Alltagsterror

Faschismus in Deutschland

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Donnerstag, 1.8.2013. Eifel. Der Tag war heute schnell im Eimer. Da hat jemand aus unserer Redaktion bei Facebook auf radikal braune Seiten verlinkt – und gleich gab es Aufregung. Ich las die Debatte – und fiel gleich vom Glauben ab.

Zu der Verlinkung sei gleich gesagt: sowas ist natürlich unerfreulich. Jeder Klick erhöht deren Marktmacht, jeder Link befördert nicht nur Informationen, sondern verbreitet gleichzeitig auch nationalsozialistische Weltanschauung: das ist ja der Trick bei der Sache. Ich verkaufe meinen Mist, in dem ich ihn interessant einpacke – und manchmal gibt es auch noch eine Kinderüberraschung dazu. Der Mist bleibt aber auch mit Schleifchen verpackt einfach nur Mist – und wird so durch die Freunde der Schleifchen ungewollt weiterbefördert.

Der Spiegel hatte in den achtziger Jahren davor gewarnt, dass die braune Front sich gezielt Sympathien bei den Intellektuellen aufbaut und dass damit zu rechnen ist, dass sie in einiger Zukunft intelligentere Strategien gefahren werden – so wie jetzt. Es ist eine breite Front von Hitlergläubigen (die aus dieser Perspektive wirklich eher einer Religion gleichen denn einer politischen Gruppierung), die auf verschiedenen Wegen versuchen, Mitläufer zu gewinnen. Einer der Wege ist Hilfe bei Hartz IV zu geben – sind deshalb alle Arbeitsloseninitiativen faschistisch? Ein anderer Weg ist, die offizielle Geschichtsschreibung in Frage zu stellen – das ist im Rahmen einer Demokratie kaum zu verhindern, es sei denn, es handelt sich um Holocaustleugnung. Das unter Strafe zu stellen, tut zwar dem freiheitsliebenden Demokraten im Herzen weh, ist aber notwendig, damit Ausschwitz nicht wieder in Betrieb genommen werden kann. Ein dritter Weg ist die Leugnung der Legitimität der BRD – ein äußerst dämlicher Weg, der aber auch 1000 Mitläufer einbrachte – wie gesagt: die sammeln an allen Fronten Mitläufer, egal wo.

Es gibt nun noch eine Reihe weiterer Wege (Eurokritik, Islamhass, vegetarische Ernährung, Biokost – um nur ein paar Themenfelder zu nennen), aber wir wollen uns mit der Frage beschäftigen, warum der reichsdeutsche Weg ein äußerst dämlicher ist. Nun – egal ob Personalausweis oder selbstgeklebter Reichspass: an den politischen Machtverhältnissen ändert sich absolut nichts – und sollten die selbst ernannten Staatsrechtler wirklich recht haben mit ihren Ableitungen und es gäbe da Lücken im Gesetz: die lassen sich in kürzester Zeit schließen. Macht nur keiner, weil´s eh keinen Unterschied gibt. Deutschland ist so da, wie es jetzt existiert – und irgendwelche Herleitungen aus Gesetzen von 1919 werden daran nichts ändern. Spitzfindigkeiten von Pennälern – so nannte man dass früher. So kann man auch beweisen, dass wir noch Teil des römischen Imperiums sind, weil Cäsar uns nie schriftlich die Freiheit schenkte – aber was soll das?

Natürlich kam in der Debatte auch gleich die rote Karte „Verschwörungstheorie“. Die kann ich schon nicht mehr hören bzw. sehen. Klar gibt es keine Verschwörungen, weshalb Theorienbildung zur Wahrheitsfindung absolut überflüssig ist, nicht wahr? Es gibt auch keine Geheimdienste, keine Kartellämter (deren Aufgabe ist, solche Verschwörungen aufzudecken … oder – im Falle der Geheimdienste –  auch selber welche zu arrangieren), es gibt auch keine Steuerhinterziehung, keine Diebstähle, Unterschlagungen, Morde – die Welt ist ein bunter Ponyhof und wer das Gegenteil behauptet, ist geisteskrank.

