Ja – was fällt mir da heute ins Auge? Die Neueröffnung der Gladiatorenarena in Rom. Schaukämpfe soll es geben, Judo, Kinderchöre – was für ein Gaudi.
Ich mag es schon jetzt nicht.
Allein der Gedanke, diese Orte wieder ihrer alten Bestimmung zuzuführen, zeugt von unglaublicher Dekadenz. Dort wurden früher Christen von Löwen zur Ergötzung aller bei lebendigem Leibe aufgefressen. Das war eine der Vorstufen der Vernichtungslager der Nationalsozialisten, die allerdings aus betriebswirtschaftlichen Gründen anders organisiert waren und auch nicht so zur Unterhaltung und gleichzeitiger Verrohung der Massen dienten – das wird jetzt erst wieder ins Auge gefasst.
Ja – ist sehe da in der Tat Unterschiede. Massenmorde an Andersdenkenden sind qualitativ nicht zu unterscheiden – führe ich sie aber öffentlich vor, dann verrohe ich zusätzlich noch die Zuschauer. Nun – sicher, vielleicht ist der relativ schnelle Tod durch einen Löwen der ewigen Quälerei durch einen Mengele vorzuziehen – doch in diese Gegend möchte ich mich gar nicht bewegen. Ja- vergisst man schnell: fängt man an Leiden zu bewerten, gibt es nämlich nach unten kein Ende: dem Hartz-IV-Abhängigen zeigt man den hungernden Afrikaner – und dem wiederum zeigt man die Leichen, die die Milizen hinterlassen haben: so fühlen sich alle gut.
Und alle haben die Botschaft verstanden: gib´ Widerworte, dann bist Du tot, egal, wieviel die gerade noch hast!
Oder kommst – wie früher im alten Rom – in den Zirkus.
„Leiche sein“ wird Normstandard, wer nicht erschossen worden ist, soll glücklich sein.
Ja – aber so funktioniert doch der ganze römische Zirkus: allen Zuschauern geht es besser, als jenen, die dort unten zerstückelt werden – oder sich gegenseitig umbringen. Da kann der Ärmste der Armen noch ein wenig Entlastung spüren – und wird nebenbei wie tausend andere auch durch die Darbietung verroht.
Wir kennen das – und brauchen eigentlich keinen römischen Zirkus mehr.
Wir haben Privatfernsehen, dass uns unsere Mitmenschen in allen nur erdenklichen Arten und Formen auf unwürdigste Art und Weise vorführt: im Dschungelcamp, im Ehebett, in der eigenen Wohnung: nirgends ist man sicher vor den Bessermenschen in der Moderation, die richtend und hinrichtend ins Leben eingreifen … und jeder Zuschauer ist heilfroh, dass er nicht vor der Kamera sitzt.
Wir haben den römischen Zirkus schon jeden Abend im eigenen Wohnzimmer. vier Stunden täglich lassen wir uns von ihm verrohen. Merkt man ja auch in der Bevölkerung: Jurastudenten wollen wieder Folter und Todesstrafe, der Akademikernachwuchs denkt nur noch an sich selbst.
Trotzdem: den römischen Zirkus als Stätte unglaublichen Grauens wieder zu eröffnen, wieder zu feiern, ist in meinen Augen ein Zeichen weiter zunehmender Dekadenz – und ein Beleg für die zunehmende Verrohung.
Kommt das durch, könnten wir auch bald mit der Reaktivierung von Auschwitz rechnen: als „Camp“ für B- und C-Promis.
Nicht mehr so tödlich – aber genauso entwürdigend.
Lustige Spiele fallen den Leuten sicher schon genug ein – die könnten sich gegenseitig die Goldzählen herausziehen … ohne Betäubung. Oder die Leichen von erfrorenen Obdachlosen aus der Umgebung verwerten. Oder medizinische Experimente an sich durchführen.
Zu phantastisch?
Das „Ekeltraining“, das die Dschungelcampbewohner zur Erheiterung des Zuschauers über sich ergehen lassen muss, fand früher nur als Einweihungsritual satanischer Sekten statt.
Jetzt ist es TV-Format.
Also: wo soll da die Grenze sein?
Gibt es überhaupt eine?