Donnerstag, 2.Mai.2013. Eifel. Große Medien wie der Spiegel ignorieren auf breiter Front den gestrigen Tag: es war erster Mai, Tag der Arbeit, mit vielen Reden und Demonstrationen. Stattdessen wird präsentiert, was wir wissen SOLLEN: wer hat was beim Fußball gemacht. Habe ich schon mal gesagt, das ich Sportnachrichten in einer Nachrichtensendung für absolute Zeitverschwendung halte? Ich will da doch auch keine Modenachrichten. Wer sich für die Resultate von erfolgreich durchgeführten Leibesübungen interessiert, der kann doch eine eigene Sendung erhalten. Tag der Arbeit jedoch – und die vorhandene Gewalt vermummter Polizisten un d Demonstranten – das wäre berichtenswert gewesen. Gut – ich habe für heute ein paar kleine andere Gedanken mitgebracht: Gedanken über das „Böse“.
Wir kennen alle das „Böse“ – wir erleben es nur selten, weil wir es komplett aus dem Alltag verjagt haben. Man sieht: es geht mir nicht um kirchliche oder ethisch-moralische Definitionen des Bösen, sondern um das echte Böse, das Böse an sich. Das ist kein Faktor der Reflektion oder Definition, sondern eine unmittelbare Erfahrung, siehe Gerichtspsychiater Hans-Ludwig Kröber in der Zeit:
Für mich ist das Böse eine Wahrnehmungskategorie, eine Form des unmittelbaren Erlebens. So wie wir spontan etwas als schön oder eklig empfinden, so erleben wir auch ein bestimmtes Handeln – ob wir es wollen oder nicht – als böse. Im Angesicht des Bösen sind wir fassungslos, empört, die Welt ist aus den Fugen – weil jemand sie bewusst zerstört. Das gilt selbst dann, wenn man eine solche Tat später als Gutachter nachzuvollziehen versucht; häufig beschleicht einen da ein gewisses Kältegefühl, ein ungutes Kribbeln.
Die Erfahrung des Bösen ist eine Erlebniskategorie wie die Erfahrung „rot“, die Erfahrung „kalt“ oder die Erfahrung „sauer“. Sie bedarf keiner weiteren Reflexion, noch eines theoretischen oder religiösen Überbaus. Wir Menschen erkennen das Böse, wenn wir ihm begegnen. Ein Blick reicht.
Wir begegnen dem Bösen eigentlich kaum noch im Alltag – aber im Fernsehen schon. Im Krimi (hier eher intellektualisiert), im Horrorfilm (hier visualisiert) oder im Thriller (hier dynamisiert) – es erzeugt schon Gewöhnungseffekte, die schnell dazu führen, das wir dem echten bösen in echten Nachrichten gelassener gegenüberstehen. Es heißt nicht, das wir es nicht mehr erleben, erfahren, erspüren können wenn wir es persönlich erfahren, es heißt aber, das wir es nicht mehr differenzieren können, wenn es die gleichen Kanäle benutzt: Fernsehkanäle. So sind Horrorfilme (mit dem direktesten Zugang zum erlebbaren Bösen) „ab 18“, weil sie Gewalt real darstellen, die Kriegseinsätze unserer Bundeswehr und ihrer verbündeten Streitkräfte aber soweit „gewaltbereinigt“, das sie im Nachmittagsfernsehen kommen.
Diese Tat ist an sich schon wieder böse, doch das erschließt sich eher nach tieferer Reflexion.
Bleiben wir bei Hans-Ludwig Kröber, der aus seiner Erfahrung als Gerichtspsychiater auch einen Ausblick auf das „Gute“ wagt:
Wir reden vor allem dann vom Bösen, wenn wir das Gefühl haben, der Täter hätte die Freiheit gehabt, sich auch anders zu entscheiden, er spiele seine Möglichkeiten aus, er brauchte jetzt nicht noch einmal zuzustechen oder zuzutreten. Könnte er wie ein tollwütiger Fuchs nicht anders handeln, wären wir nachsichtiger. Aber das Böse ist umso augenfälliger, je eindeutiger es darauf abzielt, ganz bewusst das Schöne, das Heile, das Kindliche, die Zukunft zu zerstören.
Was aus dieser Sicht eine unheimliche Nachricht ist? Das 5200 Pentagonmitarbeiter Kinderpornos auf ihren Dienstrechnern schauen (siehe Heise), sich also lustvoll dazu entscheiden, zuzuschauen, wie andere das Schöne, das Kindliche, die Zukunft zerstören.
