Sonntag, 8.4.2012. Ostern. Glaube ich jedenfalls, ich bin mir nicht mehr sicher. Der Kalender sagt, es sei Ostern, aber die Medien sagen etwas anderes. Schauen wir uns doch heute mal um: imSpiegel fordert der Westen die Schließung iranischer Atomanlagen. Das ist nichts Besonderes. Im Handelsblatt ist das erste Thema Wutbürger, die das Wachstum ausbremsen. Ist auch nichts Neues: wie schön wäre die Welt ohne Bürger, was hätten wir für ein tolles Wachstum, wenn wir nicht noch zwischendurch Menschen mit durchfüttern müssen – vor Allem Arme, Alte, Kranke, Kinder und Behinderte stören da enorm. Wenn die dann noch anfangen, die tollen Großprojekte zu blockieren, an denen so viele Leistungsträger so gut verdienen, dann gehören die erst recht abgeschafft, diese Bürger. Die Welt präsentiert gerade eine Auseinandersetzung zweier „Literaten“ ganz oben – kaum jemand weiß, worum es eigentlich geht, das Manager-Magazin informiert über den Neubeginn der Wettkultur auf dem US-Häusermarkt. Das ist schlimm, weil es die nächste Krise ahnen lässt – aber was hat das alles mit Ostern zu tun? Immerhin: wir leben in einer christlichen Gesellschaft, wir sind so christlich, wie wir demokratisch sind.
Vor einem Jahr hatte ich etwas mehr Zeit und mir erlaubt, zu Ostern die vier Evangelien zu lesen, die apokryphen Texte hatte ich mir für später aufgehoben – nächstes Jahr hätte ich da wieder etwas mehr Zeit. Es war eine überraschende Erfahrung – diesmal las ich sie aus einem Blickwinkel, den C. S. Lewis vorgab. Wunderbar – auf einmal ergab alles einen Sinn … ich fragte mich nur, warum ich diese Form von Christentum niemals von der Kirche zu hören bekam. So viele Jahre hatte ich christliche Texte gelesen und nicht verstanden, was sie eigentlich von mir wollten – nun wurde alles klarer.
Die überraschendste Erfahrung war allerdings die Erkenntnis, das ohne Wunder nichts läuft. Schaut man sich die evangelischen Texte in ihrer historischen Einbettung an, so gibt es für mich nur eine Erklärung: die Geschichte funktioniert nur mit Wundern. Die Sprüche an sich sind wirr, die Gleichnisse oft eine Zumutung und die Konkurrenz Christi war damals sehr groß. An jeder Ecke gab es „erleuchtete Prediger“ – genau wie heute, wo sich generell unter dem falschen Etikett „Esoterik“ verkauft werden … was ja auch ihr ganzer Sinn ist: gut verkauft zu werden. Zusätzlich zu diesen Predigern gab es die gesamte Schule der griechischen Philosophie, sprachlich angenehm und von einer bis heute unübertroffenen gedanklichen Schärfe. Wer sich zu dieser Zeit für Transzendenz interessierte, für das, was im Alltag manchmal an Jenseitigem hindurchschimmert, hätte viele interessante und verständliche Angebote gehabt – und angenehmere Wahrheiten als die, die dieser Christus von sich gab.
Christus selber gibt es zu: die Wunder waren nötig, um die Menschen auf sich aufmerksam zu machen. Ohne Wunder wäre er einer von tausend Wanderpredigern und selbsternannten Gottessöhnen geblieben, mit Wundern jedoch fiel seine Geschichte auf einen sehr fruchtbaren Boden, weil es schon tausende von Zeugen gab, die durch die Wunder auf seine Botschaft aufmerksam gemacht wurden. So war es möglich, hundert Jahre nach seiner Auferstehung seine Geschichte niederzuschreiben – eine Ehre, die keinem anderen jener Wanderprediger im römischen Reich zuteil wurde, die allesamt vergessen worden sind.
