Politik

FUSSBALL!!!! … und Herrschaft. Die Mentawai und ihr Kreisel.

Von hier aus gelangen Sie auf die Autorenseite von und koennen alle kommenen Artikel mit "Link speichern unter" abonieren.

Sonntag, 15.6.2014. Eifel. Ich weiß nicht, ob sie es mitbekommen haben: wir haben gerade Fussball. Wenn man genau hinsieht, bemerkt man es auch im Alltag: da hängen Fähnchen aus den Autos, Radkappen in Nationalfarben sind der letzte Hit, die Bundesregierung greift die Lebensversicherung an und der Bundespräsident erklärt der Welt den Krieg. Ach – die letzten beiden Informationen gehören nicht zusammen? Und die haben sie auch gar nicht mitbekommen?

Nun – sehen Sie: das ist der Sinn des Fussballhypes, darum stecken interessierte Kreise aus Wirtschaft und Politik Milliarden in diesen Zirkus. War schon im alten Rom so: die verweichlichten, dekadenten Bürger schauten sich im Zirkus an, wie Löwen Christen auffraßen, während am Horizont 80000 Hunnen durchs Land zogen – mit durchaus unfreundlichen Absichten. Als die Tore dann nachgaben und die Stadt verwüstet wurde, waren dann alle entsetzt. Zu spät entsetzt.

Schauen wir uns mal die Lebensversicherungen an – da melden die deutschen Mittelstandsnachrichten:

Die Lage bei den großen Versicherern ist offenbar kritisch: Die Bundesregierung hat am frühen Mittwochmorgen im Schnellverfahren Maßnahmen beschlossen, die einen Crash bei den Lebensversicherungen verhindern sollen. Die Kunden müssen sich auf gravierende Verluste einstellen.

Es ist mir übrigens egal, ob jemand diesen Webauftritt für „neurechts“ hält oder nicht: wenn mein Nachbar angerannt kommt und mich auf mein brennendes Haus aufmerksam macht, lasse ich mir auch nicht zuerst sein Parteibuch zeigen.

In den Momenten, wo der Deutsche Grillzange und Bierflasche in der Hand hat und gebannt auf den Bildschirm schaut, kann man ihm ganz gemütlich das Geld aus der Hosentasche ziehen. Merken die aber erst, wenn die Rechnung der Lebensversicherung kommt … bzw. wenn eine dicke NULL am Auszahlungsbescheid steht. Oder vielleicht doch ein Minus.

Natürlich kann man in diesen Momenten noch viel mehr machen: zum Beispiel die deutsche Bundeswehr zu einem Instrument jener machen, die die Menschenrechte verbreiten wollen – vor allem aber das Menschenrecht auf hemmungslosem Konsum.

Hören wir dazu unseren Bundespräsidenten, der – auf für sein Amt ganz unübliche Weise – auf einmal politische Richtlinienkompetenz demonstriert, wie sie im Prinzip nur der Bundeskanzlerin zusteht. Hören wir mal, wie der Spiegel seine Worte wiedergibt:

Der Bundespräsident äußerte Verständnis dafür, dass es früher eine „gut begründete Zurückhaltung der Deutschen“ gegeben habe. Doch das heutige Deutschland stehe im Unterschied zum „Dominanzgebaren“ früherer Jahrhunderte als verlässliche Demokratie für die Menschenrechte. „Und in diesem Kampf für Menschenrechte oder für das Überleben unschuldiger Menschen ist es manchmal erforderlich, auch zu den Waffen zu greifen.“

Würde er das mit den Menschenrechten ernst meinen: er könnte im eigenen Land anfangen. Hausarrest und Reiseverbot für Hartz-IV-Abhängige, tödliche Sanktionen bei Befehlsverweigerung inklusive: da geht es den Menschenrechten schon ganz schön an den Kragen – von den Kündigungen von Sachbearbeitern bei der Ausübung ihres Grundrechtes auf Meinungsfreiheit ganz zu schweigen.

Warum nun der als „Grußonkel“ bekannte Ostdeutsche zum Angriffskrieg gegen alle bläst, die „Massenvernichtungswaffen“ besitzen (jedenfalls ist das immer die Losung vor dem Zuschlagen: „Der Feind hat Massenvernichtungswaffen!!!“ – ob die auch real vorhanden sind, ist da zweitrangig. Hier gilt jede „Verschwörungstheorie“ als Wahrheit, die einen Militärschlag legitimiert), bleibt unverständlich.

