Politik

Die widerliche Journailie – der Goebbels von nebenan: über Journalismus in Deutschland 2011

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Manchmal muss man einfach vom Schicksal angerempelt werden – so wie ich heute. Ich wanderte ziellos und lustlos durch die Medienlandschaft, bis ich auf das Städtchen Hammelburg stieß, wo mich eine wichtige Frage erwartete:

Können Journalisten und Medienkonzerne, die Kriege herbeischreiben, herbeibildern, sich ewig sicher fühlen, immerzu unbehelligt weitermachen?

Als Blogger lebt man von der Journaille. Ohne ihren Unfug wäre das Leben nur halb so schön, ohne Nachrichten würde ein Nachrichtenspiegel keinen Sinn machen. Man hat ja auch Achtung vor diesem Berufsstand. Auch wenn viele jüngere Journalisten sich gerne über ihn lächerlich machen – ich lese gerne Bücher von Peter Scholl-Latour – zum einen, weil sie lebendig geschrieben sind (so lebendig, das man von den vielen „sundowners“ fasst selber besoffen wird), zum anderen, weil sie Liveberichte vor Ort darstellen, die ein ganz anderes, differenzierteres und düstereres Bild abgeben, als es sich die öffentlich-rechtlichen Medien gestatten dürfen. Ohne Sendungen wie Monitor oder Panorama wäre die deutsche Demokratie deutlich ärmer – und es passt ins Bild, das diese Sendungen immer mehr zusammengestrichen werden zugunsten von Talkshows, die ja im Prinzip nichts anderes sind als Dauerwerbesendungen für das System.

Journalismus ist für eine Zivilgesellschaft so wichtig wie Versicherungen. Man braucht ihre unermüdliche Wachsamkeit – auch wenn sie nicht beständig Sensationen liefern können. Journalismus ist unsere Versicherung gegen Verschwörungen, Geheimabsprachen und Mauscheleien jener Menschen, die der Versuchung der Macht eben NICHT widerstehen konnten – sei es nun wirtschaftliche, politische oder mediale Macht. Wie Versicherungen uns vor den kleinen Katastrophen des Lebens schützen – dem Hausbrand, dem Autounfall, dem Beinbruch (früher sogar mal der Arbeitslosigkeit) – schützen uns die Journalisten vor den großen Katastrophen: der Diktatur, dem Krieg, der Hungersnot, die auf die Wirtschaftskatastrophe folgt, der Unterwanderung der Wirtschaft durch die Mafia und anderen Verbrechen. Sie bilden die Jäger und Fährtensucher, die den Stamm vor Feinden warnt, bevor die mitten in der Nacht auf dem Dorfplatz stehen.

Ein paar Beispiele?

Gern.

Nehmen wir zum Beispiel Aristo:

 Die Parteien besetzen das Parlament, und in den Parteien findet systematisch eine Negativ-Auslese statt, das heißt, die charakterlich Schlechtesten kommen nach oben. Wenn diese im Parlament sitzen – meist viele Legislaturperioden, – interessieren sie sich weniger für das Gemeinwohl als der normale Bürger. Man erinnere sich an eine ‚Panorama‘-Sendung vor Verabschiedung des Verfassungsvertrages, als sieben Abgeordneten acht einfache Fragen zum Vertragsinhalt gestellt wurden. Keine einzige der Fragen wurde richtig beantwortet!

 Unsere freiheitliche demokratische Grundordnung ist in Gefahr. Durch die Griechenland- und Euro-Rettungsaktionen werden wichtige Rechtsgrundsätze ruiniert, wie etwa die Eigentumsgewährleistung, das Sozialstaatsprinzip, das Rechtsstaatsprinzip. Die demokratischen Institutionen werden entmachtet, und es gibt keine Gewaltenteilung mehr.

Na, das ist doch mal wichtig. Genau so etwas erwarte ich von gutem Journalismus: das er mir sagt, das ich den Gasofen angelassen habe und meine Oma sich gleich direkt daneben eine Zigarette anzünden will.

Oder ein weiteres Thema: Fukushima. Ich will doch genau wissen, wenn ich nach alttestamentarischer Art die Krebsgeschwüre in den Rachen stecken muss, wenn meine Kinder gezielt getötet worden sind – und dabei hilft mir der Denkbonus:

Die EU hat als erste Reaktion auf Fukushima die Grenzwerte für radioaktiv belastete Lebensmittel um mehr als das doppelte auf bis zu 1250 Becquerel pro Kilogramm (Bq/Kg)erhöht. Nach intensiven Protesten senkte sie die Werte dann wieder auf bis zu 600 Bq/Kg. Wie die Internationale Strahlenschutzkommission (ICRP) anhand ihrer Berechnungsgrundlagen festgestellt hat, nimmt die EU dadurch dennoch alleine in Deutschland eine Zunahme von mindestens 150 000 Todesfällen durch Krebs billigend in Kauf.