Willkommen in „1984“ – diesmal ist es jedoch selbst gemacht, bevor noch die Regierung so etwas anordnen konnte.

Dann finde ich doch da direkt den Begriff „Truther“ als Schimpfwort eingesetzt – als ob der Wunsch nach Wahrheitsfindung schon ein Verbrechen ist – oder zumindest unmoralisch. Ja – in welcher Welt leben wir denn da? In einer Welt, in der wir strammstehen, wenn die Regierungserklärung vorgelesen wird? Manche würden sich das sicher wünschen.

Und hier … wird es für mich sehr unangenehm, denn diese Frontenbildung zwischen „Wir, die die Weisheit mit Löffeln gefressen haben“ und „Denen, die geistig krank sind“ ist eine Grundessenz faschistoider Kulturen – und das Gegenteil demokratischen Dialogs. Ebenso wird es leider sehr undemokratisch, wenn die Losung ausgegeben wird „wir lesen nicht bei Nazis“.

Nun – ich lese nicht bei denen und will keine Pflicht einführen, dass zu tun – aber es zu verbieten, ist nicht demokratisch – auch wenn es weh tut. Mit politischen Gegnern setzt man sich im Dialog auseinander – das ist die Methode der Demokratie. Ausgrenzung, Verspottung, Unterstellungen von Geistesschwäche, Hass … das ist der Weg der anderen Seite. Ich finde diesen Weg auch in offiziell linken Kreisen – was mich nicht verwundert. Hitler sah gern Kommunisten in der SA, die hatten den richtigen Kampfgeist.

„Die vielen gemeinsamen Wesenszüge der beiden totalitären Parteien machten es hunderttausenden bisheriger Linksradikaler leicht, nun den Anschluß an die weit erfolgreichere NSDAP zu suchen.“

Alfred Milatz, Wähler und Wahlen in der Weimarer Republik. Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Heft 66 S. 141

Sehe ich, welchen Hass es zum Beispiel gegen Inge Hannemann in diversen Arbeitslosenforen gibt, dann sehe ich den Geist des Führers wieder auferstehen. Sehe ich welchen Hass angeblich „naturwissenschaftlich“ orientierte Kreise gegen Christen offenbaren – oder sogenannte „aufgeklärte“ Kreise gegen die katholische Kirche, dann höre ich die gleiche Stiefel aufs Pflaster knallen. Lese ich in „staatstragenden Medien“ Arbeitslosenhatz, weiß ich, das der „Stürmer“ bald wiederkehrt.

Faschismus ist die politische Organisationsform, die es erlaubt, seinen Hass auf andere ungehemmt auszuleben – solche eine Definition würde mir gefallen. Würden wir damit arbeiten, kämen wir viel weiter.

Aber es gibt noch andere, nützliche Definitionen, die ich bequemerweise Wikipedia entnehme:

Nachfolgend sind – orientiert an den von Gentile vorgeschlagenen Dimensionen – einige typische Elemente faschistischer Strömungen dargestellt, wie beispielsweise

  • das Führerprinzip,
  • der Totalitätsanspruch,
  • der am Militär orientierte Parteiaufbau,
  • eine kulturstiftende, auf Mythen, Riten und Symbolen basierende, irrationale weltliche Ersatzreligion,
  • eine korporative, hierarchische Wirtschaftsorganisation,
  • sowie ein totalitäres, in Funktionshierarchien denkendes Gesamtmodell der Gesellschaft.

Gehen wir das mal eben durch – im Alltag:

Das Führerprinzip wurde erst unlängst von Oberst Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit, als wichtiger Beitrag des Militärs in Amt und Gesellschaft gelobt (siehe Nachrichtenspiegel). Mit dem „Neoliberalismus“ haben wir eine „alternativlose“ Denkart, die einen Totalitätsanspruch von der Wiege bis zur Bahre hat – mit enormen Folgen für unseren Alltag. Die Kür des Kanzlerkandidaten Steinbrück in der SPD war nach Aussagen von Sozialdemokraten alles andere als demokratisch – ähnliches hört man von Bundestagsabgeordneten aller Parteien, die eigentlich frei sein sollten, aber von „Parteidisziplin“ zu allem gezwungen werden, was die Spitze möchte – auch gegen das eigene Gewissen.

