Politik

Die brutale Pleite Europas und ihre Folgen: Bürger wird Rohstoff

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Montag, 26.9.2011, Eifel. Bei uns färbt gerade ein rötlicher Sonnenaufgang den blauen Himmel lila. Weil wir hier arm sind, von dem leben was das Land zu bieten hat  und nicht zum nächsten Stau hetzen müssen (was mangels Autobahnen sowieso ein selten beobachtetes Phänomen ist) haben wir Zeit, uns das erhebende Schauspiel anzuschauen und sogar Zeit, all die Artikel zu lesen, die heute morgen von der brutalen Pleite Europas sprechen – und von den Folgen.

Brutale Pleite Europas? Nun werden viele meinen, der spinnt, dieser Eifelphilosoph. Das mag sein, zusätzlich lese ich aber auch gerne zwischen den Zeilen, weil man dort oft das findet, was man uns nicht sagen möchte. Angefangen hat meine Grübelei mit einem Artikel aus der Welt über eine jener miesen „Talk-Shows“, die ich mangels TV noch nie in meinem Leben gesehen habe:

Denn im Laufe des Gesprächs ließ sich Röttgen gar nicht mehr darin bremsen, vor immer noch größeren Gefahren zu warnen. „Das entscheidende Problem liegt nämlich nicht nur in Griechenland.“

„Es geht um die Zukunft der Europäischen Union. Es steht eine neue weltwirtschaftliche Rezession auf dem Spiel.“ Griechenland sei nicht das Problem, sondern der „Problemherd“.

„Darum ist das nicht nur eine ökonomische Krise, sondern ist das eine grundlegende demokratische Herausforderung.“ Es gehe darum, ob die Politik noch ordnen könne – oder ob sie von den Märkten getrieben wird.

Bedenkliche Worte aus Regierungskreisen. Wäre ich Volk, bekäme ich Angst vor dem, was geschieht, wenn die Märkte weiter treiben.

Die „Welt“ spricht von „beunruhigender Angst“ der Wirtschaftsweisen, doch die Angst scheint nicht nur die Wirtschaftsweisen sondern auch die Politiker umzutreiben – und wenn man denen lauscht, dann bekommt man es mit der Angst zu tun. Hören wir doch einfach mal der Bundeskanzlerin zu, wieder „Welt„:

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat angesichts der Schuldenkrise sehr deutlich eine Verschärfung der Stabilitätsverpflichtungen der Euro-Länder gefordert. Dafür müsse es „für die Zukunft einen Mechanismus geben, dass es ein Durchgriffsrecht gibt, dass es erzwungen wird“, sagte Merkel am Sonntagabend in der ARD-Talkshow „Günther Jauch“. „Wir müssen daran arbeiten, Vertragsänderungen zu haben, dass man wenigstens vor dem Europäischen Gerichtshof ein Land verklagen kann.“ Notfalls müssten solche Länder einen Teil ihrer Souveränität abgeben. „Wer sich nicht daran (an die Stabilitätskriterien) hält, der muss dazu gezwungen werden.“

Wissen wir jetzt, warum der Merkel-Intimus Röttgen – im Artikel zuvor als „Sprachrohr Merkels“ bezeichnet – die Demokratie in Gefahr sieht? Merkt man, das hier nach einem neuen Ermächtigungsgesetz zur Zügelung der Märkte gerufen wird, das aber letztlich im Detail jeden einzelnen Euro in Europa unter Kontrolle bringen will und so die Demokratie vollständig zur Farce verkommen läßt?

Nochmal die „Welt“, in der ein Ausblick auf die Dimensionen geworfen wird, die der endgültige Rettungsschirm nebenbei mit sich bringt:

Derlei kurzfristige Rettungsaktionen können natürlich nicht durch ein Plebiszit abgewendet werden, doch die Installation eines dauerhaften Rettungsschirms stellt so etwas wie eine neue Wirtschaftsverfassung des Euro-Raums dar. Dies würde eine derart nachhaltige Abtretung der ökonomischen Souveränität eines Landes wie Deutschland bedeuten, dass dies zwingend demokratisch legitimiert werden sollte. Gerade weil die Europäer in den letzten gut 60 Jahren so beeindruckende Demokraten geworden sind, verdienen sie mehr Respekt und Mitsprache.

