Samstag, dritter September 2011. Draussen scheint die Sonne, drinnen sitzt der Bundesbürger und schaut finster. Eigentlich hat er dafür keinen Grund. Sein Leben, sein Glück, sein Alltag, seine Existenz hängt an einem „Arbeitsplatz“ – unabhängig vom Wetter, der Ernte, der Laune der Götter oder diversen Naturkatastrophen. Solange er seinen Arbeitsplatz hat, ist er angebunden an das System, wird versorgt mit unendlichen, nie versiegenden Warenströmen und hat vor lauter Konsumieren noch nicht einmal mehr Zeit, sich Gedanken um sein Glück zu machen. Dieser Arbeitsplatz nun … der ist sicher. So sicher wie noch nie, siehe Handelsblatt:
Der Arbeitskräftebedarf in der Wirtschaft sei derzeit so hoch wie noch nie, berichtete die Bundesagentur für Arbeit (BA) am Dienstag. Der von ihr monatlich ermittelte Beschäftigungsindex BA-X erreichte mit 170 Punkten im August ein neues Allzeithoch. Dies seien fünf Punkte mehr als im Juli und 28 Punkte mehr als vor einem Jahr.
Der Bürger schaut immer noch finster – dabei sollte er sich freuen. Einen Arbeitsplatz zu haben, bedeutet in den Zeiten des Vierten Reiches ungefähr soviel wie der Ariernachweis im Dritten Reich: man gehört dazu, man wird geschätzt und anerkannt, man darf dabei sein, steht im Mittelpunkt des Interesses von Politik, Wirtschaft und Medien. Der Bürger jedoch war auf der Seite der Bundesanstalt für Arbeit. Jenseits der Welt der mathematischen Beschäftigungsindizes wird dort seit Monaten eine Wahrheit verkündet, die trotz des unermütlichen Aufschwunggejubels stabil bleibt: 3, 156691 Millionen Menschen sind arbeitslos, demgegenüber stehen 865212 offene Stellen.
Der Bürger hat einen Hauptschulabschluss, beherrscht also die vier Grundrechenarten. Das ist von Nachteil in der modernen Medienwelt, mit derart gebildeten Bürgern ist man dort den Umgang nicht gewöhnt. Man verkündet dort gerne Aufschwungmythen wie den Aufschwung in Baukonzernen. Der Bürger aber weiß, das der Aufschwung in Baukonzernen ein relativer Aufschwung ist: nur weil wir immer mehr Kreisverkehre auf Pump bauen, geht es unserer Wirtschaft nicht gut. Dank Hauptschulabschluss weiß der Bürger auch, wo das Geld herkommt: vom Staat. Und weil er auch lesen kann, weiß er, wo es nicht hingeht: zurück zu ihm. Deshalb wundert er sich nicht, das dort, wo der Bürger sein Geld ausgibt, ganz andere Nachrichten blühen:
Europas größter Einzelhändler Carrefour hat angesichts der weltweiten Wirtschaftsflaute seine Gewinnziele für das laufende Jahr heruntergeschraubt. 2011 werde nicht mehr mit einem Gewinnwachstum, sondern mit einem Rückgang des Betriebsgewinns von rund 15 Prozent gerechnet, teilte das französische Unternehmen am Mittwoch mit.
Baukonzerne leben vom Staat, Einzelhändler vom Bürger. Dank Hauptschulabschluss weiß man, was Sache ist. Da ist er auf einem Stand mit der Weltbank, die ebenfalls eine neue globale Krise wahrnimmt, die an unserer Politik, unserer Wirtschaft und unseren Medien scheinbar spurlos vorbeigeht. Der Bürger liest auch manchmal in Magazinen für Fachleute mit Abitur und Betriebswirtschaftsstudium. Das geht mit Hauptschulabschluss sehr gut, der reicht dafür völlig aus. Dort erfährt er Dinge, die eigentlich nicht für ihn gedacht waren, siehe „Manager-Magazin„:
So um 1989 herum endete im Großen und Ganzen der Kommunismus, und 2008 ging bekanntlich der Kapitalismus den Bach runter (Stichworte: Immobilienblase, Lehman-Pleite, Finanzkrise … Sie wissen schon).
