Samstag, 28.7.2012. Eifel. Merken Sie, wie die Welt aufatmet? Die politische Welt, meine ich. Der Grund ist einfach: 16 Tage lang bekommen wir jetzt Nachrichten zum Thema „Leibesübungen“ in breiter Front serviert: laufen, hüpfen, werfen werden auf einmal Tätigkeiten, die unsere Aufmerksamkeit fesseln sollen als ob es um unser Überleben ging, während die Nachrichten, in denen es wirklich um unser überleben geht, leise in den Hintergrund treten. Dabei brauchten sie eigentlich gar nicht so rücksichtsvoll sein, diese brutalen Nachrichten vom Ende der zivilisierten Welt wie wir sie kennen: in der Flut der Trivialitäten haben sowieso nur noch engagierte Nachrichtenscouts eine Chance, die zeitaufwendige Suche nach entscheidenden Informationen in der Medienjauche aufzubringen, Informationen, die belegen, das sich der Abbau der nationalen Realwirtschaften zugunsten der internationalen Finanzwirtschaften noch etwas beschleunigt – mit gräßlichen Folgen für alle, die ihr Geld nicht ausreichend für sich arbeiten lassen können. Gerade in den letzten Tagen gab es ein richtiges Feuerwerk in dieser Hinsicht, das gruselige Zusammenhänge vermittelt.
Zuerst wäre da mal Moodys zu nennen, eine jener ominösen Ratingagenturen, die die Sterndeuter und Vogelflugleser des Mittelalters ersetzt haben. Auch jene Zunft hatte damals ihren Herrscher mit glücksverheißenden Prophezeiungen über Ernte, Wetter und Kriegsgeschehen überhäuft, um weiter einen sicheren Platz an den Fleischtöpfen zu haben. Während man hier in Europa verzweifelt versucht, die Notbremse zu ziehen, schlagen die Ratingzauberer (denen man ihr gigantisches Komplettversagen in der Suprime-Krise überrachend schnell verziehen hat) immer schneller, immer härter und immer detallierter auf Europa ein – und jetzt auch auf Deutschland. Unser heißgeliebter Rettungsschirm wird finanzieller Sondermüll, unsere stärksten Bundesländer Bayern, Baden-Würtemberg und Nordrhein-Westfalen ebenso (siehe Handelsblatt), es sieht so aus, als ob uns Bremen und Mecklenburg-Vorpommern allein wieder ´raushauen müssten.
Doch damit nicht genug: neben der deutschen Bahn sind auch unsere Banken Schrott (ebenfalls: Handelsblatt). Ich sage das jetzt mal so deutlich, weil es eigentlich schon jeder weiß: wenn die Abwärtsspirale einmal beginnt, gibt es kein Halten mehr. Andere Länder haben das schon erlebt. Sinkt das Rating, steigen die Zinsen, das Geld wird knapper, was zu einem Sinken des Ratings führt, das wiederum die Zinsen steigen läßt und das Geld noch knapper macht … und so weiter und so weiter.
Am Ende ist man dann bankrott – aber manche Banken (gerade jene, die „das Werk Gottes“ verrichten und ihre Goldmänner in vielen europäischen Regierungspositionen sitzen haben) sind ultrasuperreich geworden. Sicher gibt es auch ein paar Vorstandsposten für Politiker, die sich durch besonders marktkonforme Politik ausgezeichnet haben – wir haben uns an derartig seltsame Karrieren ja schon hinreichend gewöhnt.
„Eine Katastrophe von unabsehbaren Ausmaßen“ soll uns drohen, so werden „Wirtschaftsexperten“ in der Welt zitiert, allerdings meinen sie eine andere Katastrophe als die, denen die deutsche Gesellschaft momentan im Alltag begegnet: die schleichende Enteignung der bundesdeutschen Normalsparer (siehe Spiegel) – also gerade jener Menschen, die eigentlich wirtschaftlich vorbildlich leben und Gewinn erwirtschaften, den sie sich mühevoll vom Munde absparen.
