Alltagsterror

Urlaubsterror

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Dienstag, 23.7.2013. Eifel. Es ist Urlaubszeit! Hurra! Was freue ich mich darauf. Urlaub – die wertvollste Zeit im Jahr. Die Zeit, wo wir endlich einmal so richtig seien können, wie wir wirklich sind. Wo wir frei sind, ungebunden, voller Glück und guter Laune – jedenfalls: wenn der Flieger keine Verspätung hatten, das Auto nicht um Stau steht oder das heiß ersehnte Hotel sich in eine verwanzte Touristenfalle mit Großbaustelle nebenan verwandelt hat. Worauf freuen wir uns da eigentlich?

In einem Beitrag über nachhaltiges Reisen beim SWR fand ich eine Erklärung:

Reisen kann in der Tat nachhaltig sein, aber nur sehr eingeschränkt, sagt Prof. Jörn Mundt, Tourismusexperte der Dualen Hochschule in Ravensburg: „Wenn sie zum Beispiel aus dem Haus gehen, sich aufs Fahrrad setzen, damit zu ihrem Segelboot fahren, dann benutzen sie nur diese drei Verkehrsmittel.“ Zu Fuß und mit dem Fahrrad von zuhause aus reisen, das wäre wirklich nachhaltig, aber leider wenig realistisch, denn der Mensch ist neugierig und will in die Welt hinaus.

Ja – deshalb zieht es uns in die Welt hinaus: der Mensch ist neugierig. Sagt jedenfalls der Professor. Im Alltag erlebe ich denselben Menschen nicht als sonderlich neugierig – wäre ja schön, wenn er mal was anderes wählen würde als CDU oder SPD – einfach aus purer Neugier, wie der Alltag sich verändern würde, wenn verantwortungsbewusste Parteien an der Macht sind.

Vielleicht ist es ja auch nicht der Mensch, der neugierig ist, sondern der Deutsche? Immerhin: die geben besonders viel Geld aus, siehe Spektrum.de:

2011 machten immerhin drei Viertel der Bevölkerung mindestens eine Reise von fünf Tagen Dauer und länger. Pro Person und Reise ließen sich das die Bundesbürger durchschnittlich 868 Euro kosten – insgesamt gaben sie für Urlaube knapp 80 Milliarden Euro aus.

Zum Vergleich dazu vielleicht mal die Entwicklungshilfe? Die gibt´s im Handelsblatt:

6,3 Milliarden Euro, um die Armut zu bekämpfen. Um hungernde Kindern zu ernähren, um Kranke zu behandeln, um Menschen Zugang zu Wasser zu ermöglichen. 6,3 Milliarden Euro – das ist das Budget des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) für 2012.

Um hungernde Kinder zu retten, zahlen wir einen Euro. Um sie uns anzugucken, zahlen wir 13 Euro. Cool, oder? Wir lassen uns unsere Neugier richtig was kosten.

Natürlich fahren wir nicht nur in Hungergebiete. Wir fahren überall hin. Was das für unsere geliebte Umwelt bedeutet – vom Landfraß und Landschaftsverschandelung durch kreditfinanzierte Bettenburgen in Naturschutzgebieten (in Spanien weitläufig zu bewundern – als eine weitere Ursache für die Eurokrise) einmal völlig abgesehen – hat der WWF ausgerechnet:

Erstes Beispiel: eine Reise nach Südtirol, fünf Tage von Berlin mit dem Reisebus.

Touristischer Klima-Fußabdruck 216 kg CO2

Oder eine Reise nach Mallorca, typischer Pauschalurlaub.

Bei der An- und Abreise werden pro Person 925 Kilogramm CO2
-Äquivalente freigesetzt, 916 Kilogramm davon entfallen auf den Flug.

Drei Millionen Deutsche tummeln sich jährlich auf dieser Insel. Gut, dass Chinesen und Inder nicht so reisefreudig sind.

Natürlich geben wir uns nicht mit solchen Billigangeboten zufrieden. Wir wollen auch gerne mal weiter weg. Mexiko ist sehr angesagt, habe ich mir sagen lassen – natürlich nur im klimatisierten Hotel. Hier die Daten für eine dreizehn-Tages-Reise:

Touristischer Fußabdruck 7.218 kg CO2 pro Person
Der Flug nach Cancún setzt Treibhausgase in Höhe von 6.356 Kilogramm frei. Da fallen die Fahrt zum Flughafen und der
Transfer zum Hotel kaum noch ins Gewicht (insgesamt sechs Kilogramm). 13 Übernachtungen in der Fünf-SterneAll-Inclusive-Anlage um so mehr – der extrem hohe Stromverbrauch führt zu 487 Kilogramm CO2-Äquivalenten. 2

Nehmen wir den Aral-Rechner zur Hilfe und schauen mal, wie viel Tonnen CO2 wir bei 6 Litern auf 100 Kilometer erzeugen: 1,4 Tonnen ist das Ergebnis. Für einen Flug nach Mexiko könnte wir mit dem Auto mehr als einmal um die ganz Erde fahren.

