Politik

Wer hat Angst vor dem bösen Wulff? Hintergründe zum Präsidentenkegeln …

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Donnerstag, 5.1.2012, Eifel. Die aktuellen Herbststürme – momentan in den Winter ausgelagert – verändern meinen Zeitplan und gönnen mir eine kleine Pause, in der ich mich den Katastrophen der Welt widmen kann. Es gibt ja viele Horrormeldungen momentan: China will keine deutschen Autos mehr (ich denke, kaum jemand weiß, was das für Deutschland bedeutet, wenn die damit ernst machen), Spanien will keine deutschen Autos mehr (-17,7% gegenüber dem Vorjahr) in den USA herrscht langsam ein dramatisches Wohlstandsgefälle, das wohl auch dazu geführt hat, das man – sicherheitshalber – ein neues Ermächtigungsgesetz ( und damit gleichzeitig alle demokratischen Prinzipien) verabschiedet … eine Entwicklung, die in Deutschland ab 1933 zu außergewöhnlichen Erscheinungen im menschlichen Umgang miteinander geführt hat. Wäre ja wichtig, sich darüber mal Gedanken zu machen, zumal man gerne übersieht, das Deutschland das erste Land war, was von den Nazis übernommen wurde – was wäre, wenn sie sich für 2012 ein ganz anderes, viel mächtigeres Land vorgenommen haben? Vielleicht ein Land, das (mal von Nordkorea abgesehen) großen Einfluss auf jene Länder hat, in denen die Christenverfolgung am schlimmsten ist:  Saudi-Arabien und Afghanistan? Das alles ficht den Deutschen jedoch momentan nicht an, selbst das Wunder, wie wir bei steigenden Arbeitslosenzahlen auch immer mehr arbeitende Menschen haben, lässt ihn kalt, die Rente mit 69 erschüttert ihn auch nicht – er fragt sich nur eins: wer hat Angst vor dem bösen Wulff?

In der Tat ist es müssig, sich über dieses Thema Gedanken zu machen – es überschwemmt trotzdem alle Nachrichtenmagazine. Süddeutsche Zeitung, Fokus, Wirtschaftswoche – alle wollen ihm an den Kragen, siehe Pressespiegel im Handelsblatt oder im Spiegel. Jetzt will die Bildzeitung sogar seine Mailbox-Nachricht veröffentlichen.

Das eigentliche Wunder dabei ist: Keiner fragt sich, warum die Elite der neoliberalen Klatschblätter auf einmal zum Präsidentenkegeln aufruft. Mal ehrlich: was soll denn das? Haben die die letzten Jahre verschlafen, ist der neoliberale Putsch, der Umsturz zugunsten des Geldadels denn spurlos an ihnen vorübergegangen? Wohl nicht, wenn ich die Welt lese:

Auch Christian Wulff gehört zu Deutschland. Fragt sich nur, zu welchem.Denn Deutschland ist ein tief gespaltenes Land. Nicht nur zwischen Arm und Reich, Bio-Deutschen und Deutschen mit Migrationshintergrund, Ost und West, sondern vor allem zwischen jenen, die arbeiten und denjenigen, die ihr Geld arbeiten lassen.

Zwischen den Schnäppchenjägern, die Geiz geil finden, und denjenigen, die wissen, dass Qualität ihren Preis hat; zwischen den Gutmenschen, die von einer Party zur nächsten hopsen, um sich gut zu fühlen, und den guten Menschen, die keine Charity-Galas und keine Benefiz-Konzerte besuchen, wenn sie hungernden Kindern in Afrika helfen wollen.

Dass dieses Land noch so erstaunlich gut funktioniert, hat es nicht den „Freunden“ von Christian Wulff zu verdanken, sondern den Müllmännern und den Feuerwehrleuten, den Polizisten und den Krankenschwestern, den Handwerkern und den Malochern auf dem Bau, den Arbeitern bei Ford und den Kassiererinnen bei Aldi.

Sprüche, die man eigentlich in der „Roten Fahne“ verorten würde, die gerade wieder einmal die Revolution der Werktätigen vorbereiten, nicht aber in einem Magazin, das gerne auch mal jene wirklichen Leistungsträger Deutschlands fallen lässt, wenn sie mal wieder arbeitslos werden, weil die Putschisten gerade eine neue Heuschrecke mit frischem Kapital füttern wollen.

Wenn Rechts und Links sich in ihrer Kritik immer ähnlicher werden, scheint das ein Indiz dafür zu sein, das man sich dem Kern des Problems jenseits aller Ideologien nähert: einem Putsch von oben, der sehr erfolgreich war. Insofern wundert es nicht, das Wulff – ohnehin in interessanten Kreisen verkehrt , Geld, Geschenke, Reisen und Urlaubsangebote bekommt, es verwundert viel mehr, warum man sich auf einmal so darüber aufregt.

