Politik

Die Piratenpartei – rechter Rand mit Tradition?

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Vor über zwei Jahren machte mich eine gute Freundin auf eine neue Partei aufmerksam: es gab – im Gefolge der „Fluch der Karibik-Filme“ – eine neue Partei in Deutschland: die Piratenpartei. Ich tummelte mich etwas in dem Forum – als interessierter Wähler – und wendete mich irgendwann schaudernd ab: da wuchs ein Sammelbecken von verklemmten Rechtsradikalen, die eine bürgerliche Tarnung suchten. Für die Kritik habe ich viel Schelte bekommen – aber auch Kontakt zu Piraten, die für mich inzwischen sehr geschätzte Gesprächspartner sind … vielleicht auch gerade weil sie der Partei inzwischen nicht mehr angehören. Für die seriöseren unter den Piraten habe ich derzeit aus dem Piratenkodex als philosophische Spielerei ein Parteiprogramm entfaltet – damals hatte ich noch Zeit für Spielereien.  Wie zu Anfang war ich der Meinung, das man mit dem Kodex (und auch dem Parteinamen) erfolgreich sein kann – was die Berliner Piraten inzwischen bewiesen haben.

Ich war in Folge der Hoffnung, mich mit dieser Partei nicht mehr beschäftigen zu müssen … und hatte ein wenig Vertrauen in jene Piraten gewonnen, die mir engagiert beweisen wollten, das die Piraten eben kein Sammelbecken für „Nazinerds“ sind. Da war ich wohl mal wieder zu naiv.

Dabei gab es auch andere Blogger (oder soll ich jetzt mal sagen: Netzaktivisten?), die sich mit den seltsamen politischen Ansichten führender Piraten beschäftigt haben:

Es wird nicht mehr um Bodo Thiesen gehen, der sich zu den in Deutschland lebenden Juden wie folgt geäußert hatEs steht jedem Juden frei, jederzeit Deutschland für immer zu verlassen. Und im Gegensatz zum 3. Reich dürfen die heute sogar ihr gesamtes Hab und Gut mitnehmen

„Ich mache Dich fertig, Du Sau“ … so der Titel das Artikels, der die telefonische Reaktion auf Piratenkritik beschreibt … entspricht dem Niveau, was von „Piraten“ häufiger zu hören ist, wenn man wagt, sie zu kritisieren. So von der eigenen Unfehlbarkeit überzeugt ist sonst nur der Papst.

Die so genannte Basis der Piratenpartei, die Sympathisanten, die nicht müde werden, zu betonen, die Causa Bodo Thiesen sei ein Einzelfall. Sie ist es nicht. Was allein auf F!XMBR aufgeschlagen ist, lässt mich nur fassungslos zurück — und nicht nur F!XMBR war betroffen: Andere Bloggen berichten von ähnlichen Zuständen. Es war alles dabei: Wüste Beleidigungen, Holocaustleugnungen, sogar die durchgeknallten esoterischen Nazischergen kamen herbeigeeilt um ihre Links in die Welt zu blasen. Ich hoffe nur, wir haben sie alle aussortiert. 

Das war 2009 der Standardumgang von „Piraten“ mit jenen Menschen, die ihre braunen Flecken ans Tageslicht befördert haben. Beste „Stürmermanier“. Und der Einzelfall war nicht so einzeln.

Bodo Thiesen ist kein Einzelfall innerhalb der Piratenpartei. Man muss es sich einmal auf der Zunge zergehen lassen, dass sich ein Vorstandsmitglied des saarländischen Landesverbandes zum Zweiten Weltkrieg wie folgt äußertAuch ich finde einige Details in der deutschen Geschichte schlicht Pauschalisierung derselben. Der Norwegenfeldzug war wohl nach allen mir bekannten Fakten ein reiner Reaktionskrieg und keine reine Angriffshandlung.  

„Heil Hitler“ – ist das einzige, was einem dazu noch einfällt.

Die weiteren Vorgänge wunderten auch Sympathisanten der Piraten:

Auf dem Bundesparteitag am letzten Wochenende kandidierte Bodo dann erneut und wurde zum stellvertretenden Protokollant des Parteitags und zum Ersatzrichter am Bundesschiedsgericht gewählt. Dieser auch mir unbegreifliche Vorgang führte dann zurecht dazu, dass seine Äußerungen aus der Vergangenheit wieder auf dem Tisch kamen und in den Medien und in Blogs diskutiert wurden. 

