Samstag, 22.6.2012. Eifel. Machen Sie sich eigentlich einmal Gedanken über Ihre Zukunft? Nein, nicht über Ihre persönliche – die steht schon fest. Das wissen wir doch alle. Sibylle Berg hat sie heute in einem Artikel im Spiegel kurz und treffend beschrieben:
Wir alle müssen mehr und schneller produzieren, egal was. Egal warum. Der Wettbewerb, die Konkurrenz schläft nicht.
Eine der wenigen Autoren in den Bezahlmedien, die noch nicht im Gleichschritt mit den Regimentern des Neoliberalismus marschiert.
Die dauernde Anspannung lässt die Menschen gereizt werden. Wie eine Rotte Kokser sind viele ungeduldig, sie hassen Fehler, Verzögerung, Ineffizienz, kurz – sie hassen andere Menschen. Wir brauchen sie nicht mehr, sie sind zu Konkurrenten geworden, herzlichen Glückwunsch, zurück in der Steinzeit.
Das ist Ihre persönliche Zukunft: eine neue Form der Steinzeit, eine neue Form das Kampfes „aller gegen alle“. Diese Zukunft meine ich aber nicht. Sie ist sie so unabwendbar, wie sie grausam werden wird, so alternativlos wie düster. Sagt ja sogar die Kanzlerin – auch wenn sie die erbärmlichen Zustände jener alternativlosen Zukunft nicht genau benennt, sich aber – wie die gesamte politische Kaste – finanziell und netzwerkmäßig konkret auf sie vorbereitet.
Ich meinte die Zukunft, die danach kommt. So in 100 000 Jahren, wenn die intelligente Käferrasse, die nach uns kommt, ins Naturkundemuseum wandert um sich dort ausgestopfte Menschen anzusehen.
Schon der Anblick wird den kleinen Käfern klar machen, dass so ein Wesen auf gar keine Fall lange überleben kann: kein Panzer, keine Klauen, kein Fell – außerdem waren sie viel zu groß, fraßen deshalb zuviel und wurden so sehr schnell für die Erde unerträglich. Das sie nur ein ultrakurzes Gastspiel auf diesem Planeten hatten, wird den gelehrigen Jungkäfern schnell klar: so eine Fehlkonstruktion kann nicht lange überleben. Kein Wunder, dass sie nur ein paar Jahrhunderte wirklich bedeutende Spuren hinterlassen haben – Spuren, die teilweise hochgiftig und extrem gefährlich waren.
Im blinden Versuch, ihre Mängel auszugleichen und in vollem Bewusstsein ihrer natürlichen Unterlegenheit, versuchten sie Macht über alle natürlichen Strukturen zu erringen, wobei sie einen Großteil der damals vorhandenen natürlichen Erscheinungsformen vernichteten.
Zurück in in die Käferschule wird der Lehrer erstmal einen Besinnungsaufsatz verlangen. Es wird verlangt, zu begründen, warum der Mensch wohl ausgestorben ist.
Der Lehrer plant eine Überraschung.
Er kann sich die Antworten denken, die Mängel sind offensichtlich. Alle Antworten der Schüler werden richtig sein, es hagelt gute Noten, doch werden sie nicht den wahren Grund herausfinden: er lag nicht in der äußeren Erscheinung, sondern in einer bewussten Manipulation menschlicher Software.
Irgendwann in der Geschichte der Menschheit war ein neues Programm installiert worden, dass aus einem sozialen Gemeinschaftswesen ein egoistisches Triebwesen gemacht hatte. Das Ende kam dann schnell: aus einer weltumspannenden Zivilisation wurde in wenigen Jahren eine Hölle auf Erden, wo jeder gegen jeden kämpfte – nicht um notwendige Ressourcen, sondern darum, wer mehr davon für sich vor anderen verstecken konnte. Es war zum Schluss ein Kampf um verwesende Rattenleichen und verrostete Dosen mit schimmeligen Essensresten: die ganze Menschheit ernährte sich nun vom Müll, nur gab es keine „Tafel“ mehr, die ihn verteilte.
Die Menschen fingen an, sich gegenseitig zu hassen. Jeder kämpfte gegen jeden, bis die soziale Gemeinschaft, die sie alle trug bzw. ertrug unter der Last der Asozialität zugrunde ging. Nach dem Zusammenbruch der Nachschubwege für Staat und Industrie verschanzte sich der letzte Rest der Menschheit im permanenten Kampf gegen den ultimativen Feind (verwilderte Hunderudel, Rattenheere und andere Restgruppen von Menschen) geradezu nostalgisch in den Ruinen jener Städte, die zuvor ganz ohne Krieg aufgegeben werden mussten, weil die Städte ihre Bewohner ohne solidarische, arbeitsteilige Gemeinschaftsstrukturen nicht ernähren noch mit Wärme versorgen konnten.
