Montag, 16.1.2012. Eifel. Die Welt start gebannt auf die Börse – in Japan gab es schon erste Kursabschläge. Hintergrund dieser Entwicklung ist ein erneuter Terroranschlag auf Europa. Nein, keine finsteren Taliban mit Dolchen zwischen den Zähnen waren auf dem Parkett erschienen, noch staatsschutzgelenkte Neonazis oder gut vernetzte einzelgängerische Massenmörder, sondern die anglo-amerikanischen Ratingagenturen. Sie hatten in einem Rundumschlag halb Europa in die Knie gezwungen:
Ganze vier Euro-Staaten sind nur noch im Besitz der Bestnote AAA, davon einzig Deutschland mit einem stabilen Ausblick. Das macht die Rettung tendenziell kostspieliger. Und der Druck auf die Europäische Zentralbank (EZB) wird zunehmen, die letzten Grundsätze über Bord zu werfen und mit noch mehr Milliarden den Rettungeuropäern beizuspringen: „Spitzt sich die Krise zu, muss die EZB endlich die Bazooka auspacken“, frohlockt ein Banker.
Ja, so wird man schnell reich: mit Geld vom Steuerzahler. Für die Volkswirtschaften ist das Mumpitz, weil es in einen regelrechten Teufelskreis führt: das schlechte Rating führt zu höheren Kosten, die wiederum den Haushalt belasten, was zu einem noch schlechteren Rating führt. Gewinner sind die Banken, die immer mehr Gebühren ohne Leistung kassieren dürfen. So wird man reich auch ohne Arbeit oder Abitur.
Lange kann man so ein Spiel nicht durchhalten, zumal das so von überall zu den Banken geleitete umverteilte Geld bei immer mehr Menschen in allen Schichten der Gesellschaft fehlt – nicht nur bei denen, die aufgrund wirtschaftlicher Fehlentscheidungen arbeitslos geworden sind. Manche sehen in diesen Terrorakten sogar einen Krieg anglo-amerikanischer Kreise gegen Europa, eine These, der anglo-amerikanische Medien gleich widersprechen:
Einmal Buhmann, immer Buhmann. Obwohl das ungerecht ist, müssen sich die amerikanischen Ratingagenturen damit abfinden. Jedes Mal, wenn sie die Bonität von Euro-Ländern herabstufen, sehen sie sich Anfeindungen der Politik ausgesetzt. Das Spektrum ihrer Kritiker reicht von der CDU bis zur Linken und gipfelt im Vorwurf von Gregor Gysi, Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch führten Krieg gegen die europäischen Völker. Doch das ist Nonsens.
Warum das Nonsens ist, erfahren wir nicht. Ein Wunder, das nicht gleich „Verschwörungstheorie“ gerufen wurde.
Was ist eigentlich eine Ratingagentur? Schauen wir bei Wikipedia:
Ratingagenturen (englisch Credit rating agency, CRA) sind private, gewinnorientierte Unternehmen, die gewerbsmäßig die Kreditwürdigkeit (Bonität) von Unternehmen aller Branchen sowie von Staaten und deren untergeordneten Gebietskörperschaften bewerten.
Und … was machen die so?
Im Rahmen der Finanzkrise ab 2007 hat die Kritik an den Ratingagenturen stark zugenommen und in den USA und Europa eine politische Debatte auf höchster Ebene ausgelöst. Den Agenturen wird vorgeworfen, mit der Vergabe teilweise unrealistisch guter Ratings oft gar mit der Bestnote AAA bewertete verbriefte Wertpapiere den Marktteilnehmern ein zu niedriges Risiko signalisiert und dadurch den Finanzmärkten einen falschen Anreiz gegeben zu haben. Die Glaubwürdigkeit der Ratingagenturen bzw. die Aussagekraft der von ihnen vergebenen Ratings werden auch im Zusammenhang mit dem Vorwurf des Wertpapierbetrugs gegen Goldman Sachs in Frage gestellt, da die fraglichen Wertpapiere mit dem besten Rating versehen waren.
Ah … die machen also, wofür sie bezahlt werden. Sie vergeben positive Ratings für Schrottpapiere, zum Beispiel. Wie ein privater TÜV, der eng mit einem Gebrauchtwagenhändler zusammenarbeitet, der ihn für seine Gutachten bezahlt. Was bei uns mittelbare Staatsverwaltung ist, ist dort Business … ein sehr bequemes zudem: die oligopolistisch aufgestellten Agenturen arbeiten fast ausschließlich pro-zyklisch, das heißt, sie passen sich nur dem aktuellen Trend an.
So könnte selbst ich Ratings erstellen.
Natürlich ist Vorsicht geboten, wenn eine Firma, die durch Rating Gewinn macht, einzig von den Auftraggebern abhängig ist – was vielleicht die Häufung von gewaltigen Irrtümern erklärt:
Es hat sich gezeigt, dass die Agenturen bei ihren Rating-Einstufungen in Einzelfällen sehr stark von der Realität mancher Schuldner entfernt waren. Hierbei ging es um völlige Schieflagen der Agenturen im Zusammenhang mit den spektakulären Fällen Enron (1997), WorldCom (2001), Parmalat (2003) sowie um die Fehleinschätzungen bei den Staatskrisen in Asien (1997) und Argentinien (2001) oder etwa der größten kommunalen Insolvenz des Orange County in Kalifornien im Dezember 1994. Dabei zeigte sich auch, dass diese Mängel nicht überwiegend agenturspezifisch sind, sondern dass weitere Kreditinstitute oder andere Investoren hiervon teilweise betroffen waren.