Kürzt man seine Botschaft auf ein Minimum zurecht, so wird sie sehr phantastisch: er behauptet nicht weniger, als das diese Welt ziemlich im Eimer ist und das man gut daran täte, sich nicht all zu sehr mit ihr einzulassen. Würden wir dieser Aussage wirklich aufrichtig widersprechen können, in einer Welt, in der chinesische Studenten ihre Nieren für ein Ipad verkaufen, deutsche „Hilfspakete“ bzw. deren Auflagen Volkswirtschaften vernichten und die Kirche Christi vor allem ein renditefreundlicher Großkonzern ist? Es scheint verständlich, das der „König der Welt“ deutlich macht, das sein Reich nicht von dieser Welt ist und man gut daran tut, leise und heimlich in seinem stillen Kämmerlein zu beten:
Du aber geh in deine Kammer, wenn du betest, und schließ die Tür zu; dann bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist. Dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten.
Hören wir kirchliche Verlautbarungen zum Christentum, fehlt dieser Aspekt völlig. Die machen heute Osteransprache des Papstes, obwohl eigentlich etwas anderes gilt:
Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden, die meinen, sie werden nur erhört, wenn sie viele Worte machen.
Das hätte er mal dem Papst und seinen Bischöfen erzählen sollen. Die haben wohl auch andere Anweisungen nicht verstanden:
Niemand kann zwei Herren dienen; er wird entweder den einen hassen und den andern lieben oder er wird zu dem einen halten und den andern verachten. Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon.
Nun, wir als der „Westen“, der heute dem Iran wieder einmal mit Krieg gedroht hat, haben diesen Satz sehr ernst genommen und uns für einen Gott entschieden: Mammon. Die Kirche findet den wohl auch gut: ohne Mammon keine Kirchensteuer.
Pünktlich zu Ostern findet der Spiegel auch jemanden, der uns das deutlich vor Augen führt, damit bloß keiner einem falschen Glauben anhängen möge:
Geld macht leider glücklich. Jedenfalls in einem Maße, in dem es ein von Existenzängsten freies Leben garantiert, und wo ein Mehr immer noch möglich ist. Die Hoffnung auf mehr Geld ist also ein Garant auf Zufriedenheit, gemeinsam mit den Basisfaktoren Autonomie und Kompetenz, Verbundenheit mit anderen und Selbstwertgefühl.
Was für ein erbärmliches, armseliges Leben – gehalten in Hoffnung auf Geld. Und so etwas kann man heutzutage offen schreiben, ohne das man merkt, was man damit anrichtet: wo wären wir, wenn Luther, Kant, Marx, Eddison, Kolumbus, Gandhi, Albert Schweitzer, die Helden der französischen Revolution sich mit der „Hoffnung auf mehr Geld“ zufrieden gegeben hätten?
Oder … Jesus selbst?
Was hier kräht, ist der erbärmliche Geist des Biedermeier, dessen Krönung in einem neuen Kaffee-Service auf der Oster-Speisetafel zu finden ist. Dabei gäbe es doch mal eine Alternative zu der endlosen Feierei des eigenen Selbst: einfach mal ein paar Tage der Besinnung einlegen – zu Ostern zum Beispiel. Das Fest selbst ist weniger christlich als man glaubt – der Hase, die Eier, der Zeitpunkt: alles deutet auf ein altes Fruchtbarkeitsfest hin. Was aber gefeiert werden sollte, ist: die Überwindung des Todes … durch ein ökologisch und ökonomisch sinnvolles Leben in Freundlichkeit, Bescheidenheit, Hilfsbereitschaft, Gerechtigkeit und großer Freude.
Sei ein Gewinn für die Menschlichkeit in Deinem Leben und das morphologische Feld der Erde wird Dich speichern, denke nur an Dein Geld, Dein Haus, Deine Rendite und Deinen Ruhm – und Du wirst gelöscht, wenn Dein Lebensweg vorbei ist – das wäre ein Teil der Botschaft, übersetzt in Esosprech.
Netterweise hat uns das morphologische Feld extra diesen Jesus geschickt, um darauf hinzuweisen, das unsere Taten hier Folgen haben – in erster Linie Folgen für unsere eigene Seele, die unter dem Einfluss von Mammon so degenerieren und entmenschlichen kann, das für sie kein Platz mehr im Paradies ist, dem Reich der Ideen, den ewigen Jagdgründen. Die christliche Kirche selbst ist, wie sie heute dasteht (und eigentlich schon immer da stand) ein gutes Beispiel dafür, wie Mammon selbst jene in Besitz nehmen kann, die es eigentlich viel besser wissen müssten.
