Kriegs-Flüchtling macht und man sich mit den einfachsten Überlebensstrategien auseinandersetzen muss. Das Spiel soll, laut Hersteller, keinen Spass machen sondern die Tragik des Krieges veranschaulichen. Man ist Mitglied einer kleinen Gruppe und muss Nahrung beschaffen, marodierenden Banden ausweichen, durchgeknallten Soldaten aus dem Weg gehen, Verletzungen verarzten und immer wieder Entscheidungen fällen, die den Tod von anderen zur Folge haben, aber dafür das eigene Überleben und das der Gruppe sichern.

Zuerst habe ich mich gefragt, was dieser Schwachsinn soll. Wir haben rund um den Globus über 50 Millionen (!) Flüchtlinge, das sind mehr als in beiden Weltkriegen zusammen, und nun glaubt eine Software-Schmiede diese Tragödie noch in einem Spiel vermarkten zu müssen. Erst im zweiten Ansatz fand ich die Idee gar nicht mehr so übel. Bis anhin schlüpfte man als Computer-Spieler immer in die Rolle eines Superhelden mit Superkräften oder Superanzug. Man durfte sinnlos in der Gegend rumballern mit meist endlos Munition, Waffen die richtige Feuerwerke verursachen und man kann so ziemlich alles kurz und klein schiessen was sich bewegt oder eben auch nicht. Das stupide Geballere kann man toppen, indem man dem Feind die Gliedmassen einzeln wegschiesst oder gleich nach Metzerart das Gegenüber fachmännisch schlachtet. Das ist die Masse der Kriegsspiele.

Nun aber muss man sich ohne Waffen und Hilfsmittel, das heisst sie sind sehr spärlich auf dem Schlachtfeld verteilt, in einer kriegerischen Umgebung behaupten. Was würden wohl die Millionen an Flüchtlingen sagen, wenn sie sehen könnten, wie ihre Tragik in einem „Spiel“ als Handlungsgrundlage dient? Ist das moralisch vertretbar? Ich bin hin und her gerissen. Einerseits finde ich es makaber, so etwas als Game zu verkaufen und andrerseits hat so ein Spiel auch aufklärenden Charakter. Dazu muss man sich mal folgendes vorstellen:

Begeben Sie sich gedanklich mal in so eine Situation.

Sie müssten nun in den nächsten fünf Minuten alles was Ihnen wichtig ist zusammenpacken und mit Frau, Kind und Kegel fluchtartig ihr Zuhause verlassen. Nach diesen fünf Minuten kommen die Bösen, erschiessen den Mann, vergewaltigen die Frau und Tochter und hängen dabei noch den Sohn auf. Wie gesagt, wenn Sie das nicht wollen, müssen Sie innert dieser paar Minuten alle und alles in Sicherheit bringen. Könnten Sie das? Wissen Sie, was Sie alles mitnehmen würden? Hätten Sie überhaupt etwas Überlebenswichtiges zu Hause? Wären Sie in fünf Minuten parat? Die meisten Menschen müssen hier oft mit Nein antworten. Sie haben zu wenig Zeit um noch ein paar Habseligkeiten zusammenzuraffen, die Zeit reicht gerade um noch etwas anzuziehen und ein paar Kleider, Decken, etwas Proviant einzupacken und dann war’s das auch schon. Dann beginnt die Flucht. Sobald man die Wohnungstüre öffnet schweben alle in Lebensgefahr und das ändert sich auch nicht mehr. Hinter jeder Ecke könnte ein Feind lauern und einem um die selbige bringen. Sie schleichen geduckt mir ihren Liebsten von einer Deckung zur Nächsten, Rauchschwaden vernebeln die Sicht und machen das Atmen schwer. Es ist kalt. Dann fängt es auch noch zu regnen an. Die wenigen Kleider sind schnell durchnässt. Sie hasten durch den Schlamm, weichen Trümmerteilen aus und mehr als einmal stolpern Sie über ein menschliches Körperteil. Überall liegen Tote, teils zerfetzt, teils geschändet und oft gar nicht mehr als Mensch erkennbar sind, weil einfach ein Panzer darüber gerollt ist. Dazu der Gestank von offenen Gedärmen, Verwesung und Munition. Sie halten sich einen Lappen vor den Mund um den Brechreiz unter Kontrolle zu halten. Die Kinder fangen an zu weinen und wollen nach Hause. Sie haben jetzt aber keine Zeit den Kleinen die Situation zu erklären, Der Feind ist Ihrer Familie auf den Fersen und sie haben nur wenig Vorsprung. Also hetzen Sie weiter, tragen abwechselnd die Kinder. Nach einer endlos scheinenden Odyssee durch Trümmergebiete, Minenfelder und Häuserruinen erreichen Sie mit ihrer Familie einen vorerst sicheren Ort und können sich kurz erholen. Erst jetzt bemerken Sie, wie unzählige kleine Schürfungen, Schnitte und Prellungen ihren Körper verzieren. Der Schmerz geht Hand in Hand mit der Kälte, die immer mehr Überhand gewinnen möchten. Sie kauern sich zusammen, um sich gegenseitig etwas zu wärmen. In dieser Zeit der kurzen Ruhe wird ihnen die ganze Tragödie bewusst. Das Zuhause weg, alle Habseligkeiten weg, verbleib von Verwandten, und Freunden ist ungewiss. Hunger und Durst werden immer quälender, aber es gibt nichts. Das Wasser ist verseucht und Lebensmittel gibt es nur in den Flüchtlingslagern. Aber bis dorthin ist es noch ein weiter Weg durch kriegerisches Gebiet. Die Hoffnung sinkt und Verzweiflung macht sich breit.

