Alltagsterror

Das Einfamilienhaus: Egotempel, Falle und Gefängnis. Über den Eigenheimterror in Deutschland.

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Sonntag, 8.9.2013. Eifel. Kein schöner Tag. Seit acht Jahren genieße ich die Aussicht auf eine wunderschöne Allee, die nun der Säge zum Opfer gefallen ist.  Holland braucht Raum, es wird zu klein für seine Einwohner – deshalb können Holländer mit großer Unterstützung des Staates in Deutschland Land kaufen … der Grund, warum in unserem Umfeld die letzten Jahre fast nur noch Holländer Land und Häuser kaufen. Man merkt vor Ort deutlich, wie arm Deutschland geworden ist. Wie für Invasoren üblich, kümmert man sich nicht um gewachsene Strukturen vor Ort, sondern macht alles platt, was einen stört – so auch die über sechzig Jahre lang gewachsene Allee. Die hatte halt Pech – und wir erleben hier vor Ort ein wenig von dem, was tagtäglich in den Wäldern des Amazonas geschieht. Zeit, sich ein wenig Gedanken zu machen über eine ganz besondere Art des Terrors: den Eigenheimterror.

Nicht, dass er nicht schon längst beschrieben wurde. Zuerst habe ich von ihm von durch einen Banker erfahren, der mit einer mit mir befreundeten Ärztin liiert war und sich deshalb etwas weiter öffnete, als es normalerweise der Fall ist:

„Gebe einem Mann ein Haus und ein Kind – und er ist den Rest seines Lebens Sklave“. 

So denkt man in den Führungsetagen des Kreditvertriebes über die Eigenheimkultur in Deutschland … und wir haben hinreichend Material um zu sehen, wo die Ursache für die fortschreitende Lähmung bürgerlichen Selbstbewußtseins und das weitläufige Desinteresse der Bevölkerung an politischen Entscheidungen zu sehen ist: sie sind Sklaven ihrer eigenen Lebensweise geworden.

Die Eigenheimkultur ist eine Fluchtkultur. Zuerst flüchtet man aus dem Zimmer, das man bei seinen Eltern hat. Dann flüchtet man aus der Mietwohnung, weil der Vermieter unerträglich ist. In der Eigentumswohnung merkt man dann, dass die Nachbarn auch nicht besser geworden sind und träumt fortan vom Haus. Ist dieses erst erbaut – der Traum des Lebens erfüllt – merkt man nach kurzer Zeit mit Schrecken: es sind immer noch Menschen in der Nähe. Das Grundstück grenzt an Grundstücken des Nachbarn … und zwar für ewig. So viel Energie wurde investiert, um dem Mitmenschen zu entkommen – was letztlich dazu führte, das man hoch verschuldet für immer und ewig an ein Ekel gebunden ist.

Und ein Ekel gibt es dort fast immer. „Die werden zugeteilt“ meinte ein Arzt zu mir, der sein Leben lang mit Klagen überzogen wurde … wegen einem Unterstand für sein Auto.

Das Ekel in der Nachbarschaft ist auch keine Ausnahme – es ist die Regel. Sie hat mit unserem Menschenbild zu tun, mit unserer neuen Religion. Um das zu verstehen müssen wir sehr weit ausführen: die Ursachen dieser Entwicklungen findet man vor über vierhundert Jahren. Sicher, in den Schulen wird etwas anderes gelehrt: „Im Mittelalter gab es Hexenverbrennungen“ – wurde dort gelehrt. Nun – das ist eine Lüge. Ebenso ist es eine Lüge, dass die Kirchen die Hexenverbrennungen vorangetrieben haben, aber wir müssen leider damit leben, dass Geschichte immer von Siegern geschrieben wird und deshalb mit „Wahrheit“ nicht viel zu tun hat.

Lauschen wir mal Silvia Federici zu diesem Thema, zitiert bei Faszinationmensch:

Rationalismus und Mechanizismus waren also nicht die unmittelbare Ursache der Verfolgungen, obwohl sie dazu beitrugen, eine der Ausbeutung der Natur gewidmete Welt zu schaffen. Wichtiger war, dass hinter der Anstiftung zur Hexenjagd das Bedürfnis der europäischen Eliten lag, eine ganze Existenzweise auszumerzen. Diese Existenzweise bedrohte im Spätmittelalter die politische und wirtschaftliche Macht der Eliten. Als sie ihre Aufgabe erreicht hatten – als die Disziplin wiederhergestellt worden war und die herrschende Klasse ihre Hegemonie gefestigt hatte -, gingen die Hexenprozesse zu Ende. Der Glaube an die Hexerei konnte sogar zum Gegenstand von Spott, als Aberglaube verworfen und schon bald aus dem Gedächtnis getilgt werden. 

