Freitag, 30.11.2012. Eifel. Es gibt Themen, die man mag und Themen, die man nicht so mag. Letzteren muss ich mich heute mal widmen, weil ich aus in der Regel gut unterrichteten Kreisen erfahren habe, das der Nazi hier mitliest. Nun – dieses Land ist ein freies Land … wenn man der Reklame trauen darf. Hier darf jeder seine Meinung kundtun (sofern sie dem herrschenden Wirtschaftssystem und seinen Repräsentanten nicht schadet) und jeder darf lesen, wo er möchte. Ich kann das nicht verhindern. Ich möchte euch Neunazis aber mal eine Geschichte erzählen, die Geschichte meiner Mutter, blond, blauäugig und Jahrgang 1934 – also zu Führers Zeiten sehr unpolitisch. Sie war beim Bund Deutscher Mädels, weil der Nazistaat (wie alle politisch degenerierten Systeme) gerne alles unter Kontrolle hat – vor allem die Jugend, weil sie die Zukunft ist. Meine Mutter war in Liebe großgezogen worden, wurde zur Selbstverwirklichung in sozialer Verantwortung erzogen und war ein sehr selbstbewusstes Kind. Eines Tages fand sie sich in ihrem BDM-Lager wieder und musste einen undefinierbaren Brei essen, den sie flugs erbrach. Da wir aber bei den Nazis zu Gast waren, zählte das nicht. Vierhundert weitere Mädchen mussten warten, bis meine Mutter ihr Erbrochenes wieder aufgegessen hatte: so geht der Nazi mit den Deutschen um. Ihr mögt das jetzt alle langweilig finden und ich hätte das auch nicht erwähnt, wenn nicht ein gewisser H.M. Broder dieses Erbrochene wieder auf den Tisch gebracht hätte.
Es geht dabei um Folgendes: in einer Kunstausstellung hatte der Herr Broder ein Objekt gefunden, das seinen Anstoß erregte: jemand hatte einen Judenstern gemalt und mittendrin die Worte „Hartz IV“. Das hat den Herrn Broder ausserordentlich gestört, so sehr, dass er in der Welt erstmal einen Artikel dazu veröffentlichen musste.
Wenn Sozialhilfeempfänger von heute mit den Juden im Dritten Reich gleichgesetzt werden: über Geschmacklosigkeiten bei der Artikulation von Protest gegen Hartz IV, Nachtflüge, Israel & Co.
Nun – ich selbst greife gerne in die alte Dritte-Reich-Kiste, weil dort einfach viele schöne Anzüge drin liegen, die modernen Politikern sehr gut passen (und alle den gleichen Schneider hatten: Hugo Boss) – natürlich fühle ich mich dabei gleich angesprochen und schaue nach, worin denn jetzt die Geschmacklosigkeiten begründet sind: vielleicht mache ich ja gerade einen Riesenfehler.
Leider wird das Urteil nicht näher erläutert und ich muss mir selbst meine Gedanken machen.
Recht schnell stelle ich fest, das die „Geschmacklosigkeit“ nur dann funktioniert, wenn ich mit sehr naiven Gleichungen und sehr primitiven Anschauungen arbeite, mit einer Legende, die zum Ausdruck bringt, das der Nazi nur den Juden umbringt und sonst niemanden – einer Legende, die im Weiteren auch aus allen Deutschen Nazis gemacht hat … weshalb der Deutsche auch immer heimlich versucht ist, seinen Frieden mit dem braunen Gesindel zu machen. Je weiter man diese Überlegungen treibt, umso antisemitischer wird die Atmosphäre, wenn man Juden und Arbeitslose NICHT gleichsetzt und völlig ignoriert, das Juden und Arbeitslose schon in der Aktion „Arbeitsscheu Reich“ zu den bevorzugten Hassobjekten der Nazis gehörten.
