Alltagsterror

Brief eines Leistungsträgers an die Regierung: wie motiviere ich meine Kinder?

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Dienstag, 12.11.2013, Eifel.

Liebe Bundesregierung.

Heute ist wieder einmal ein Morgen, an dem ich mich nur mit sehr heftigen Schmerzen bewegen kann. Der Grund ist einfach zu benennen: Rücken. Genauer gesagt, fehlen Bandscheiben im Lendenwirbelbereich. Wie alle anderen Leistungsträger auch habe ich alles gegeben, 1 000 000 Kilometer Autobahn (und viele Flugkilometer nebenbei – aber die waren nicht so schädlich, jedenfalls nicht für mich) habe ich in fünfzehn Berufsjahren hinter mich gebracht. Mir hat das nicht gefallen, obwohl ich gerne gereist bin: mir war jederzeit bewusst, dass ich der Umwelt keinen Gefallen damit tue. Aber: Arbeit muss ja sein.

Mit dieser Aussage renne ich bei Ihnen wahrscheinlich offene Türen ein, immerhin haben Sie die gesamte, mühsam gestaltete Sozialgesetzgebung so gestaltet, dass Arbeitslose mit Enteignung, Einschränkung der Bürgerrechte und öffentlicher Schmähung durch Staats- und Wirtschaftsfunk für ihren Frevel bestraft werden. Ich habe innerhalb von zehn Jahren mein Gehalt vervierfacht, mehrere Karrierestufen hinter mich gebracht, hatte ein sechsstelliges Gehalt in DM – und Euro und vor allem: Arbeitszeiten bis zu 120 Stunden die Woche. Manche Kollegen haben diese Belastung nicht überlebt. Es gab Tage, da habe ich mit einem einzigen Anruf eine Million Euro Umsatz gemacht: wenn ich mich Recht entsinne, definieren sie so den Leistunsträger, weshalb ich mich einfach mal als ein solcher vorstellen möchte, weil ich ja weiß, dass wir der Regierung liebstes Kind sind.

Momentan kann ich mich wieder nur mit Trippelschritten bewegen, alles andere führt zu Schmerzen gegen die Zahnweh ein Witz ist. In guten Zeiten kann ich nicht lange gehen, sitzen oder stehen, oft muss ich mich hinlegen, um meine Rückengymnastik zu machen und die eingeklemten Nerven wieder aus dem Würgegriff der Knochen zu befreien. Die Wohnung kann ich heute nicht verlassen – sind halt gerade keine guten Zeiten – werde den Tag wieder liegend verbringen müssen.

Nun – ich will nicht groß klagen. Mir geht es viel besser als meinen Leidensgenossen. Einen kenne ich persönlich, er ist 39 Jahre alt und völlig verzweifelt, ist ans Jobcenter angebunden, schreibt viele Bewerbungen und ist im Prinzip genauso unvermittelbar wie ich. Der Unterschied zwischen ihm und mir? Ich erhalte als letzter Jahrgang eine kleine Berufsunfähigkeitsrente, die Sie für die Jahrgänge nach mir einfach abgeschafft haben. Ich kann mich gut hineinfühlen in die Lebenssituation meines Kollegen, der sich wie ein kerngesunder Mensch bewerben und bewähren muss, obwohl er seine Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die Ausführung der eigenen Körperbewegungen richten sollte: ist man hier auch nur einen Moment unachtsam, befördert man Lasten von mehr als 2 Kilogramm Gewicht, so kann es sein, dass man schnell am Boden liegt, weil einem die Beine weggebrochen sind. Ein schwerer Wintermantel stellt da schon ein Risiko dar.

Wie sie sehen, bin ich Ihnen sehr dankbar für die kleine Leibrente, da ich ein zurückgezogenes, vergeistigtes Leben immer sehr geschätzt habe, komme ich auch mit der Ausgliederung aus der Konsumgesellschaft gut zu recht und bin auch dankbar dafür, dass ich mein Wahlrecht noch behalten durfte.

Und doch habe ich ein Problem.