Die entscheiden sich dort aber auch noch für ganz andere Formen des Bösen – doch das ist Politik, dort ändern sich die Werte schnell. Wir wollen menschlich bleiben, denn auf der Ebene verstehen wir auch nicht, warum es Mord ist, wenn wir unseren Nachbarn erschießen, aber im „Kriegsfalle“ für exakt die gleiche Tat einen Orden bekommen.
Politisch bekommen wir „das Böse“ auch nicht in den Griff, weil die zu befolgenden Werte immer von der jeweiligen Regierung vorgegeben werden – so wird jede Tat schnell zum Heldentum – selbst Folter von Kindern, auch in Demokratien (siehe Guantanamo bei Wikinews).
Als normal gebliebener Mensch fragt man sich schnell, ob man Staaten noch Demokratien nennen kann, in denen das Foltern von Kindern möglich ist – oder in denen 5000 Jugendliche unschuldig in privaten Gefängnissen landen können(siehe Heise) – doch das Thema würde hier den Rahmen sprengen.
Wir wollen hier das Böse besprechen – das wirklich, richtig echte Böse, das wir Menschen zurecht fürchten wie der Teufel das Weihwasser.
Hans-Ludwig Kröber lässt uns hier weiter teilhaben an seinen Erfahrungen:
Für den, der Böses erlebt – also Demütigung, Qual und Zerstörung –, für den ist dieses Erleben unauslöschbar; und es ist auch nicht relativierbar. Keine Deutungskunst kann so ein Verbrechen am Menschen mindern, verkleinern, als zwangsläufig legitimieren.
Hier haben wir einen Ausblick darauf, was es heißt, dem Bösen zu begegnen: Demütigung, Qual, Zerstörung. Ein Beispiel wird auch: das jahrelange verhungern lassen eines kleinen Mädchens.
Muss ich noch weiter erläutern, wie wir das Böse im Jobcenter erleben?
Demütigung – die völlige Ignoranz jeglicher erbrachter Lebensleistung und Qualifikation zu Nutzen der Kostenreduktion von Versicherungsleistungen, für die man jahrzehntelang gearbeitet hat, die völlig Offenlegung aller privater Verhältnisse vor wildfremden, oft fragwürdig qualifizierten Mitarbeitern.
Qual – die ständige Angst vor dem jederzeit möglichen völligen Entzug lebenswichtiger Versorgung mit Wärme, Wasser, Obdach und Nahrung.
Zerstörung – die notfalls völlige psychische und physische Vernichtung des hilfesuchenden Menschen durch eine menschenfeindliche Behörde, die Zerstörung jahrelanger persönlicher Aufbauarbeit sowieso.
Wir merken: der Kampf gegen das Jobcenter ist der Kampf gegen das Böse selbst. Wir merken noch: unsere Politiker (und die gesellschaftlichen Größen aus Kirche, Wirtschaft und Gewerkschaft) haben es möglich gemacht, das wir dem Bösen in unserem Alltag wieder begegnen können: als Qual, Demütigung und Zerstörung.
Und ich denke: genau das macht Angst.
Die Gewalten, die wir dafür bezahlen, dass sie das Böse aus unserem Leben verbannen, haben es wieder hineingelassen, ihm mit staatlicher Gewalt eine Weg in unser Leben gebahnt. Nur Arbeit, Arbeit und noch mehr Arbeit schützen vor der Begegnung mit ihm … aber was lassen sich „die da oben“ eigentlich noch einfallen, um ihm weiterhin die Bahn zu ebnen? Diese Frage bleibt im Raum stehen und harrt einer Antwort.
Das Land ist Arbeitslager geworden – das merken auch die, die noch Arbeit haben. Noch … denn in Zukunft droht uns da noch viel mehr: 2020 haben wir nur noch 2 % der Menschen, die in den Fabriken weltweit echte Arbeit finden (siehe US-Ökonom Jeremy Riffkin 2005, hier zitiert bei emanzipieren), zudem verschwinden viele Verwaltungs- und IT-Jobs durch Computer.
Da hat das Böse viel Gelegenheit, sich auszubreiten …. wenn wir es nicht stoppen.
Was wir merken: Mord an sich führt noch nicht mal zwangsläufig zu der Erfahrung des Bösen. Täter, die aus Gründen geistiger Deformation nichts anders konnten, führen nicht zu dem Erlebnis des „Bösen“. Es sind die, die es freiwillig tun, die sich freiwillig für Demütigung, Qual und Zerstörung ihrer Mitmenschen entscheiden.
Um das niemals wieder erleben zu müssen, haben wir einen demokratischen Rechtsstaat aufgebaut.
Und was haben wir jetzt?
Bald wohl „Das Reich des Bösen“, vor dem uns unsere Eltern und Ronald Reagan immer gewarnt haben. Vielleicht erzählt man uns deshalb lieber was vom Fußball als von Polizeigewalt.