Weitere Katastrophen stellen sich erwartungsgemäß schnell ein: Griechenland, jenes Land, das seine Kinder bei internationalen Organisationen vor die Tür legt, damit sie nicht dauernd in der Schule vor Erschöpfung vom Stuhl fallen, braucht noch mal eben dreißig Milliarden Euro zusätzlich (siehe Welt), Spanien legt ebenfalls nochmal nach: zu den jetzt schon beanspruchten hundert Milliarden werden nochmal dreihundert Milliarden Euro fällig, siehe Spiegel.
Man fängt an zu glauben, das die miesen Ratings der letzten Tage wirklich verdient sind – die Agenturen wissen halt nur mehr als wir verarmenden Normalsparer.
Die Summen, die die Bankenbereicherungsmaschine „Eurorettung“ inzwischen benennt, übersteigen das normalmenschliche Vorstellungsvermögen bei weitem – übertragen auf Olympia würden wir erwarten, das die Athleten in Schallgeschwindigkeit von Londen nach Paris hüpfen und ihre Kugeln bis New York stoßen. Was im Sport unmöglich ist, wird von der Wirtschaft inzwischen als selbstverständlich hingenommen: virtuelle Gewinne sollen weiterhin beständig neue Rekorde erzielen – ohne Rücksicht auf das, was „Wirtschaft“ eigentlich sollte: die Versorgung der Gesellschaft sichern.
Wir nehmen inzwischen alle irrationale Tatsachen als völlig gelassen hin – wie zum Beispiel die, das gerade in jenen Ländern immer mehr Hunger, Armut und himmelschreiende Ungerechtigkeit herrscht, in die wir unsere Milliarden pumpen. Wir nehmen das hin, weil uns „Experten“ versichern, das wir noch viel mehr verlieren würden, wenn wir uns weigern würden, das System weiterhin mit unserem Geld zu füttern. 700 Milliarden Euro würde uns allein die Griechenlandpleite kosten – drohen die oben in der Welt zitierten „Experten“. Wenn dann auch Spanien fällt, dürften die Löcher in deutschen Kassen umso größer werden.
Also wird mehr und mehr und mehr Geld gedruckt, die Zentralbanken geben es immer billiger heraus … und der Verlierer ist schon wieder der einfache Bürger mit seinen bescheidenen Träumen von einem kleinen bisschen Wohlstand.
Die Prinzipien kennen wir schon, siehe Welt:
Jeder höhere SS-Führer kannte das nach Staatssekretär Fritz Reinhardt vom Reichsfinanzministerium benannte „Reinhardt-Programm“. Es diente der Förderung der Wirtschaft durch staatliche Darlehen, die entweder durch Raub fremder, auch jüdischer Vermögenswerte finanziert wurde oder durch schlichte Erhöhung der Geldmenge.
Kurz gesagt: die Wirtschaft wurde durch massenhaften Raubmord finanziert – Proteststimmen aus „der Wirtschaft“ sind mir nicht bekannt. Im Gegenteil: ich denke, das „die Wirtschaft“ das Nazisystem durchaus als vorbildlich ansah, auch heute gibt es Stimmen aus „der Wirtschaft“, die neidvoll nach China blicken und dies ohne Weiteres als Vorbild für eine „marktkonforme“ Demokratie ansehen – vielleicht auch ein Grund, weshalb man in den weitgehend gleichgeschalteten Medien kaum Kritik zum Leiharbeiterunwesen findet: Chinas Millionenscharen unterbeschäftigter Wanderarbeiter dürften das Vorbild gewesen sein.
Auch die anderen Prinzipien kennen wir schon: die Förderung der Wirtschaft durch staatliche Darlehen wird finanziert durch den Raub der Ersparnisse der Arbeitslosen, die nach dreissig Jahren Betriebszugehörigkeit vor die Tür gesetzt werden: Hartz IV macht es möglich – Arbeitslosigkeit wird Straftat, während die „Subventionen“ für „die Wirtschaft“ ständig neue Rekorde erreichen: ob es nun um die Chemie- und Aluminiumindustrie (siehe Badische Zeitung) oder um Kraftfahrersubventionen für Verkäuferinnen von Aldi (siehe Süddeutsche) geht: „die Wirtschaft“ greift um ein vielfaches mehr in die Taschen der Steuerzahler, als es selbst fünfzehn Millionen Arbeitslose könnten: 163,6 Milliarden Euro wurden allein 2010 ausgegeben (siehe Statista), wobei die gewerbliche Wirtschaft mehr bekommt, als die Bereiche Landwirtschaft, Verkehr, Wohungswesen, Sparförderung und Steuervergünstigungen zusammen (ebenfalls: Statista).