Die Menschen lernten schnell wieder, dass man ohne Wärme schneller starb als ohne Wasser. Das hatte man vergessen.
Was sie nicht mehr lernten, war, dass sie ohne den Anderen, den Mitmenschen, überlebensunfähig waren. Selbst die allerstärksten Krieger unter ihnen fielen den wilden Hunden zum Opfer – einfach, weil sie schlafen mussten. Die Hunderudel aber arbeiteten in Schichten. Sie waren viele und konnten sich das leisten. Früher hatte der Mensch so das Raubtier zu Tode gehetzt, heute war er selber das Opfer.
Die wilden Hunde ernährten sich von Menschenfleisch – wie die Rattenrudel. Davon gab es genug. Seit dem nicht mehr genug Ressourcen für „Hygiene“ da gewesen waren, lernte die Menschheit schnell, dass ihr größter Feind unsichtbar war: mikroskopisch klein. Milliarden starben an Krankheiten, die früher als Bagatelle galten.
Was die Menschheit aber dann am deutlichsten merkte war: ihre Kinder brauchten ein enormes Maß an Sicherheit und Frieden, um überhaupt erstmal ein Alter zu erreichen, in dem sie sich am – alternativlosen – „Kampf aller gegen alle“ beteiligen konnten.
Diese Sicherheit und diesen Frieden gab es aber nicht mehr, überall lauerten Feinde – vor allem andere Menschen, die schlimmsten Bestien überhaupt.
Genau das hatte man zuvor gelernt. Frank Schirrmacher, der Herausgeber einer großen Zeitung des ehemaligen Deutschlands hatte davon geschrieben, jene Geschichte, wie Wissenschaft, Wirtschaft und Militär eine neue Software schufen: den EGOISTEN (siehe Schirrmacher: Ego, Spiel des Lebens). Er diente als kapitalistisches Menschenbild für den kalten Krieg gegen jenes solidarische Menschenbild, dass der politische Gegner für die Funktion seiner politischen Theorien brauchte.
Kaum war der Gegner fort, explodierte das Bild des Menschen als bösen Feind der Menschheit, gegen den man jeden Tag mit großem Erfolg kämpfen musste, weil man sonst unterging. Die Filmkunst jener Zeit schuf ein mythisches Kunstgeschöpf, das das Lebensgefühl des zivilisierten Menschen jener Endzeit trefflich beschrieb: den Zombie. Ein ehedem menschliches Wesen, nun seelenlos, gnadenlos, ohne jegliches Mitleid oder Sozialromantik, nur von einem Wunsch beseelt: den Mitmenschen mit Haut und Haaren aufzufressen – was in den Jahren nach dem rapiden Zerfall der Sozialstrukturen auch oft genug ganz real der Fall war.
So wurden die letzten Tage der Menschheit treffend beschrieben: untote, seelenlose, nur noch entfernt menschenähnliche Geschöpft überfluteten den Planeten, um so viel (oder so viele) wie möglich in sich hineinzustopfen. Das ging nur eine kurze Zeit gut, bis alles das aufgezehrt war, was die Vorgänger aufgebaut hatten.
Unsere Käferschüler schauten nicht schlecht darüber, als sie dies erfuhren.
Das war überraschend: ein simples, aus politischen Gründen erschaffenes Interpretationsmuster hatte eine herrschende Rasse ausgelöscht.
Nun – die Käferzivilisation war glücklich über diesen Umstand. Sie hätte neben der menschlichen Zivilisation nicht bestehen können. Und man hatte viel gelernt aus dem Untergang der Menschheit: wie einfach es ist, eine ganze Rasse über simple Gedankenmuster umzuprogrammieren, deren Wertigkeit beständig von „Führern“ aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik wiederholt wurde: Tag für Tag für Tag.
Wir glauben sie, obwohl uns jedes Kindergartensommerfest zeigt, dass wir nicht diese Bestien sind. Wir sind eigentlich kooperativ, nur gemeinsam stark – geradezu unüberwindlich, dazu liebevoll und äußerst sozial eingestellt.
Allein sind wir unendlich schwach.