Gut – die Welt hatte ebenfalls schon mal unangenehme Erfahrungen mit Wulff gemacht:

Um die Veröffentlichung eines Artikels zu verhindern, habe das Bundespräsidialamt laut „Welt“ massiv interveniert – nicht nur beim Chefredakteur, sondern auch an höchsten Verlagsstellen. „Einer der Autoren wurde in der Sache ins Schloss Bellevue gebeten“, heißt es in der Zeitung. Dort habe Wulff dem Redakteur persönlich mit „unangenehmen und öffentlichkeitswirksamen Konsequenzen“ gedroht, sollte der Artikel veröffentlicht werden. 

So etwas erwartet man vom Kreisvorstand der NPD – aber doch nicht vom Bundespräsidenten. Es sei denn … er ist so etwas gewohnt, er rechnet damit, das man – wie üblich – seinen Wünschen Folge leistet, wie im aktuellen Fall:

Schließlich rief er auch noch den Vorstandschef der Springer AG, Mathias Döpfner an und kontaktierte sogar Mehrheitsaktionärin Friede Springer selbst und bat um Intervention.

Das für Wulff augenscheinlich Unerwartete trat ein: Das Blatt druckte die Geschichte trotzdem, und am Ende gelangte auch noch der Inhalt der Mailbox-Aufzeichnung, für den sich Wulff zwei Tage später bei Diekmann entschuldigte, an die Öffentlichkeit. 

Das Unerwartete trat ein … und hier sind wir beim Kern des Problems. Jemand, der keine Probleme mit einer intimen Nähe zu Kapital, Glanz und Gloria hat, jemand, der seit jahrzehnten deutsche Innenpolitik erlebt und gestaltet hat, sollte, doch wissen, was geht … und was nicht.

Offensichtlich dachte er, das ginge jetzt mal locker eben durch.

Womit er nicht gerechnet hatte … das sich der Wind gedreht hat.

Erklärungsversuche hierzu füllen gerade das Netz. War es wirklich seine Verfassungstreuer, die ihn stürzen ließ? Oder hatte Merkel ihren letzten innerparteilichen Rivalen eliminieren wollen? Hat er beim Bundespresseball mit den falschen getanzt – oder war erst gar nicht erschienen?

Wulff ist der Präsident der Partyhopser, Schnäppchenjäger, Laumalocher – so soll ich das ja wohl verstehen. Warum lassen die jetzt einen der ihren fallen?

Der Welt fällt auch das auf – aber nur als rhetorische Frage:

Was für ein Menschenbild muss ein Bundespräsident haben, der ernsthaft glaubt, missliebige Journalisten könnten von der Suche nach der Wahrheit durch Intervention des Präsidenten beim Chef gebremst werden? Wer so denkt und handelt, interessiert sich nicht sonderlich für die Meinungsfreiheit und das mitunter unangenehme Wühlen einer unangepassten, freien Presse, sondern hat ein hierarchisches Verständnis von Gesellschaft.

Wer so denkt und handelt, dürfte es – gerade in dieser Stellung – für ganz normal halten, das er das tut, was andere vor ihm auch schon getan haben. Sogar die Kanzlerin hat – in großem Stil – direkt Einfluß auf viele Medien genommen, siehe Freitag:

Ein paar Monate zuvor, am 8. Oktober 2008, hatte es ein sonderbares Treffen gegeben, das in diesem Zusammenhang Erwähnung finden soll. Die Bundeskanzlerin hatte an jenem Tag die bedeutenden Chefredakteure der bedeutenden Medien eingeladen. Es war die Zeit, in die der Ausbruch der großen Finanzkrise fiel. Man findet keinen ausführlichen Bericht über dieses Treffen, der veröffentlicht worden wäre und überhaupt nur wenige Erwähnungen in den Archiven, nur hin und wieder einen Nebensatz, eine knappe Bemerkung. An einer Stelle liest man in dürren Worten, worum es an diesem Abend im Kanzleramt ging: Merkel bat die Journalisten, zurückhaltend über die Krise zu berichten und keine Panik zu schüren.

Sie haben sich daran gehalten, die Chefredakteure. Noch im Februar 2009, vier Monate später, wunderte sich die taz über die Medien: „Sie halten die Bürger bei Laune, auf dass diese stillhalten. 

Aber sonst  hat sich keiner über diese direkte Einflussnahme auf die gesamte Presse gewundert? Aber wenn der Bundespräsident dasselbe macht, gibt es einen Aufstand?

Wulff gilt als zielstrebig – und überraschte deshalb einst mit einer indirekten Absage für eine mögliche Kanzlerkandidatur. Dafür fehle ihm der „unbedingte Wille zur Macht und die Bereitschaft, dem alles unterzuordnen“.

So sieht es der Spiegel. 

