Alltagsterror

Die Mär vom deutschen Revolutionär

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Es war einmal ein Mann, der wollte die Welt verändern. Er hatte die Nase gestrichen voll von seinem Alltag. Wenig Schlaf, wenig Geld, wenig Zeit, wenig Liebe, wenig Lust, wenig Freude: das moderne Leben galt ihm nichts, es hatte sich zu ändern. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit: das waren seine Ziele. Gerechtigkeit mußte her, und zwar für alle, Nächstenliebe sollte das Miteinander bestimmen, Freude im Alltag überwiegen, Frieden und Freiheit im Überfluß vorhanden sein.

Es galt also, Revolution zu machen!

Das Volk mußte aufgewiegelt werden, ihm zu folgen, das Joch der Jahrtausende abzuschütteln und einen Aufbruch in eine lebenswerte Zukunft zu wagen!

Doch halt – zuvor galt es, jene zu bestimmen, die den Weg nicht mitgehen durften, die nicht würdig waren für die neue Welt, damit sie nicht endet wie die alte. Zudem: zu viele Köche verderben den Brei – da galt es aufzupassen.

Die konservativen, die Leute von CSU und CDU – also – die gingen ja schon mal gar nicht. Schaut man sich ihre Steueraffären an, so konnte man sie nur als kriminelle Vereinigung sehen.

Die SPD – war auch nicht besser. Außer Hartz IV und Börsenzockerei hatten die doch nichts drauf – darauf konnte man guten Gewissens verzichten. Und die Grünen – da brauchte man sich keine Hoffnungen machen: Wendehälse mit Topfblume im Büro.

Von der FDP wollte er gar nicht reden, die war kein Wort wert, das man an sie verschwendet.

Und die ganzen Kleinparteien? Mal ehrlich: wer seine Energie auf chancenlose Aktionen verplempert, ist kein guter Geselle für die Revolution – alles Orchideenzüchter, diese Gestalten!

Und die Menschen, die regelmäßig diese Parteien wählen – wollte man die wirklich mit ins Boot holen? War da nicht schon der Untergang vorprogrammiert?

Das ging gar nicht.

Und Nichtwähler erst recht nicht: mit Ohnemichels macht man keine Revolution!

So hatte unser Mann ein klares Bild vor Augen, wollte gerade zur Tat schreiten, als ihm einfiel: Raucher – das geht auch nicht. Die kriegen mitten im Gefecht Entzugserscheinungen und flüchten zum nächsten Kiosk – so etwas kann man nicht gebrauchen.

Auch bei Nichtrauchern muss man vorsichtig sein – schnell hat man da Gesundheitsapostel drunter, die schon beim Anblick von Schlagstock und Wasserwerfer in Ohnmacht fallen – für eine Revolution völlig ungeeignet.

Auch bei Fleischessern sollte man höllisch aufpassen: wer seine Mitgeschöpfe verzehrt, vergreift sich in der Not auch an dem Nebenmann!

Und Obacht bei Vegetariern: denen geht schnell die Luft aus, außerdem müssen die alle fünf Minuten essen und sind sehr eingeschränkt bei der Auswahl ihrer Nahrung – das taugt nicht zur Revolution!

Brillenträger – undenkbar. Behinderte gehören ins Heim und nicht an die Front – einmal einen Schlagstock ins Gesicht bekommen, können die vor lauter Blindheit Freund von Feind nicht unterscheiden.

Unternehmer sind zu meiden. Sie profitieren ja von diesem System, wären also nie in der Lage, es zu beseitigen. Und Arbeitnehmer? Bei wem unterzeichnen sie denn den Vertrag, bei wem sind sie angestellt – wem haben sie zugesagt, ihm gegen Geld zu Willen zu sein? Beim Unternehmer: also – siehe dort!

Und Gott bewahre ihn vor Arbeitslosen – winke denen mit Festanstellung  und die Reihen lösen sich auf.

Beamte? Diener des Systems, allesamt. Wie Freiberufler – die einen sind zu reich für einen echten Revolutionär, die andern zu abhängig von ihren Kunden. Nein – die müssen draußen bleiben.

War nun an alles gedacht?

Nein. Vor Mietern muss man auf der Hut sein. Zu schnell verwandeln die sich in heimatlose Mietnomaden, die keine Loyalität kennen, ständig müssen sie fürchten, vom Eigentümer vor die Tür gesetzt zu werden: keine gute Basis für eine Revolution.

Schlimmer noch sind Eigentümer: wer riskiert schon was, wenn er dadurch sein trautes Heim in Gefahr bringt – oder die Option, die nächsten dreissig Jahre in diesem Heim das Leben genießen zu dürfen?