Völliger Einzug jeglichen Vermögens, Einschränkung der Reisefreiheit, der Berufswahl, Entzug der Lebensgrundlage und des Wohnraums generell – es ist schon sehr mutig, die Parallelen nicht sehen zu wollen. Lagerhaltung und Uniformierung waren auch schon angedacht – was sich aber noch nicht durchgesetzt hat.
Was im Prinzip immer unterschlagen wird, sind die ersten Opfer des Nationalsozialismus: die Deutschen. Wir haben uns an diese sehr bequeme Geschichte gewöhnt, das Hitler ein Deutscher war und das wir Deutschen ein böses Volk sind: Hollywood hat uns Jahrzehntelang darüber aufgeklärt. Das hier ein Volk mit den Methoden zu Untermenschen erklärt wird, die schon bei den Juden gräßliche Folgen nach sich zog, wird selten thematisiert. Man verbietet die alten Nazifilme, die den bösen Juden zeigten, aber neue Nazifilme, die den bösen Deutschen zeigen, erregen kaum Aufmerksamkeit. Nazifilme? Ja – alles, was den Mitmenschen zum Untermenschen macht, sind Nazifilme – nach meiner Definition. Nach meiner Definition braucht ein Nazi ja auch nicht unbedingt eine Uniform mit Hakenkreuz oder einen Juden unter dem Stiefel: wichtig ist ihm, das überhaupt jemand unter seinem Stiefel liegt – da macht er auch vor blonden, blauäugigen Kinder nicht halt.
Wir Deutschen haben ein Recht darauf, besonders vorsichtig zu sein. Wir haben auch ein Recht darauf, unsere Mitbürger jüdischen Glaubens nicht von uns abspalten zu lassen: das Gegensatzpaar Deutscher/Jude kommt sprachlich aus den finstersten geistigen Verwirrungen der neuen Wohnzimmernazis, die bequem vom Sofa aus der unbegrenzten Machtausübung in Deutschland nachträumen. Und wir haben ein Recht darauf, zu erkennen, das auch Deutsche Opfer des nationalsozialistischen Ungeistes waren – und deshalb besonders vorsichtig sein dürfen, damit es uns nicht wieder überrennt.
Lassen wir in dieser Vorsicht nach, riskieren wir – gerade in Deutschland – das sich der Horror wiederholt. Das kann hier doch wirklich keiner wollen.
Die Schmach und die Schande, mit der wir leben müssen, ist die Tatsache, das die Hitlerei hier Fuß fassen und sich ausbreiten konnte: wir haben hier eine nationale Immunschwäche, die tödlich enden könnte. Wenn deshalb in Deutschland Gestalten wie Müntefering davon träumen, den Arbeitslosen das Essen zu streichen, dann dürfen wir besonders sensibel reagieren, weil wir eben KEINEN HITLER MEHR WOLLEN.
Wir hatten schon einen: das reicht … und wir wissen, das der Schoss noch fruchtbar ist, aus dem das kroch. So fruchtbar, das selbst die, die es besser wissen sollten, dem Ungeist der Hitlerei noch heute erliegen – dazu reicht vielleicht schon ein Blick in die Bremer Bürgerschaft:
Schon die Umstände, die wir hier des Öfteren in
der Debatte bemängelt haben, unter denen Hartz IV
zustande gekommen ist, waren abenteuerlich. Die
Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sollte zu Einsparungen führen, damit die – und man
höre und staune! – von Rot-Grün beschlossenen Steuersenkungen für Reiche gegenfinanziert würden.
Man höre und staune! Gut – es waren Linke, die das gesagt haben … aber es erinnert mich fatal an den Alltag im Dritten Reich, wo man das alltägliche Aussortieren der Deutschen jüdischen Glaubens mit klammheimlichen Lustgewinn betrachtete, weil man jüdisches Vermögen großzügig erbeuten konnte. Bei solch einer Rendite wird auch der edelste Linke schon mal zum Raubtier – wie heute, wo die Solaranlagen der Besserverdiener durch den Hunger der Hartz-IV-Kinder bezahlt werden.
