Dienstag, 20. 9.2011. Nach den deutschen Arbeitslosen und Angestellten kommen jetzt ganz Länder unter die Räder – doch niemand scheint sich darum zu kümmern. In Griechenland werden unsere europäischen Brüder und Schwestern hingerichtet – doch man muss lange suchen, um die Folgen der Exekution aufdecken zu können. Vor allem in den großen „kritischen“ Medienformaten sucht man vergeblich nach den Folgen des ausufernden Krieges der leistungsfeindlichen Kapitalvermehrer gegen die Realwirtschaft. Fündig wird man aber in der Tagesschau:
Der griechische Staat zahlt Arbeitslosen maximal ein Jahr lang einige Hundert Euro pro Monat Unterstützung. Danach ist Schluss. Eine Grundsicherung, eine Art Hartz IV gibt es in Griechenland nicht. Auch das ist ein Grund, warum im Zuge der Krise zigtausende Menschen landesweit auf der Straße gelandet sind.
Nach den medialen Propagandalügen vom faulen Arbeitslosen haben wir also jetzt die Propagandalügen vom verschwenderischen Griechen gehabt, der noch nicht mal eine ordentliche Arbeitslosenversicherung hatte. Morgen werden wir sicher wieder hören, das es unseren Arbeitslosen viel zu gut geht – sollen die mal nach Griechenland schauen!
Währenddessen geht der Wahn weiter. Sicher gibt es mahnende Stimmen, zum Beispiel im Manager-Magazin:
Es reicht. Die Diskussion über eine Pleite Griechenlands ist so dermaßen verkürzt und falsch, dass sie dem Thema nicht gerecht wird. So werden Bürger und Wähler in die Irre geleitet. Schlimmer noch: In der deutschen Debatte hat sich eine verstörende Emotionalität breit gemacht, eine moralische Entrüstung gegenüber den „Pleite-Griechen“ („Bild“) – nach dem Motto: Die haben schlecht gewirtschaftet, geprasst und sogar betrogen; jetzt sollen sie sehen, wie sie klarkommen.
Also – an den griechischen Arbeitslosen kann es schon mal nicht liegen. Die nächsten, die es jetzt erwischen wird, sind die griechischen Beamten.
Unterdessen sagte IWF-Vertreter Bob Traa, in Griechenland dürften auch Entlassungen kein Tabu sein. Athens Kreditgeber fordern, dass die Regierung in Athen von gut 700.000 Beamten und weiteren bis zu 600.000 Angestellten vorwiegend verlustbringender Staatsunternehmen mindestens 100.000 Mitarbeiter entlässt oder in einen so genannten Reservepool schickt: Dort sollen sie 60 Prozent des bisherigen Gehaltes beziehen und nach Umschulungen aus dem Staatsdienst entlassen werden können.
Warum sagt man eigentlich nicht endlich mal, worum es wirklich geht? Es geht darum, die Menschen aus ihren Häusern zu vertreiben und sie im Winter auf der Straße verrecken zu lassen, weil die Regierung die ständig steigenden Zinsen der Banken nicht mehr bezahlen kann. Es geht darum, das der Verlust von Menschenleben billigend in Kauf genommen wird, um die willentliche Organisation von Massenarbeits- und Obdachlosigkeit.
Ich weiß nicht, wie ihr da draussen an den Monitoren das nennen würdet – ich nenne das verantwortungslos, skrupellos und kriminell und denke zudem, man hätte langsam auch das Recht, das Militär einzusetzen, weil die Forderungen des IWF die Souveränität des griechischen Staates vollständig eleminieren:
Griechenland steht nach Ansicht des Internationalen Währungsfonds (IWF) die Pleite bevor, wenn es nicht den Verkauf von Staatsbesitz vorantreibt. Mit harten Worten warnte der ständige IWF-Vertreter in Griechenland, Bob Traa, am Montag in Vouliagmeni vor weiteren Versäumnissen.
Man spricht hier zurecht von Griechenland als dem „Kardiogramm eines Toten“, weil ein schwacher Staat bald nur noch ein toter Staat ist.
Natürlich rekeln wir uns noch in deutscher Gemütlichkeit, hängen unseren Aufschwungphantasien noch und träumen von Zeiten, die aber niemals wieder besser werden:
Trotz des Wirtschaftsaufschwungs sind die Reallöhne in Deutschland im vergangenen Jahr offenbar nur leicht gestiegen. Vor allem in Osteuropa fielen die Zuwächse deutlich höher aus. Zudem hat sich hierzulande die Einkommenslücke zwischen Männern und Frauen wieder vergrößert.