Obdachlose gehen gar nicht – die müffeln einem das Volk weg. Ein wenig Stil sollte auch der Revolutionär des Volkes mitbringen – und einen strengen Winter sollte die Revolution schon überstehen können.

Langhaarige – um Himmels willen!

Da könnte man ja gleich Frauen zur Revolution rufen! Undenkbar, wie angreifbar die im ersten Gefecht sind: einmal an den Haaren gezogen und der Tag ist vorbei. Vorsicht aber auch bei dem ordentlichen, angepaßten Kurzhaarschnitt: nur ein Diener des Systems schneidet da an sich herum.

Glatzen? Alles Nazis. Darüber diskutiert man gar nicht.

Ebenso wenig über Dicke. Mal ehrlich: bei welcher Revolution hat man schon mal Dicke gesehen? Die Dürren gehen auch nicht, die haut jeder gleich um. Und hör´ mir auf mit den angepaßten Normgewichtlern … wer sich in Gewicht, Kleidung und Haarschnitt der Masse anpaßt, ist ein Kollaborateur.

Nachher kommt noch jemand auf die Idee, Schwule zur Revolution mitzunehmen. Da weiß man ja sofort, was dann im Schützengraben los ist. Deshalb müssen Frauen ja auch draußen bleiben – die sind eh´ zu zart für die Revolution.

Oder zu dick.

Familienväter gehen auch nicht – ein Griff nach den Kindern, und sie kippen um. Das kennt man schon.

Nun hatte unser Revolutionär sein Volk klar im Blick.

Doch dann … fielen ihm die Akademiker ein. Nein, solche Klugscheißer braucht keiner. Die Revolution verlangt Männer der Tat! Handwerker und Arbeiter funktionieren jedoch nicht, dass hat man in Russland und China gesehen: wo der Geist fehlt, wird bloße Tat schnell zum Wahn. Und Leute aus dem Büro – das soll wohl ein Witz sein! Mit Koffertragen zum Weltenheil – wer glaubt denn so was?

Und das ganze Künstlerpack ist viel zu sehr auf sich selbst bezogen, als dass es sich ordentlich in Reih´ und Glied einreihen könnte, um die Revolution zum Erfolg zu tragen.

Die „Gläubigen“ aller Religionen haben ebenfalls keinen Platz in den Reihen der Revolution: ihr Reich ist nicht von dieser Welt – und das soll auch so bleiben. Und geh´ mir weg mit Atheisten – wer an gar nichts glaubt, glaubt auch nicht an die Revolution!

Man meide auch die Alten! Der Rücken, die Gicht, das schüttere Haar – Alter ist eine Krankheit und Kranke gehören ins Heim! Und die Jugend? Selbstverliebt, ich-bezogen und vollkommen undiszipliniert. Außerdem werden die alt – siehe „Alter“.

Vorsicht auch vor Vereinsmeiern – die bilden schnell Subgruppen und kapseln sich ab. Ebenso Einzelgänger – die brauchen zum Abkapseln noch nicht mal eine Gruppe!

Nun gab sich unser Mann einen Ruck: genug der Worte und Gedanken! Es galt zur Tat zu schreiten: die Welt wartete auf ihn! Das Ziel war nun klar vor Augen: es galt, das Volk, das würdig und fähig war, aufzurühren, bis es kochte!

Unaufhaltsam schritt er energisch zur Tür, voller Tatendrang und Willen zur Macht riss er sie auf … doch da erwartete ihn die große Enttäuschung:

es regnete.

Revolution bei Regen geht natürlich nicht. Viel zu nass, da holt man sich sonst was. Sonnenschein wäre jedoch noch schlimmer, da suhlt sich das Volk im Garten und hat nicht die rechte Lust zum Sturm auf die Tempel der Macht. Schnee – nicht dran zu denken, da kommt man ja schon allein nicht durch, geschweige denn mit dem ganzen Volk.

Außerdem war Tag: gute Sicht für den Feind, der sich zudem bei Nacht exzellent verstecken kann!

Darauf fallen wir nicht ´rein!

Dann müssen die Massen eben auf mich warten, so dachte sich unser Mann – und freute sich darauf, rechtzeitig zur Sportschau wieder daheim zu sein.

Das war auch gut so: mit Fernsehkonsumenten kann man ja auch keine Revolution machen – alle fremdgesteuert, das wurde ihm dort klar! Noch weniger geht es mit den Fernsehmuffeln – die wissen doch überhaupt nicht, was los ist.

Und so war sein Tag ein voller Erfolg.

Ein voller Erfolg für die Revolution!

Ach – dachte er bei sich: wären doch alle nur so wie ich … dann wäre die Welt ein Paradies!

Und so schlummerte er sanft vor sich hin und träumte vom großen Triumph seiner Revolution…der einzig echten und richtigen, die es je gegeben hat.

 

 

 

 



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