Ich habe Kinder. Sechs davon kennen ihren Papa nur als Arbeitstier, aber sie haben auch erlebt, was man sich alles leisten kann, wenn man arbeiten geht. Das ist ja auch richtig: es war Wunsch der Bundesregierung, dass alle sehen können, dass Leistung sich wieder lohnt.

Doch nun, liebe Bundesregierung, habe ich ein Problem. Obwohl ich – neben vielen anderen Abschlüssen – auch ein pädagogisches Studium sehr erfolgreich beendet habe, komme ich nicht umhin, zuzugeben, dass meine Kinder mein Leben als Botschaft begreifen:

Geht man arbeiten, wird man krank. Wird man krank, wird man arm und fortgejagt. Also geht man besser nicht arbeiten, damit man wenigstens gesund arm sein kann“.

In der Tat: ich würde viel dafür geben, gesund zu sein, kann also an dieser Stelle die Negierung von Krankheit gut verstehehn. Mein größtes Hobby waren lange Wanderungen durch die einsamen Moore Belgiens, ein Tag im Moor ersetzt leicht eine Woche Urlaub auf den Malediven. Nun darf ich nur noch in Begleitung wandern – oder mit Handy. Da es im Moor keinen Empfang gibt (diese Belgier! Noch nicht mal das kriegen sie hin!), ist diese Option für mich nicht lebbar. Aber was soll es: da jeder Schritt gewöhnlich von unterschiedlich starken, stechenden Schmerzen im Lendenwirbelbereich begleitet wird, ist das Wandern eh´ keine Freude mehr.

Nun – wie gesagt: ich will nicht klagen. So ein zerbröselter Zustand ist gut und nützlich, um sich mit seiner Sterblichkeit endgültig zu versöhnen: der Zeitpunkt, der ein absolutes Ende der Schmerzen und des elenden Leides bedeutet, rückt jeden Tag einen Tag näher heran, ohne dass man etwas dafür tun muss – das erfreut einen jeden Tag ein klein wenig mehr.

Was aber mache ich jetzt mit meinen Kindern? Immerhin weiß ich, dass Eltern in erster Linie durch ihr Vorbild erziehen, weniger durch Worte. Welche Worte soll ich denn auch noch wählen, um hier motivieren zu können? Auch wenn es jetzt übel klingt: meine Leistung hat dazu geführt, dass meine Kinder Leistungsverweigerer werden – und obwohl ich Sonderschulungen für Motivation und Führung erhalten habe, fehlt mir da völlig der Ansatzpunkt. Besser wäre es gewesen, ich wäre mein Lebtag lang arbeitsloser Alkoholiker gewesen – so wäre ich wenigstens ein schlechtes Beispiel, dass den Kindern im eigenen Leben einiges hätte ersparen können. So jedoch bliebe mir nur die Drohung mit Hunger, Obdachlosigkeit und zukünftigem Arbeitslager – doch derartiges Arbeiten entspricht nicht meinen beruflichen Fortbildungen.

Kein Konzern arbeitet mit Strafen als Motivationsinstrument, dort verlegt man sich lieber auf Bonuszahlungen – die es oftmals auch gibt, wenn gar kein Erfolg der Arbeit zu sehen ist: zur Not greift einem ja der Steuerzahler unter die Arme.

Für Bonuszahlungen kann ich trotz bescheidener Lebensführung kein Budget mehr einrichten – wie Sie vielleicht nachvollziehen können.

Es ist auch nicht nur die Armut durch Krankheit, die meine Kinder zu ihrer Einstellung führt – hier kommen sie eher nach ihrem Vater und schätzen den einfachen, rustikalen Lebensstil des Eremiten – es ist das völlig Fehlen der Würdigung der erbrachten Leistung, das Erkennen, dass Einsatz und Leistunsbereitschaft völlig nutzlos sind, weil am Ende nichts übrig bleibt außer Schmerzen und der Versuch der Entwürdigung – ganz unabhängig davon, dass man jahrzehntelang überdurchschnittlich viele Beiträge in alle nur denkbaren Kassen geleistet hat, von denen sehr viele heute noch sehr gut leben. Wo gibt es noch etwas Dankbarkeit für die vielen DM und Euro, die man für den Staat, für die Gemeinschaft erwirtschaftet hat – in meinem Falle sogar echter Reingewinn durch Rückführung der Umsätze ausländischer Konzerne in deutsche Steuerkassen?