Ich war übrigens nochmal extra beim Bundespräsidialamt und habe nachgeschaut: sehe nicht, dass er die Kompetenz oder den Auftrag hat, die Richtlinien für Militäreinsätze der Zukunft öffentlich im Ausland vorzugeben. Also: was macht der eigentlich da? Und wer zum Teufel setzt unserer ostdeutschen Regierungsspitze solche Flausen ins Ohr? Merkel und Gauck bringen in der Tat einen merkwürdigen Wind in die einst so gemütliche Bonner Republik, deren enorme Friedenskompetenz einst viele sehr geschätzt haben.

Doch das sind nur die Nebenwirkungen von Fussball. Er hat auch noch eine ganz wichtige, Bewusstsein programmierende Hauptwirkung. Ja: er manipuliert politisches, gesellschaftliches und wirtschaftliches Bewusstsein auf einer viel tieferen Ebene – und Millionen lassen das täglich bzw. wöchentlich mit sich machen.

Ist noch nie aufgefallen?

Gut, gehen wir ins Detail.

ZWEINUNDZWANZIG Spieler … und EIN Ball. Wir wären reich genug, jedem einen Ball zu geben – aber dann findet kein KAMPF statt. Wissen Sie, was da zelebriert wird? Kapitalismus pur. Zweiundzwanzig Menschen wird ein Ball gegeben, damit sie sich wie eine hungrige Meute drum streiten: künstliche Verknappung zwecks Schaffung von Wut, Frustration, Hass, Erniedrigung, Demütigung und verzweifeltem Kampf ums Überleben. Gleiches erzielt man, wenn man einen Brotlaib in eine Kerkergrube schmeißt, deren Bewohner schon zwanzig Tage hungerten. Oder wenn man den Löwen nur einen einzigen Christen vorwerfen würde.

Das ist aber nur menschlich, sagen Sie?

Völliger Quatsch. Diese Art von Sport ist sogar extrem unmenschlich, sollte im Prinzip wegen fortlaufender Anstiftung zur Asozialität verboten werden – ich denke aber: sollten die Menschen erstmal merken, was sie da wirklich auf dem Sportplatz tun, würden sie sich fruchtbareren Tätigkeiten hingeben. Schauen wir uns mal an, wie Urvölker mit „Sport“ umgehen, hier die indonesischen Mentawai bei ihrem Lieblingsspiel, dem „Kreisel werfen“:

Aber im tatsächlichen Spielvollzug beobachteten wir nie ein solches Zählen. … Offenbar kommt es auch nicht auf den Sieger oder Verlierer an, weder beim Einzelwurf noch gar bei einer etwaigen Endwertung. Eine Verbissenheit des Leistens ist nie zu spüren, auch wenn Halbwüchsige oder Männer kreiseln. Statt dessen wird nach jedem Wurf laut gelacht, bevor man den weggesprungenen „toten“ Kreisel nachläuft und ihm im Gelände sucht. Wetten werden nicht abgeschlossen und niemand wird als Endsieger herausgestellt.

Dieses Sportverständnis – beruhend auf Begriffen wie Heiterkeit, Leichtigkeit, Gemeinschaftlichkeit und Frieden spiegelt sich auch im Alltag wieder, in der Gesellschaft und ihren Gesetzen.

Sie sind Teil einer Kultur, in der es nicht auf Leistungen, Endergebnisse und Titel ankommt, nach denen Männer und Frauen streben könnten. Häuptlinge und Sportherrschaft fehlen. … Die Geschichten kennen nicht nur keine Könige, Häuptlinge oder Helden, sondern auch keine Götter, die die Menschen lenken oder Macht ausüben. Eher berichten sie von der Niederhaltung der Herausragenden. (Aus: Der gläserne Zaun, Syndikat 1983, Aufsatz von Henning Eichberg, Seite 158).

Kein Sport – keine Herrschaft. Irre, oder?

Auch im Alltag wirkt sich das Kreiselspiel aus. Treffen zwei Kreisel aufeinander (wie zwei Menschen mit unterschiedlichen Ansichten), wird einer hinausgeschleudert. Theoretisch gibt es Sieger und Verlierer. Während aber hier in Deutschland der Verlierer Hartz IV bekommt oder unter Gelächter in der Kreisliga verschwindet, geht man dort anders mit Problemen um.

Die Reaktion des erzürnten Mannes ist das Weggehen, genauer: die Kultivierung der Beleidigung, die ihn zum Weggehen treibt. Es kommt nicht zum Zusammenprall – und schon gar nicht zum Konflikt um die streitbare Sache. (Der gläserne Zaun, a.a.O., Seite 160).

Die ganze Kultur dreht sich um die Prinzipien dieses Kreiselspiels, denn was macht die Gemeinschaft mit dem Beleidigten, mit jenem Menschen, der seinen Zorn, seine Wut, seinen Hass nicht an anderen ausläßt sondern ihn heldenhaft selbst bewältigt? Es kommt immer jemand hinterher, der ihn zurückholt – so wie der geschlagene Kreisel zurückgeholt wird.

