Wir wohnen in einem schönen Land, ein einem tollen Land – in einem Land mit für die Welt beispielgebender Kultur und Zivilisation. Ja – jetzt mal nicht meckern, das ist doch so. Hier läuft alles, wie es laufen soll. Da wir Bürger den ganzen Tag mit Erwerbsarbeit, Kindererziehung, Häusle bauen, Vereinsaktivitäten undDorfverschönerung oder Straßenfesten beschäftigt sind, haben wir ein paar Vertreter gewählt, die für uns in unserem Auftrag unsere Interessen im Bundestag vertreten. Dort ist der Ort, wo kontroverse Themen so lange diskutiert werden, bis sich eine für den Bürger optimale Lösung findet. Das ist zuweilen sehr anstrengend, aber dafür haben wir unsere Vertreter ja auch von der Erwerbsarbeit befreit und sie zudem noch finanziell auf das höchste Podest gestellt, das wir uns leisten können. Dafür haben unsere Volksvertreter den ganzen Tag nichts anderes im Sinn, als unsere Lebensqualität zu verbessern, unsere Interessen im Kanon der Vereinten Nationen durchzusetzen und für Frieden, Wohlstand und Sicherheit jedes einzelnen kleinen Bürgers zu sorgen.
Das ist eine wichtige Arbeit.
Krankheit, Scheidung, der Tod eines Lebenspartners … all das kann einen einfachen Bürger trotz allen Fleißes aus dem normalen Lebensweg werfen, manche zerbrechen an Gewalterfahrung oder den Folgen von psychischen Problemen der Eltern. Solche Menschen wurden dereinst von der Dorfgemeinschaft aufgenommen, weil man da noch wußte, das jeder – wirklich JEDER – eine besondere Qualität in sich trägt, die man für alle nutzbar machen kann. Wer überhaupt nichts konnte, durfte Briefträger werden und bekam von jedem Kunden erstmal ein Gläschen Schnaps.
So konnte sich jeder sicher sein, das man auch ihn auffangen würde, wenn er mal scheiterte … und das führte zu großen Erfolgen, denn mit dieser Sicherheit im Rücken konnten Einzelne auf einmal enorme Leistungen erbringen. So haben wir „Zivilisation“ aufgebaut, „Fortschritt“ und „Wohlstand“ erfunden und fanden das auch ganz toll.
Was uns verloren ging – aus organisatorischen Gründen – war das Dorf. Mitlerweile ist sogar die „Familie“ eine ausssterbende Art. Wir haben das zugelassen, weil es für das Individuum Vorteile gab – es konnte endlich seinen eigenen Lebensweg außerhalb der Pläne seiner Familie finden – und wir hatten ja noch unsere Volksvertreter, die Weise auf den Ausfall von Dorf, Stamm und Familie reagierten, in dem sie die Aufgaben dieser sozialen Strukturen übernahmen: der Sozialstaat war geboren und aus der Sicherheit des Sozialstaates heraus konnten noch größere Risiken eingegangen, noch größere Erfolge erzielt werden, die letztlich wieder allen zugute kamen.
Es ist einfach ideal, was wir dort geschaffen hatten, Deutschland, das planetare Dorf ersetzte Deutschland, das Menschenfresserparadies, wir sind Vorbild für die ganze Welt, man liebt uns überall. Wir können voller Optimismus in eine Zukunft schauen, in der jeder Bürger sich gut aufgehoben weiß, in der die gesamte Wirtschaft nur das eine Ziel hat: den Lebensstandard langfristig für alle deutlich zu erhöhen, sorgsam und behutsam mit unseren Ressourcen umzugehen und die tödlichen Nebenwirkungen von Technik drastisch zu reduzieren, die Medien über Wirtschaft und Politik wachen und äußerst wachsam sind, das sich keine gemeinschaftsfeindlichen Elemente in Entscheidungspositionen festsetzen und die Regierung in unser aller Auftrag darüber wacht, das niemand auf dieser Reise verlorengeht – hier gilt vor allem den Armen, Kranken und Schwachen ihr Augenmerk, den die Reichen, Gesunden und Starken kommen auch ohne ihre Hilfe Prima durchs Leben.
Wäre schön, wenn man so etwas schreiben könnte, oder? Wäre doch schön, wenn Schulen wieder lehren würden, wie schädlich „Statussymbole“ sind, anstatt das Kinder wie Reklametafeln für Konzernwerbung herumlaufen, ohne daran zu denken, das andere Kinder wegen dem Markenzeichen Gesundheit und Leben verloren haben.
Wäre schön, wenn man morgens in die Nachrichtenwelt schauen kann und gleich drei Ereignisse präsentiert bekommt, wie Wirtschaft, Politik und Medien unser Leben wieder einmal besser gemacht haben, wie Wohlstand, Sicherheit und Fortschritt wieder einmal drei kleine Schritte weitergekommen sind und die Regierung erneut weitere Menschenrechtsmängel im Alltagsleben ausgemerzt hat – was die Begeisterung des ganzen deutschen Volkes hervorruft.
Stattdessen … wollen die wirtschaftsnahen Medien dem Bundespräsidenten einen Maulkorb verpassen und fordern unverblümt eine Expertendiktatur, wie heute im Spiegel:
Erst fordert Arbeitsministerin von der Leyen für die Euro-Zone das Prinzip „Geld nur gegen Gold“ – nun kritisiert Bundespräsident Wulff barsch die Retter der Währungsunion. Es ist höchste Zeit, dass endlich wieder Euro-Experten die Debatte bestimmen.
