Politik

Der Fall Inge Hannemann – und der Moloch Arbeitsamt.

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Freitag, 19.4.2013, Eifel. Montag morgen geht Inge Hannemann zur Arbeit. Sie arbeitet in einem Jobcenter. Ich weiß – manche hassen sie schon jetzt dafür. Ich schreibe lange genug, um zu wissen, das viele in ihrem Hass schon vergessen haben, das man differenzieren kann, das auch Jobcentermitarbeiter Menschen sind. Ich möchte dazu ein paar Worte verlieren. Wie man weiß, war ich lange Zeit in ärztlichen Kreisen unterwegs. Dort herrscht Schweigepflicht. Manchmal aber … fallen ein paar verzweifelte Töne heraus. Verzweifelt deshalb, weil der Arzt nicht weiß, wie er dem Patienten helfen kann und zusehen muss, wie dieser vor die Hunde geht.

Da gibt es zum Beispiel Menschen in „Beschäftigungsgesellschaften“. Die sitzen den ganzen Tag in einem leeren, schmucklosen Raum mit Tisch, Stuhl und Telefon. Das Telefon ist nicht angeschlossen.  Ärzte nennen das „Psychoterror“ – und die Patienten sind nach zwei Jahren völlig mit den Nerven am Ende, bereit zur Kündigung.

Das ist ja auch der Sinn der Sache: Beamtenentsorgung.

Eines Tages kommt dann der Anruf: wir bauen eine neue Behörde.

Die ARGE.

Schon ist man die Folter los – und niemals niemals wieder will man in dieses dunkle Loch zurück.

Manche kommen von der Bahn, viele von der Post, manche vom Bafög-Amt, manche frisch vom Friedhof – alle sind froh, wieder irgendwo untergekommen zu sein.

Ach ja – „untergekommen“: das sie es selber dann sind, die den Regen verbreiten sollen, vor dem die anderen dann Zuflucht suchen müssen – das war in der Stellenbeschreibung nicht vorgesehen. Schöne Worte standen da drin: von Betreuung, sozialer Arbeit, nur hundert Menschen, die man begleiten muss – am Ende waren es tausend.

Ich weiß, das erinnert einige an die Lager im Dritten Reich, wo sich manche Häftlinge Erleichterung erkauften, in dem sie für die Lagerleitung arbeiteten – auch als Wache.

So sind Menschen aber.  Nicht alle können starke Superhelden sein. Manche – sind einfach nur schwach und ängstlich wie wir alle.

Wenn Inge Hannemann am Montag ihren Job weitermacht, so muss sie um Leib und Leben fürchten. Das entnehme einem Artikel aus der TAZ:

Sie glaubt allerdings nicht, dass sie danach noch einmal an ihren Arbeitsplatz zurückkehren kann.

„Die werden alles dagegen tun. Mein Büro wurde schon durchsucht, um etwas gegen mich in der Hand zu haben“, sagt sie. Arbeitskollegen hätten sie und ihre Familie bedroht, ein Vorgesetzter habe gesagt, sie solle zu ihrem eigenen Schutz besser kein Jobcenter mehr betreten.

Das sagt sie so einfach dahin: „… zu ihrem eigenen Schutz besser kein Jobcenter mehr betreten“.

Warum?

Nun – sie hat ihre Meinung gesagt: auf ihrem Blog. Ihre Meinung zu Hartz IV. Meinungsfreiheit ist ein sehr hohes Gut in einer Demokratie. Sie gilt sogar für Beamte – sogar besonders für die, denn immerhin sind sie verbeamtet, weil sie den Staat vor Hitler schützen sollen: nur deshalb sind sie unkündbar, um ein Bollwerk gegen staatsfeindliche Strömungen bilden zu können – nicht nur, um dauernd krank feiern zu können oder Sonderurlaub zu bekommen.

Frau Hannemann ist nicht verbeamtet – was besonders mutig wirkt. Sie ist nur angestellt. Die Leute leben in einem besonderen Spannungsfeld, wie sie selber schreibt:

Das Internet quillt über von Meldungen über verhungerte, selbstmörderische und schwerst gekränkte „Hartzer“. Nicht geringer sind anonyme Aussagen und Berichte über Jobcenter-Mitarbeiter, welche dem Druck, die gewollte Unmenschlichkeit gegenüber den Leistungsberechtigten auszuüben  – und der Erfüllung von Quotenkollonen – nicht mehr gewachsen sind. Anonym, aus Angst vor Repressalien und Kündigung durch die Zentralen der Jobcenter oder “Ihrer” Behörde. Sind doch gerade einzelne Projekte mehrheitlich mit befristeten Arbeitsgehilfen besetzt. Ein Umstand, der jedem Befristeten eine eigene Unsicherheit beschert. Und diese trägt er oder sie eben nach außen. Wie soll ein selbst Befristeter innere Sicherheit vermitteln? Und wie soll ein Befristeter mit der ständigen Unsicherheit umgehen, der nächste Tag könne der letzte sein? So agieren die meisten stets linientreu, kopf- und statistikgesteuert – immer mit der Hoffnung, noch am letzten Tag ihrer Befristung eine begnadete Verlängerung zu erhalten.