Wenn ein Kanzler einen unbedingten Willen zur Macht braucht und die Bereitschaft dem alles unterzuordnen … wieso ist dann Mauerblümchen Merkel Bundeskanzlerin geworden? Ihre Karriere ist ja nicht gerade eine politische Bilderbuchkarriere – glänzt aber mit überraschender Förderung durch interessante Menschen.

Vielleicht hat aber auch niemand Angst vor dem bösen Wulff – zumindest die Presse hat deutlich demonstriert, das sie keine Angst vor ihm zu haben braucht, weder vor ihm, noch vor den Eigentümern der Zeitungen, deren Rechtsanwälten oder Chefredakteuren. Da wähnt man sich wohl sehr sicher. Vielleicht hilft uns ja ein Blick in die Rede des Herrn Ziegler, die Affäre Wulff zu verstehen – ja, jene nun preisgekrönte Rede, die er auf dem Ball der Putschisten nicht halten durfte … siehe Hintergrund:

In seiner 18-minütigen Ansprache erinnerte Ziegler daran, dass alle fünf Sekunden ein Kind verhungert und rund eine Milliarde Menschen permanent an Unterernährung leiden, obwohl die Weltlandwirtschaft heute problemlos 12 Milliarden Menschen ernähren könnte – knapp das Doppelte der derzeit auf der Erde lebenden Bevölkerung. Die reichen Geberländer des UN-Welternährungsprogramms , vor allem die westlichen Demokratien, hätten ihre Unterstützung für die Hungerbekämpfung drastisch reduziert, einige sogar eingestellt, skandalisierte Ziegler, weil sie  tausende von Milliarden Euros an „Spekulanten und Halunken“ des Finanzkapitals zahlen müssten, obwohl der „Banken-Banditismus“ selbst für die Krise verantwortlich zeichne. „Die Verursacher dieser kannibalischen Weltordnung“, forderte Ziegler, gehörten vor ein „Tribunal wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.

So verfährt man mit wahren Kritikern des Systems – sie werden erst mal eingeladen … und dann wieder ausgeladen, weil man gewissen Dinge in gewissen Kreisen einfach nicht hören will. Wie Wulff – erst eingeladen, jetzt ausgeladen.

Das nun Wulff wegen kritischer Worte gehen mußte, denke ich nicht, auch wenn sie sich noch so wahr anhören:

Angesichts dessen müssen wir uns fragen: Leidet nicht die elementare Grundbedingung unseres Verfassungssystems – die
Rechtstreue der Bürger –, wenn rechtliche Bindungen beiseite geschoben werden, von Wirtschaftseliten Verträge missachtet werden
oder von der Politik bestehende Regeln ausgesetzt oder Fristen, die das Bundesverfassungsgericht setzt, nicht beachtet werden? Das
beschäftigt viele Bürgerinnen und Bürger.

Diese Worte schreibt er doch nicht selber – da gucken doch zehn Experten drüber, bevor er die vorlesen darf.

Was ich mir aber vorstellen kann, ist: der Mann ist einfach zu peinlich für den Bankenbanditismus geworden.

Ehrlich – was ist denn das für ein Präsident, der sich Geld leihen muss?

Was ist das in Zeiten der Schuldenkrise überhaupt für ein Symbol, wenn man einen Präsidenten hat, der sich wie ein ganz normaler Staat einfach verschuldet – und dann noch für einen geistlosen Klinkerbau?

Wulff wußte genau, wo er lebt: in jenem Land, das weniger Pressefreiheit hat als Bolivien. Er hat sicher auch bei der Bundeszentrale für politische Bildung nachgelesen:

Medienbarone zeichnen sich dadurch aus, dass sie die eigenen, meist partikularen wirtschaftlichen sowie gesellschaftspolitisch konservativen Zielsetzungen in den Vordergrund rücken und unternehmerische Strukturen schaffen, welche – intern und extern – die Herausbildung von Medien- und Meinungsvielfalt erschweren. Die selektive Auswahl des Führungspersonals und die forcierte Durchsetzung von Loyalität im Arbeitsalltag führen zu einer durch Medienbesitz gesteuerten Pressefreiheit, die der modernen Demokratie massiven Schaden zufügt. 

Die forcierte Durchsetzung von Loyalität im Arbeitsalltag, die selektive Auswahl des Führungspersonals hat ihm die Sicherheit geben, zu tun, was er getan hat. Immerhin sind es nur noch vier große Verlagshäuser, die in Deutschland das Sagen haben, alle sind abhängig von guten Beziehungen zur Politik, die ja immerhin die Nachrichten erstmal produzieren muss, über die man dann schreiben kann.

Was er nicht wusste, war, dass es eine neue Devise der Putschisten gab, von denen die Journalisten wissen – nur er noch nicht:

Wer Schulden hat, fliegt ´raus. Das gilt für Spanien, Griechenland und Präsidenten. 

 

 

 

 



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