Was aber jetzt – wenn diese Geschichten „wahr“ sind? Wenn da jemand geschickt wurde, zu uns gefallenen Menschen in eine verdorbene Welt hinein, der uns zeigt, wie wir uns das nachtodliche Leben verdienen können … oder jedenfalls eine bessere Version davon? Sogar einen vergleichsweise einfachen Weg? Was ist eigentlich so falsch daran, sie wenigstens an diesen Tagen einmal darüber Gedanken zu machen? Eine Wissenschaft, die uns klar gemacht hat, das wir eigentlich – berücksichtigt man die Entfernungen zwischen Atomkern und Elektronen – größtenteils aus „nichts“ bestehen, in einem Universum, dessen realer Materieanteil möglicherweise in einen Fussball passt, will uns verbieten, über „Seele“ zu reden und denken – wobei diese „Seele“ gerade jene Kraft sein könnte, die dieses „nichts“ für eine Zeit lang zu einer sinnvollen Erscheinung zusammenfügen kann.
Wir leben ganz real in einer Welt, in der Materie zum großen Teil nur eine Illusion ist. Das wissen wir und können es mit unseren begrenzten Mitteln auch wahrnehmen. Und vor diesem Hintergrund wollen wir allen Ernstes die Möglichkeit ignorieren, das wir in einem Universum leben, das Wunder bereithält, die weit über die menschliche Erkenntnisfähigkeit hinausgeht – wie zum Beispiel Seelen, die mal locker demonstrieren, wie einfach man die menschliche Sterblichkeit überwinden kann?
Wir haben doch schon Probleme damit, zu erklären, warum dieses humanoiden „Nichtse“ nicht einfach durch den Fußboden zum Erdkern hin versinken.
Nun – vielleicht machen die das auch manchmal. Wenn sie nach dem Tode immer noch zu sehr an dieser Erde hängen, immer noch auf noch mehr Geld warten, werden sie vielleicht einfach vom feurigen Erdkern angezogen, während andere mit Lichtgeschwindigkeit ihrem Ursprung entgegeneilen. Da ist dann aber kein finsterer strafender Gott im Spiel, sondern nur menschliche Blödheit – und deren Existenz können wir leider nicht in Zweifel ziehen.
Man merkt – wir sind im Prinzip wenig christlich. In einer Gesellschaft, die genauso christlich wie demokratisch ist, hätte man sich das aber auch denken können. Mammon und Demokratie passen halt auch nicht gut zusammen – auch hier muss man sich für einen Herren entscheiden: das heißt dann „marktkonforme Demokratie„.
Fast könnte man meinen, „Mammon“ wäre kein Sinnbild, sondern ein echter böser Geist, der die Herzen der Menschen versteinern lassen kann. Das würde nun zu weit führen – aber mir reicht schon der Hinweis, das Ostern eigentlich ein schöner Tag ist, um über Dinge nachzudenken, die über den Alltag hinausreichen.
Immerhin: extra dafür hat die Kirche ja diese Tage dem Mammon bzw. den „weltlichen Herren“ dereinst entrissen und sie zu Feiertagen erklären lassen.
Wenn euch Biedermeier da draussen also sonst schon nichts zum Nachdenken anhält, dann vielleicht die Tatsache, das eine Entwürdigung der christlichen Feiertage ganz schnell zur Abschaffung derselben führen kann: Mammon selbst drängt schon lange darauf. Da kann sich jetzt jeder selbst entscheiden, wie „cool“ er das finden würde, Ostermontag wieder arbeiten zu müssen.
Man sieht: es gäbe ganz unesoterische Gründe, sich an diesem Tag mit anderen Themen zu beschäftigen. Warum sich die Presse in breiter Front anders entschieden hat – nun, das kann man sich jetzt selber denken. Es sind halt diese Menschen, die sagen: ich will nicht ewig im Paradies leben, ich will mehr Geld, immer mehr und mehr.
Und wie das Manager-Magazin (siehe oben) zeigt, arbeiten die ja gerade wieder sehr aktiv daran, für sich ganz viel mehr Geld zu kriegen – die hoffen nicht nur, die handeln einfach.
Und das Geld kriegen die dann von denen, die jetzt noch auf mehr hoffen.
Ganz ehrlich: ich würde da lieber auf etwas anderes hoffen.
Gerechtigkeit auf Erden, zum Beispiel.
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit geht auch.
Oder einfach den Nächsten lieben wie sich selbst – dafür soll man ja nach dem Tode sogar weiterleben können … in angenehmster Atmosphäre.
Soll geradezu himmlisch sein.