Wenn wir Faschismus und Nationalsozialismus ganz klein definieren und nur jene gelten lassen, die mit Hakenkreuzfahne um die Straßenblocks ziehen … ja, dann haben wir doch gar keine mehr. Selbst wenn wir uns nur auf die antisemitischen Tendenzen der Nazis konzentrieren, erfassen wir nur erstaunlich wenige: der nationalsozialistische Untergrund hat Türken und Griechen ermordet – keine Juden.
Nazis handeln heute genauso wie früher: sie quälen gerne andere Menschen. Kleine blonde arische Mädchen? Prima, immer gern! Mitbürger jüdischen Glaubens, die durch ihre Religion zur Friedfertigkeit verdammt sind? Klasse! Minderheiten mit ausländischem Ursprung? Immer her damit! Zigeuner, Arbeitslose, Prostituierte, Geisteskranke, Behinderte? Alles, Hauptsache hilf- und wehrlos! Gerne würde man auch Russen, Amis und Briten quälen … aber die sind leider so verdammt wehrhaft.
Nun – vielleicht gelingt es ja dem sadistischem Ungeist sich in Zukunft in anderer Form wieder auf Erden zu manifestieren. Sofern er keine Hakenkreuzarmbinde hat, kann er sich breiter Beliebtheit erfreuen, käme er gar in US-Uniform daher: wir würden ihn lieben! Und er marschiert schon längst wieder: die Opfer der Aktion Arbeitsscheu Reich werden auch heute wieder mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht, siehe Welt:
Das Innenministerium in Sachsen-Anhalt will Risikogruppen wie Homosexuelle, Obdachlose und Ausländer zukünftig Aids-Zwangtests unterziehen. Zahlreiche Verbände laufen bereits Sturm gegen das Vorhaben.
Da trägt keiner eine Hakenkreuzarmbinde … aber schon wird wieder aussortiert. Und es wird auch wieder klar gemacht, das in Zukunft andere Saiten aufgezogen werden, siehe Welt:
Unionsfraktionschef Volker Kauder warnt die Deutschen: Sie müssten sich „gewaltig anstrengen“, wenn sie ihren Lebensstandard halten wollen. Der Sozialstaat in seiner jetzigen Form habe keine Zukunft.
Und wenn der Sozialstaat in Deutschland keine Zukunft hat, dann hat der Arbeitslose hier auch keinen Platz mehr. Und wenn wir weiter den betriebswirtschaftlichen Ungeist in sozialen Fragen regieren lassen, dann wird es auch wieder Vernichtungslager geben – das ist keine Frage der Ideologie, das ist eine Frage der betriebswirtschaftlichen Logik, die die „Kosten auf zwei Beinen“ durch „sozialverträgliches Frühableben“ in den Griff bekommen muss – ganz alternativlos.
Was ist der heutige „Neoliberalismus“ mit seinem einfachen Weltbild vom „Leistungsträger“ im einsamen Kampf gegen den „Parasiten und Sozialschmarotzer“ anderes als eine Wiederkunft des alten Unmenschengedanken vom „unwerten Leben“, der in Deutschland schon mal eine grässliche Ernte gehalten hat?
Und wir stehen dem hilflos gegenüber, weil wir dem einfachen Satz folgen: „Der Deutsche ist ein Nazi und bringt Juden um“. Und wenn wieder Menschen in Deutschland aussortiert werden, kann das kein Wiederaufleben des alten Ungeistes sein, weil der Deutsche ja nur Juden umbringt – und sonst keinen.
Gut, ich verstehe: Hitler, NS-Zeit, Konzentrationslager – das sind alles Themen, die man nicht mehr hören kann, Themen, die fürchterlich langweilen, Themen, die auch jedem nach 1945 geborenen Menschen mit bundesdeutscher Staatsbürgerschaft klar machen: Du bist ein Schwein und musst zahlen – weshalb man es erst recht nicht mehr hören mag. Wo die alte Politik „Erbfeindschaften“ kannte, hat die neue Politik eine für viele lukrative „Erbschuld“ erfunden.