Ja, sie verdienen sicherlich mehr Respekt und Mitsprache. Kriegen sie aber nicht. Die „nachhaltige Abtretung der ökonomischen Souveränität“ bedeutet nichts anderes, als das wir uns noch soviel Demokratie erlauben dürfen, wie Geld da ist. Und da kein Geld da ist … droht die Zwangsverwaltung nach US-Vorbild, siehe Handelsblatt:

Die Schuldenkrise in Europa bedroht nach einem Papier von hochrangigen Mitarbeitern der Europäischen Zentralbank (EZB) die Existenz der Währungsunion. Um die Euro-Zone zu stabilisieren, schlagen die Autoren um Direktoriumsmitglied Jürgen Stark daher jetzt vor, Länder unter finanzielle Zwangsverwaltung zu stellen, wenn diese die Ziele zur Haushaltssanierung nicht erfüllen.

Es ist nicht das erste Mal, das dieser Vorstoß unternommen wird, es wird auch nicht das letzte Mal sein. Soviel Macht liegt dort ungenutzt im europäischen Raum herum  – das weckt Begehrlichkeiten. Wo das Geld der Rettungsschirme hingeht, ist eigentlich auch schon klar: nicht zu den Menschen, sondern zu den Konten der engagierten Großbanken. Die leihen sich das billig und geben es teuer weiter: ein Supergeschäft für Freunde des leistungslosen Einkommens auf Milliardärsniveau, siehe Manager Magazin:

Aus Sorge vor einem Abrutschen der Weltwirtschaft wollen die 20 führenden Industrie- und Schwellenländer die Banken rund um den Globus notfalls mit ausreichend Geld versorgen. Die Zentralbanken würden die Institute mit der notwendigen Liquidität ausstatten, heißt es in der in Washington veröffentlichten Erklärung der G20. So weit, so erwartbar.

Dabei bildet sich gesellschaftlich eine breite Allianz für den Bankenclan, hierzulande auch als „Hartz-Block“ bekannt. Selbst die Gewerkschaft bejubelt die Installierung der Bankenbereicherungsmaschinerie und ruft auf zur überparteilichen Geschlossenheit, siehe Handelsblatt:

Notwendig sei eine „möglichst parteiübergreifende parlamentarische Mehrheit für die Erweiterung des Rettungsschirms – auch als Signal an die Märkte“, sagte der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) der „Leipziger Volkszeitung“. Die Abgeordneten stimmten am Donnerstag nicht nur über den Rettungsschirm, sondern über die Zukunft Europas ab. Trotz Kritik aus den eigenen Reihen rechnet FDP-Chef Philipp Rösler weiterhin mit einer Mehrheit der Koalition bei der Abstimmung. Auch die SPD-Fraktion wird wohl mehrheitlich für die Aufstockung der Kreditgarantien votieren.

Das erinnert Fatal an … das Ermächtigungsgesetz von 1933, oder? Diese völlig kritiklose Begeisterung für … Unfug. Dabei ist schon jetzt klar, das „die Märkte“ die beiden Rettungsschirme zu sehr kostenintensiven Projekten aufblasen werden – das kann heute jeder nachlesen, auch jeder Politiker, jeder Gewerkschafter, jeder Bürger, der nicht im morgendlichen Stau steht, hier im Handelsblatt:

Eine mögliche Aufstockung des vorläufigen Rettungsschirms EFSF könnte sich nach Einschätzung der Ratingagentur S&P negativ auf die Kreditwürdigkeit der Euro-Zonen-Staaten auswirken.

Die verschiedenen Alternativen könnten unterschiedliche Konsequenzen haben – auch auf führende Euro-Staaten wie Frankreich und Deutschland, sagte S&P-Experte David Beers am Sonntag der Nachrichtenagentur Reuters. Details nannte Beers nicht.

Details brauchen wir ja auch nicht kennen. Die EZB gibt das Geld den Banken für wenig Geld, die gibt es dann den Staaten weiter – für immer mehr Zinsen, bis letztlich alle Pleite sind – alle, außer den Banken. Das ist ganz einfach das Modell Griechenland auf ganz Europa ausgeweitet. Ganz alternativlos bekommen wir heute morgen das Ende Europas präsentiert, ein brutales Ende, das eine Zwangsverwaltung nach sich ziehen wird, die Merkel und führende Europapolitiker heute schon mal in die Wand gemalt haben.

Warum steht das nicht groß in allen Medien auf der ersten Seite, mit ganz ganz dicken Schlagzeilen?