Es gab einen gewaltigen Paradigmenwechsel, über den wir in der Schule leider nicht aufgeklärt werden – obwohl er sich in unserem Alltag direkt in dem Einfamilienhausterror der Speckgürtel der Großstädte niederschlägt.

Merchant zufolge beinhaltete dieser Paradigmenwechsel die Verdrängung eines organizistischen Weltbildes, das die Natur, Frauen und die Erde als fürsorgliche Mütter betrachtet habe, durch ein mechanizistisches, das sie zu “dauerhaften Ressourcen” abgewertet habe, wodurch sämtliche ethische Beschränkungen ihrer Ausbeutung verloren gegangen seien 

Eine Folge dieses Weltbildes: Natur verlor ihre Heiligkeit, wurde nichtswürdige, tote Materie. Mit der konnte man verfahren wie ein sadistischer Psychopath:

Die Frau-als-Hexe wurde Merchant zufolge verfolgt, weil sie die “wilde Seite” der Natur verkörperte: alles, was in der Natur ungeordnet, unkontrollierbar und daher mit dem von der neuen Wissenschaft in Angriff genommenen Projekt unvereinbar war. Ein Beleg für den Zusammenhang zwischen den Hexenverfolgungen und dem Aufstieg der modernen Wissenschaft sieht Merchant in den Werken Francis Bacons, der als einer der Gründungsväter der neuen wissenschaftlichen Methode bekannt ist. Merchant zeigt, dass Bacons Vorstellung von der wissenschaftlichen Untersuchung der Natur am Verhör gefolterter Hexen orientiert war: Die Natur wird als Frau dargestellt, die es zu erobern, zu entschleiern und zu vergewaltigen gilt 

Anstelle einer Architektur, die sich harmonisch in die Landschaft fügt und so alle Menschen erquickt, trat die Architektur des Ego, die zwar die Sinne vergewaltigt, aber der Selbstverwirklichung eines jeden Soziopathen diente.

Ja, das ist ein weiterer Aspekt der Eigenheimkultur: sie dient der Vergöttlichung des Ego, soll – jedenfalls offiziell – der Höhepunkt der menschlichen Existenz sein. Das man nebenan einen Nachbarn mit einem ebensogroßen Ego automatisch mitgeliefert bekommt, wird nicht erwähnt, ebenso wenig wie die Tatsache, dass sich Egomanen für keine Art von Gemeinschaft eignen und der Nachbarschaftskrieg somit vorprogrammiert ist. So flüchtet man vor den Egomanen in der Nachbarschaft mit größter Anstrenung, bis man sie zum Schluss ewig an sich gekettet jenseits des Gartenzauns vorfindet – und von ihnen oft schlimmer observiert wird als selbst von der NSA. Wie wohltuend ist da auf einmal die Erinnerung an die Anonymität des Hochhauses, wo Nachbarn in Massen vorhanden sind, aber meist unsichtbar vor sich hin leben.

Außerdem braucht die Wirtschaft Lagerraum für Milliarden unnützer Dinge, die tagtäglich produziert werden und halt irgendwo hin müssen: da reicht der normale Wohnraum nicht aus. Das Ego braucht seinen Tempel, in dem es seinen eroberten Krempel verstauen kann. Einen Krempeltempel, sozusagen.

Verkauft wird eine Illusion von Freiheit und Unabhängigkeit, am Besten noch garniert mit einem kleinen Selbstversorgertraum hintendran … dabei ist jedem klar, dass diese Minigärten im Falle des Zusammenbruchs der öffentlichen Versorgungsstrukturen gegen die Millionen Menschen aus den Städten nicht zu verteidigen sind, noch über ausreichend Leistung verfügen, die Bewohner des Hauses hinreichend zu versorgen. Aber das Ego braucht solche Träume – so unrealistisch und unwirklich sie auch sein mögen. Es vergöttert sich selbst, sieht sich selbst als Krone der Schöpfung – entgegen christlichen Schöpfungsverständnisses, das den Menschen als eher als Landheger verstand, kommt ein Geschöpf, dass der Welt mit brutaler Gewalt seinen Willen aufzwingt, um endlich zum Ziel zu kommen: dem Ort, der nur der Verherrlichung seines eigenen Ich dient, der Demonstranz seiner persönlichen Überlegenheit über den ganzen Rest der Menschheit, dem Symbol für seine eingebildete Unabhängigkeit vom Rest des Universums.

