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Samstag, 31.3.2012. Eifel. Gestern hatte ich ein einschneidendes Erlebnis, das uns Eifelern selten zuteil wird: ich war eine Weile in einem ausgedehnten Industriegebiet spazieren. Schon nach einer Stunde konnte ich konstatieren: diese Kultur kann nur untergehen. Mal abgesehen davon, das die Leblosigkeit der betonierten Areale normalerweise nur nach einem Vulkanausbruch oder auf dem Mond zu finden ist, überzeugte mich mehr das Verhalten der Menschen, das das Ende naht – und jeder es weiß. Wie anders will man es erklären, das sie enorme Energien investieren, um daheim ein kleines Stück heile Welt zu bauen, während ihre natürliche Umwelt in großem Maßstab vernichtet wird? Noch unheimlicher werden diese Häuslebauer, wenn man sich vor Augen führt, wo die Ursprünge ihres Reichtums zu suchen sind: buchstäblich pflastern sie ihren Hof mit den Knochen von Negern, düngen ihre Primeln mit deren Blut und vertilgen ihr Leben, um weiterhin mit ihren SUV´s Unmengen an nutzlosen Ramsch in ihre ganz individuell ausgestatteten Egotempel zu bringen, wo sie nichts anderes machen als den ganzen Tag zu feiern, wie toll sie sich selbst finden. Ist ja auch altbekannt, wo unser Reichtum herkommt, siehe Welt:
Wenn ein Kind jeden Tag zentnerschwere Säcke schleppen müsse. Über rutschige Halden, auf schlammigen Wegen. Kilometerweit durch den dichten Dschungel. Zwei Dollar pro Woche, die sieben Arbeitstage kennt. Und selbst davon habe er den Soldaten einen Teil geben müssen.
„In den Minen in Walikale“, sagt Merci und flüstert ängstlich, „da wohnt der Teufel. Und alle, die dort arbeiten, gehören ihm.“
Vielleicht denkt man mal an „Merci“, wenn man das nächste Mal von der Toprendite der Telekom-Giganten hört und Politiker von unglaublichen Vorzügen der globalisierten Welt faseln, die uns Reichtum und Wohlstand beschert hat. Was verschwiegen wird, ist: Reichtum und Wohlstand haben wir aufgrund von Sklaverei, nicht aufgrund von Arbeit und Erfindungsreichtum. Ein älterer Spiegelartikel über Berliner Mietskasernen erinnert uns daran, das diese Erscheinungen nicht neu sind:
In sieben Schlachten hatte Schuster G. für die Preußen gefochten. Dann, als Veteran, mußte er die bittere Erfahrung machen: „Man gibt uns keine Arbeit, verbietet das Stehlen und wirft uns ins Loch, wenn wir betteln.“
Sein Schicksal teilten Tausende am Stadtrand von Berlin.
Für ein Stück Brot oder eine Handvoll Hafergrütze suchten G. und seine Nachbarn in der Stadt Knochen zusammen, hackten Holz, trugen Torf. Die Ärmsten, die nichts als den Tag stehlen konnten, bekamen im Winter einen Schlag „Armensuppe“.
Es lohnt sich, dieses historische Dokument zu lesen, es stammt aus dem Jahre 1980, einem Jahr, in dem der deutsche Bürger noch politische Visionen haben durfte, ohne dafür zum Arzt zu müssen. Besonders gut gefällt mir dieser Abschnitt:
Das war — vor 150 und auch noch vor 100 Jahren — „das Elend in seiner letzten, furchtbarsten Gestalt“, wie der verfemte Jurist und Schriftsteller Ernst Dronke es 1846 nannte: das Wohnelend in den ersten Berliner Mietskasernen.
Stellen wir uns mal vor, jemand würde heute das Wohnelend in den Hartz-Kasernen der Republik anprangern und es als „das Elend in seiner letzten, furchtbarsten Gestalt“ anprangern: wir würden diese Sozialromantiker sofort in die Schranken weisen – mit Hinweis auf die Stundenlöhne in Afrika. So was geht im Jahre 2012 wieder. Viele haben daran gearbeitet – und arbeiten weiter daran. Zum Beispiel der deutsche Finanzminister, ganz vorne mit dabei, wenn es darum geht, das Elend der Mietskasernen des 19. Jahrhunderts wieder flächendeckend zu verbreiten. Es ist nur noch peinlich zu nennen, wie man sieht, wie er in der Tagesschau die vielfältigen Schutzschirme erläutert und dabei erkennen lässt, das er noch nicht mal genau weiß, wie viele Milliarden er gerade aus dem Fenster wirft.