Man könnte auf die Idee kommen, dass es besser gewesen wäre, Soldat geworden zu sein um im Ausland völlig fremde Menschen zwecks Rettung der von den Taliban unterdrückten Drogenproduktion zu erschießen – dort bekommt man für eine Verwundung wenigstens einen kleinen Orden, ist ein Held. Wird man krank durch Arbeit, ist man …. böse?

Nun – ich will aber nicht für mich sprechen – mir geht es um die Kinder.

Ich plage mich nun seit acht Jahren mit dem Problem der Motivation herum, stelle jetzt aber – dank eindringlicher Studien auf Facebook – fest, dass ich nicht allein mit dem Problem da stehe … nur geht es anderen noch viel schlechter als mir, der ich durch die kleine Rente sehr priviligiert bin, diese Priviligierung aber nutzen kann, mich öffentlich zu äußern. In diesem kinderarmen Land sind es Millionen von Kindern, die sehen müssen, wie die Lebensarbeitsleistung der Eltern im Falle von Alter und Krankheit mit Füssen getreten wird.

Ich weiß nun, dass Sie als Bundesregierung sehr beschäftigt sind. Beständig müssen mehr Posten für verdiente Mitglieder der Partei geschaffen werden, ständig steigende Bezüge verlangen nach gut überlegten Anlagemöglichkeiten, ebenso warten auf jeden Abgeordenten zehn Lobbyisten, um seinen Tag zu strukturieren und viele Unternehmen fragen einen als Vortragsredner an – was sich ja auch sehr angenehm in den eigenen Vermögenswerten widerspiegelt. Ich möchte aber die Hoffnung nicht aufgeben, dass Sie vielleicht doch ein wenig Aufmerksamkeit auf dieses Problem lenken, da es kein kleines ist.

Auf der Konzernebene kennt man es gut: die „innere Kündigung“ betrifft (je nach Studie) 24 – 90 % aller Mitarbeiter und richtet jährlich einen gesamtwirtschaftlichen Schaden von 250 Milliarden an, dass sind 3 Billionen Euro seit 2001, dem Jahr, in dem Sie die winzige Berufsunfähigkeitsrente für alle gestrichen haben. Auf Konzernebene kann man das Problem auf vielerlei Arten angehen – und tut das auch. Schöne Weltreisen, coole Sachprämien, kleine persönliche Präsente – da ist vieles machbar, was vor großem Schaden schützt – und den Schaden kennt man genau: nicht wenige große Firmen sind durch mangelnde Motivation der Mitarbeiter in den Ruin getrieben worden.

Was aber wird aus dem Problem der „inneren Kündigung“, wenn es die Jugend eines Staates betrifft?

Sicher: Ihre Kinder sind auf einer Privatschule, deren „Ehemalige“ für jeden Absolventen eine Führungsposition in Politik und Wirtschaft frei räumen – doch diesen „Häuptlingen“ werden in Zukunft wohl die „Indianer“ fehlen.

Ich jedenfalls bin noch bemüht, auch meine Kinder zu Leistungsträgern dieses Staates zu machen, trotz meiner üblen Erfahrung mit diesem Status  – jedenfalls, wenn man ihn sich durch Arbeit verdienen muss. Jetzt gestehe ich aber: ich bin am Ende meiner Kunst angelangt. Darum wende ich mich nun direkt an Sie, denn immerhin haben Sie sich einer ganz besonderen Verpflichtung unterworfen:

„Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.

Ich bin fest davon überzeugt, dass die Lösung meines kleinen Problemes vielen anderen Menschen helfen kann und somit geeignet ist, sehr viel Schaden von dem deutschen Volk abzuwenden – sogar Schaden in Billionenhöhe.

Mit besten Grüßen: Ihr Eifelpilosoph, Leistungsträger im Entsorgungszustand

 

 

 



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