Weil man nicht möchte, das jeder Bürger in Europa merkt, was los ist. Noch nicht. Noch sind die Verträge zur Vernichtung der Souveränität der einzelnen Länder nicht unterzeichnet, noch könnte eine Welle der Empörung die Entdemokratisierung des Kontinentes stoppen – aber dafür hat ja eigentlich sowieso keiner mehr Zeit. Merkt man nun, warum „Beschäftigung“ und „Unterhaltung“ so wichtig geworden sind und niemand mehr von „Selbstverwirklichung in sozialer Verantwortung“ spricht – dem alten demokratischen Erziehungsziel?

Vielleicht reicht das noch nicht, um heute morgen wach zu werden. Obwohl der Artikel dadurch wieder unanständig lang wird (jedenfalls fürs Internet), möchte ich noch einen Ausblick auf die Rohstoffpolitik Europas werfen, die erstmal gar nichts mit der Eurokrise zu tun hat, aber einen tiefen Blick auf die Ethik von internationalen Konzernen erlaubt, hier zitiert aus einem im Spiegel besprochenen Buch:

Die Kupfergewinnung zeigt beispielhaft die Ausbeutung Afrikas auf. In Sambia, im Süden Afrikas, befindet sich nach EvB-Angaben die größte Kupferhütte des Kontinents, seit 2000 ist sie im Besitz Glencores. Obwohl die Mopani Kupfermine zu den profitabelsten der Region zählt, soll sie nach Angaben von EvB seit Jahren Verluste schreiben: „Unternehmen wie Glencore verbuchen die Gewinne in extra dafür in Steuerparadiesen angesiedelten Filialen.“ Sie hätten die besten Anwälte und die besten Buchhalter der Welt, schreiben die Autoren. Und weiter: „Sie machen, was sie wollen.“

Das Buch erlaubt einen seltenen Ausblick auf die Dimensionen – und die Handelsmacht – die internationale Konzerne inzwischen haben – und auf die Dimension der kriminellen Energie:

Bereits in den sechziger Jahren wurde der einstige Finanzchef der Standard Oil Company (heute Exxon) gefragt, wo der Ölkonzern seine Profite mache. Jack Bennets Antwort: „Die Profite werden genau hier gemacht – im Büro des Finanzchefs. Wo genau, entscheide ich.“

Glencore und weitere Rohstoffhändler haben seitdem das komplexe Spiel mit konzerninternen Verrechnungspreisen offensichtlich perfektioniert – so wie andere transnationale Konzerne auch. Die Buchautoren verweisen in diesem Zusammenhang darauf, dass laut einem Diskussionspapier des Deutschen Instititus für Entwicklungspolitik 40 bis 60 Prozent des Welthandels nicht zwischen verschiedenen Unternehmen abgewickelt werden, sondern zwischen den Tochtergesellschaften einer Firmengruppe. 

Insofern bekommt auch eine neue Konzerninitiative ein ganz anderes Gewicht:

Im Konkurrenzkampf um immer knapper werdende Rohstoffe für deutsche Unternehmen drücken Industrie und Bundesregierung aufs Gas: Bis Ende des Jahres will der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) eine Allianz für Rohstoffsicherung (ARS) aufgestellt haben. 

Das ist nichts weiter als eine konzertierte Aktion von Politik und Wirtschaft – oder soll ich sagen: eine weitere konzertierte Aktion – um die Ergebnisse der Ausbeutung auch für Deutschland zu sichern.

Ausgebeutet wird jedoch weiter, weil das einfach geil ist. Mit Ausbeutung kann man super Renditen erzielen, auch wenn das Volk zuweilen seltsam reagiert, siehe Manager Magazin:

„Unsere Leute bekamen Morddrohungen – von den allgemeinen Nazi-Vorwürfen ganz zu schweigen“, berichtete Sixt-Chef Erich Sixt dem Nachrichten-Magazin DER SPIEGEL. In seiner Konzernzentrale in Pullach bei München seien zerschnittene Sixt-Karten eingegangen, „auch vom Honorarkonsul“. Es habe Aufrufe gegeben, die griechischen Filialen des Autovermieters zu verwüsten. „Da schlug uns der blanke Hass entgegen.“

Wer nun meint: was haben denn die Rohstoffe und die Europleite jetzt miteinander zu tun – und was geht mich das eigentlich an – der hat noch nicht verstanden, das wir sehr wohl Rohstoffe haben, für die es einen Markt gibt. Wir haben nur noch nicht den richtigen Rahmen zur Verwertung der Rohstoffe, aber wir arbeiten gezielt daran:

Von rund 12 000 Patienten, die auf ein Spenderorgan warten, sterben jährlich etwa 3000.

