Donnerstag, 14.6.2012. Eifel. War ein toller Tag gestern, oder? WIR haben gewonnen! Jedenfalls glauben wir das, weil die Zeitungen heute morgen voll davon sind. Alle Zeitungen? Nein – das Handelsblatt nicht. Dort steht drin, das wir gestern ganz dick verloren haben: kaum hat Spanien Hilfe durch den Superultrarettungsschirm erhalten, wird es gleich drei Punkte herabgestuft – kurz vor „Finanzmüll“. Das kostet viel Geld, das die spanischen Bürger eigentlich genauso dringend brauchen wie ihre Realwirtschaft … aber Bürger und Realwirtschaft bringen halt nicht die Rendite, die man braucht, um ein arbeits – und sorgenfreies Leben auf Kosten anderer Menschen zu erreichen. Weil aber immer mehr Menschen genau dieses arbeitsfreie Leben wollen („Lassen Sie ihr Geld für sich arbeiten“!), müssen immer mehr Menschen ohne Geld auskommen, ohne Geld arbeiten gehen und ohne Geld wirtschaften. Wahnsinn, oder? Das sehen auch andere Leute so, siehe Nigel Farrage in der IBT: „… wenn ich in die Augen der Staats-und Regierungschefs Europas blicke, dann sehe ich jetzt Wahnsinn, absoluter, totaler und völliger Wahnsinn.“
„Völliger Wahnsinn“ … und ganz Deutschland ist am Jubeln, weil sie keine Ahnung haben, was „Wirtschaft“ eigentlich bedeutet. Essen kommt vom Aldi, das war schon immer so und wird immer so bleiben.
Natürlich werde ich es nicht wagen, den Fußballgott zu attackieren. Ich bin doch nicht wahnsinnig … aber kann man sich vielleicht vorstellen, wie die deutsche Presse darauf reagieren würde, wenn sie erführe, das gestern der Chef der Piratenpartei beim Videospiel „Mario Kart“ den Highscore für Westeuropa geknackt hat?
Man braucht nicht lange drüber nachzudenken. Obwohl Mario Kart ein Spiel wie jedes andere ist (also wie Halma, Schach, Fußball und Verstecken), würde ein Eimer Häme über den armen Sieger ausgekippt werden, weil er als erwachsener Mensch wertvolle Lebenszeit mit Spielen verbringt. Man würde ihm nicht zugute halten, das das Spiel weniger Ressourcen verbraucht als die EM und auch für die Umwelt verträglicher ist – und erst recht wäre er als ernstzunehmende politische Person „völlig draussen“, während sich niemand etwas dabei denkt, wenn eine deutsche Bundeskanzlerin ihre knappe Zeit nicht mit der Rettung der deutschen Wirtschaft sondern mit „Spiel gucken“ verbringt … immerhin geht es in diesen Tagen um „das Endspiel von Berlin“, so Chashkurs.
Jenes „Endspiel“ von Berlin bedeutet nichts anderes als das durch den ESM-Vertrag endgültig besiegelte Ende der wirtschaftlichen Souveränität des deutschen Staates womit die „Märkte“ einen direkten Zugriff auf IHR EIGENHEIM bekommen. Ja, genau – und zwar auch, wenn Sie nicht arbeitslos sind. Das sagt ihnen nur keiner … oder jedenfalls keiner jener Journalisten, die auf das Wohlwollen der Märkte so angewiesen sind wie die Politiker.
Der Staat wird dann in der Tat alle Zahlungsaufforderungen der EU innerhalb kürzester Frist nachkommen müssen … und das endet – wie in Kriegszeiten üblich – damit, das SIE umgehend eine Zwangshypothek auf ihr schon abbezahltes Häuschen aufnehmen müssen, damit der Staat das Geld nach Brüssel überweisen kann. Auch als Mieter werden Sie sich nicht freuen können – neue Gesetze werden Mietpreissteigerungen in ungeahnten Höhen ermöglichen – mal ganz abgesehen von den Preissteigerungen bei Brot, Wasser, Strom und Benzin.
Hätten wir Ahnung von Wirtschaft, würden wir das alle jetzt schon sehen können. Dann wüssten wir, das wir nach der Logik der Märkte schon längst den Weg Griechenlands gehen. Pimco sieht das laut NTV ebenso:
Der Vermögensverwalter Pimco hat wegen der Schuldenkrise nur noch wenige Bundesanleihen in seinen Depots. „Deutschland verliert durch die zunehmenden Risiken an Qualität“, erklärte Andrew Bosomworth, Fondsmanager und Deutschland-Chef der Allianz-Tochter. Schließlich drohten dem Bundeshaushalt durch die milliardenschwere Rettungsschirme und anderweitige Verluste enorme Belastungen.
Gerade weil wir für die Schulden haften, werden unsere Anleihen langfristig weniger wert, wodurch ihnen ganz schnell ein ganz fieses Rating droht, was sie schneller stürzen lässt als einen Stein in einen Brunnen.
