Freitag, 30.12.2011. Eifel. Es schneit. Ganz Deutschland wartet auf die Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin. Gibt es diesmal eine neue – oder wiederholen wir einfach die vom letzten Jahr: „die Zeiten sind schlecht aber uns geht es prima?“ Das sind natürlich Botschaften von Asozialen an Asoziale, da versteckt sich die Schadenfreude über das Elend der Mitmenschen nur noch ganz schlecht hinter der Krawatte und dem Nobeldeo. Sicher, sie hat Recht: Deutschland hat im Jahr 2011 wieder die Position in Europa, die es schon 1911 hatte. Wir sind die unangreifbare Zentralmacht in der Mitte Europas geworden, ohne die auf dem ganzen Kontinent nichts mehr geht. Wieder einmal soll am „deutschen Wesen die Welt genesen“ –
Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass es möglich sein muss, insoweit ein Durchgriffsrecht der europäischen Institutionen auf die nationalen Budgets zu bekommen, als die Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspakts betroffen ist, weshalb ein Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof eingeräumt werden sollte.
So Angela Merkel beim „Führungstreffen Wirtschaft 2011„. „Durchgriffsrechte“ für europäische Institutionen unter deutscher Leitung: der „Führer“ wäre begeistert. Der Kaiser auch.
Bei diesem Treffen wurden auch ganz andere Träume beschrieben:
Ein letzter Punkt zur Haushaltsstruktur: Der Bundeshaushalt umfasst über 300 Milliarden Euro. Davon werden 80 Milliarden Euro für die Rentenversicherung – das umfasst auch Kindererziehungszeiten, Witwen- und Hinterbliebenenrenten – ausgegeben. Sie sehen, was das für ein Riesenblock ist. Ein zweiter Block ist die Unterstützung der Langzeitarbeitslosen und deren Familien mit 40 Milliarden Euro. 120 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt werden nur für Rentenleistungen und Leistungen im Zusammenhang mit der Langzeitarbeitslosigkeit ausgegeben.
Man schaut erstmal überrascht: die Arbeitslosen sind also gar nicht so teuer? Die Renter sind es, die uns den Garaus machen? Und dann fällt ein Satz, der Begehrlichkeiten weckt – bedenkt man, vor wem er gesprochen wurde.
Man stelle sich nur einmal vor, man könnte diese Ausgaben von 40 Milliarden Euro halbieren. Dann hätten wir 20 Milliarden Euro mehr für Schuldenabbau oder Investitionen. Unser Investitionshaushalt ist nicht ausreichend ausgeprägt. Wir leben im Augenblick hinsichtlich unserer Infrastruktur in weiten Teilen von der Substanz. Deshalb haben wir einen Schwerpunkt bei der Verkehrsinfrastruktur gesetzt.
Tja, man stelle sich nur mal vor … man könnte die Ausgaben ganz streichen: ein feuchter Traum von Menschen mit Macht. Ob nun Langzeitarbeitslose wieder in den Straßenbau sollen – wie schon zu Hitlers Zeiten – wird nicht weiter ausgeführt … aber: wenn man vor intelligenten Menschen spricht, kann man schon darauf bauen, das die eins und eins zusammenzählen können, ohne sich groß zu verrechnen – selbst, wenn es Leistungsträger sind.
Der Punkt Rente ist natürlich interessant – und wird wohl deshalb auch 2012 ein Thema werden. Immer mehr Deutsche gehen früher in Rente, obwohl die Regierung möchte, das sie noch viel länger arbeiten, was die Rentenkasse schonen würde: aktuell ist es jeder Zweite. Kein Wunder, das der Herr Hundt mal darauf hinweist, das er selbst 66-jährige für „fit genug zum arbeiten“ hält: wer sein Leben lang nur auf Sesseln saß und Präsentationen geguckt hat, weiß gar nicht, was Arbeit wirklich bedeutet – ECHTE ARBEIT MACHT KRANK.