Das ist ja mal eine spannende Schlagzeile: EU tötet 150000 Deutsche zur Rettung der Konzernumsätze. Leider wird man diese Schlagzeile in etablierten Medien nicht finden – obwohl sie wahr ist. 

Manchmal wünsche ich mir auch größere Perspektiven. Die finde ich in der Menschenzeitung:

USA – Deutschland: Von Waffenlobbyisten kontrollierte, diktatorische Scheindemokratien.

Das es Waffenlobbyisten gibt, wissen wir ja. Das es darüber hinaus noch weitere Lobbyisten gibt, die manipulierend in das politische Geschehen eingreifen, wissen wir auch. Nur – über die Konsequenzen wird wenig geredet, wie zum Beispiel über die, das die Demokratie beständig weiter schrumpft, wenn der Lobbyist an Macht und Einfluss gewinnt … und wir dann etwas anderes haben als eine Demokratie.

Etwas ganz anderes, das eigentlich so keiner haben wollte.

Natürlich möchte ich auch wissen, wie es um die Lage der Weltwirtschaft bestellt ist. Da freue ich mich doch über Meldungen von Seiten, die ich hier nicht zitieren darf, die mich aber darauf hinweisen, das die USA noch viel bankrotter sind als Griechenland und das es brutaler Massnahmen bedarf, um den Bankrott aufzuhalten:

To grasp the magnitude of our nation’s insolvency, consider what tax hikes or spending cuts are needed to eliminate our fiscal gap. The answer is an immediate and permanent 64% increase in all federal revenues or an immediate and permanent 40% cut in all federal noninterest spending.

Steuererhöhungen von 64% – Ausgabensenkungen von 40% – da ist die griechische Rentenkürzung um 20% ja harmlos gegen. Und da das nicht geschehen wird, steht der Bankrott der USA wohl direkt bevor. Gut zu wissen, da ich wegen der spannenden Symbolik noch einen Dollarschein auf dem Schreibtisch habe. Wird Zeit, das ich den loswerde, bevor der nichts mehr Wert ist – schön also, das verantwortungsvolle Journalisten mich darüber rechtzeitig informiert haben.

Ebenso freue ich mich darüber, das sie mich darüber informieren, das ich als politisch kommentierender Blogger ins Visier jener politische Kräfte komme, die oben noch wegen ihrer charakterlichen Schlechtigkeit übel aufgestossen sind:

Eine anonyme Teilhabe am politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess ist abzulehnen

Ohne Netzpolitik.org wäre einem fast entgangen, das hier einige Charakterschweine elementare demokratische Grundrechte angreifen wollen: das Recht auf freie und GEHEIME Wahl ist nicht umsonst um Grundgesetz fest verankert – und die anonyme Bloggerei ist nur ein Ableger davon. Immerhin will ich hier keine Karriere machen, noch Bewerbungsschreiben losschicken, ich will keine Einladungen zum Bundespresseball, noch Schecks, Reisegutscheine, Autos, Möbel, Kunstwerke oder Häuser geschenkt bekommen – ich möchte nur meine Meinung sagen. Mehr nicht. Ich will auch nicht ins Fernsehen.

Griechenland wird gefledert, so erfahre ich von mutigen Journalisten; andere weisen mich darauf hin, das es dem deutschen Mittelstand genauso gehen wird – oder das die soziale Ungleichheit in der ehedem so ziviliserten Schweiz ständig neue Rekorde erreicht:

Die Kluft zwischen Arm und Reich sei in der Schweiz so gross wie fast nirgends auf der Welt, stellt der Soziologie-Professor Ueli Mäder fest – Nambibia und Simbabwe ausgenommen. Seinen Studien nach besitzen drei Prozent der privat Steuerpflichtigen in der Schweiz so viel steuerbares Vermögen wie die restlichen 97 Prozent.

Und hier … kippt auf einmal meine Begeisterung über den Journalismus in Deutschland im Jahre 2011.

Denn der … informiert mich gerne über andere Dinge. Zum Beispiel Spiegel-Online, das erfolgreichste Online-Nachrichtenportal Deutschlands, informiert mich über die Trennung der Rockband R.E.M. (kenne ich gar nicht), über ein neues Computerspiel, „Minecraft“ genannt, über die Geschichte der Papstautos oder die Frauenfeindlichkeit der Piratenpartei (weiß man doch schon seit Jahren, oder?) – Themen, die mich nie interessiert hätte, selbst wenn ich gewußt hätte, das sie existieren.

Aber mit dem Informationsmüll kann man halt trefflich jene Nachrichten zukleistern, die wirklich reale Bedrohungen unseres Gemeinwesens beschreiben.

