Alltagsterror

Gericht: Lebensmittelgutscheine reichen oder: Die Kaltschnäuzigkeit der Sozialrichter in Karlsruhe

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Sozialrichter in Karlsruhe erklärten 100prozentige Streichung von Hartz-IV-Bezügen für zulässig

Von Susan Bonath

Ein schlecht bezahlter Job bei einer Zeitarbeitsfirma mit einem vermutlich teuren Anfahrtsweg von über einer Stunde? Egal, Hartz-IV-Bezieher müssen auch ein derart mieses Angebot annehmen. Tun sie es nicht, oder verlangen sie gar noch Bedenkzeit, darf das Jobcenter ihnen die Leistung kürzen, im Wiederholungsfall um 100 Prozent. Das entschied das Karlsruher Sozialgericht in einem Urteil von Anfang Juni, wie das von der ra-online GmbH betriebene Internetportal www.kostenlose-urteile.de jetzt berichtete.

Geklagt hatte den Angaben zufolge ein 52jähriger, der seit 2005 Grundsicherungsleistungen bezieht. Das zuständige Jobcenter hatte ihm die Leistungen bereits von April bis Juni 2011 verweigert, weil er »seiner Pflicht zum ausreichenden Nachweis von Eigenbemühungen zum Erlangen von Arbeit« nicht nachgekommen sei. Daraufhin stellte ihm die Behörde eine Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt zu, womit sie ihn verpflichtete, monatlich Nachweise für seine Arbeitssuche vorzulegen. Gleichzeitig schlug ihm das Amt eine Vollzeitbeschäftigung als Tischler bei einer Zeitarbeitsfirma vor. Als sich der Kläger dort vorstellte, habe er nach eigenen Angaben um Bedenkzeit gebeten, weil die Arbeitsstelle mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur schwer erreichbar sei. Zudem habe er die Ergebnisse weiterer Bewerbungen abwarten wollen. Das wertete das Jobcenter als erneuten »Pflichtverstoß« und strich ihm auch für Mai bis Juli 2011 die Leistungen komplett. Als »Ausgleich« habe ihm die Behörde Lebensmittelgutscheine gewährt.

http://www.jungewelt.de/2012/06-29/043.php URTEIL KLICK

 

Ps: Um die Auswirkungen dieser schwarzen Pädagogik aufzuzeigen, die ergänzt wird mit der Politik des Hungers, hier einige Fakten. Die Auswirkungen auf die psychische Lage der Betroffenen werden signifikant in zahllosen Fallbeispielen beschrieben (vgl. z.B. u.a. Ames 2009, S.43; S.1611; Berliner Kampagne 2008, S.47; S.57; S.63;2 Griesmeier 2009, S.19ff;3 Daseking 2009, S.57)4.

Die Folgen reichen von Schlafstörungen, Depressionen bis hin zu massiven Schuldgefühlen, die bei vielen Betroffenen schlimmer empfunden werden als „Hunger“ (Ames 2009, S.43 f.). Sanktionen im Zusammenwirken mit weiteren ungünstigen Situationskonstellationen führen meist zu schwerwiegenden psychosomatischen Erkrankungen.

Die Berliner Kampagne stellt in ihrer Analyse fest: „Die Auswirkungen des Fehlens von gesellschaftlicher Erwerbsarbeit auf die Befindlichkeit des Einzelnen sind gravierend. Diese Belastungen werden noch verstärkt, wenn die Menschen ständiger Sanktionsgefahr ausgesetzt sind: Minderwertigkeitsgefühle, Depressionen, Zwänge, Suchtverhalten, soziale Ängste, psychosomatische Erkrankungen“ (vgl. Daseking 2008, S. 57). Alle Studien, die sich mit Sanktionen auseinandersetzen, weisen zumeist auf die hohe psychische Belastung hin. Dies ist insofern nicht verwunderlich, da wie schon beschrieben, bereits die Möglichkeit dass Sanktionen ausgesprochen werden können eine disziplinierende Drohkulisse darstellt.

Es sei an dieser Stelle auch auf die internationale Definition von Gesundheit der Weltgesundheitsorganisation (Word Healt Organisation, WHO1) hingewiesen. Gesundheit wird definiert als „ein Zustand vollständigen physischen, geistigen und sozialen Wohlbefindens, der sich nicht lediglich durch die Abwesenheit von Krankheit oder Behinderung auszeichnet“.

Beim Vergleich der Studien über den Sanktionsmechanismus sind häufig die Begriffe wie „Angst“ verwendet worden (Existenzangst, Angst vor Verlust der Wohnung, Angst nicht zu wissen, wie man an Nahrungsmittel kommt, Gefühl der Überforderung und Hilflosigkeit sowie Ohnmachtsgefühle).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die negativen Auswirkungen von Sanktionen auf die psychische Gesundheit von Betroffenen in den unterschiedlichen Studien klar belegt sind. Im Extremfall führen sie zu Suizidversuchen.

1. Ames, Anne: Ursachen und Auswirkungen von Sanktionen nach § 31 SGB II, Düsseldorf 2009.

2. AG Sanktion der Berliner Kampagne gegen Hartz IV, Berlin, November 2008

3. Griesmeier, Nicholas: Explorationsstudie zu Auswirkungen von Totalsanktionen bei Arbeitslosengeld II-Empfängern, Stand 28.2.2012

4. Daseking, Claudia: Wer nicht spurt, kriegt kein Geld: Sanktionen gegen Hartz-IV-Beziehende.



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