Mit großem Ego und viel Muskeln hätten wir keine Säbelzahntiger ausgelöscht, die Höhlenbären hätten ihre Höhlen behalten und die Mammuts ihre Fälle. Kein einzelner Mensch wäre in der Lage, diese Tiere im Alleingang zu besiegen – und selbst wenn: der nächste Tiger (das Weibchen seines Opfers) besiegt ihn im Schlaf -wenn er nach dem Kampf erschöpft ausruht. Die Welt dreht sich halt nicht nach den naiven Träumen Hollywoods, wo der einsame Kämpfer über das Böse triumphiert, sondern nach der Realität, wo etwas Digitalis (wächst hier an jedem Wegesrand) ausreicht, den Helden ins Jenseits zu befördern, noch bevor er „Pips“ sagen kann: so besiegt die alte kräuterkundige Oma ihren aufmüpfigen Heroen-Schwiegersohn, der ihr laut prahlend die Wolle geklaut hat.
Wir leben in einer Zivilisation, wo alle Strukturen auf ein soziales Miteinander aufbauen – sonst käme auch nie wertvolle Post zum Empfänger. Wir lassen uns aber einreden, dass wir alle nur darauf warten, uns gegenseitig auszuplündern.
Klar – einzelne sind so. Zeigt man nur sie, dann lässt sich schnell ein Bild vom Menschen aufbauen, das sehr düster ist. Mit solchen Methoden kann ich auch beweisen, dass die Erde eine Scheibe und der Mond aus grünem Käse ist, jedoch wird Wissenschaftsmethodik in den Schulen dieses Landes kaum gelehrt, weshalb wir den Methoden lange Zeit hilflos gegenüberstehen.
Wir brauchen keinen Blick in die Zukunft, wo eine Käferrasse aus unseren Fehlern lernt. Noch können wir selber aus den Fehlern lernen, noch können wir lernen, dass jene Menschen, die „Sozialromantik“ als Schimpfwort erfunden haben, die eigentlichen Feinde der ursächlich solidarischen Menschheit sind.
Noch gibt es auch die Möglichkeit der Gegenwehr: die Reaktivierung des ursprünglichen erfolgreichen sozialen Überlebensprogrammes der Menschheit samt der Auslöschung des degenerierten Kunstprogrammes der Propaganda.
Können wir den meisten Menschen vermitteln, dass sie keine Arschlöcher zu sein brauchen, nur weil die Propaganda dieses Menschenbild gerade empfiehlt, dann werden viele andere Entscheidungen fällen können: sie brauchen sich nicht mehr dafür zu schämen oder sich entartet zu fühlen, nur weil sie ein Kind trösten, das Schmerzen hat, alten Menschen Geschichten vorlesen, um deren Einsamkeit zu lindern oder Arbeitslosen mal anonym 1000 Euro schenken, damit die auch am sozialen Leben der Gemeinschaft teilnehmen können – was deutliche teurer und komplizierter geworden als in der Steinzeit geworden ist.
Ohne das wir das „fremde“, aufoktroierte Programm nicht aus der Menschheit löschen, wird es keinen erfolgreichen politischen Widerstand geben: die von uns gewählten „Anti“-Führer werden dem Staatsprogramm folgen, sobald sie gewählt wurden. Da das Programm „Vergiss Deinen Nächsten, sorge nur für Dich selbst“ mitlerweile in allen Köpfen verankert ist (und nebenbei für niedrige Geburtenraten in am stärksten von dem Virus befallenen Ländern sorgt, weil sich mit der Devise beim besten Willen keine Kinder mehr groß ziehen lassen), wird man auch nicht mehr mit Volksaufständen rechnen können: niemand wird sich mehr mit den jeweils gerade aktuell Mächtigen anlegen wollen, wenn er nicht sofort dafür mehr Hartz IV, eine höhere Rente oder einen Job in der Verwaltung bekommt.
Deshalb kommen zu einer elementar wichtigen Demo gegen die Systemkrise (und nicht gegen das System – das ist wichtig zu erkennen) ja nur 20 000 Menschen anstatt 40 Millionen, die es direkt angeht und die direkt als Arbeitnehmer unter sämtlichen Auswirkungen der Krise leiden.
Unter solchen Umständen sehen die Chancen für die Menschen schlecht aus, dass ist klar.
Aber für die Philosophie stehen die Chancen wieder sehr gut. Ist diese Kunst des Denkens aktuell fast in Vergessenheit geraten (sie „bringt“ auch nichts, wie Schopenhauer einst unumwunden zugab, sie „erspart einem nur vieles“), wird sie von der Käferzivilisation sehr hoch in Ehren gehalten werden: wer ständig selber denkt, wir unempfänglich für Fremdprogramme.
Und wie gefährlich die werden können, hat man am Untergang der Menschheit gesehen.