So zeigt sich auch der Mythos der Aufklärung als extrem verlogen: es ging nie um Wahrheit. Es ging auch nie um Freiheit, Gerechtigkeit, Sicherheit, Frieden oder Wohlstand für alle – es ging um einen Paradigmenwechsel, der uns die schlimmsten, perversesten Kriege der Menschheit brachte, die – im Gegensatz zu früheren Kriegen – auf die gezielte Vernichtung der Zivilbevölkerung setzten … und auf die industrielle Massenvernichtung von sogenannten Staats- und Volksfeinden.

Vorbei die Zeiten, wo die Kirche noch einen Gottesfrieden ausrufen konnte, der Frauen und Waisen schützte: der Krieg der modernen, aufgeklärten, demokratischen Welt hat gerade die Zivilbevölkerung zum Ziel, nur ihrethalber entwickelte die Wissenschaft – stets willige Hure der „Elite“ – „Massenvernichtungswaffen“. Heute ist Kirche selbst eine Existenzform, die gezielt zum Gegenstand von Spott geworden ist und als Aberglaube bekämpft wird, ihr Ende in den nächsten zweihundert Jahren ist abzusehen – so wie man auch ausrechnen kann, dass Deutschland im Jahre 2800 komplett zugebaut worden sein wird (siehe Umweltschulen), wenn niemand die Einfamilienhauskultur stoppt, in der jeder sein eigenes Königreich schaffen will.

Nun – so lange werden wir allerdings nicht durchhalten. Neben dem Flugzeug und dem Auto ist das freistehende Eigenheim die größte Umweltsünde, die man begehen kann: keine andere Wohnform verbraucht soviel Energie, keine ist so umweltschädlich wie diese – da nützt es auch nicht viel, wenn man als Ausgleich drei Solarplatten aufs Dach nagelt und Regenwasser in der Tonne sammelt.

Eine Bewegung hin zu neuen, energieeffizienten Wohnformen, die auch das menschliche Miteinander (z.B. die grassierende Vereinsamung alter Menschen in ihren verfallenden Egotempeln) wieder fördert, sucht man vergebens. Hier herrscht nicht Ratio, sondern eine neue Religion, die als Antireligion daherkommt, aber ansonsten nichts anderes ist als eine Bewegung der Selbstvergötterung und Selbstverherrlichung des Menschen, der allen Anforderungen seiner neuen Ideologie im Prinzip nur dann befriedigen kann, wenn er sich – äußerst asozial – am Eigentum der Gemeinschaft bereichert.

Wir haben einen König den Kopf abgeschlagen und dafür eine Million neue Könige bekommen, die im stetig wachsenden „Speckgürtel“ der Großstädte fortschreitend Land fressen und Landschaft zersiedeln: ein größeres Programm zur Vernichtung der natürlichen Lebensumwelt der Menschheit hat es nie gegeben – auch wenn das römische Imperium in dieser Hinsicht schon gezeigt hat, wie schnell man ganze Landstriche in Wüste verwandeln kann.

Wir wissen das (nochmal: Umweltschule)

„Der seit Jahren konstant hohe Flächenverbrauch frisst nicht nur wertvolle natürliche Lebensräume auf. Er wird auch immer mehr zu einem finanziellen und sozialen Risiko für Bund, Städte und Gemeinden. Permanent werden neue Gewerbe- und Siedlungsgebiete erschlossen, deren Bedarf vielfach nicht mehr gegeben ist. Menschen und Gewerbe wandern derzeit aus den Innenstädten ab. Diese veröden, die Fixkosten für die Infrastruktur – wie etwa die Wasserversorgung – bleiben aber gleich. Die zwangsläufig steigenden Gebühren müssen immer weniger Menschen zahlen. Im Ergebnis dieser Entwicklung ist zu befürchten, dass in den Innenstädten zunehmend Problemquartiere entstehen, weil eher sozial Schwache zurückbleiben. „Der wachsende Wohnungsleerstand in den Städten führt uns vor Augen, dass wir uns umorientieren müssen. Die Innenstädte müssen lebenswerter werden“, so Prof. Dr. Andreas Troge, Präsident des Umweltbundesamtes.“ (Umweltbundesamt 2004)

Warum trotzdem nichts geschieht, versteht man nur, wenn man die historischen Dimensionen  sieht, die Folgen des Paradigmenwechsels  und den Nutzen der Eigenheimkultur für die Elite – und den Staat.

