Mittwoch, 1.2.2012. Eifel. „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“ – kennt noch jemand diesen Satz? Nein? Der hat mal für viel Aufregung gesorgt. Man sah ihn zuerst auf Demonstrationen von Neonazis, die damit provozieren wollten. Dann nahmen ihn auch Politiker in den Mund, bis man dann anfing, sie auszubremsen:
„Die verstärkte und undifferenzierte Äußerung von Nationalstolz dürfte dazu beitragen, dass Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit zunehmen.“ Diese Ansicht vertritt die Arbeitsgruppe Sozialpsychologie an der Philipps-Universität in einer aktuellen Stellungnahme. Der Satz „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“ sollte nach Meinung der Marburger Sozialpsychologen im Repertoire von Politikern und Medien nicht vorkommen.
Auch einer der Heiligen der deutschen Politik, Johannes Rau, äußerte sich in diesem Zusammenhang:
Bundespräsident Johannes Rau hat in seinen Äußerungen zum Thema zu Differenzierung beigetragen und zwei verschiedene Objekte unterschieden: Es gibt nach Rau einerseits Dinge, über die man froh sein kann, und dazu kann gehören, dass man in Deutschland lebt. Andererseits gibt es Dinge, auf die man stolz sein kann, weil man sie selbst vollbracht hat. Dazu kann nach Rau nicht gehören, dass man stolz ist, ein Deutscher zu sein, weil dies keine Leistung ist, die man mit eigener Anstrengung erbracht hat.
Das Ergebnis der Studie war jedoch eindeutig:
Zusammenfassend stellen wir fest: Die Äußerung „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“, geht in Meinungsumfragen einher mit stärkerer Fremdenfeindlichkeit.
Darum war das ein PFUI-SATZ. Das war 2001. Heute haben wir 2012 … da sieht das etwas anders aus.
Schon 2009 war der Satz völlig akzeptabel, siehe Welt:
Doch zum Grundverständnis der Deutschen von sich selbst gibt die am Mittwoch vorgestellte Studie einiges her. 59,3 Prozent der Deutschen sagen mittlerweile: „Ich bin stolz, Deutscher zu sein.“
Man sieht: die Umerziehung war erfolgreich. Umerziehung? Ja – Umerziehung. Weg von einem solidarischen, demokratischen Staatsbürger hin zum finanziellen Nutzvieh, das klaglos den Geldbeutel öffnet, in dem immer weniger drin ist. Hauptsache: man bleibt deutsch und ist stolz darauf. Heute zum Beispiel in der Welt:
Ganz Europa klagt über eine grassierende Massenarbeitslosigkeit, nur in Deutschland ist ein Jobwunder angesagt. Das ist eine Lüge, aber wenn man sie nur oft genug wiederholt, glaubt sie jeder. Die Fakten sehen auch in Deutschland anders aus:
Der statistisch erfassten Arbeitslosigkeit stehen 7.092.183 Leistungsempfänger im Leistungsbezug im Rechtkreis SGB II/SGB III als (ALG I, ALG II, Sozialgeld) gegenüber das sind rund 64,3 % mehr Leistungsempfänger als im Dezember 2004. (Ohne Sozialhilfe diese 2004 als auch 2011 rund 1 Million Personen erhalten haben)
Darüber hinaus haben wir noch über 8 Millionen atypische Beschäftige, die ebenfalls keinen ordentlichen Job haben, von dem man leben und Steuern zahlen kann.
Da auch manche a-typisch Beschäftigten Leistungen empfangen, um nicht hungernd vom Baugerüst zu fallen, kann man die Zahlen nicht einfach addieren – aber dank Wikipedia mit dem „groben Daumen“ rechnen:
Der Arbeitsagentur zufolge waren 2007 im Bundesschnitt 23,1 % aller Leistungsempfänger „Aufstocker“ (= rund 1,22 Millionen).[4] Bis Juni 2010 hat sich der Anteil auf 28,3 % erhöht (= rund 1,4 Millionen). Den größten Anteil von Aufstockern gab es im Juni 2010 mit 32,6 % in Sachsen-Anhalt.[2]
Von Juni 2008 bis Mai 2009 wurden insgesamt rund 531 Millionen € zur aufstockenden Grundsicherung von unterbezahlten Beschäftigten allein in der Leiharbeitsbranche ausgegeben.
Gehen wir also davon aus, das 30% der Leistungsempfänger als „arbeitend“ gelten und deshalb in beiden Statistiken auftauchen, so kommen wir auf knapp 12 Millionen echte Arbeitslose. Das entspricht meinen Beobachtungen vor Ort – in einer Stadt, die wegen ihrer „Vollbeschäftigung“ beneidet wird:
Die Arbeitslosenquote auf Basis aller zivilen Erwerbspersonen betrug im Dezember 3,6 Prozent; sie war damit ebenfalls genau so hoch wie im Vorjahresmonat.
Damit liegt Monschau im Vergleich ganz weit vorn:
„Der Kreis Heinsberg und die Region um Monschau, wo die Arbeitslosenquote bei 3,6 Prozent liegt, sind in den positiven Entwicklungen immer schneller als Aachen und die Städteregion.“
Und weil alle so fleissig arbeiten, gibt es bei uns auch soviel Armut:
Auch in der Eifel gibt es arme Menschen. Und die Armut hier in der Nordeifel nimmt zu. «Da gibt es kinderreiche Familien, die sich schwer tun, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Da gibt es alleinerziehende Mütter, die mit ihren Kindern an der Armutsgrenze leben.»
Diese Erkenntnis gehören mit zur «Bilanz» des Vereins «Antoniusbrot» in Monschau, der jetzt seine Jahresbilanz zog.