Eine Wahrheit, die bei den Laumalochern in Politik und Wirtschaft aber nur selten ankommt. Wo Anwälte und Lehrer „Arbeit“ definieren, kann einfach nichts Gescheites bei ´rauskommen.
Man könnte natürlich einfach auch mal Arbeit attraktiver machen. GELD soll da ja manchmal Wunder wirken. 50 Euro die Stunde gezahlt – da werden die Bürger wieder fit. Auf einmal hätten wir kein Problem mehr mit Arbeitslosen – an einem Tag hätten die mehr verdient, als die ARGE ihnen im Monat zahlt.
Auch Rente wäre kein Problem mehr: die würden sich noch auf der Bahre zum Job tragen lassen. Wer übrigens meint, das sei viel, der irrt. Ein Arzt würde für das Geld nicht arbeiten. Ein Politiker auch nicht. Kein Gottschalk würde dafür „moderieren“, kein Fußballer seinem Hobby frönen: es wären nur 8000 Euro im Monat, also „Peanuts“ für einen echten Banker.
Wie man das bezahlen soll? Nun – das kann man den hoch dotierten Experten überlassen. Immerhin bekommen die doch ihr Geld dafür, das sie wirtschaftlich so erfolgreich sind: dann müssen die eben mal Geschäfte machen, die richtig dicken Gewinn bringen. Einfach nur die Produktion nach China verlagern kann jeder Sonderschüler, dafür brauche ich kein Studium. Wie der aktuelle Trend der Frühverrentung zeigt, sind die Rentner doch auch mit viel weniger Geld zufrieden: die Masse bekommt gerade mal 1200 Euro, das wären bei unserem Modell: 24 Stunden Arbeit in Monat – eine Stunde am Tag.
Das ginge auch mit 70 – und die Sozialkassen wären völlig entlastet.
Solche Lösungen werden jedoch gar nicht erst angedacht – und das Volk reagiert entsprechend: innerhalb von zehn Jahren hat sich der Alkoholmissbrauch bei Jugendlichen verdoppelt, die Strafverfahren gegen Seniorenkiffer stiegen sogar noch stärker: ein Volk im Dauerrausch. Die Folgen eines schwachen Staates, der seine Bürger im Regen stehen läßt – so haben die Indianerstämme Nordamerikas auch auf den Untergang ihrer Kultur, den Verlust ihrer Freiheit und ihrer Lebensräume reagiert. Selbst bei uns in der Eifel ziehen vier Väter schon mal locker einen Kasten Bier durch – an einem Nachmittag im Kindergarten beim Elternfest.
Das sind die Folgen jahrelanger neoliberaler Kultur, die den Staat nur noch als netten Bezahlonkel ansah und am liebsten alle diejenigen als Sklaven zum Autobahnbau geschickt hätten, die auch etwas von dem Geld brauchten – nicht für Maserati und Privatflieger, sondern für Heizung und Unterkunft.
Vielleicht sollten wir uns zur Jahreswende gerade deshalb mal einen Blick in das Heimatland der gemeinschaftsplündernden Unkultur gönnen, einen Blick, den uns das Manager-Magazin gestattet. Dort droht US-Kommunen eine Pleitewelle, die dieses Jahr nur durch Tricks herausgezögert wurde:
Analysten warnen, dass bis zu 100 Kommunen die finanzielle Abrissbirne droht.
In diese Liste hat es auch die US-Finanzmetropole New York geschafft. Bürgermeister Michael Bloomberg, ein Milliardär, hat für den Haushalt 2012 bereits drastische Sparmaßnahmen verordnet, darunter Entlassungen in vielen städtischen Behörden, die nächtliche Schließung von 20 Feuerwehrkommandos, gekürzte Öffnungszeiten für Bibliotheken und Kulturzentren sowie die Entlassung von 6000 Lehrern im Juni. Trotzdem droht, laut dem Büro des Bürgermeisters, eine Etatlücke von 4,4 Milliarden Dollar.