Wer nun nur noch ein bisschen weiterdenkt, wird schnell zu dem Ergebnis kommen, das in naher Zukunft die Errichtung neuer Todeslager für „Kosten auf zwei Beinen“ wieder denkbar wird, durch die mediale Hatz auf Arbeitslose wird ja schon mal ein entsprechendes Klima geschaffen, in dem wieder Ungeheuerliches gedeihen kann.
Gut, das das Volk jetzt erstmal sechzehn Tage lang darüber informiert wird, wer wie weit gelaufen, gehüpft und gesprungen ist anstatt darüber, das „die Wirtschaft“ wieder einmal das Volk verraten hat, weil sie „kassiert was geht“ (ein ungenannter Aldimanager im Artikel der Süddeutschen).
Das könnte man als Generalmotto der deutschen Wirtschaft nehmen: „Wir kassieren, was geht“.
Und was nicht über Preise reinkommt, kommt eben über Steuern ´rein … oder über Rettungsschirme.
Die Wirtschaft oder Ökonomie ist die Gesamtheit aller Einrichtungen und Handlungen, die der planvollen Deckung des menschlichen Bedarfs dienen – so urteilt noch Wikipedia.
Praktisch ist heute die Wirtschaft die Gesamtheit aller Einrichtungen und Handlungen, die dem planvollen Raub der letzten menschlichen Vermögenswerte dient.
Sie sollte verboten und polizeilich verfolgt werden … bevor wir menschliche „Minderleister“, die nur „Kosten auf zwei Beinen“ sind, im Namen der „marktkonformen Demokratie“ „alternativlos“ dem „sozialverträglichen Frühableben“ zuführen müssen: das wäre dann „Reinhardt Zwo“.
Wer noch Zweifel hat, ob es wirklich schon so schlimm steht, der schaue nach Griechenland. Dort läuft das Programm gerade an, siehe rp-online:
Noch ist Griechenland nicht pleite. Dennoch ist die Krise keine abstrakte Größe mehr. Wer durch die Straßen der Hauptstadt Athen läuft, begegnet der nackten Not. Bettler, verwahrloste Geschäfte, Obdachlose, anarchistische Parolen. Die Temperaturen sind unter den Gefrierpunkt gesunken. Die große Depression, hier ist sie bereits greifbar.
SOS-Kinderdörfer zeigen die Dramatik deutlich:
Stergios Sifinos, Leiter des SOS-Kinderdorf Vari,
80 km südlich von Athen, berichtet, dass sich die Anfragen für die Aufnahme neuer Kinder im letzten Jahr verdoppelt haben. „Normalerweise helfen wir Familien mit sozialen Probleme, heute suchen vor allem Familien mit akuter Geldnot einen Platz für ihre Kinder.“
Eine Rettung stellt das allerdings nicht da, denn im Zuge des Mottos „Wir kassieren, was geht“ werden auch dort bald die Pforten schließen. Immerhin bezahlen wir Deutschen viel dafür und fordern auch lautstark, das so gehandelt wird:
Doch das SOS-Kinderdorf selbst kämpft um sein Fortbestehen. Denn das SOS-Kinderdorf wird im Zuge des Sparpakets der Regierung nun besteuert. Dazu kommt, dass die Spendeneinnahmen um ein Viertel zurückgingen.
Im Prinzip ist das nichts anderes als der Massenmord an polnischen Juden zum Zwecke der Finanzierung der Subventionen, nur die Quantität ist eine andere.
Und das alles – geschieht wieder in „unserem Namen“.
Es macht schon Sinn, das wir uns aktuell wieder mehr auf sportliche Trivialitäten konzentrieren.
Die anderen Themen werden zunehmend unerträglich.