Kein Zusammenprall – kein Krieg. So wie wir in hundertausend Fussballspielen auf allen Ebenen die Lektion von Mangel durch künstliche Verknappung der Ressourcen und bis zum Äußersten gehenden Kampf verinnerlichen und durchleben, die uns dazu anhalten, Könige, Helden und Götter zu produzieren, um den Kampf zu effektivieren, haben die Mentawaier andere Werte – und ein anderes Sozialverhalten:

Der Mentawaier muss darauf achten, die Seele nicht zu verstören, etwas durch Hetzen oder Anschreien. Durch gute Speise und Trank kann man sie bei Laune halten. Besonders aber schätzt die Seele die körperliche Schönheit: das lange Haar der Männer, die spitz gefeilten Zähne und die prachtvolle Tätowierung des ganzen Körpers mit Ornamenten und Tiergestalten. (Der gläserne Zaun: a.a.O. Seite 163)

Können wir uns vorstellen, dass wir selbst mal so gelebt haben … bevor Rom uns den Zirkus brachte? Können wir uns überhaupt noch vorstellen, wie das ist, in einer Kultur ohne „Hetzen und Anschreien“ zu leben …. wo doch „Druck“ gerade unsere beliebtestes Mittel ist, Arbeitslose auf nicht vorhandene Arbeitsplätze zu jagen?

Können wir uns jetzt vorstellen, wie tiefgreifend „Fussball“ unsere Vorstellung von „Kultur“ beeinflusst? Zweiundzwanzig Köter balgen sich um eine tote Ratte. Wer sie in seine Ecke bringt, überlebt. „Hunger-Games“ – ganz real: und Millionen ergötzen sich daran, lassen währenddessen nebenbei ihre Seele deformieren und ihre Gesellschaft in einen römischen Zirkus verwandeln, der jetzt mal wieder laut nach Weltkriegen ruft – Russland und China müssen ausgelöscht werden, unsere Menschenrechte (genauer gesagt: Konsumzwänge) müssen überall gelten.

Ja – so wurden auch die Mentawai zerstört:

Verstärkt wird der Angriff gegen die Identität der Mentawai in jüngster Zeit durch das Eindringen der multinationalen Holzkonzerne, durch den Tourismus und durch die Konsumgüterwerbung über Fernsehapparate und malaiische Händler. (Der gläserne Zaun, a.a.O. Seite 155)

Erinnert das irgendwie an den Mann mit Grillzange und Bierflasche, der gerade die Botschaft aufsaugt: NUR EINER KOMMT DURCH?

Native Planet beschreibt die Kultur der Mentawai in einer Art, dass man neidisch werden kann:

Mentawai society was once near perfect: no war, no crime, no thieves and no adultery. Everyone shared in the generous bounty of the tropical rainforest and all clan members were treated equally—including women and children.

Also auf deutsch in etwa:

Mentawai-Gesellschaft war einst fast perfekt: kein Krieg, keine Kriminalität, keine Diebe und kein Ehebruch. Jeder erhielt seinen Anteil an der Fülle der Güter des tropischen Regenwalds und alle Clan-Mitglieder wurden gleich behandelt, darunter Frauen und Kinder.

Und was haben wir dagegen zu setzen?

Einen Sport, eine Gesellschaft, eine Kultur, die man nur besoffen ertragen kann … und die einen Krieg nach dem anderen produziert: TROTZ Demokratie und Menschenrechten.

Sollen wir jetzt alle Mentawai werden? Nein. Aber ganz wichtig ist, zu erkennen, dass der Mensch nicht „an sich“ so ist, wie er uns aufgrund von „Fussball“ erscheinen möchte. Der Mensch muss dort schlecht sein, wo Soziopathen nach „Herrschaft“ schreien … die nur gerechtfertigt ist, wenn der Mensch an sich böse ist und im Zaum gehalten werden muss … so wie auch ein Krieg nur gerechtfertigt ist, wenn er gegen böse Menschen geführt wird, die die „Menschenrechte“ missachten und „Massenvernichtungswaffen“ haben.

„Der Mensch“ kann aber auch ganz anders. Und wenn er anders lebt … dann hat er plötzlich Frieden – jenen Frieden, der alle an den Reichtümern der Industriegesellschaft teilhaben läßt … und „Regierungen“ mit Rekorddiäten und Luxusleben völlig überflüssig macht.

Gibt´s jedoch für 22 Menschen nur ein Brötchen – dann kann die Show beginnen.

Krieg folgt dann später, wenn die Verlierer zu den Waffen greifen.



Die letzten 100 Artikel