Ja, es geht um die Erfüllung der Quoten. „Führung mit Zielen“ heißt der Bockmist, mit dem man in ganz Deutschland sämtliche Arbeitsplätze zu Hamsterrädern umgebaut hat: als könnte man jedes Quartal zehn Prozent mehr Leistung bringen als zuvor. Auch jedes Jahr klappt das nicht – es sei denn, man arbeitet aktuell nur mit einem Viertel der Leistung … was weise wäre angesichts der Quotenfolter. Dann schafft man die Steigerungen länger – und deshalb arbeiten viele so.  Schaden für die deutsche Wirtschaft: 100 000 000 000 Euro im Jahr – doch dazu schreibe ich später mal was.

3 000 000 Arbeitslose kann man aber mit noch so viel Druck und noch so engagierten Quoten nicht auf 600 000 Arbeitsplätze verteilen – aber man kann sie kaputt machen. Oder sie dazu bringen, Jobcentermitarbeiter mit Waffengewalt anzugreifen. Verzweiflung führt mitunter mitten in den Wahnsinn – das lernt man schon an der Grundschule im Konfliktvermeidungstraining. Jedenfalls in der Eifel.

Jetzt kann Inge Hannemann Angst haben. Todesangst sogar – wie anders ist der Satz zu verstehen, sie „solle zu ihrem eigenen Schutz kein Jobcenter mehr betreten“?

Was ist das eigentlich für eine kranke Behörde geworden? Für den Freitag habe ich kürzlich darüber geschrieben, das man dieses Amt am besten abschaffen sollte, um die Demokratie zu erhalten.

Das scheint mir zu spät zu sein. Dieser Oberst, der jährlich 245 000 Euro kostet (soviel wie VIERHUNDERT Arbeitslose, ein ganzes Dorf – und es gibt dort viele seiner Art), baut den Laden immer mehr zu einem Staat im Staate um. Die größte Datensammlung über Bürger in Deutschland (42 Millionen Datensätze), ein eigener Ermittlungsdienst, jetzt auch gezielter Aufbau einer eigenen medizinischen Kontrollmacht über den MDK: der Mann baut sich einen Staat im Staate.

Die Waffen-SS agierte mal ähnlich. Mal schauen, wenn der Oberst eigene Drohnen zur Arbeitslosenüberwachung anschafft – eigene Sicherheitsdienste hat er ja schon angeheuert.

Und der Umgang mit Inge Hannemann, die Montag wieder ins Büro muss, wird zeigen, in wie fern dieser Staat im Staate überhaupt noch demokratische Grundsätze anerkennt. Ach was – so lange brauchen wir doch gar  nicht warten.

Sehe ich mir die Drohungen an, die gegen diese mutige Frau ausgestoßen werden, habe ich gar keine Fragen mehr.

Nochmal zurück zur TAZ, denn dort erfahren wir auch etwas darüber, welche Wahrheiten Frau Hannemann nie hätte ausplaudern dürfen:

Hannemann und ihre Altonaer Kollegen vermitteln inzwischen vier von fünf der Betroffenen an Zeitarbeitsfirmen. Weil deren Löhne nicht reichten, blieben die Menschen ewig „Aufstocker und abhängig“, sagt Hannemann: abhängig von der Tageslaune der Kollegen in den Jobcentern, gezwungen zu teilweise sinnlosen Maßnahmen. Dahinter steckten Vorgaben, die die Fallmanager und Arbeitsvermittler von ihren Teamleitern bekämen.

Das ist eine gigantische Subvention für die deutsche Industrie, die Jahr für Jahr sowieso schon 165 000 000 000 (Milliarden) Euro Steuergelder verschlingt, weil sie zu dämlich ist, erfolgreich zu wirtschaften. Dafür haben wir Geld. Ebenso für die Verwaltung der 76 Euro, die wir PRO MONAT für die Ernährung der Kinder von Arbeitslosen ausgeben. Dazu brauchen wir ein Riesenamt, das jedes Jahr 37 Milliarden Euro kostet.

Mal rechnen: 37 000 000 000 Euro verteilt auf aktuell 3 000 000 Arbeitslose macht – 12 000 Euro für jeden Arbeitslosen im Jahr. 1000 Euro im Monat.

Ich weiß, das ist die Rechnung eines Milchmädchens. Wir haben ja 7000000 Hartz IV-Empfänger. Aber schauen Sie sich mal den Haushaltsplan (s.o.) dieser Behörde weiter an, die kriegen nämlich noch viel mehr Geld:

33 000 000 000 Euro Kindergeld.

