Mittwoch, 22.5.2013. Eifel. Eine kleine Eifelgemeinde macht gerade von sich reden – oder auch nicht, denn dafür, dass hier mal wieder die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland vergewaltigt wird, ist es ziemlich ruhig.
Natürlich kann man sagen: es ist eine Provinzposse. Der Gemeinderat hatte der Bürgermeisterin schon im Dezember 2012 einen „Maulkorb“ verpasst (siehe Aachener Nachrichten), die hatte wiederum einen Sparkommissar angefordert (ebenfalls: Aachener Nachrichten).
Hintergrund: die Gemeinde hatte sich den Sparbeschlüssen widersetzt. Es ist einfach nichts mehr zu holen in der Eifel, dachte man sich.
Doch diese Rechnung hatte man ohne den Wirt gemacht:
Der erste echte exekutive Sparkommissar im Einsatz. Erste Schritt: Erhöhung der Grundsteuer um 33%. Nebenwirkung: Eleminierung der kommunalen Selbstverwaltung, die in Deutschland Verfassungsrang hat (siehe Wikipedia).
Eine historische Zäsur, zu vergleichen mit der Einführung von Hartz IV – denn im Prinzip kriegen jetzt ganze Gemeinden ihren „Jobcenter-Sachbearbeiter“, der Sanktionen ausspricht. Steuern werden erhöht, Kinderspielplätze geschlossen, Straßenbeleuchtung ausgeschaltet.
In Griechenland wollten wir so etwas machen, da hat ganz Europa protestiert.
Gut – testen wir das eben erstmal in Deutschland.
Die Presse schweigt weitgehend dazu – und erst recht wird dieser einzigartige Vorgang kaum einsortiert. Das Ministerium informiert allerdings:
Um die Stadtfinanzen in Nideggen zu sanieren, hat das Ministerium für Inneres und Kommunales NRW einen Beauftragten eingesetzt: Ralph Ballast, Finanzfachmann bei der Bezirksregierung Köln, übernimmt ab sofort in sämtlichen Fragen des städtischen Etats die Rechte und Pflichten des Rates. Seine Aufgabe ist es, ein schlüssiges Konzept vorzulegen, wie der Haushalt saniert werden kann. „Da der Rat einen solchen Sanierungsplan bis heute nicht verabschiedet hat, müssen die notwendigen Sparbeschlüsse nun durch einen Beauftragten herbeigeführt werden“, erklärte Kommunalminister Ralf Jäger in Düsseldorf. „Die finanzielle Hilfe aus dem Stärkungspakt Stadtfinanzen ist kein Freibrief. Sie setzt auf Seiten der Kommunen einen konsequenten Sparkurs voraus.“
Natürlich hätten die auch freiwillig die Steuern erhöhen können – machen die das nicht, wird nachgeholfen: mit einem Kommissar, der die verfassungsmässig verankerte kommunale Selbstverwaltung einfach mal außer Kraft setzt.
Es war bei der Einführung von Hartz IV klar, dass nicht alle Kommunen die zusätzliche Belastung werden stemmen können. Es war auch klar, dass Hartz IV die Arbeitslosigkeit nicht senken noch Kosten reduzieren wird. 5 Milliarden Euro hat uns der Spaß gekostet, aus Bürgern Untermenschen zu machen.
Damit war der „Putsch“ reich gegen arm aber noch lange nicht zu Ende – das hätte man sich doch denken können. Hören wir mal die Bürgermeisterin:
Vor 700 Jahren sind der Stadt Nideggen die Stadtrechte verliehen worden. Über Jahrhunderte haben Menschen für das Wahlrecht und demokratische Strukturen gekämpft. Die Mehrheit des Rates der Stadt Nideggen hat entschieden, nun darauf zu verzichten.
Das … ist nicht ganz richtig. Die Mehrheit des Rates der Stadt war gegen Steuererhöhungen – nicht gegen Wahlrecht und demokratische Strukturen.
Kann man sich noch an Schäubles Jubelrufe erinnern über die üppig fließenden Steuereinnahmen?
Nun – offenbar fließt noch viel zu wenig ins System.
Das noch mehr fließt – dafür sorgt heute der Sparkommissar.
Wer Zeit hat und in der Nähe ist, kann ja mal hingehen: heute, 19:00 Uhr, findet die 1. Sitzung des Beauftragten für die Stadt Nideggen
anstelle des Rates im Bürgersaal der Begegnungsstätte Nideggen, Im Vogelsang, statt.
siehe Bekanntmachung.
Man hat die Gelegenheit, einem historischen Moment beizuwohnen – ganz bewußt. Die erste Eleminierung eines gewählten Gemeinderates durch einen Beauftragten des Ministeriums: Deutschland richtet sich aus auf eine neue „Top-down“-Strategie.
Ratsmitglieder nannten das „Diktatur“.
Schön auch der „Beschlußvorschlag“ – den ich einfach mal zitieren möchte:
Der Beauftragte für die Stadt Nideggen beschließt die in der Anlage beigefügte
Hebesatzung für die Grundsteuer A, die Grundsteuer B und die Gewerbesteuer
rückwirkend zum 01.01.2013.
Dazu nochmal die Bürgermeisterin:
Im Volksmund und in der Presse wird der Beauftragt auch als „Sparkommissar“ betitelt. Damit wird deutlich, dass auch der Beauftragte natürlich Einsparungen den Steuererhöhungen vorzieht.
Interessante Beweisführung. Sowas können sonst nur Berufspolitiker. Beschlossen werden aber trotzdem erstmal Steuererhöhungen.
Diesmal wird ausnahmsweise nicht das künstlich von SPD und GRÜNEN geschaffene Wirtschaftsprekariat zur Kasse gebeten, sondern Kleinunternehmer, Hausbesitzer und Mieter.
Vermieter werden noch verschont – sie können die Zusatzkosten an Mieter abgeben.
Für den Wirtschaftsstandort Nideggen wird dies natürlich genauso förderlich sein wie die Sparbeschlüsse in Griechenland, Portugal, Spanien und Italien – aber wir wären ja keine guten Politiker, wenn wir aus Fehlern einfach mal lernen würden.
Darf ich mal sagen: Ich hatte das gesagt? Im Zusammenhang mit den „Sparkommissaren“ in US-Gemeinden? Manche Dinge sind so einfach voraussehbar, dass man sich nicht groß was drauf einbilden sollte.
Deutschland am 22.5.2013: das Ende der kommunalen Selbstverwaltung. Wird wohl mal ein Feiertag werden – für Superreiche.
Erst hat man sich das Eigentum der Arbeitslosen geholt – jetzt geht es den Hausbesitzern an den Kragen. Hatte ich auch schon mal erwähnt: die können nicht weglaufen, sind genauso abhängig wie Arbeitslose und damit ideale Opfer. In einer kleinen Randnotiz hatte das Handelsblatt deshalb mal vor Investitionen in Immobilien in Deutschland gewarnt – aber die Warnung habe wohl nur ich gelesen.
Darf ich noch was sagen?
Entweder, wir schaffen es, eine überparteiliche Front gegen den tabulosen Sparwahn (siehe Baseler Zeitung) zu schaffen, oder wir landen in einer Struktur, die man nicht mehr demokratisch wird nennen können.
Sage ich mal, damit ich nachher wieder sagen kann: „habe ich es nicht gesagt?“.