Eine Diskussion, die man gerne mit „Ich mach´ Dich fertig, Du Sau“ unterbinden wollte.

Einzelfälle, so wurde mir versichert. Harmlose Einzelfälle, die bei der Hinterfragung geschichtlicher Ereignisse über das Ziel hinausgeschossen sind. Verständlich – das kann beim Hinterfragen schon mal passieren, wie auch ärgerliche Reaktionen von Sympathisanten der Piraten verständlich sind, die sich zu Unrecht in eine rechte Ecke gedrängt sehen.

Wer alles Bodo Thiessen gewählt hat – und wer alles geklatscht hat, als er einer deutliche Stellungnahmen zu seinen Äußerungen auf dem Parteitag geschickt auswich – sollten wir wohl besser nicht fragen.

Dann kam der nächste Einzelfall – hier eindrücklich geschildert von Steven Milverton:

In meiner Verzweiflung, welche Partei denn das kleinste Übel für die nächsten vier Jahre sein könnte, habe ich tatsächlich die Piratenpartei als wählbar in Erwägung gezogen.

Um genau zu sein: kurzzeitig in Erwägung gezogen! Denn auf der Homepage der Partei konnte ich nichts Inhaltliches zu wichtigen Politikthemen finden. Vielmehr habe ich mit erschrecken am vergangenen Wochenende erfahren, dass der stellvertretende Bundesvorsitzende der Piratenpartei, Andreas Popp, dem rechtsextremen (Online-)Magazin ‘Junge Freiheit’ ein ausführliches Interview gegeben hat.

Informationszeitalter heißt für die ‘Piraten’ offenbar, dass man weiß, was Brower sind, wie man wild durchs Internet surfen kann, aber tunlichst von dem, was man da sieht, nichts inhaltlich zur Kenntnis nimmt. Es mag altmodisch klingen, aber es kann nicht sein, dass Bundespolitik von Leuten gemacht wird, die nicht mal wissen was ein Nazi ist.

Es kann wirklich sein, das sie einfach nur blöd sind, aber trotzdem Diäten wollen. Gibt es ja in allen anderen Parteien auch, dafür sind sie ja da: um für die Diäten der Mitglieder zu sorgen. Und vielleicht haben die ja wirklich von Politik keine Ahnung – der Bundestag ist voll von solchen Menschen.

Kann man nur nicht glauben, wenn man Elke Wittlich in ihren Beobachtungen folgt:

Damals war es um rechtsradikale Tendenzen bei den Piraten gegangen, die nach der Lesart weiter Teile der Basis aber natürlich nur von den Medien herbeihalluziniert wurden. Daß gleich zwei Vorstandsmitglieder der „Jungen Freiheit“ ein Interview gaben, wurde mit der verwirrenden deutschen Medienlandschaft entschuldigt, und daß rechtsextreme Verschwörungstheoretiker im notorischen „Schall und Rauch“-Forum eine Unterwanderung der Piraten planten, war halb so wild. Weil Nazis nämlich laut Satzung verboten seien und deswegen bei den Piraten nix zu melden haben.

Koenig hatte sich in seinem Blog von einem von Teilen der Piraten umjubelten Text mit dem Titel „Linke hassen – Piraten lieben“ über ein Rettungskonzept für die Musikindustrie zu einer glühenden Verteidigungsrede für das schweizerische Minarettverbot gesteigert. Als er aber erklärte, einen präventiven Angriff auf die iranischen Atomanlagen gutzuheißen, und zwar zum Schutz Israels, nahm das die Basis auf der Stelle übel. 

Wieder mal ein Einzelfall. Wieder mal was aus dem Vorstand. Wieder einmal … „nur Halluzinationen der Medien“. Aaron Koenig teilte das Schicksal von Bodo Thiessen -er durfte bleiben:

Am Ende durfte Koenig bleiben. Wie vermutlich auch der stellvertretende Landesvorsitzende der bayrischen Piraten, Roland Jungnickel, der den „starken Linkstrend“ der Piratenpartei stoppen will und einen „linken Beißreflex“ bei den Mitgliedern ausmachte. Jungnickel verlinkte in seinem Blog begeistert auf die Initiative „Linkstrend stoppen“, die ihre Anzeigen unter anderem in der „Jungen Freiheit“ und der „Preußischen Allgemeinen Zeitung“ schaltete. 