Der Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, arme Menschen mit Brot zu versorgen. Mehr noch: Der Verein sorgt dafür, dass alle Kinder in den Ganztags-Grundschulen am gemeinsamen Mittagessen teilnehmen können.
Die Berichte waren auch für den Wohlstandsbürger erschreckend:
Erika Frank aus Simmerath, Mitbegründerin und Leiterin «Monschauer Tafel», berichtete auf der Versammlung über die Arbeit der «Tafel», sie nannte erschreckende Zahlen, die die Armut in der Nordeifel deutlich machen. Erika Frank ist froh und dankbar, dass die «Monschauer Tafel» kräftig unterstützt werde: vom Rotary-Club Nordeifel, vom Lions-Club, von den Supermärkten, aber vor allem auch von der Bevölkerung der Region.
Eine lange Zeit mussten die Menschen samstags vier bis fünf Stunden draußen (bei Wind und Wetter) anstehen, um ein Paket mit Lebensmitteln zu bekommen
Bei Wind und Wetter heißt bei uns in der Eifel: Regen oder Schnee. Man schämt sich, ein Deutscher zu sein, wenn man an den langen Schlangen vorbeifährt. Und manche äußern auch deutlich, was sie bei dieser Entwicklung fühlen:
Alexander Lenders dankte Erika Frank und der «Monschauer Tafel» für das große Engagement: «Vor Jahren hätte sich wohl niemand träumen lassen, dass Einrichtungen wie Antoniusbrot und Monschauer Tafel auch in der heilen Welt der Nordeifel einmal nötig sein würden.
In Wirklichkeit jedoch … haben wir eine reale Arbeitslosigkeit, die sich hinter der von Spanien und Griechenland nicht zu verstecken braucht – wir tricksen hierbei nur besser als die Griechen mit ihrem Haushalt. Ohne die Brotspenden, die bei uns in der Nordeifel auch wirklich in einem real verteilten halben Brot bestehen, würde es den Kindern in unseren Schulen wahrscheinlich so ergehen wie den Kindern in Griechenland: hier fallen unterernährte Kinder schon mal während des Unterrichts in Ohnmacht, dank einer funktionierenden Presse erfahren wir aber noch davon.
In Deutschland erfahren wir über Deutschland nicht so viel – es sei denn, wir gehen einmal ins Detail. Wenn die Armut in dieser kleinen Eifelgemeinde schon so schlimm ist, das dort (bei äußerst niedrigen Arbeitslosenzahlen!) schon ein halbes Brot die Woche hilft, echte Not zu lindern … wie schlimm ist sie dann in Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit.
Vielleicht gut, das die Medien uns vor der Wirklichkeit in diesem Lande bewahren und uns vielmehr Gründe liefern, das wir wieder Stolz sein können, ein Deutscher zu sein – ein Deutscher in einem Land, in dem inzwischen jedes dritte Kind Sprachprobleme hat, immer mehr Menschen wegen chronischer Überlastung suizidgefährdet sind und indem inzwischen ein Reperaturstau von 700 Milliarden Euro aufgelaufen ist:
Der Investitionsstau allein bei der kommunalen Infrastruktur Deutschlands – Kanalisationen, Schul- und Verwaltungsgebäude, Frei- und Hallenbäder, Sportstätten, Krankenhäuser, Feuerwachen, Straßen, Brücken – ist enorm: Er beträgt laut Deutschem Institut für Urbanistik über 700 Milliarden Euro – ein Reparatur- und Erneuerungsbedarf, der sich seit vielen Jahren hinzieht und vergrößert.
Insofern wundert es nicht, das Auswanderer nicht wieder zurückwollen. Ein Blick nach Signapur zeigt: wir sind schon längst Dritte-Welt-Land. Hören wir dazu Auswanderer bei „Spiegel-online„:
Alles in allem ist das Leben in Singapur deutlich teurer als in Deutschland. Andererseits hat man auch große Vorteile: Es ist sauber, es ist sicher und es gibt ein tolles öffentliches Nahverkehrssystem.
Bei uns ist es dreckig, unsicher … und wir gehen zu Fuß. Aber: wir sind wieder stolz darauf, stolz darauf, so blöd zu sein, das man uns wirklich alles verkaufen kann.
Wenn dann die Rechnung kommt, schauen wir nicht mehr so genau hin. Kann sich noch jemand an die Berichte über die Superkauflaune in Superdeutschland erinnern? Nein, was waren wir in Kauflaune. Die Umfragewerte waren phantastisch, super und voller Optimismus. Die Realität … sah anders aus, siehe Manager Magazin:
Die deutschen Einzelhändler haben im wichtigen Weihnachtsgeschäft weiter unter der fehlenden Kauffreude gelitten.
Liegt vielleicht auch daran, das Menschen, die kein Geld für Brot haben, auch keine Blue Ray Discs kaufen?
Eine kleine Meldung am Rande zeigt, wie schlimm es noch werden kann. Russland hat die Erdgaslieferungen an Europa drastisch reduziert, einige Lieferungen nach Italien wurden ganz storniert. Da sieht man deutlich, was man von uns hält – und wohin wir uns unsere ganzen „Euro“ im Ernstfall stecken können.
Und dieses Land soll in Zukunft allen Ernstes jährlich 60 Milliarden Euro zur Rettung des Euro nach Brüssel überweisen?
Ich schätze mal … das wird man mit noch soviel Trickserei und Optimismus nicht bewältigen können.
Aber Hauptsache, wir sind wieder stolz, Deutsche zu sein.
Superdeutsche.