Das dies – ganz unabhängig von der realen Schuld der Deutschen während des Dritten Reiches – Ungerecht ist, was die Saat für neues Unrecht in sich trägt, wissen wir eigentlich: so ist Hitler in Deutschland groß geworden – auf der Basis einer internationalen Ungerechtigkeit. Wenn wir aber weiterhin bezahlen, obwohl wir nur deshalb nicht als pleite gelten, weil die Bundesregierung in schöner Regelmäßigkeit ihre eigenen Armutsberichte fälscht (siehe Spiegel), werden wir irgendwann in eine Situation kommen, wo der Staat, wie wir ihn heute kennen, keine Zukunft mehr hat.
Doch zurück zum Anfang – zu meiner mit acht Jahren ziemlich unpolitischen Mutter und meinen Nazilesern. Ich erzähle diese Geschichte, damit eins klar ist: auch wenn es nie einen Holocaust gegeben hat, ist der Nazi ein Arsch. Das sollte man wissen. Auch wenn die Bombardierung Dresdens eine Sauerei war, bleibt der Nazi ein Arsch. Auch wenn manche kriminelle Bankiers Juden sind, bleibt der Nazi ein Arsch. Und selbst wenn es eine internationale Verschwörung zur Ausplünderung Deutschlands gibt (ähnlich derjenigen, die Griechenland jetzt den letzten Euro klaut), bleibt der Nazi ein Arsch – um es mal unzweideutig deutlich zu sagen.
Und wenn man vergisst, das der Nazi nicht nur Juden, sondern auch Kommunisten, Sozialdemokraten, Zigeuner, Behinderte, Prostituierte, Arbeitslose, Obdachlose und unliebsame Nachbarn umgebracht hat (und jeden schikaniert, der nicht schnell und anständig genug das arische Männchen gemacht hat), wird man es nicht schaffen, seine Wiederkunft zu verhindern. Es arbeiten viele daran – und Hartz IV ist ein System, das es ihm im Prinzip erlaubt, seine perversen Gelüste wieder ganz ungehemmt auszuleben.
Einige Deutsche haben schon wieder Erfahrungen mit dem alten Ungeist gemacht, Sprüche wie „wer nicht arbeitet soll auch nicht essen“ machen wieder ungehindert ihre Runde – und still und heimlich wurden schon wieder 42 Millionen Deutsche registriert und ausgespäht … ohne das wir dazu eine Gestapo gebraucht hätten. Man sagt es uns nur nicht so deutlich.
Es arbeiten viele daran?
Ja – im neuen Faschismus gelten die gleichen alten Gesetze wir früher: je mehr Arbeitslose enteignet werden, umso mehr Zweit- und Drittimmobilien kann sich der grüne Abgeordnete erlauben. Deshalb geht die neue Runde auch nicht mit Juden – davon gibt es viel zu wenige. Außerdem sind die jetzt auch sehr wehrhaft – siehe Israel (was, glaube ich – den echten Antisemiten genauso stört wie den Pauschalnazi).
Wenn wir den neuen Faschismus aufhalten wollen, müssen wir uns von einigen alten, lieb gewordenen Zöpfen trennen – so auch von dem kleinen, niedlichen Nazimythos, den uns Hollywood so oft erzählt. Wir müssen uns auch von den alten Bildern trennen, die uns vorgaukeln, das nur da ein Nazi drinsteckt, wo auch ein Hakenkreuz dransteckt.
Die schlimmsten Wölfe – so ein Spruch aus dem Film „Die Zeit der Wölfe“ – sind von innen behaart … die echten Nazis tragen ihr Hakenkreuz im Herzen, nicht im Hirn.
Und das sind die Wölfe, vor denen sich die 42 Millionen registrierten „sozial schwachen“ Menschen in Acht nehmen sollte – und die 20 Millionen Rentner, die nach staatlicher Lesart inzwischen auch nur Sozialhilfeempfänger sind.