25 000 000 000 Euro Grundsicherung aus Haushaltsmitteln des Bundes.

11 000 000 000 Euro Kosten für Unterkunft von den Kommunen … um nur ein paar Beiträge zu nennen.

10 000 000 000 Euro (also Peantus) kommen von vom Bund für andere Posten.

Da komme ich auf 16 000 Euro im Jahr für jeden Hartz IV-Empfänger. 72000 Euro pro Jahr für eine vierköpfige Familie. 6000 Euro im Monat.

Soviel … geben wir jedenfalls für die aus, wenn wir eine Riesenbehörde mit herumschleppen, deren Obristen sich mit  Steuergeldern zum Millionär aufpumpen.

Da sage mir nochmal einer, wir hätten nicht genug Geld für ein Grundeinkommen von 1000 Euro: das wäre ja billig im Vergleich zu dem, was wir jetzt haben.

Dabei hat uns die Streichung der damaligen „Arbeitslosenhilfe“ keinen Gewinn gebracht, sondern 5 000 000 000 Euro zusätzlich gekostet – weshalb wir jetzt Staatsschulden von 2 Billionen Euro haben.

Nur ein paar Zahlen, um zu verdeutlichen, was für ein „Riesengeschäft“ die Verwaltung von Armut in Deutschland ist – einer Armut, die wir morgen gleich beenden könnten, wenn wir es nur wollen würden. Geld ist wahrlich genug da. Dabei habe ich die Subventionen an die Industrie noch gar nicht berechnet, das sind nochmal 2000 Euro pro Jahr für jeden der 80 Millionen Bürger.

Merkt man nun, warum Inge Hannemann in Lebensgefahr ist?

Sie bringt ein Riesengeschäft in Gefahr: der Selbstbedienungsladen Deutschland könnte in seinen Grundfesten erschüttert werden.

Das stört viele – nicht nur beim Arbeitsamt.

Ich finde, sie hat das Bundesverdientstkreuz verdient. Das Große, mit Stern und Schulterband. Soviel Mut muss in einer Demokratie belohnt werden. Immerhin tut sie das für uns alle, die wir gut und in Wohlstand und Sicherheit leben könnten, würden wir den Moloch Arbeitsamt abschaffen und die Arbeitslosen mit ausreichenden finanziellen Mitteln ausstatten. Arbeit … kriegt man vom Amt doch sowieso nicht mehr.

Wie dunkel unser Land schon erscheinen kann, habe ich gemerkt, als ich auf Nachfrage für unser Freunde aus dem deutschsprachigem Ausland etwas geschrieben habe:

http://www.neopresse.com/politik/dach/die-wahrheit-uber-deutschland/

Beim Schreiben habe ich gemerkt, wie wichtig eigentlich der Fall Inge Hannemann ist – politisch gesehen. Will man das System Hartz IV zu Fall bringen, dann braucht man die Hilfe aller Bürger – auch die der Jobcentermitarbeiter, die heute schon dafür sorgen, das manch´ dunkler Wille nicht in die Tat umgesetzt wird.

Und dieses System muss zu Fall gebracht werden … sonst bringt es unsere Demokratie zu Fall und wir müssen alle damit rechnen, wieder mit Todesangst zur Arbeit zu gehen. Dafür muss man vor allem auch die schützen, die in dem System leben und zur Aufklärung über die Effektivität und Zielrichtung des Molochs viel beitragen … bevor auch die verstummen und der leise Umbau der Bundesrepublik zu einer ganz anderen Kultur des miteinanders weiter voranschreitet.

Was nun aber die Ärzte angeht … die merken, das Jobcentermitarbeiter einen hohen Krankenstand haben: jedenfalls die, die es sich leisten können. Und was die ihrem Arzt erzählen … ist sehr gruselig. Leider obliegt das der Schweigepflicht … führt aber dazu, das Ärzte erstaunlich viel Verständnis für Arbeitslose aufbringen und sie der Verfolgung der Behörde entziehen … was leicht ist, denn Arbeitslosigkeit macht immer krank, auch körperlich.

Das ist auch der wahre Hintergrund der neuen „Jagd auf kranke Arbeitslose“.

Verstummen übringens sollte Frau Hannemann schon früher, darüber hat scharf-links berichtet:

Aufgrund dessen hat sie nun eine Vorladung zur Anhörung erhalten. Insbesondere der letzte Satz veranlasst zu hinterfragen: „Über die Inhalte des Blogs und darüber, ob und wieweit Sie an diesen Inhalten in Zukunft festhalten oder davon abrücken möchte würden wir gern ein persönliches Gespräch mit Ihnen führen.“

Mal sehen, ob wir nach dem 21.4.2013 noch etwas von ihr hören werden.



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