Und wann ist man arm? Und: ist man dann weniger wert, weil man arm ist? Woran bemisst man, ich, du, der Leser, die Gesellschaft den Wert eines Menschen? An seinem Einkommen? Und was ist, wenn man mit dem Einkommen nicht mehr auskommen kann – ist man dann wertlos? Muss man sich dann schämen?
Vorweggeschickt: ich bin definitiv nicht arm, ich bin heute sogenannter Mittelstand. Aber es gab auch in meinem Leben Phasen, in denen immer noch sehr viel Monat am Ende des Geldes war. Wo Buttertoast mit Marmelade und vielfältige Nudelgerichte bis Monatsende reichen mussten. Bereits in der Kindheit, die nun schon eine Weile zurückliegt, hörte ich recht häufig von meiner Frau Mama, dass wir uns dieses oder jenes nicht leisten könnten, weil wir dafür kein Geld haben. Was in Zeiten des Wirtschaftswunders, des Aufbruchs, der Reiche-Leute-Kinder um mich herum, nicht besonders toll war. Aber es war wie es war. Und heute bin ich dankbar dafür.
Denn meine Frau Mama hat mir trotz allem Mangel an Finanzen nie das Gefühl vermittelt, weil wir wenig Geld haben, sind wir nix wert. Im Gegenteil. Merksätze wie „Wo ich bin, ist oben“ oder „Wer unter mir Chef ist, ist mir egal“ haben mein Leben mitgeprägt. Der Umgang mit Armut ist aus meiner Sicht auch eine Haltungssache, eine Frage von Werten. Wenn ich morgen nicht genug Geld hätte, und auch nicht in der Lage wäre, mir auf legalem Wege welches zu beschaffen, würde ich eben bei der Tafel essen. Schäme ich mich dafür? Fühlte ich mich deswegen weniger wert? Ich nun SICHER NICHT.
Also kann ich heute auch ganz anders leben und Dinge tun, für die sich mancher wohl „schämen“ würde. Bei den ersten Überlegungen zu diesem Text fing ich mal an, Dinge zu sammeln, die ich derzeit tue, die man meist nur tut, wenn man „arm“ ist, weil man so leben „muss“, die zumindest in unserer heutigen Gesellschaft als extrem sparsam gelten. Es hat mich selbst überrascht, wie lang die Liste geworden ist. Einiges auf dieser Liste ist nur Menschen möglich, die wie ich am Land leben. Über das Leben in der Stadt kann ich heute nichts mehr sagen – ich gehe aber davon aus, dass es dort dafür andere Möglichkeiten gibt, die ich eben nicht (mehr) kenne.
– Haltbare Artikel einkaufen, wenn Sonderangebote dafür vorliegen, tut wohl jeder. Ich kaufe Mehl, Zucker, Katzenfutter usw. ausschließlich im Angebot – und horte es dann eben. Warum sollen die Konzerne einen Cent mehr an mir verdienen als nötig?
– 50% Ware – abgelaufene Artikel – liegt immer wieder im Einkaufswagen. Aber hier steht nicht das Geld im Vordergrund. Meine Motivation stammt aus dem Film „We feed the World“ – Ich war ausgesprochen berührt, was alles an Lebensmitteln entsorgt wird. Da fast alles weit über das Ablaufdatum hinaus haltbar ist, ist das einer meiner Beiträge gegen den Welthunger.
– Das Brot das Wien wegwirft, reicht aus um Graz satt zu machen. Auch da kann ich was tun. Wenn ich „alte“ Brötchen vom Vortag vom Bäcker bekomme, wird das Zeug getrocknet, geschnitten, gebröselt – und als Semmelbrösel oder Brotwürfel irgendwann gegessen. Kostet zwar einiges an Arbeit (Ertrag im Wert von ca. 1 Euro pro Stunde, wenn ich die gleiche Menge beim Aldi/Hofer einkaufe), aber … es wird nicht weggehauen sondern verwertet.
– Nachdem ich entdecken musste, dass man inzwischen geschälte Sonnenblumenkerne und Erdnüsse als Vogelfutter verkauft – und ich solches Zeug nun mal gerne im Müsli mag – hat mich die „Abteilung für Backwaren“ zum letzten Mal gesehen. Kostet nur 1/4 bis 1/5 der „Menschenware“ – sind halt Brösel mit dabei. Na und?
– Katzen- und Hundefutter sammle ich bei mehreren meiner Nachbarn ein. Diese wissen, dass ich mich über abgenagte Knochen, Speckschwarten und ähnliche Essensreste freue, heben sie auf und legen sie auf den Zaun, so dass ich fast täglich beim Gassi gehen ein Säckchen mitnehmen kann. Bietet meinen Tieren etwas Abwechslung, spart ein wenig Kosten – und Nachbars freuen sich, dass es genützt wird.
– Im Spätsommer wird es immer sehr stressig. ‚Zig Bäume meiner Nachbarn werfen Äpfel ab – die man im Lagerhaus für 7-9 Cent das Kilo „verkaufen“ kann. Wirkliche Motivation, Äpfel zu sammeln und zum Lagerhaus zu bringen, hat daher kaum einer. Ich kann mir sammeln, was ich mag, trocknen, kompottieren oder Mus daraus machen – besser als dass sie auf der Wiese verkommen. Die Bauern sind fast dankbar dafür, denn kein richtiger Landwirt mag Lebensmittel verkommen lassen.