Kinder verblöden, Brände können jederzeit wieder in Katastrophen enden, die Polizei unterhält nur noch eine telefonische Endlosschleife – und die Rente wird dann doch nicht gezahlt:
Bereits 82 Pensionäre der Stadt haben sich mit Kürzungen ihrer Renten um bis zu 55 Prozent einverstanden, berichten die Zeitungen in der ärmsten Stadt von Rhode Island. Und die New York Times warnt bereits eindringlich, dass das Modell Central Falls im Land Schule machen könnte: Gekürzte Renten, um die Anleihehalter zu bezahlen.
(ja, es heißt eigentlich: gaben sich einverstanden oder haben sich abgefunden, aber das ist halt ein Zitat).
Wie lange man uns eigentlich noch in Deutschland vor dieser Wahrheit schonen wird? Man stelle sich vor, wie sich das auf die Entscheider der Wirtschaft auswirkt, wenn sie ihren Blick nun nicht nur auf die 40 Milliarden Arbeitslosenhilfe wenden dürfen, sondern auch davon träumen können, die 80 Milliarden Rentengelder in die Finger zu bekommen: wenn das mal nicht wie Weihnachten und Ostern auf einen Tag wäre!
Darüber hinaus werden die USA Billiglohnland – die ersten Fabriken kommen schon wieder aus China zurück. Das hat der Neoliberalismus geschaffen:
Das reichste Land der Erde wird zum Armenhaus. Und wir? Wir machen da mit. Nie war die Chance in Deutschland größer, durch Arbeitslosigkeit sofort ins soziale Aus zu geraten, siehe Spiegel:
Das Risiko des sozialen Absturzes wächst: Jeder vierte Deutsche, der seinen Job verliert, ist laut Arbeitsagentur inzwischen sofort auf Hartz IV angewiesen. Dumpinglöhne und befristete Arbeitsverhältnisse machen es immer schwerer, die Bedingungen für das höhere Arbeitslosengeld I zu erfüllen.
Und dank der überwältigenden Leistung unserer Leistungsträger sind die Aussichten für die Volkswirtschaft 2012 noch düsterer – einfach mal im Handelsblatt nachschauen, welche Branchen 2012 mit Schwierigkeiten rechnen: die Kernbereiche der deutschen Industrie, Versicherungen und Banken kriegen einfach nichts mehr auf die Reihe – außer Rekordgehälter. Anleihen bei Mittelständlern gelten schon jetzt als mutig, wer keinen guten Draht zu neuen Milliardenaufträgen von Vater Staat hat, dem geht es schlecht.
Einigen wenigen, die sich in diesem Land gut eingerichtet haben, geht es aber ausgesprochen gut. Wie viele es sind? Millionen? Nein. Hunderttausend? Nein. Tausend? Nein. Hundert? Nein, es sind … dreissig. Dreissig Menschen, die Deutschland kontrollieren, siehe Handelsblatt:
Die exakt 1 000 Aufsichtsmandate der 160 führenden Aktiengesellschaften teilen sich 878 Frauen und Männer. Die eigentliche Macht konzentriert sich allerdings auf eine kleine Gruppe von etwa 30 Aufsehern. Sie haben die interessantesten Jobs, vor allem bei 30 Dax-Konzernen. 23 Personen kontrollieren sogar drei und mehr Firmen.
Der mächtigste Mann in Deutschland: Gerhard Cromme, bekannt geworden durch Maßnahmen zur Frührentenförderung/Betriebssanierung auf Staatskosten:
Nach einem über Monate andauernden Arbeitskampf, der breite Unterstützung in Bevölkerung und Politik fand, wurde eine Vereinbarung getroffen, wonach jüngere Mitarbeiter in andere Unternehmen der Region verlegt, ältere Arbeitnehmer in die Frührente entlassen wurden. Der Stahlstandort Rheinhausen jedoch wurde geschlossen.