Wäre schön, wenn wir nachhaltig zu Fuß, mit dem Rad oder dem Segelboot reisen würden … aber das kommt ja unserem Bedürfnis nicht entgegen. Dabei: gehen sie mal zu Fuß in die nächste Stadt. Schlafsack nicht vergessen, wenn´s zu weit ist. Und Barfuß gehen: ich garantiere, sie erleben ihre Umwelt ganz anders als sonst. So neugierig ist jedoch keiner, nehme ich an, weshalb ich „Neugier“ nicht als Grund aktzeptieren kann.

Natürlich möchte ich jetzt nicht auf der Klimawelle mitschwimmen – die ist mir zu instabil. Aber wir können auch einfach mal von Ressourcen reden, die dort sinnlos vergeudet werden und unseren Nachkommen bei der Erzeugung von Nahrungsmitteln fehlen werden. Einmal nach Mexiko fliegen – oder fünf Jahre umsonst Auto fahren? Na, die Rechnung klappt nicht ganz: das umweltschädliche Fliegen wird stark subventioniert. Der Staat möchte, dass wir reisen.

Was richten wir dort an – wo immer wir gerade einfallen oder aufschlagen? Lesen wir dazu ein Standardwerk des modernen Tourismus, Grundlagen des Tourismus:

Unter günstigen Rahmenbedingungen kann der Tourismus einen Beitrag zum Aufbau von Bewusstsein und Verständnis für die kulturelle Andersartigkeit leisten und eine Erweiterung des diesbezüglichen persönlichen Horizontes fördern. Im Gegensatz dazu steht jedoch die in der Realität häufig geringe Vorbereitung auf die in der Destination vorliegenden kulturellen Gegebenheiten. Die gravierendste Folge kann ein Kulturschock sein, der Hilflosigkeit, Angst oder gar Feindseligkeit auslöst. Auch die häufig kurze Dauer des Aufenthaltes im Zielgebiet und die Konzentration des Tourismus sowie die damit einhergehende Trennung der Kulturen durch im Zielgebiet abgeschottete Ferienanlagen („Ghettoisierung“) lassen nur noch bedingt einen Austausch der Kulturen im Sinne der Völkerverständigung zu.

Schlimm, oder? Wir reisen ins Ausland, um andere neidisch zu machen, ihnen unsere „überlegene“ Kultur unter die Nase zu reiben, ihre Umwelt zu vergasen, ihre Landschaft zu zersiedeln – und dann düsen wir wieder ab und lassen den Müll zurück.

Warum kommt mir nur der Begriff „Vandalen“ in den Sinn – eine Form von reisenden Barbaren – wobei wir mal außer Acht lassen wollen, dass die wirklichen germanischen Vandalenstämme besser als ihr Ruf waren. Erinnert an Vandalismus, den Wikipedia wie folgt definiert:

Vandalismus im Sinne destruktiven Zeitvertreibs aus Mangel an wirklich lustvollem Handeln, aus aggressiver Abreaktion von Wut oder aber von Imponiergehabe(einer Kraftmeierei) ohne darüber hinausgehenden Sinn.

Ist es wirklich Neugier, die uns in die Ferne treibt? Oder ein uralter Stammesinstinkt? Das wir vandalisches Imponiergehabe schätzen, zeigt die abnorme Zunahme der SUV auf deutschen Straßen: Kraftmeierei in Blech gegossen.

Und im Urlaub? Kraftmeiern wir dann in aller Welt herum, zeigen denen so richtig, wo der Hammer hängt, siehe Bund:

Die rasant steigende Reiselust bis in die entferntesten Regionen der Welt geht zunehmend auf Kosten von Umwelt und Natur. Durch den Klimawandel und das Aussterben vieler Tier- und Pflanzenarten aufgeschreckt versucht die Tourismusindustrie zwar, neue Konzepte für einen umweltfreundlichen Fremdenverkehr zu entwickeln.

So müssen Reisende auf den Malediven ihren Müll mit nach Hause nehmen und auf Mallorca wird eine Öko-Steuer für Touristen erhoben. Trotzdem zeigt beispielsweise die Zunahme von Steinschlag und Lawinenabgängen in den Alpen, dass die globalen Klimaschäden nicht mehr aufzuhalten sind.

Das schädlichste Reisemittel? Das Flugzeug – wird von Vandalen immer lieber benutzt, siehe Bundesministerium für Umwelt und Naturschutz:

Das starke Wachstum, das der Flugverkehr in der Vergangenheit zeigte, wird auch
für die Zukunft prognostiziert. So erwartet Airbus in seinen aktuellen Vorhersagen1
bis 2015 eine weitere Zunahme der Verkehrsleistung um 5,3 % und bis 2025 um
4,4 %. Dies entspricht einer jährlichen Zunahme von knapp 5 % für die nächsten 20
Jahre. Für 2025 ist demnach eine Passagierleistung von über 10.500 Milliarden
Passagierkilometern zu erwarten.