Abhängig sind die Agenturen aber nicht nur von ihren Auftraggebern, sondern auch vom Staat. Im Juli 1975 gab ihnen die US-Börsenaufsicht die Macht dazu – sie sind die einzigen, die bestimmen, wer an die Börse gehen darf und wer nicht. Würde man wirklich die Hand beißen, die einen füttert – oder die, die überhaupt erst zugelassen hat, das man Futter bekommen darf?
Es sind nur eine Hand voll anglo-amerikanischer Agenturen, die die Preise für Kredite bestimmen – die bestimmen, wie viel man für leistungsloses Einkommen erhält – sollte nicht das allein schon ein Tatbestand sein, der nachdenklich stimmt?
Nun steht der Rettungsschirm selbst vor einer Herabstufung, das ultimative Heilmittel, das – wie man aktuell aus Bankenkreisen erfährt – viel zu gering dosiert ist: 500 Milliarden sind zu wenig. Vorsichtshalber bereiten Schäubles Berater schon mal das Volk darauf vor, das eine Herabstufung Deutschlands auch kein „fürchterliches Drama“ wäre, man solle die Ruhe bewahren, weiter Geld ausgeben, auf die Zukunft vertrauen, in der neue Kosten auf uns warten, die wir abzuarbeiten haben. Zudem tauchen nebenbei auch noch versteckte Schulden auf – bei Ländern, die bislang unverdächtig waren, jetzt aber auf einmal in die Nähe Griechenlands rücken.
Die einen zahlen – die anderen verdienen.
Broker, die Hedgefonds mit anderen Investoren zusammenbringen, feierten 2011 ein Rekordjahr. Der New Yorker Anbieter Equilend allein verzeichnete binnen eines Monats (August) 27.770 Wertpapierleihen über 21,3 Milliarden Dollar. Ein Großteil der Wetten im zweiten Halbjahr 2011 sei „geprägt von Hedgefonds, die auf globale Ereignisse wie die Krise der Euro-Zone reagiert haben“, zitiert die Agentur Reuters James Slater, Chef für Wertpapierleihe bei dem Depotverwahrer Bank of New York Mellon. Übersetzt: Hedgefonds wetten massiv auf eine Euro-Pleite und gleichzeitig auf eine vollständige Rettung des Euro durch den Steuerzahler, ohne Beteiligung privater Gläubiger.
Während die einen Krise haben, haben die anderen Party: JP Morgan wird im Krisenjahr 2011 Marktführer in den USA und fährt 19 Milliarden Dollar Gewinn ein. Gewinn, der über viele Wege direkt aus europäischen Geldbeuteln stammt. Währenddessen dürfen wir Zahler uns auf massive Preissteigerungen bei Lebensmitteln einstellen – passenderweise wird uns dann gleich der einkommenslose „Mülltaucher“ als Existenzmodell der Zukunft vorgeführt, ein Modell, bei dem die ersten Pioniere die Erfahrung machen, das sie sich sehr reich fühlen … weil sie viel Zeit haben.
Da merkt man vielleicht, warum es in Deutschland hauptsächlich darum geht, Arbeitslose „beschäftigt“ zu halten.
Vielleicht bemerkt man den Ernst der Lage am deutlichsten, wenn bei den Reichen in Deutschland die Angst umgeht: Linde-Chef Reitz phantasiert von einem Austritt Deutschlands aus der Eurozone, Hans Olaf Henkel springt ihm bei – und das obwohl der Euro ein Segen gerade für die deutsche Industrie war, die nur wegen ihm zum Exportvizeweltmeister wurde.
Da verstehen wir erstmal, das der deutsche Steuerzahler in erster Linie für die Konzerngewinne bezahlt hat – nun noch mehr bezahlt für den Ratingterror und noch eins drauflegen soll für den Euroausstieg Deutschlands.
Wie nervös der aktuelle Terroranschlag die Menschen macht, sieht man vielleicht beim Spiegel: kurz nach Eröffnung der Börse gibt es erstmal einen Artikel, wie toll doch die Börse diesen erneuten Anschlag standgehalten hat. Dementgegen stehen die Nachrichten in den schon erwähnten anglo-amerikanischen Medien, die kurz mal darauf hinweisen, das der Euro infolge des Ratingterrors einen historischen Tiefstand erreicht hatte.
Wird der Euro weniger Wert, steigt der Wert des Dollar. Steigt der Wert des Dollar, erhöht sich auch der Gewinn der Ratingagenturen – die als privatwirtschaftliche Unternehmen verpflichtet sind, Gewinn zu machen. Welche praktischen Alternativen zum Ratingterror gibt es also für sie?
Keine.
Genauso wenig wie es für uns Europäer in Zukunft Alternativen zum Mülltauchen geben wird.