– Heuer hatte ich erstmals die Gelegenheit, Kartoffeln zu sammeln. Die waren dem Bauern zu klein – er hätte sie untergeackert. Kleine Kartoffeln sind echt lecker.
– Ich gestehe: ab und zu gönne ich meinem Hund sein Hundefutter nicht. Wenn ich von einem der Schweinebauern nach Schlachtung „Ripperl für den Hund“ bekomme, gibt es erst Mal eine leckere Suppe davon. Und dann geht es an den Hund …
– Der Verzicht auf den Fernseher spart in Österreich zumindest Gebühren. Aber: wer guckt sich den Schwachsinn freiwillig an? Ich habe die Nase voll, mich weiter systematisch verblöden zu lassen. Im Notfall gibt es Youtube.
– Strom sparen, immer wieder Licht bzw. unnötige Verbraucher abzuschalten, spart zwar nur ein paar Cent, aber wenn das alle 7 Milliarden Menschen täten …
– Strümpfe bzw. Klamotten stopfen tut eine Freundin von mir. Meine Augen geben es nicht her. Aber Hauptsache es wird nichts unnötig weggeschmissen, oder?
– Gefrierbeutel werden bei mir grundsätzlich ausgewaschen. Plastik besteht aus Öl, eine knappe Ressource – und ganz billig sind die, die wirklich dicht sind, auch nicht.
– Beim Wäschewaschen kann man mit indischen Waschnüssen nicht nur Geld sparen, sondern auch die Umwelt schonen. Nur Weißes wird eben nicht mehr strahlend weiß – braucht man das? Wichtig ist doch sauber – und das wird es!
– Im Second Hand Laden kaufe ich schon seit … 35 Jahren seufz, frau wird alt … ein. Hier in Österreich gehe ich oft zur Volkshilfe, wo es T-Shirts, Jeans u.ä. zu einem Spottpreis gibt. Warum sollen Klamotten weggeworfen werden, wenn sie noch gut tragbar sind.
– In die gleiche Kategorie fällt der Flohmarkt. Hier kann ich (m)einen Kaufrausch ausleben. Da wird gehandelt, was das Zeug hält und für wenige Euro gibt es Bücher, CDs und sonstigen Kram in Mengen.
– Meine „gesellschaftliche Teilnahme“ ist … aufgrund der Lebenssituation … etwas eingeschränkt. 50km einfach zum nächsten brauchbaren Kino, 15km bis zum nächsten netten Cafe, auch Essen gehen tue ich fast nie. Aber ich versuche Dinge zu bewegen. Durch Schreiben hier und auf anderen Plattformen, durch meine Hobbyprojekte www.batterie-speicher.eu oder www.wertevollleben.com/finanzkultur (sorry, die Werbung wird jetzt hoffentlich verziehen), durch die Kommunikation mit dem direkten Umfeld. Damit nehme ich teil – ohne das es was kostet. Außer Zeit natürlich 🙂
– Beim Reisen gibt es für mich eigentlich nur eine wirkliche interessante Form: Couchsurfen. Bei Menschen im jeweiligen Land daheim – da kann kein *****Hotel mithalten. Das kann ich beurteilen, denn solche Hütten kenne ich – aus einem anderen Leben – auch von Innen. Braucht man nicht. Dass mein Haus jederzeit auch für Fremde geöffnet ist, ist daher selbstverständlich. Nur ist „Urlaub auf dem Land ohne Komfort“ nicht für wirklich viele interessant.
– Zapfen klauben, um Kamin oder Griller anzuheizen, tut selbst hier am Land kaum noch jemand. Wenn meine Nachbarn hören, dass ich das tue, sagen die meisten: das hat meine Oma auch noch gemacht. Ok, ich bin halt ein altes Weib 🙂
Warum schreibe ich das alles auf? Nicht, um mir öffentlich auf die Schulter zu klopfen.
Es könnte z.B. als Anregung dienen. Diese Dinge sind für mich alle über viele Jahre hinweg „entstanden“, gewachsen. Ich habe es von anderen kopiert, irgendwo gelesen, wie auch immer. Vielleicht gibt dieser Text anderen Menschen Ideen auf ihrem Weg aus unser konsumgesteuerten Zuvielisation auszusteigen. Würde mich freuen.
Wie ich eingangs schrieb: vieles fällt in die Kategorie der Dinge, die man tun „muss“, weil man am Existenzminimum rumkrebst. Und weil man das tun „muss“, fühlt manch einer sich schlecht, weniger wert … Ich fühle mich nicht schlecht. Für mich ist das, was ich tue, völlig ok. Und ich würde mir wünschen, dass alle Menschen ihren Wert nicht von ihrem Konsumvermögen abhängig machen. Wenn jeder sich selbst schätzt, auch wenn man „nichts“ hat, ist man gegenüber dem System unangreifbar. Und damit hätte das System verloren. Davon bin ich überzeugt.
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Vielen Dank an das alte-weib. Und bitte weitermachen, auch wenn der blöde Regenbogenbieger schon mal einen Artikel verbaselt. Ist keine Absicht oder gar Zensur. 😉