Vor einigen Monaten erst warnte das Handelsblatt in einer kleinen Meldung am Rande (mehr erlaubt der Pakt mit Merkel nicht, der verlangt, über die Krise zurückhaltend zu berichten) über die Risiken, die mit dem Immobilienerwerb in Deutschland verbunden sind. Als Anlageform sei das völlig ungeeignet – es sei denn, im ganz großen Stil. Das private Einfamilienhaus jedoch ist ein enormes Risiko, wie in Deutschland immer mehr Menschen erleben. Neben den Arbeitslosen sind es die Eigenheimbesitzer, bei denen man groß abkassieren kann. Sie können nicht weg – ein Segen für die hoch verschuldeten Gemeinden in Deutschland. Hier läßt sich – über Grundsteuer B – ungeniert in die Taschen der Bürger greifen, die sich in der überwiegenden Mehrheit dem Zugriff des Fiskus nicht entziehen können: dafür braucht man schon ein paar Millionen und gute Freunde in der Politik.

Das dieses Einfamilienhaus nur eine böse Falle ist, merkt man in aller Regel erst zu spät. Wer sollte einem das auch sagen? Niemand bezahlt diese Art von Aufklärung, während von dem Kult um den Egotempel viele Industriezweige sehr gut leben, er ersetzt den vielfältigen Lebenszweck, den man dereinst in jeder Form von Mystik, Religion, Naturmagie, Kontemplation oder Meditation fand … oder in dem fruchtbaren Miteinander lebendiger Gemeinschaften.

An ihre Stelle ist eine Kultur des Todes getreten (der konsequenterweise unter Ignoranz aller Fakten ganz im Sinne des neuen Paradigmas absolut vernichtendes Ende definiert wird, um den Menschen auch die allerletzte jenseitige Hoffnung zu nehmen), eine Kultur der Verwüstung, Vergewaltigung und Ausbeutung, die nicht im Mindesten mehr versteht, was der Begriff  „Würde des Menschen“ eigentlich aussagt.

Und so verbreiten sich die Speckgürtel der Städte – auch in der Eifel. Autobahnen und Autokultur machen es möglich – auch der grüne Leistungsträger sucht hier sein eigenes, persönliches Paradies, fernab vom Urnenpöbel, von dessen Konto man so gerne abbuchen läßt (dank an Lisa Fitz für diese schönen Begriffe).

Ja – und hier merkt man dann auch, dass ein politisches Kartellamt nötig wäre, denn in den Speckgürteln formieren sich die überparteilichen Allianzen der Superegos, „die es geschafft haben“  – oder es sich zumindest einbilden und hemmunglos Landfraß betreiben, um sich formvollendet selbst auf größtem Fuße  zu verwirklichen.

Wie glücklich das macht, sieht man an der Verrohung ihrer Kinder und an der Tatsache, dass sie ihr Leben ohne Urlaub überhaupt nicht mehr aushalten: die Krönung des modernen deutschen Lebens ist die totale Flucht vor ihm: so weit wie möglich und so lange wie möglich. Der Urlaubskult wäre ohne den Eigenheimterror undenkbar – und der Eigenheimterror wäre ohne Urlaubskult nicht mehr zu ertragen: obwohl man sein ganzes Leben nach dieser Lebensform gestrebt hat, will man am Ende nur noch eins:

möglichst oft fort von ihr.

Die Elite begrüßt dies aber: je mehr Leute dort gefangen sind, umso geringer ist der politische Widerstand. Sollte er mal wachsen, kann man einfach die Grundsteuer erhöhen und es ist wieder Ruhe im Land.

PS: der Autor dieser Zeilen bekennt sich dazu, dass er alle beschriebenen Wohnformen selbst durchlebt hat. Ich schreibe also aus Erfahrung.

 

 

 

 

 



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