Irland, Island, Griechenland, Portugal und Spanien haben das gerade erlebt, Italien ist als nächster dran. Welche Entwicklung dem ganzen europäischen Kontinent droht, kann man vielleicht erahnen, wenn man den „Freitag“ liest:
Flüchtlinge und Kliniken bleiben ohne Lebensmittel, weil Lieferanten nicht mehr bezahlt werden können. Die Rede ist nicht von Somalia, sondern einem EU-Staat
Niemals hätten wir früher gedacht, das wir solche Schlagzeilen einmal lesen müssten. Heute gelten sie Griechenland, morgen Deutschland und übermorgen der ganzen Welt, aber in Zeiten des bürgerlichen „Cocooning“ (ein modernes Wort für die Rückkehr des Biedermeyer) hegen wir den primitiven Glauben, das das Elend für immer und ewig in unserem heiligen Bildschirm gefangen bleibt und niemals in unseren Kühlschrank oder auf unserem Konto Einzug hält.
Was für ein erbärmlicher Aberglaube.
Dabei hilft sogar ein Blick in die Tagesschau – jenem zentralen Leitmedium aller Deutschen – um zu erkennen, an welchem Abgrund wir stehen. Lauschen wir den Worten des Kommentators Stefan Troendle, der in einer leidenschaftlichen Rede Italien verteidigt … und dabei gruselige Fakten über Deutschland offenbart:
Ich meine: Es reicht! Man kann ein Land nämlich auch in die Pleite reden und genau das passiert hier zurzeit. Noch nie war so offensichtlich, von welchen Interessen die Berichterstattung gesteuert wird: aus dem Lager der Börsen-Spekulanten, der Heuschrecken-Hedgefonds, der Ratingagenturen, von den Zockern also, die mit derartigen Spekulationsluftblasen jede Menge Geld verdienen.
Nun – das Berichterstattung „gesteuert“ werden kann, ist eine Wahrheit, die eigentlich schon lange nicht mehr ins „öffentlich-rechtliche“ Fernsehen gehört, das die „Märkte“ und ihre Desinformationsabteilungen dies gezielt tun, um Staaten zu ruinieren, ist eine Erkenntnis, die eigentlich in die demokratisch-freiheitliche Medienwelt der idealistischen und kritischen Blogosphäre gehört, schön deshalb zu sehen, das man diesen Trend auch beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk registriert. Schön aber auch, das hier mal andere hässliche Wahrheiten über Deutschland direkt angesprochen werden, nochmal Herr Troendle:
Auch Deutschland hat übrigens eine Staatsverschuldung, die weit über dem eigentlich zulässigen Limit liegt. In absoluten Zahlen ist sie sogar höher als die in Italien. Was würde eigentlich passieren, wenn in Deutschland das Wirtschaftswachstum zum Erliegen kommen oder die Wirtschaft gar schrumpfen würde? Wir stünden zahlenmäßig wohl noch schlechter da als Italien.
Wann wird wohl der Tag kommen, da wir Deutschen merken, das wir auch Griechen sind? Wann wird der Tag kommen, an dem deutsche (oder europäische) Politiker so zu uns reden, wie der Schäuble gerade zu den Griechen redet? Lauschen wir doch mal unserem Minister, Ulrich Rippert bei WSWS hat hier was passendes Zusammengetragen:
Am Vorabend der Wahl in Griechenland verschärft die deutsche Regierung ihre Drohungen. „Es gibt keinen bequemen Weg“, betonte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) Anfang der Woche in mehreren Pressemeldungen. Die von der Bundesregierung und der EU diktierten Sozialkürzungen und Entlassungen im öffentlichen Dienst – Schäuble nennt das beschönigend „Anpassungsmaßnahmen“ – seien unumgänglich und nicht verhandelbar, und zwar egal wie das Wählervotum ausfalle.
Noch deutlicher drückte sich Schäuble in einem Interview mit dem ZDF heute journal am Samstagabend aus. Griechenland müsse die Bedingungen der EU einhalten, „da können die Griechen wählen, wie sie wollen“, sagte er.
Da wissen wir, wie unsere Zukunft aussieht:
„Am Vorabend der Bundestagswahl von 2013 verschärft die EU ihre Drohungen. Die angeordneten Massenentlassungen im öffentlichen Dienst durch Auflösung der Jobcenter und Gemeindeverwaltungen bei begleitender Anpassung der Sozialleistungen auf griechischem Niveau seien unumgänglich und nicht verhandelbar, da können die Deutschen wählen, was sie wollen“.
Das wäre dann das endgültige Ende von Hartz IV, das ja viele zurecht herbeisehnen. Eine „Angleichung“ europäischer Sozialleistungen wäre auch gut zu verkaufen … in jenem neuen, europäischen Supereinheitswirtschaftsraum.
Hört sich gruselig an, oder? Ist aber jetzt schon gelebte europäische Realität … und wird noch viel schlimmer, wenn man genauer hinschaut, denn dann entdeckt man, das die EU schon längst Pläne in der Tasche hat, sich großzügig beim deutsche Sparer zu bedienen, siehe Merkur-online:
Wird die deutsche Einlagensicherung zur Rettung der Kundengelder insolventer ausländischer Banken eingesetzt? Die EU-Kommission plant dies. Bankenvertreter reagieren entsetzt.
