Politik

Piratenpartei NRW im Elend der Realpolitik angekommen

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Montag, 10.4.2012. Eifel. Wir haben in der Eifel keine Piraten. Was für ein Glück – sonst müsste ich mal bei einem Stammtisch vorbeischauen. Vor drei Jahren hat mir eine liebe Nachbarin diese Partei nahgebracht – mit der einfachen Frage: ist das wählbar. Ich war eine Weile im Forum aktiv – weil ich den Namen so schön fand – und stellte fest: nein, ist auf gar keinen Fall wählbar.  Das hat mir viel Kritik eingebracht – von Piraten.  Ich war nichts anderes als ein potentieller Wähler mit Fragen (was damals in Piratendeutsch „Troll“ hieß) – das sah man nicht gern. Der Laden war voll von eitlen Gecken, die sich vor allem durch drei Merkmale auszeichneten: soziale Inkompetenz, Postengeilheit und großer Hochachtung vor neoliberalem Gedankengut, eine aktive Piratin empfand das so:

Wenn ich die ML lese, habe ich oft das Gefühl es mit der FDP zu tun zu haben, nur mit wesentlich mehr braunem Zusatz. Erschreckend!

Das war vor drei Jahren. Ich habe mal nachgeschaut: von den alten Ekeln spielt keiner mehr eine Rolle. Der braune Rand ist immer noch da – aber stellt eine zu vernachlässigende Minderheit dar, die Nazis, die vor dem Verfassungsschutz aus der NPD geflohen sind, scheinen recht isoliert zu sein, die Piraten merken aktuell wohl selbst, das braune Gesellen keinen Spaß verstehen und auch Büros der Piratenpartei überfallen.  Parteikarrieristen findet man ebenfalls – ich bin jedenfalls sehr skeptisch, was jene „Überläufer“ aus CDU, SPD und Grünen dort wollen – nehme den Linken aber ab, es ernst zu meinen.

Man weiß halt, das man zehn Prozent Idioten in den eigenen Reihen hat – manche davon sind Antisemiten, manche rechtsradikal, manche frauenfeindlich … das findet man wohl in den anderen Parteien auch (wobei ich manche „Linke“ aufgrund ihrer Methoden als rechtsradikal einstufe, auch wenn sie eine andere „Verpackung“ haben).

Beeindruckt hat mich der Auftritt der Berliner Piraten. Fahrräder statt Dienstwagen – die Forderung war schon lange fällig. Haben wir nicht die Klimakatastrophe? Kostenloser öffentlicher Nahverkehr wäre da doch ebenfalls genau die richtige Maßnahme. Überhaupt ist es langsam fällig, das der Bürger für all seine Abgaben auch mal klar erkennbare Leistungen fordert. Ich selbst fände – angesichts der um sich greifenden Bankenrettungssucht – auch eine Halbierung der Diäten diskussionswürdig. Mal ehrlich: für die meisten von uns Bürgern wäre die Hälfte schon der pure Luxus – wir haben doch schon längst keine Abgeordneten mehr, sondern feudal gesinnte Edelmänner mit dem Lebensstandard eines Industriebarons.

Als erste Partei haben sich die Piraten – anders als früher – einem ganz zentralem gesellschaftspolitischen Thema angenommen: der finanziellen Grundsicherung. Während die übrigen Parteien noch im 19. Jahrhundert leben, wo Arbeiter (heute: Kleinaktionäre) gegen Unternehmer (heute: Großaktionäre) kämpfen, haben die Piraten erkannt, das wir in einer Geldwirtschaft leben, die aufgrund wachsender Automatisierung mit dem Überangebot an Arbeitskräften nichts mehr anfangen kann  – es sei denn, es markiert sie als „Kosten auf zwei Beinen“, die schnellstens entsorgt gehören. Ich sage jetzt mal nicht, wie. Eine Geldwirtschaft braucht aber andere soziale Standards als eine Arbeitswirtschaft. So kurz findet sich die Lösung im Programm der Piraten NRW:

Die Zukunft gehört der Wissens- und Kulturgesellschaft. Um die Teilhabe an dieser Gesellschaft zu gewährleisten, ist es nach Meinung der NRW-Piraten notwendig, eine allgemeine Grundsicherung einzuführen. Diese soll dem Artikel 1, Absatz 1 des Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ gerecht werden. 

Eine allgemeine Grundsicherung ist nun zwar noch kein bedingungsloses Grundeinkommen – aber wer will schon wirklich Ackermann, Merkel und Maschmeyer noch etwas auf ihre Einkommen drauflegen? Im Prinzip braucht man nur Geld für jene, die in der Wirtschaft nicht Fuß fassen können – und sinnvollerweise zahlt das die Wirtschaft selbst und nicht der Steuerzahler. „Wirtschaft“ hat auch Aufgaben in einer Gesellschaft, Aufgaben, die sich nicht darin erschöpfen, mit ihrem Betrieb maximalen Gewinn zu erwirtschaften – das wäre die Philosophie von schädigenden Zecken oder Parasiten … und diese Wörter kennt man ja in Wirtschaftskreisen gut, einfach mal den Clement fragen.  Kommt Wirtschaft diesen Aufgaben nicht nach  – oder vernichtet sogar gezielt im Auftrag der Kapitalrendite Arbeitsplätze – so wäre die Finanzierung einer Grundsicherung für Arbeitslose sicher zumutbar.