Damit waren die beiden großen -ismen, die in den vergangenen Jahrzehnten als Grundlage ökonomischer Gesellschaftsordnungen dienten, gescheitert. Ein praktikabler Ersatz wurde bislang nicht gefunden.
So was kann man nur mit Abitur ertragen, denkt sich der Bürger. Die Straße des Kommunismus führte ins Nichts, die Straße des Kapitalismus endete auch … aber wir fahren weiter? Solche Lebensphilosophien können sich nur Menschen ausdenken, die hauptberuflich Sohn sind.
Früher war die Sache klar: Im Kommunismus bekamen es die Bosse und im Kapitalismus die Cleveren, also vor allem Wirtschaftsgrößen und Kriminelle aller Art.
Das hört sich an, als hätten wir einen apokalyptischen Kampf zwischen Schlägern und Betrügern zu ertragen, zwischen Straßenräubern und Taschendieben. Wer hat sich das eigentlich ausgedacht? Es passt aber zu den aktuellen Nachrichten. In den USA kaufen die Betrüger mit ihrem ergaunerten und bald wertlosem Geld immer mehr Ackerland, in Griechenland kämpfen die Betrüger mit allen Mitteln um ihre Beute, in Deutschland wird die gesetzliche Rente zertrümmert, um Geld für Ackerlandkäufe in den USA und die Rettung griechischer Politiker bereitstellen zu können, während schon zehn Prozent der Deutschen übermässig verschuldet sind aber – den Studien zur Folge – eine Superkauflaune haben.
Das man mit guter Laune an der Kasse nichts bekommt, merkt eben auch Carrefour – siehe oben.
Der Bürger versteht die Welt – dank Hauptschulabschluss – sehr gut. Da oben sind alles Gangster. Kein Wunder, das Kinder vermehrt zu Schlaganfällen neigen, während die Täter die Flucht ins Weltall vorbereiten – ganz normale Konsequenzen angesichts der allgemeinen Weltlage.
Wenn aber – so denkt der Bürger weiter – die Kommunisten die „Bosse“ waren und die Kapitalisten die „Cleveren“ … müssen wir dann nicht im Zeitalter des sterbenden Kapitalismus mit besonders cleveren Schachzügen rechnen, mit denen sich die Cleveren die Taschen füllen wollen?
NEIN! – sagen die Medien. Niemals würde ein Cleverer Taten, Handlungen oder auch nur Plänen Vorschub leisten, die dem Bürger Schaden zufügen würden. NIEMALS. Da darf man noch nicht mal dran denken!
Jetzt werden auch die Medien von cleveren Menschen mit Abitur gestaltet … das bestärkt den Bürger in seiner miesen Laune, denn nach und nach lässt sich nicht verbergen, das die Cleveren immer noch ein Ass im Ärmel haben und nicht gedenken, kampflos unterzugehen:
Steckt wirklich Al-Kaida hinter den Anschlägen von 9/11? Zehn Jahre nach Einsturz der Twin Towers reißen die Verschwörungstheorien nicht ab. Das hat Folgen: In vielen arabischen Ländern gibt es nur noch wenige die der offiziellen Version glauben.
Selbst den Cleveren gelingt es nicht ewig, die Wahrheit zu unterdrücken – auch wenn sie sich noch soviel Mühe geben:
Zehn Jahre sind seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York vergangen. Viele Amerikaner schenken der offiziellen Untersuchung der Vorfälle durch Ex-Präsident Bush keinen Glauben.Verschwörungstheoretiker legen in einem neuen US-Dokumentarfilm Beweise vor, nach denen Bush gar von den Anschlägen gewusst haben soll.