Journalismus war unsere Versicherung gegen die Degeneration von „Macht“, der Journalist war der „Wachhund“ der Demokratie, der „Spiegel“ einst das „Sturmgeschütz der Demokratie“.

2011 ist der Spiegel immer noch ein Sturmgeschütz – aber die Mannschaft ist eine andere, auch zeigt das Kanonenrohr in die Gegenrichtung.

So ist das halt mit Waffen – sie können sich auch gegen einen wenden. 1962 blieb die komplette Spiegelredaktion der Veranstaltung noch fern.

Und so ist das mit Wachhunden, wenn man denen dicke, fette Steaks hinwirft: sie futtern und bellen nicht mehr,  plündernde, mordende Horden egozentrischer Charakterschweine können hemmunglos die Kornspeicher leerräumen – und je mehr die Jounaillie zu essen bekommt, desto später merkt der Bauer, das die Früchte seiner Arbeit gestohlen sind und ein letzter, harter Winter naht.

Wir wissen auch, wer die Steaks bezahlt: die Deutsche Post, British American Tobacco, EnBW, Gruner & Jahr, Mercedes Benz und die weniger bekannten Namen Lanxess und Talanx: alles Sponsoren des Bundespresseballs. Werden dorthin nur jene Jagdhunde eingeladen, die zu Straßenkötern verkommen sind, die von jenen Brocken leben, die die mächtigen Menschen ihnen gnädig zuwerfen: Konzerndackel und Parteimöpse?

Der Bundespresseball ist auf jeden Fall eine sehr elitäre Veranstaltung:

Der Bundespresseball ist das gesellschaftliche Ereignis Nummer Eins in Deutschland. Gastgeber ist die Bundespressekonferenz e. V.. Der Verein ist ein Zusammenschluss deutscher Parlamentskorrespondenten, die aus Berlin und/oder Bonn ständig und weit überwiegend über die Bundespolitik berichten. Der Bundespresseball ist der exklusive Treffpunkt besonders vieler Entscheidungsträger aus Politik, Medien und Wirtschaft.

Die Einladungsliste wird vom Vorstand der Bundespressekonferenz zusammengestellt. Eintrittskarten zum Bundespresseball sind auf dem freien Markt nicht erhältlich.

Wird nun klar, warum die „Journailie“ der öffentlichen Presse Nachrichten wie die oben genannten nicht mehr bringt? Würden sie die Chefs der führenden Ölkonzerne zu so einem Ereignis treffen, wäre die Reaktion – jedenfalls früher einmal – klar gewesen: sofort hätte das Kartellamt Preisabsprachen gewittert und Ermittlungen begonnen.

Was soll ich nun wittern, wenn ich von diesem Ereignis erfahre?

Auf jeden Fall hört sich das nicht so an, als sei es ein Ereignis, das einer demokratischen Solidargemeinschaft gut tut, zumal man für die Einladungen ja auch noch ordentlich bezahlen muß: 590 Euro pro Karte – davon muss der Arbeitslose fast zwei Monate lang leben.

Kein Wunder also, das Arbeitslosenhatz so beliebt ist in diesen Kreisen. Franz Müntefering („Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“) galt lange Zeit als „eifriger Bundespresseballbesucher„. Was nun aber „Entscheidungsträger aus der Wirtschaft“ dort zu suchen haben, erschließt sich einem nicht sofort.

„Gar nichts“ – wäre eine angemessene Antwort.

Aber wer sagt der Journailie dann, was sie über Fukushima, den Fachkräftemangel oder den „gewalttätigen Arbeitslosen“ alles herunterlügen soll? Und wer bezahlt letztlich die Austern, den Kaviar und den Champagner? Nun – ganz zuletzt natürlich der Steuerzahler und das Opfer hemmungsloser Preistreiberei … aber auch das erfahren wir nicht so schnell.

Gerade dort – beim Bundespresseball – zeigt sich, wie widerlich Journailie geworden ist und das das „System“ seinen Goebbels gefunden hat: er wohnt gleich nebenan, wettert gegen Ausländer und Arbeitslose, lässt es sich aber selbst auf deren Kosten – und auf Kosten all jener, die zusätzlich nebenbei noch ausgeplündert werden – selbst ganz gut gehen. Andererseits – muss man ja auch mal Verständnis dafür haben, das die Elite Deutschlands sich einfach mal fernab vom Pöbel einen schönen Abend machen möchte, wo sie nicht von der Armut der Masse angekotzt wird, sondern bei nobelster Unterhaltung edelste Speisen konsumieren und sogar mit dem Bundespräsidenten tanzen kann.

Besser kann man seine Machtergreifung doch gar nicht demonstrieren.

 

 

 

 

 

 

 

 



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