Wer sich hier bislang Hoffnung gemacht hat, das die „Linke“ die Rolle eines Anwaltes der Armen übernimmt, der glaubt wohl auch, das die Grünen für Umweltschutz sind. Linke wie Grüne sind in erster Linie wie die FDP, SPD, CSU und CDU für … Wahlkampfkostenerstattung, Pöstchen und Diäten, das ist der letztendlich gültige Sinn ihres Daseins: eine Versorgungsmaschinerie für Laumalocher mit Parteibuch.

Nun – eine Partei hat sich da bislang vornehm zurückgehalten … oder ihren Kurs geändert. Wie man erfährt, ist die Piratenpartei noch etwas, was eine Partei sein sollte: ein Verein, getragen von ehrenamtlichen Mitarbeitern. Das ist hart – das kann ich mir vorstellen – aber da muss man durch, wenn man Politik glaubhaft verändern will.

Insofern ist es sehr bedauerlich, wie nun der Spitzenkandidat der Piraten in NRW die Partei zerstören möchte – und zwar gleich ganz und gar. Man möchte fast meinen: traue keinem über fünfzig (da ich dazu gehöre, ist das noch nicht mal diskriminierend. Ich spreche halt aus Erfahrung).

Was fordert nun der Biophysiker – hier zitiert im Spiegel? Feste Gehälter für Oberpiraten. Schluss mit der Freiwilligenkultur, man will wieder Eliten produzieren. Die Lobbyisten sollen doch wissen, wen sie in Zukunft einladen müssen, um den Willen ihrer Auftraggeber durchzusetzen. Gleichzeitig fordert der Spitzenmann nichts weniger als ein Ende der Basisdemokratie … jener Basisdemokratie, die ihm überhaupt erstmal zu seinem Posten verholfen hatte.

Damit ist die Piratenpartei NRW im Elend der Realpolitik angekommen. Sobald es in einer Partei auch nur ein sanft angedachtes „oben“ und „unten“ gibt, wollen die „oben“ Geld und Macht – und die „unten“ sollen stramm stehen. Da kann man auch ruhig den üblichen postdemokratischen Einheitsbrei des Hartz-Blocks wählen, jenes Hartz-Blocks, zu dem auch die Linken zählen, die mit dem Protest gegen Hartz IV erstmal groß geworden sind aber sehr leise wurden, als erstmal die Diäten flossen. Hartz-Block-Parteien haben auch schöne Dinge im Programm stehen – aber wenigstens gibt Angela Merkel offen und ehrlich zu, wie das zu deuten ist:

„Man kann sich nicht darauf verlassen, daß das, was vor den Wahlen gesagt wird, auch wirklich nach den Wahlen gilt, und wir müssen damit rechnen, daß das in verschiedenen Weisen sich wiederholen kann.“

Da kann man jetzt schon sagen: da haben wir nach Grünen und Linken die dritte moderne Protestpartei, die vollmundig Wähler mit Träumen einer lebenswerten Zukunft lockt, aber ganz schnell die Maske von dem Gesicht nimmt, wenn es um Geld geht.

Die Piraten wollen flache Hierarchien ohne Hinterzimmer-Klüngelei mit einem rein verwaltenden Vorstand – so heißt es im SpiegelZudem sollen Oberpiraten von der Partei finanziell unabhängig sein, also ehrenamtlich arbeiten.

Es wäre ja auch zu Ende mit der Gleichheit, wenn viele FÜR die Partei leben, aber die Spitze einfach nur VON ihr.

Das Modell kennen wir zur Genüge.

Um die Kultur der Käuflichkeit politischer Entscheidungen, die Kultur des monetären Neofeudalismus oder der globalen Konzernoligarchie etwas wirksames entgegensetzen zu können, brauchen wir eine andere Kultur. Dafür steht die Piratenpartei mitlerweile in den Augen der Wähler. Wir brauchen dafür reiche Menschen. Wirklich reich ist aber nicht der, der viel hat, sondern der, der wenig braucht. Für diesen Reichtum braucht man kein Geld – und kann selbst mit Hartz IV Parteivorstand werden.

Was wir nicht brauchen, sind neue Köpfe in alten Pfründen.

Aber das werden wir wohl wieder bekommen.

Was mich wieder zu der Frage bringt: was um Himmels willen soll ich nur wählen … als jemand, der die Diäten abschaffen anstatt anders verteilen möchte?

 

 

 

 

 

 

 



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