Angesichts des enormen Mangels an gespendeten Organen will Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) die gesetzlich Krankenversicherten nach ihrer Spendebereitschaft befragen lassen.

Die Bundesärztekammer war zuletzt von der Forderung nach einer Erklärungspflicht für die Organspende abgerückt; dies sei mit dem Grundgesetz kaum vereinbar. Im Bundestag werben die Fraktionschefs von Union und SPD, Volker Kauder und Frank-Walter Steinmeier, derzeit ebenfalls dafür, Bürger stärker zu einer Entscheidung zu bewegen.

Na, ihr wandelnden Rohstoffquellen, wird´s jetzt mulmig?

Wieder haben wir eine breite Koalition des Bankenclans bzw. des Hartz-Blocks für eine Intiative, die den Konzernen einen Schritt weiter Zugang erlaubt zu einem neuen Riesenmarkt mit ungeahnten Renditechancen.

Zu schlimm gefolgert? Schon vergessen, was im März dieses Jahres diskutiert wurde – mal abgesehen von dem Vorstoß, das Hartz IV-Abhängige ja locker ihre Organe verkaufen könnten, um dem Staat nicht auf der Tasche zu liegen – fasste der Freitag die Ungeheuerlichkeiten zusammen:

Um das Organaufkommen zu erhöhen, plädierte der Deutsche Ärztetag 2010 für die Widerspruchsregelung. BÄK-Vize Frank-Ulrich Montgomery reagierte skeptisch, er glaubt, das verunsichere die Bevölkerung eher. Damit „kein Organ verloren geht“, setzt er auf die Ausschöpfung der vorhandenen Reserven in den Krankenhäusern.

Wirklich dramatisch ist, dass das im Zusammenhang mit Organspende hoch gehaltene Selbstbestimmungsrecht mittlerweile geradezu ad absurdum geführt wird. Denn sowohl die Widerspruchsregelung als auch die Frage nach der Organspendebereitschaft stellt per se eine Nötigung zur Organspende dar. Wer sich dagegen entscheidet, fällt quasi aus der „Leben schenkenden“ Sozialgemeinschaft.

Für diese Nötigung gibt es nun eine breite Koalition von CDU/CSU, FDP und SPD. Egal was wir wählen, das wird so kommen. Der Spendeverweigerer wird sozial abgestraft wie der „Hartz-Abschaum“, wer als Leistungsbezieher die Gegenleistung verweigert, darf mit einer Titelstory in der BLÖD-Zeitung rechnen.

Darum rede ich von einer „brutalen“ Pleite Europas. Es ist die Bundesärztekammer, die von einer „Erklärungspflicht“ absieht, weil sie mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist … die führenden Parteien in Deutschland demonstrieren gerade mal wieder, was sie von dem Grundgesetz halten, und das bei einer Frage, die die Weichen stellen für Transplantationsfarmen im Jahre 2020, wo „Überschussbürger“ zwecks Schaffung einer „Organreserve“ für den internationalen Markt gezüchtet werden.

Und Leuten mit dieser Ethik sollen wir annehmen, das sie bei der Bewältigung der Europleite nur und ausschließlich das Wohl der Bürger im Auge haben?

Ich fürchte, die Griechen haben schon jetzt verstanden, was ihnen blüht – und verstehen deshalb den „Spaß“ des Sixt-Chefs nicht.

Und ich fürchte, auch uns wird das Lachen noch im Halse stecken bleiben, wenn die Zwangsverwalter unsere Nieren zur Bezahlung unserer Schulden wollen – immerhin brauchen die Schwellenländer für ihre Leistungsträger Rohstoff, damit die ungeniert weiter fressen, koksen und saufen können.

Nochmal aus dem Freitag:

Organversagen in Folge von Übergewicht, Drogen- und Medikamentenmissbrauch nehmen ebenso zu wie die Retransplantationsrate, wenn das Organ erneut versagt. Ärzte klagen vermehrt über die mangelnde Disziplin transplantierter Patienten. 

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