Der Bürger versteht das sehr gut – und schaut deshalb finster. Langsam geht ihm ein Licht auf: was ist, wenn die Cleveren und die Bosse unter einer Decke stecken? Was ist, wenn die Bosse ihm Schutz vor den Cleveren versprechen, die ihm wiederum Schutz vor den Bossen garantieren, in Wirklichkeit aber beide Abitur haben und es gründlich zum Zwecke seiner Ausbeutung missbrauchen?
„Undenkbar“, sagen die Medien der Cleveren.
Ganz normaler Alltag … sagt sich der Bürger mit Hauptschulabschluss. Immerhin kann er lesen – zum Beispiel im Handelsblatt:
Westliche Staaten haben laut Medienberichten enge Beziehungen zu Libyens Geheimdienst unterhalten. Aus London erhielt Gaddafi Informationen über Oppositionelle, während die USA in Libyen Hilfe bei Verhören suchten.
Da offenbaren sich Dinge, die man eigentlich nicht unter einen Hut bekommt. War nicht gerade der „gute“ Westen dabei, den „bösen“ Gaddafi zu töten, weil der eben so böse ist? Und jetzt? Der Mann war Dienstleister für den Westen:
Hat der US-Geheimdienst mit dem Gaddafi-Regime kooperiert? Einem Dokument nach, hat der CIA Terrorverdächtige in das für seine Folterpraxis bekannte Land geschickt.
Und jetzt hat er seinen Arbeitsplatz verloren. Hatte halt nur einen Zeitvertrag. Seine Auftraggeber jedoch gestalten Weltpolitik immer noch ganz nach ihren Vorstellungen, weshalb klar ist, das der von den Bilderbergern hofierte Steinbrück jetzt „ganz überraschend“ einziger Kanzlerkandidat der SPD ist.
Der Bürger fühlt sich immer unwohler – und langsam verstehen wir, weshalb er trotz schönem Wetter finsterste Laune hat. Die Weltgeschichte entpuppt sich als künstliches Drama zwischen Wolf und Fuchs, in dem er die Rolle der fetten Gans hat, die wählen darf zwischen der brutalen Gewalt Gaddafis oder den listigen Finten der cleveren CIA. Und so langsam versteht er seine Rolle im System: sein Arbeitsplatz ist der Ort, an dem er gemästet wird, das Arbeitsamt wacht darüber, das er sich mästen lässt und die Medien geben sich Mühe ihm zu erklären, das er in einem Wunderland lebt in dem immer die Sonne scheint und in dem die gebratenen Hühnchen dem fleissigen Arbeitnehmer wie von selbst in den Mund fliegen.
Doch der Bürger weiß, das Menschen, die andere Menschen zum Foltern ins Diktatorenland fliegen, auch keine Hemmungen haben, ihre eigenen Bürger in die Luft zu sprengen – erst recht nicht, wenn das System der Cleveren in Gefahr ist.
Der Bürger weiß, das es keine Verschwörungen ohne Geheimdienste gibt – und das Geheimdienste den ganzen Tag nichts anderes machen als Verschwörungen. Und er weiß, das die Cleveren nichts dem Zufall überlassen – nicht umsonst wird man reich, wenn man Bürgern betrügerische Geldanlagen verkauft, bleibt aber arm, wenn man Straßen baut, Kinder erzieht ober alte Leute pflegt.
Das System der Cleveren scheint – so dünkt dem Bürger – nicht weniger perfekt zu sein als das System der UdSSR oder das Gaddafis. Es ist halt nur mehr nach der Art des Fuchses gestaltet als nach der Art des Wolfes.
Was nun folgt?
Wenn wir nichts unternehmen, kommen die leichenfleddernden Hyänen. Vielleicht auch ein Grund, sich mal Gedanken über „echte Demokratien“ zu machen.