Wundert mich nicht, das ein harmloser Eifelphilosoph als „Ultrakommunist“ geoutet wurde … ich nehme an, wenn man sich nur weit genug nach rechts aussen bewegt – nach ganz weit rechts draußen – dann werden alle anderen politischen Positionen ganz schnell links, CDU/CSU eingeschlossen. Die Ultrakommunisten, die einmal einen Anti-Eifelphilosophen-Blog betrieben, werden sich wundern, wer da auf einmal in ihrem Boot sitzt. Ist halt alles eine Frage der Perspektive.

Man hätte das alles auf sich beruhen lassen können, wenn nicht im Zuge des Berliner Wahlerfolges zwei weitere braune Flecken aufgetaucht wären:

In den vergangenen Tagen hatten Mitglieder aus zwei Landesverbänden zugegeben, früher in der NPD gewesen zu sein. Zunächst trat im bayrischen Freising der Kreisvorsitzende zurück. Dann räumte ein Mitglied des Landesvorstandes in Mecklenburg-Vorpommern seine frühere NPD-Mitgliedschaft ein und legte seine Arbeit im Landes- und im Kreisvorstand niedert. Der Bundesvorsitzende Nerz sprach daraufhin von „Jugendsünden“, die man auch verzeihen müsse.

Wer wählt eigentlich solche Personen in den Vorstand? Redet man nicht mit denen – über politische Ideen und Ideale, bevor man sie wählt? Und ist es Zufall, das die neuen enttarnten Ultrarechten sich der Sprachregelung des Bundesvorsitzenden anschließen … und von ihren „Jugendsünden“ sprechen – siehe Frankfurter Rundschau?

Und wie darf man die Aussagen von Funktionären bewerten, die aktuell im Netz kursieren:

Der Landesvorsitzende der Piratenpartei in Mecklenburg-Vorpommern, Michael Rudolph, sagte der „taz“, das Problem im Fall seines Vorstandskollegen sei nicht gewesen, dass dieser früher NPD-Mitglied gewesen sei, sondern dass er dazu gelogen habe. Man dürfe deshalb aber jetzt nicht beginnen, jedes Neumitglied zu überprüfen. Nerz sagte am Samstag im SWR: „Es wird sicherlich noch ein paar Piraten geben, die früher bei der NPD waren.“ Jeder Einzelfall müsste geprüft werden.

Gibt es da noch mehr Ex-Nazis? Sicherlich? Und wird jetzt geprüft oder nicht? Wieviele lügende Ex-Mitglieder der NPD sind denn noch in führenden Positionen der Partei – ohne bislang entdeckt worden zu sein? Eine Mitteilung im Abendblatt vertieft das Thema:

Die Spitze der Piratenpartei streitet über den Umgang mit ehemaligen NPD-Mitgliedern in den eigenen Reihen. Bundesgeschäftsführerin Marina Weisband widersprach ihrem Parteivorsitzenden Sebastian Nerz, der die rechtsextreme Vergangenheit einiger Parteifreunde zuvor als „Jugendsünden“ bezeichnet hatte. Das Wort sei „falsch gewählt“, kritisierte sie laut einer Vorabmeldung der „Welt“ (Samstagsausgabe). In den vergangenen Tagen wurden Fälle aus zwei Landesverbänden der Piraten bekannt.

 Nerz indessen plädierte in einem am Freitag vorab veröffentlichten Interview mit dem Rundfunksender SWR2 dafür, ehemalige Rechtsextreme in der Partei zu dulden. Ein Mensch habe das Recht, „sich zu irren“, sagte er.

Ein Mensch hat das Recht, sich zu irren. Allerdings ist Faschismus keine politische Meinung, sondern ein Verbrechen – jedenfalls in diesem Land. Im Fokus findet man noch mehr dazu:

Nerz sagte der „Welt“, er glaube nicht, dass sich seine Partei als Auffangbecken für Ex-Nazis angreifbar mache: „Auch in unserer Satzung steht, dass wir extremistische Politik ablehnen, und das wird bei uns intensiv gelebt. Wenn sich jemand bei uns mit rechtsextremistischen und ausländerfeindlichen Thesen aufhält, stellt er sich schnell ins Abseits. Solche Leute haben keine Zukunft in der Piratenpartei.“