Irrationale, weltliche Ersatzreligion? Schon mal den kultischen Zirkus um „Fußball“ wahrgenommen?

Korporative, hierarchische Wirtschaftsorganisation? Am Ende des Konzentrationsprozesses bleiben nur wenige Megakonzerne übrig, die alles diktieren – im Bereich der Nahrungsmittel sind es gerade noch fünf Konzerne, die den Ton angeben.

Ein totalitäres, in Funktionshierarchien denkendes Modell der Gesellschaft? Einfach mal über den Begriff „Leistungselite“ nachdenken, der seit einigen Jahren in Deutschland sehr hochgelobt wird – und einen deutlichen Einfluss auf die Verteilung von Geld hat.

Was man nie vergessen sollte:

Es besteht ein ausgeprägtes Denken in den sich ausschließenden Kategorien Freund/Feind, Wir/die anderen, Höherwertig/Minderwertig, besonders mit dem Blick auf das Innere der Gesellschaft. Der innere Feind spielt dabei mindestens eine ebenso bedeutende Rolle wie der äußere Feind. Er wird als „Volksschädling“, Bedrohung für das eigene „Blut“ etc ausgemacht.

Da wundern sich manche Intellektuelle, wenn ich sie als faschistoid bezeichne, weil sie in entsprechender Art über die katholische Kirche herziehen – oder über die „minderwertigen Menschen“, die eine Religion ihr eigen nennen, oder das „faule Pack“ der Arbeitslosen. Sogar die Pauschalverurteilung „rechter“ (und natürlich auch „linker“) Denkart führt im Kern auf ein Gleis, das in einer faschistischen Staatsform enden kann.

Für uns moderne Menschen ist halt die Frage, was wir wollen. Verhindern, dass Adolf Hitler wieder Reichskanzler wird? Prima Ziel – schon gewonnen.Oder wollen wir verhindern, dass der Zeitgeist wieder faschistoid wird – mit dem alternativlosen Führungsanspruch „staatstragender“ Parteien, die zwischen sich und dem Staat keinen Unterschied mehr machen (und entsprechend großzügig in die Staatskasse greifen – siehe Diäten), einem Führungsprinzip anstelle basisdemokratischer Prinzipien (wobei der Begriff schon Unfug ist: Basisdemokratie ist IMMER Demokratie – und wo keine Basisdemokratie ist, gibt es keine Demokratie), einer Wirtschaftsordnung, in der Arbeiter und Angestellte am Besten ganz ohne Lohn arbeiten anstelle einer funktionierenden Marktwirtschaft, eine Diktatur der „Experten“ anstelle einer demokratischen Meinungsbildung und einer Geisteströmung, in der der Sieg des DFB-Pokals die Menschen mehr bewegt als die Abwehr undemokratischer Strukturen in der Gesellschaft?

Ganz wichtig bei der Beantwortung dieser Frage ist jedoch, dass wir gründlich unterscheiden zwischen dem, was wir „wünschen“ und dem was wir „wollen“. Wer sich eine bessere Welt nur wünscht, gleichzeitig aber mit naiven Worthülsen wie „Verschwörungstheorie“ und „Truthern“ jongliert und dabei einen deutlichen Impuls von „wir“ gegen „die“ setzt … ja, der will in Wirklichkeit etwas ganz anderes.

Und da die meisten Mitmenschen denken, ihr Wünschen würde die Realität auch gegen ihr Wollen schon richtig formen, haben wir die politische, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die man aufgrund solchen Denkens eben verdient hat – und aufgrund seiner Taten, die immer wichtiger sind als das Wunschdenken und einzig dem Wollen folgen.

Und wenn ich mir das so alles anschaue, denn sehe ich: wir wollen wohl 1984. Und wenn der Staat das nicht anordnet – dann machen wir das eben selbst mit Neusprech und Denkverboten.

 

 

 



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