Und das wird – vom Klima mal ganz abgesehen – sehr teuer für uns alle, siehe VCD:

Der Flugverkehr belastet aber nicht nur das Klima, er verursacht auch erheblichen Lärm, unter dem über 10 Millionen Menschen in Europa leiden. Ab einer bestimmten Alltagsbelastung drohen gesundheitliche Schäden durch Lärm, darüber hinaus wird die Lebensqualität Betroffener stark beeinträchtigt. Fluglärm verursacht außerdem enorme volkswirtschaftliche Schäden: Wertverfall von Häusern und Grundstücken fällt darunter ebenso wie die Belastung des allgemeinen Gesundheitssystems durch die Behandlung von fluglärmbedingten Krankheiten.

Alles wegen Neugier? Seit wann hat Neugier was mit Dummheit zu tun?

Nun – wir sehen: auch ohne Klimadebatte bedeutet Urlaub Vandalismus … und doch ist das Thema weitläufig tabu, wird gerne auf die Klimadebatte reduziert, der wir natürlich skeptisch gegenüberstehen … und dabei so tun als ob das, was aus Düse und Auspuff herauskommt, nur feinstes Wasser wäre.

Ich kenne ältere Studien zum Urlaubsverhalten von Lehrern, die ich leider im Netz nicht finde: das Netz ist halt jünger als viele Informationen – und die unnützen werden hier nicht hineingestellt. Diesen Studien zufolge fühlten sich jene Lehrer, die ihren Urlaub daheim verbrachten, noch Wochen nach Ferienende frisch und erholt, während die neugierigen Vandalen nach wenigen Tagen wieder völlig fertig waren.

Der Apothekenumschau ist dies bekannt:

Aus der Erholungsforschung ist bekannt, dass der Erholungseffekt von Urlaub recht schnell wieder verfliegt – dies wird auch als „fading out“ bezeichnet. Bereits nach wenigen Tagen zurück in der Arbeit ist bei vielen subjektiv der Erholungseffekt wieder weg.

Wen interessiert aber schon die Erholungsforschung. Sie soll jene Daten produzieren, die unseren Reisewahn vor unserer Vernunft rechtfertigen soll, immerhin reisen wir ja nur, um unsere Ausnutzbarkeit durch den Arbeitgeber zu maximieren. Dafür geben wir immer gerne Geld aus.

Kritik ist hier völlig unerwünscht, nachdenken ebenfalls – aus gutem Grund. Unser Vandalismus hat wirtschaftliche inzwischen enorme Bedeutung erlangt, siehe Deutscher Reiseverband:

Unter Berücksichtigung indirekter und induzierter Effekte ergibt sich insgesamt eine dem Tourismus zurechenbare Bruttowertschöpfung von 214,1 Milliarden Euro. Dies entspricht 9,7 Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung der deutschen Volkswirtschaft.Damit trägt der Tourismus in Deutschland mehr zur Wertschöpfung bei als etwa die Fahrzeugindustrie.

Zudem auch noch eine Wachstumsbranche, die schöne Zahlen für die Statistik produziert: Regierungen lieben so etwas. Darum wird Flugbenzin auch nicht besteuert – und darum predigen uns die Lobbyisten der Airlines, der Automobilindustrie und der Tourismusbranche, dass es ja so etwas wie Klimawandel überhaupt nicht gibt.

Und wenn: Scheiß drauf!

Niemand wird uns bei unserem „destruktivem Zeitvertreib aus Mangel an wirklich lustvollem Handeln“ im Wege stehen.

Und so reisen wir weiter, bis wir wirklich die letzten Naturparadiese vergast und zubetoniert haben – nur um nachher im Büro mit unseren Kilometerleistungen imponieren  zu können: „Ich habe mehr CO2 produziert als ein Supertanker!“ – das wird der Spruch des Jahres.

Und warum machen wir das?

Weil wir uns nicht trauen, zu sagen, dass wir lieber zu Hause bleiben.

Super Möbel, beste Verpflegung, bequemes Bett, garantiert kein Ungeziefer und alle sprechen unsere Sprache,  nebenbei ist es kostengünstig, klimaneutral und erholungsintensiv.

Aber da war halt die Werbeindustrie mal wieder deutlich stärker als unsere Vernunft oder unsere Liebe zur Natur: 75 % der Deutschen hat sie so fest im Griff – so fest, dass wir die wertvollste Zeit im Jahr damit verbringen, den Rest das Planeten in etwas zu verwandeln, das letztlich wie Duisburg, Gelsenkirchen oder Berlin aussehen wird.

 

 



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