80 Milliarden oder 60 Milliarden oder 65 Milliarden und dann noch irgendwie 28% von 650 Milliarden und 40 Milliarden cash für den IWF: – wenn ich so meinen Haushalt führen würde, wäre ich am Ende der Woche verhungert. Als deutscher Finanzminister geht das – weil man Leute hat, die einem sagen, wo es langgeht. Die Financial Times Deutschland klärt über die Zusammenhänge auf:
Die Antwort sollte inzwischen klar sein: Interessengruppenpolitik und die Weltsicht politischer Eliten. Auch wenn das Risiko für das Finanzsystem minimal war, hatten Banken und Anleihegläubiger mit erheblichen Konsequenzen zu rechnen. Sie liefen Gefahr, Milliarden zu verlieren und vielen Beschäftigten des Finanzsektors drohte der Verlust ihrer Arbeitsplätze. Es ist also kaum verwunderlich, dass führende Banker, sowohl hinter verschlossenen Türen als auch öffentlich, Lobbyismus gegen eine Umschuldung betrieben.
So lässt etwa das Institute for International Finance, ein einflussreicher Lobbyverband großer Finanzinstitute mit Sitz in Washington D.C., regelmäßig verlauten: Helft uns aus der Patsche, oder ihr habt die Konsequenzen zu tragen. Mindestens ebenso wichtig, wie der Handlungsstrang, auf den sich der Verband geeinigt hat, ist seine politische Macht, die in den letzten Jahren erheblich zugenommen hat – so sehr, dass sich alle wichtigen politischen Entscheidungsträger in den USA und in Europa um das Schicksal von Banken sorgen, auch wenn das keinen allgemeineren Einfluss auf die Wirtschaft hat.
Sogar jetzt werden viele der Verluste, die die Banken hätten tragen sollen, vom öffentlichen Sektor geschultert, unter anderem durch verschiedene Formen direkter Unterstützung und die außergewöhnlichen und riskanten Tätigkeiten der Europäischen Zentralbank.
Dies sollte man in jeder Tageszeitung, jedem Nachrichtenformat und allen Nachrichtensendungen öffentlich-rechtlicher Anstalten tagtäglich verbreiten, bis auch jeder deutsche Schrumpfkopf begriffen hat, worum es hier geht: einen gigantischen globalen Betrug durch eine Branche, die eigentlich niemand braucht, Millionen von Arbeitsplätzen, die eigentlich nichts Sinnvolles leisten aber ein leistungsloses Einkommen in Millionenhöhe kassieren. Schauen wir uns die Schicksale doch mal im Detail an – nur eins, das reicht schon. Eine ganz normale Angestellte der Finanzindustrie – eine „Zerstörerin der Welt“, siehe
Wirtschaftsblatt:
Nach Abschluss des Ökonomiestudiums in Cambridge war Masters Anfang der 1990er-Jahre in London Teil eines Teams, das Ideen entwickelte, wie man Risiken auf dritte Parteien übertragen konnte: Es war die Geburtsstunde der Kreditderivate. Sehr komplex waren sie strukturiert, Hypotheken lagen ihnen als Basiswert zugrunde. Investoren konnten Long-und Short-Positionen eingehen. Kunden bewegten so gewaltige Summen mit verhältnismäßig kleinem Einsatz, was gewaltige Chancen, aber auch Risiken beinhaltete.
Als die Immo-Blase platzte, fiel das Kartenhaus zusammen. Masters wechselte während des Booms nach New York, wo die 42-Jährige bis heute für JP Morgan arbeitet. Während der Finanzkrise erhielt sie stets Rückendeckung von ihren Chefs. Derzeit leitet sie den globalen Rohstoffhandel. Bei Anhörungen der Regierung tritt sie schon mal als Expertin auf. Unumwunden gab sie zu, dass die Kreditderivate Schwächen aufwiesen. Der „New York Oberserver“ bezeichnete Masters als „einen Zerstörer der Welt“.
Heute leitet diese Frau den globalen Rohstoffhandel – womit wir wieder bei den Negern sind … bzw. ihren Rohstoffen und renditefreundlichen Produktionsmethoden, bei unseren Horrorbenzinpreisen und dem EU-Rettungsschirm. Aktuell merken wir ja, das der Rettungsschirm ja gar nicht groß genug sein kann –
Griechenland braucht ein neues Hilfspaket,
Spanien könnte noch viel mehr brauchen und wenn wir erstmal die Bankengewinne in Italien sichern müssen, reicht alles Geld der EU nicht mehr aus.