Medien brauchen heutzutage Werbepartner. Werbepartner werden deshalb von den Medien überwiegend freundlich behandelt, ihre „Euroexperten“ ebenfalls. Wo wir da als Bürger noch Berücksichtigung finden?
Zahl- und Wahlvieh.
Wirtschaftsexperten freuen sich auf die Inflation, die unsere mühsam erarbeiteten Spargroschen vernichten wird, während anderswo der staatliche Immobilienbesitz enteignet werden soll:
Die Euro-Finanzminister denken offenbar darüber nach, Finanzhilfen für Pleiteländer mit Sachwerten zu sichern. Auch staatlicher Grundbesitz ist dabei eine Option.
Man hat kaum Zeit, sich über die Entwicklung zu erschrecken, die wie ein Blitzkrieg abläuft. Die „Offensive Europa“ rollt unaufhaltsam – mit guten Argumenten. Immerhin ist die Reisefreizügigkeit in Europa vorbildlich zu nennen, auch wenn Deutschland da mal wieder unangenehm auffällt – mit Ressentiments gegen Schwule erinnern wir an ganz alte, dunkle Zeiten. Die Forderung, das Deutschland deshalb noch mehr in Europa mitmischen sollte, kann deshalb bei manchen Nachbarn Besorgnis auslösen, erst recht bei jenen, die sich schon längst vor einem Vierten Reich fürchten – einem Reich, das jetzt real anfängt, Grundbesitz in Nachbarländern zu okkupieren, während in Italien die Senatoren Luxusessen zu Mensapreisen genießen – letztlich wird das wohl mal bezahlt von den Erlösen versteigerter griechischer Grundstücke oder den gestrichenen Arbeitslosenbezüge deutscher Behinderter.
Wir befinden uns in einer Situation, in der erfolgreiche Unternehmer dieses Landes das Bundesverfassungsgericht vor den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bringen,
Der Hintergrund dieser Aktion? Nichts weiter als der Verdacht einer Verschwörung, eines „Staatsstreiches“ von Merkel und Sarkozy, der die Vermögen des deutschen Bürgers vernichten wird.
„Das Verfassungsgericht setzt sich dem Verdacht aus, den politischen und zeitlichen Erwartungen der Bundesregierung zu entsprechen“, heißt es da, und die Beschwerdeführer gehen noch einen großen Schritt weiter.
Es strebe offensichtlich ein politisches Urteil im Sinne der Regierung an. Auf diese Weise werde es zu einer Art Mittäter von selbsternannten Eurorettern, die dabei seien, das Recht zugunsten der Macht zu verdrängen, einer Macht, die im Übrigen nicht von Berlin, sondern allein von Paris aus gesteuert werde.
Das können die doch wohl nicht ernst meinen, denkt man sich. Da sind wir doch in den finstersten Abgründen paranoider Verschwörungsfanatiker zu Gast … und sind ganz weit weg von unserem schönen Traum einer Gesellschaft, in der Medien für Aufklärung, Regierung und Gerichte für Gerechtigkeit und Sicherheit und Wirtschaft für Wohlstand sorgen.
Stattdessen haben wir Medien, die nur noch Propaganda betreiben, eine Regierung, die beständig rund um die Uhr überfordert ist, eine Wirtschaft, die nur noch durch Rechentricks und Ausbeutung Erfolge vorweisen kann und den bösen Verdacht, das hinter all dem auch noch eine Absicht steckt: eine finstere Verschwörung zur Aneignung des Vermögens der deutschen – und europäischen – Bürger.
Ein Alptraum.
Doch der Traum wird noch schlimmer. Mehr und mehr verdichten sich die Hinweise, das Uwe Barschel ermordet wurde. Das so etwas in einem demokratischen, aufgeklärten Rechtsstaat überhaupt denkbar sein sollte, ist schon ungeheuerlich. Noch ungeheuerlicher ist allerdings, wie mit dem Verdacht umgegangen wird: anstatt absolute Klarheit zu schaffen, wird … verdunkelt. Dabei ist das keine Kleinigkeit. Sollte es möglich sein, das ein Uwe Barschel ermordet werden konnte, dann sind wir europäischen Bürger in unserem eigenen Land unseres Lebens nicht mehr sicher, sollten die Ermittlungen auch nur in geringstem Maße eingeschränkt worden sein, dann haben wir es mit einer Gewalt zu tun, die sich den Staat untertan gemacht hat – hier würde ich als Bürger erwarten, das hundert Beamte zehn Jahre lang uneingeschränkt ermitteln dürfen, um absolut sicher zu stellen, das so etwas nicht möglich ist.
In seinem Vorwort nennt der Journalist Stefan Aust, ein Anhänger der Mordtheorie, Willes Buch „das Protokoll einer Mordermittlung im Irrgarten einer politischen Affäre zwischen östlichen und westlichen Geheimdiensten, Waffenhändlern und Hochstaplern.“
Wer sich das Leben des Stefan Aust anschaut, kann zurecht vermuten, das man es hier nicht mit einem paranoiden Verschwörungstheoretiker zu tun hat, sondern mit jemandem der oft genug hinter die Kulissen geschaut hat.
Und so scheint sich der Traum von einer gerechten, sicheren Heimat langsam aber sicher in einen Alptraum zu verwandeln, in dem Politik, Wirtschaft, Gerichte und Medien zum Spielball von Akteuren geworden sind, die soweit hinter den Kulissen arbeiten, das man noch nicht mal ihre Namen kennt.
Aber ihre Meinung, ihren Willen, ihre Absichten erfahren und erleben wir Tag für Tag, manchmal mit tödlichen Folgen.