Schaut man genauer hin, wird es sogar noch schlimmer:
Wie teuer könnte die Euro-Schuldenkrise den deutschen Steuerzahler kommen? Das Ifo-Institut macht eine umfängliche Rechnung auf. Das Ergebnis: die Haftungssumme liegt bei bis zu 465 Milliarden Euro. Die Märkte sähen dies mit wachsender Nervosität, sagt Ifo-Chef Sinn.
465 Milliarden Euro – bis jetzt. Und während wir noch hoffen, mit diesem Batzen Geld die Krise des kleinen Griechenland aufhalten zu können, marschieren die Horden der Finanzindustrie schon längst zu neuen Zielen: Italien ist fällig. Man will Blut und Fleisch einer der großen Volkswirtschaften schmecken. All das künstliche wertlose abstrakte Buchgeld soll so in konkrete Werte umgewandelt werden: Flughäfen, Seehäfen, Inseln, Ländereien, Wasserwerke – der ganz große Coup der Privatisierung ganzer Staaten rückt in greifbare Nähe, der größte Raubzug in der Geschichte der Menschheit wird Wirklichkeit.
Und was machen wir? Wir Bürger und unsere gewählten Politiker? Verschwenden unsere Zeit mit Theater. Wir spenden einem Polizisten, der mit einer Hand zwei Flummis fängt, 1,5 Millionen Euro. Für so ein Theater haben wir Geld und Zeit, während die grassierende Obdachlosigkeit griechischer Bürger gerade mal eine Randnotiz wert ist.
Schon mal überlegt, warum die Folgen der „Euro-Krise“ medial nicht näher beleuchtet werden? Weil es Sinn macht, den Bürger nicht aufzuwecken, sondern ihn ganz im Sinne spätrömischer Dekadanz bei Brot und Spielen dahinvegetieren zu lassen, während die Regierungsgewalt heute ganz offiziell an eine Ratingagentur übergeben wurde.
Bitte?
Die Macht im Staate wurde … abgegeben?
Und wir erfahren nichts davon?
Natürlich erfahren wir davon. Da wir nichts mehr dagegen unternehmen können, können wir ganz offen darüber reden. Wie heute im Handelsblatt:
Es ist nur ein Satz und er ist eigentlich auf Italien gemünzt. Doch er hat Sprengkraft, weit über das Land hinaus. „Aus unserer Sicht wird die zerbrechliche Regierungskoalition und der Richtungsstreit innerhalb des Parlaments weiterhin die Möglichkeiten der Regierung beschränken, die entscheidenden Antworten auf die innenpolitischen und die externen makroökonomischen Herausforderungen zu finden.“
Mit diesem Statement begründet die Ratingagentur Standard & Poor’s die Herabstufung der Bonität Italiens um eine Stufe von A+ auf A und die Beibehaltung des „negativ watch“, also des schwachen Ausblicks. Doch mit den gleichen Argumenten könnte man auch die Politik von Bundeskanzlerin Angela Merkel auf „negative watch“ setzen.
Mit dem gleichen Argument könnte man auch ganz direkt die Übertragung der Regierungsgewalt auf die Ratingagenturen fordern – das würde uns viel Geld sparen, das wir momentan noch für die Demokratiefassade ausgeben.
Das sollte man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: öffentliche Erpressung von Regierungen durch … Ratingagenturen.
Wieder mal ein Fall für das Militär. Dafür hat man so etwas doch: zum Schutze der staatlichen Souveränität vor fremden Mächten. Jedenfalls hatte man mir das in der Schule so beigebracht.
Wir können den Tag heute feiern. Heute haben wir das erste mal öffentlich zu hören bekommen, das die Eigentumsrechte der deutschen Bevölkerung an den deutschen Werten und Errungenschaften sowie sein Selbstbestimmungsrecht genauso in Gefahr sind wie die Rechte der Griechen an ihrem Leben.
Dieser Tag könnte der „1.September 1939“ des neuen Jahrtausends werden, jener Tag, an dem offensichtlich wurde, das sich in Zukunft ganz ganz ganz viel ändern wird, ohne das wir auch nur die geringste Chance haben, etwas daran zu verändern, weil wir nicht im mindesten verstehen, was da gerade um uns herum eigentlich los ist.
Wenn wir dann auch neben den Griechen und unseren Arbeitslosen auf der Straße stehen, werden wir das vielleicht endlich bemerken. Das wird dann auch der Zeitpunkt sein, wo man für 1,5 Millionen Euro noch nicht mal mehr einen Flummi kaufen kann … geschweige denn zwei.