Gut, das wir normalen Bankkunden besser über die Wade des Herrn Schweinsteiger informiert sind als über die Bedeutung der Einlagesicherung der deutschen Banken … wir würden sonst vor Angst zittern, das die Pleitebanken ihre Spekulanten mit unseren Spargeldern beglücken dürfen, während wir Zwangsanleihen mit unseren Hypothekengeldern zeichnen oder hungernd auf der Straße liegen dürfen.
Wie schön, das wir zu dieser Entwicklung gerade den passenden Bundespräsidenten haben, der unsere Gesellschaft gerade „einnordet“ … in eine Richtung, die mehr als unheimlich ist. Der Herr Gauck hat nämlich eine neue Worthülse präsentiert … und damit überraschend ganz neue Werte für die Gesellschaft gesetzt – also das getan, was für einen Bundespräsidenten ja auch Auftrag ist.
Die „glückssüchtige Gesellschaft“ (in anderen Zusammenhängen kritisiert bei Telepolis oder der „jungen Welt„) als „Feindbild“ des „anständigen Deutschen“ hat nicht nur Konsequenzen für die Kriegstauglichkeit unserer Gesellschaft. Diese Wort markiert einen weiteren Schritt des Umbaus einer demokratischen Zivilgesellschaft in ein nationales europäisches „marktkonformes“ Arbeitslager, in das wir seit der Agenda 2010 gezielt hineinmarschieren.
Wo die „glückssüchtige Gesellschaft“ aber zum Feindbild wird, werden Hunger, Obdachlosigkeit, Krankheit und früher Tod zum Standard – so als ob wir im Krieg leben würden … weshalb man schnell auf die Idee kommen kann, das die Idee der „Kriegsanleihen“ gar nicht so weit hergeholt ist.
Aber es war ja auch eine Rede vor Soldaten – da kann man diese neue „Wahrheit“ einmal risikofrei ausprobieren, um sie dann von dort aus (mit militärischem Begleitschutz) in die breite Gesellschaft zu tragen, die sich eifernd und geifernd vor ihrer Oberschicht niederwerfen soll, um jubelnd ihr tägliches Unglück in Empfang zu nehmen.
Aber das machen die ja vielleicht gerne … Hauptsache, sie gewinnen bei Mario Kart, Fussball, Halma, Schach oder Verstecken.
Aber schön zu sehen, das den Deutschen spielen immer noch Freude macht, auch wenn man jetzt schon erahnen kann, das gewisse „Kräfte“ den „glückssüchtigen Deutschen“ auch diesen Spaß noch austreiben werden. Zum Abschluss … für die Freunde des gepflegten Gruselns … noch ein paar Auszüge aus der „Sportpalastrede“, die aktueller denn je scheint, wo doch wieder gegen den glückssüchtigen deutschen „Amüsierpöbel“ gewettert wird (zitiert nach Nationalsozialismus.de):
Das im Nationalsozialismus erzogene, geschulte und disziplinierte deutsche Volk kann die volle Wahrheit vertragen. Es weiß, wie schwierig es um die Lage des Reiches bestellt ist, und seine Führung kann es deshalb gerade auch auffordern, aus der Bedrängtheit der Situation die nötigen harten, ja auch härtesten Folgerungen zu ziehen.
…
Die Fleißigen besitzen einen Anspruch darauf, daß, wenn sie zehn und zwölf und manchmal vierzehn Stunden täglich arbeiten, sich direkt neben ihnen nicht die Faulenzer räkeln und gar noch die anderen für dumm und nicht raffiniert genug halten. Die Heimat muß in ihrer Gesamtheit sauber und intakt bleiben.
…
Der Krieg ist nicht die richtige Zeit für einen gewissen Amüsierpöbel. Unsere Freude ist bis zu seinem Ende die Arbeit und der Kampf, darin finden wir unsere tiefe innere Genugtuung. Wer das nicht aus eigenem Pflichtgefühl versteht, der muß zu diesem Pflichtgefühl erzogen, wenn nötig auch gezwungen werden. Hier hilft nur hartes Durchgreifen.
Und dieses harte Durchgreifen erleben unsere Arbeitslosen, Leiharbeiter, die Griechen, Spanier, und Portugiesen schon jeden Tag. Jetzt trifft es auch den deutschen Amüsierpöbel … und bald dürfen wir unser Eigentum wieder für Kriegsanleihen verpfänden, diesmal für den „Krieg der Märkte gegen den Euro“.
Darum gleicht auch Goebbels Rhetorik der Rhetorik gegen Arbeitslose – und Gauck´s Rhetorik der von Goebbels.
Dazu kann man nur sagen: Wahnsinnsspiel!
Nur leider … ist es kein Spiel.
Das werden auch die bitter merken müssen, die heute noch jubeln.