Deshalb ist es weise, sich das Leben der Kinder im Kongo anzuschauen – es wird die Zukunft unserer Kinder sein. Ich nenne sie „Neger“, weil ich die Heuchelei nicht mehr mitmachen möchte. Ich weiß: politisch korrekt wären andere Bezeichnungen. Da wir sie aber behandeln wie „Neger“, möchte ich auch, das sie wieder so genannt werden. Wie im Bericht über Preußen im 19. Jahrhundert schon beschrieben, können wir alle jederzeit „Neger“ werden – einige Millionen von uns sind es schon … man vergleiche nur die Pressekommentare über Hartz-IV-Abhängige mit den Beschreibungen der Bewohner der
preussischen Mietskasernen:
Die Grunholzer-Protokolle erwiesen sich schon deshalb als so wertvoll, weil die Bourgeoisie des Biedermeier für Armut und Elend gemeinhin nichts als Verachtung hegte. Entsprechend tendenziös wirkten Berichte von Polizisten und auch Pastoren, die in den Voigtländern nur „räuberisches Gesindel“ und „derartiges Gelichter“, „die tiefste Hefe des Volkes“ und Menschen in ihrem „rein tierischen Zustande“ sahen.
Deshalb bekommt der öffentliche Dienst ja jetzt auch
ein sattes Lohnplus: die stammelnden Marionetten der Bankenlobby kaufen sie Freunde, Freunde, die sie dringend brauchen werden, wenn unsere Kinder Arbeitsbedingungen wie im Kongo haben. Undenkbar? Einfach mal in den Wohnsilos der sozial Schwachen vorbeischauen – wobei dieser Begriff schon eine Schande an sich ist. Aber so nennen wir halt unsere eigenen neuen Neger – und ihre Lebensqualität ähnelt eher denen der Berliner Mietskasernen.
Darum wundert es mich nicht, das jene Deutschen, die es sich – noch – leisten können, sich ihre eigenen, kleinen Paradiese bauen. Ich denke, sie merken schon, das der Teufel nicht nur in den Minen des Kongo herrscht, sondern sich gerade anschickt, das ganz große Ding zu drehen: also baut man sich sein Mäuseloch und hofft, das der Herr der Finsternis am eigenen Haus einfach vorübergeht.
Leider wird er das nicht tun … und das weiß man auch – weshalb schon kleine Beunruhigungen zu Panikkäufen verleiten. Wo so schnell Panik entsteht, muss ganz viel Angst herrschen – und an einem aktuellen Beispiel sehen wir dann auch, was geschieht, wenn wir von unserem Recht des käuflichen Erwerbs von Benzin Gebrauch machen: die Polizei
schließt zur Not einfach die Tankstellen, wenn wir versuchen, die letzten Tropfen Billigsprit zu erwerben.
Nun beantwortet sich auch leicht die Frage, warum der Deutsche sich all dies so widerspruchslos antut: nicht nur die Verachtung für Armut und Elend erinnert an die
Zeit des Biedermeier – auch sonst verhalten wir uns nach klar erkennbaren Mustern:
Der Ausdruck Biedermeier bezieht sich zum einen auf die in dieser Zeit entstehende eigene Kultur und Kunst des Bürgertums (z. B. in der Hausmusik, der Innenarchitektur und auch in der Mode), zum anderen auf die Literatur der Zeit, die beide oft mit dem Etikett „hausbacken“ und „konservativ“ versehen werden. Als typisch gilt die Flucht ins Idyll und ins Private.
In der Biedermeierzeit erlebte auch das Theater einen Aufschwung, doch statt Belehrung war Unterhaltung gefragt, also eine Abkehr von den Idealen der Aufklärung.
Einfach mal ins heutige Abendprogramm schauen und alle Sendungen, die der Aufklärung über Ausbeutung, über die realpolitische Machtverhältnisse jenseits der Demokratieillusion und die Folgen der aktuellen politischen Prozesse für unsere Zukunft dienen rot anstreichen – der Stift wird sehr trocken bleiben.
Somit sind wir 2012 wieder da, wo wir 1812 schon mal waren.
Erstaunlich, oder?
Der Eu-Rettungsschirm macht aus uns allen Finanzneger, Schuldsklaven und Biedermeierschnepfen, deren höchstes Glück es ist, sich hinter den eigenen vier Wänden vor der Tatsache verstecken, das die Kinder Afrikas ihr Blut für unsere Handykultur geben – und die Kinder Deutschlands ihr Blut für die staatliche garantierten Gewinne der Großbanken geben müssen.
Mir dünkt, nicht nur in den Minen Afrikas wohnt der Teufel. Langsam habe ich den Verdacht, das ihm Deutschland auch gehört – und zunehmend der Rest der Welt ebenso.