Man hätte natürlich auch daran arbeiten können, das der Betrieb wieder Gewinn einbringt – aber das wäre ja Arbeit gewesen. Das die Leistung eines Betriebes auch von Leistungsträgern abhängt, scheint nur noch ein Märchen aus der Steinzeit zu sein.
Natürlich war der Herr Cromme auch am „energiepolitischen Appell“ beteiligt, der großen neoliberalen Verstrahlungsoffensive der „Entscheider“, die aktuell in eine neue Runde geht: die Firmen klagen über Stromschwankungen … vielleicht drehen uns die „Entscheider“ bald mal – nur zum Spaß – für ein paar Tage den Saft ab, damit auch der letzte Wut-Rentner merkt, wer in diesem Land das große Sagen hat.
Keine Frage, das die Nobellimousinenfahrer sich auch für die Autobahngebühr stark machen – sie setzen sie mit Sicherheit von der Steuer ab. Wieder einmal ein Milliardengeschäft für die kleine Clique der Mächtigen in Deutschland – und eine weitere Reiseeinschränkung für Deutsche, die eben nicht ihre 50 Euro die Stunde bekommen … auch dann nicht, wenn sie sie verdient hätten.
Lauschen wir nochmal unserer Bundeskanzlerin – und ihrer Rede zum Festakt „60 Jahre BKA“:
Das gilt genauso auch mit Blick auf die organisierte Kriminalität. Die Bedrohung, die von ihr ausgeht, ist unverändert hoch. Sie wird in der öffentlichen Wahrnehmung zum Teil unterschätzt. Der wirtschaftliche Schaden im Jahr übersteigt die Milliardengrenze. Ausländischen Gruppierungen der organisierten Kriminalität dient Deutschland als Flucht-, Ruhe- und auch als Investitionsraum. Delikte der Rauschgift-, Eigentums- und Wirtschaftskriminalität kommen dazu.
Dort – aber auch nur dort – darf der bekiffte und besoffene Deutsche mal erfahren, das Deutschland zum Diebesnest geworden ist, zum Heimatland von Kriminellen aus aller Herren Länder – auch eine Folge des durch neoliberale Orgien geschwächten Staates. Wie gut, das die meisten Deutschen davon rauschbedingt überhaupt nichts mitbekommen. Deshalb erfährt man von dem bedrohlichsten Gesetz des Jahres 2011 auch nur nebenbei in der Welt, die das Gesetz selbst als „revolutionär“ bezeichnet:
Beinahe unbeachtet revolutioniert die Bundesregierung die zivile Luftfahrt: Unbemannte Flugsysteme sollen zugelassen werden. Das Reizwort „Drohnen“ wird bewusst gemieden.
Die Zulassung von UAS begründet grundlegende Veränderungen in der zivilen Luftfahrt“, heißt es in den Erläuterungen. Mögliche Auswirkungen reichten in alle Bereiche, „von einer Verbesserung der polizeilichen Gefahrenabwehr bis hin zu einer völligen Neuordnung des kommerziellen Luftverkehrs“.
Da sehen wir, was die Zukunft für uns bringen wird:
die Auflösung der öffentlichen Ordnung – sprich Stadtverwaltung, Polizei, Feuerwehr
Pleitewellen im Mittelstand
Zwangsarbeit für Rentner und andere Arbeitslose bei gleichzeitiger Halbierung der Bezüge
einen neuen Feudalismus der Karrieristen, die Politik zur Not durch Stromabschaltungen bezwingen
und …. die Bürgersteigbenutzungsgebühr, die nur eine Form der neuen Gebühren darstellt, die nach der Autobahnmaut kommen wird.
Das wird sicher … ein ganz tolles Jahr.
Da wünsche ich mal – guten Rutsch … da kann man dann nachher sagen: „ach, da sind wir einfach so hineingeschlittert“.
Wie schon 1914.
Aber … das paßt dann ja wieder.