Das würde man gerne glauben. Widmen wir uns doch – zwei Jahre nach der „Affäre Thiessen“ – nochmal dem Schicksal jenes Menschen, der die Partei so ins Gerede gebracht hat. Der Spiegel ist ihm nachgegangen:

Thiesen hatte in Foren mehrfach Holocaust-Leugner zitiert, selbst Annahmen über den Massenmord an den Juden in Zweifel gestellt. Rechtes Gedankengut oder gelebte Meinungsfreiheit? Der Bundesvorstand rang sich dazu durch, ein Ausschlussverfahren zu befürworten – doch das hängt seit mehr als zwei Jahren beim Schiedsgericht im Landesverband Rheinland-Pfalz fest.

Dort verbuchen viele Thiesens Äußerungen unter freier Meinungsäußerung. Noch vor kurzem sollte er zu einer Bundestagung entsandt werden. In der Partei heißt es immer wieder, im Schiedsgericht säßen Freunde Thiesens, die das Verfahren verschleppen. Der Bundesvorsitzende Nerz will „zu diesen Gerüchten nichts sagen“, berichtet aber auch, dass Fristen nicht eingehalten wurden, Stellungnahmen verlorengingen.

Niedlich, oder?

„Nicht jedes NPD-Mitglied ist ein Neonazi“, sagt Nerz. „Wenn jemand als Schläger aufgefallen ist oder ein Funktionär in der NPD war, dann ist das schon schwerwiegender.“ Doch genau das war der Fall beim Freisinger Seipt, der als Kreisvize der NPD kurze Zeit später zu den Piraten gewechselt war. 

Sicherlich – gibt es viele Piraten, die eine eher „linksliberale“ Gesinnung haben und somit ganz unverdächtig sind, die Startorganisation für eine neue NSDAP zu bilden – die damals auch in einer Zeit wirtschaftlicher Probleme und Parteienverdrossenheit Zulauf aus allen politischen Lagern bekam. Ich habe mir die Mühe gemacht, mir virtuell einige Landesverbände anzuschauen und entdecke Namen in führenden Positionen, die ich für völlig unverdächtig halte – und aus der Tatsache, das die Ex-Grüne Angelika Beer im Vorstand nicht auftaucht, würde ich der Partei keine Strick drehen wollen, das ist eher ein Qualitätsmerkmal.

Aaron König hat inzwischen eine neue, eigene „liberale“ Partei. Bodo Thiessen soll eigentlich – wenn man ihn persönlich kennenlernt – ein ganz und gar unverdächtiger Zeitgenosse sein, der sich lediglich in ein paar Themen verrannt hat.

Auch das – kann man glauben.

Fakt ist aber – das die seinerzeit geleugnete Ballung von NPD-Sympathisanten seinerzeit einfach den Tatsachen entsprach, das die Beobachtungen von Mitgliedern der Piratenpartei über den braun-liberalen Dunst der Mailinglisten korrekt waren und die heutigen Reaktionen seltsam professionell wirken, siehe Der Freitag:

Zumindest die Ertappten gaben sich professionell in der Verharmlosung ihrer ihnen jetzt angeblich peinlichen Vergangenheit. Doch diese ging erst vor kurzem zu Ende.

Man darf – wenn ich dem Ex-CDU-Mitglied und Piratenpartei-Vorstand Nerz glauben darf – mit weiteren Nazis in der Partei rechnen. Deutlich widersprechen möchte ich bei der Gelegenheit seiner Aussage, das nicht jedes NPD-Mitglied ein Neonazi ist. Was meint der wohl, warum die sonst in diese Partei eintreten – und nicht in eine der vielen anderen?

Weil sie keine Ahnung von Politik haben?

Na, wenn das so ist … dann werden wir wohl noch einige Überraschungen mit dieser Partei bekommen – erst recht, wenn sie an die Macht kommt und die Masken fallen.

Denn Fakt ist: in dieser Partei gibt es nicht nur Ex-(?)-Nazis, sondern eine überraschend breite Front von Menschen, die sie (scheinbar gedankenlos und mit besten Absichten) in führende Positionen wählen und sie gegen Kritiker vehement (und mit zum Teil demokratieunverträglichen Methoden) verteidigen.

Mir gibt das immer noch zu denken – und nach zwei Jahren braunen Flecken hat das schon Tradition.

 

 



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