Können Sie sich in einer solchen Situation vorstellen? 50 Millionen Menschen sind gezwungen, sich dieser Tatsache zustellen, zu behaupten oder zu sterben. Und das täglich.

Wenn man mit diesen Hintergedanken dieses Computerspiel zockt, dann ist der Spass sicher nicht vorhanden und das soll es, laut den Herstellern auch nicht. Es werden einem schnell die Schrecken des Krieges bewusst, die menschlichen Schicksale und Tragödien. Könnte eine therapeutische Wirkung haben. Das hat aber einen wesentlichen Haken. Man daddelt das Spiel vom bequemen Sessel aus, sitzt in einem beheizten Zimmer und kann sich je nach Bedarf das eine oder andere Zeugs in den Mund schieben. Das hat nichts mit einer agogischen Wirkung zu tun. Das ist dekadent und unmenschlich. Ich glaube, wenn man einen Flüchtling fragen würde, ob er so ein Spiel zocken möchte, dann bekäme man zuerst einen ungläubigen Blick, der sich schnell in Verachtung wandeln würde. Kein einziger Flüchtling spielt so ein Game. Genau so wenig wie ein Kriegsveteran ein Ballerspiel daddelt, dass die meisten Punkte gibt, wenn man sein Gegenüber mit der Kettensäge malträtiert.

Solche Spiele werden nur von Leuten gezockt, welche die Tragik eines Krieges nicht verstehen wollen und ihn als Unterhaltung ansehen. Je blutiger umso cooler. Solche Individuen möchten auch gerne mal selber real in den Krieg ziehen. Ist ja alles so schön bunt hier. Dazu können sie sich einem Bataillon anschliessen, welche geschäftstüchtige Soldaten den Kriegstouristen anbieten. Zur Zeit möglich in der Ukraine. Dort kann man nach bezahlen eines Betrages für die Wunschwaffe aus sicherer Entfernung ein Dorf zuammenschiessen oder einfach alles abknallen, was sich vor dem Gewehrlauf bewegt. Ein Schwede hat sich dieses „Vergnügen“ nicht nehmen lassen, zahllose Menschen getötet und ist nun stolz darauf, von den „Feinden“ mit einem Kopfgeld beehrt zu werden.

Wenn ich mir die Entwicklung der Computerspiele-Industrie ansehe, dann kann ich nur zu folgendem Schluss kommen. Sie wollen einem den Krieg schmackhaft machen mit all seinen „Vorzügen“. Vom Militär gesponserte Spiele sollen neue Rekruten bringen und Flüchtling-Games sollen die weltweite Tragödie verharmlosen. Denn wenn jemand mit vollem Bauch in der beheizten Stube sich als Überlebenskünstler sieht, dann kann das Ganze ja nicht so schlimm sein, man hat es selber ja auch in 20 Stunden durch alle Levels geschafft.

Mit diesen Spielen soll das ethische und moralische Empfinden der Spieler aufgeweicht werden. Skrupel für verwerfliche Taten fallen, man lernt im Spiel, wie man einen Menschen auf verschiedenste Art und Weise umbringen kann und der pure Egoismus wird in die höchsten Sphären gehievt. Aber das stört den Zocker nicht. Hauptsache man kann vor seinen Freunden mit den neuesten Massakrierungsmethoden angeben und wie toll man sich durch die virtuelle Kriegswelt geschlagen hat. Wenn man das dort kann, klappt das im realen Leben sicher auch.



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