Manche Leute meinen ja, ich sehe alles zu dramatisch und übersehen dabei, das das dramatisieren mein Job ist. Würde ich hier Lobhudeleien auf die politische und soziale Wirklichkeit ausstoßen, bekäme ich wahrscheinlich schnell eine Festanstellung bei deutschen Leitmedien, würde aber meinen Job nicht machen: „even the worst case“ als Maxime des Handelns berücksichtigen … eines vorsichtigen, risikoarmen, verantwortlichen Handelns im Sinne allgemeinen Nutzens für Volks- und Betriebswirtschaften. Wir haben lange Zeit nicht so gehandelt, lange Zeit sind wir den Versprechen der Anlageberater und Ratingagenturen gefolgt und haben dafür eine super Finanzkrise bekommen, die viele Anleger in den Ruin getrieben hat … und aktuell das Ende des deutschen „Wohlfahrtsstaates“ fordert. 47 000 Millionen jährlich soll uns die Rettung der Eurozone kosten … genau genommen die Rettung jener Kredite, die dereinst von den Banken aufgrund positiven Ratings so freimütig verteilt wurden und die sie jetzt, wo sich zeigt, das man sich beim Rating irrte, gerne von uns wiederhaben wollen.
Überall in der Welt werden Mauern gebaut, damit der ungerecht verteilte Wohlstand geschützt werden kann: Es sind autoritäre Zeiten, in denen wir leben.
So heißt es in einem Spiegel-Essay von Georg Diez, doch anstatt eines Aufrufes zu mehr Gerechtigkeit und Frieden in der Welt folgt nur Reklame für Theater, der Schutz des ungerecht verteilten Reichtums wird erstmal nicht angeprangert. Wieso auch … solange das System läuft, haben manche eine gute Chance, daran zu gewinnen – zum Beispiel jene, die jetzt an der Autobahnmaut basteln. Dort liegen wieder Milliarden von Euro auf der Straße, die nach ein paar findigen Köpfen rufen. Milliarden sind leicht zu gewinnen: einfach mal 50 Euro pro Bürger einziehen – im Jahr – schon hat man 4 Milliarden zusammen. Das sind keine fünf Euro pro Bürger pro Jahr, sogar Arme sollten sich daran beteiligen können. Mit der Summe könnte man aus 4000 auserwählten Bürgern Millionäre machen – ich bin mir sicher, es gibt schon jetzt Pläne, wer zu den Auserwählten gehört.
Jenseits der Mauern wird die Armut größer, darauf weist nun die Aktion „Armut fließt durchs ganze Land“ hin – 10 Obdachlose radeln dafür durch die Republik … ausgestattet durch namhafte Sponsoren: Carlsberg Deutschland, ERGO, Globetrotter, Peter Möhrle Stiftung, Jochen Döhle Stiftung. Ob Ergo auch wieder Prostituierte am Ziel spendiert, ist mir nicht bekannt.
Mehr und mehr verbannen wir Arme aus unseren kleinen Privatwelten, in denen überbordender Luxus und Wohlstand selbstverständlich sind, aktuell hat es wieder die Kinder erwischt: „Kinderfrei“ ist inzwischen ein Gütesiegel der Hotelbranche:
Eine neues Ferienkonzept wird unter urlaubsreifen Berufstätigen, gestressten Müttern und ruhesuchenden Rentnern immer beliebter: die Adults-only-Ferien. Viele Hotels werden zur kinderfreien Zone, ihr Ambiente und das Unterhaltungsprogramm sind nur auf Erwachsene zugeschnitten.
Auf Sylt verdrängen die Mauern inzwischen die Einheimischen … die Insel wird für sie zu teuer. 50 % von ihnen wollen auswandern und so helfen, die Insel von Armut zu befreien. Das kann symptomatisch sein für das Schicksal des ganzen Landes, dessen Wohlstand ausserhalb der Mauern in Gefahr ist: womöglich müssen wir alles bald auswandern, weil Deutschland für uns zu teuer wird. In Kenia verkaufen Familien ihre Töchter, um über die Runden zu kommen, hier will keiner Kinder haben … es sei denn, ein CDU-Bonze verliebt sich in sie.
Abzusehen war die Entwicklung in Deutschland seit Gerhard Schröder, „Hartz IV“ stellte einen Bruch mit den demokratischen Traditionen des Landes da – und einen Bruch mit jenen Eckwerten, die dereinst vom deutschen Kaiser geschaffen wurden: man zog eine Mauer mitten durch Deutschland, nicht mehr zwischen Ost und West sondern zwischen „oben“ und „unten“. In England war Schröders Freund Tony Blair maßgeblich daran beteiligt. Dort nimmt der Kampf gegen die Armut inzwischen Formen an, die der SA zur Ehre gereicht hätten: der Sozialstaat greift durch!
Das Vorhaben, die Jugendlichen aus der Arbeiterklasse und ihre Familien mit der Drohung völliger Verarmung zu terrorisieren, wurde von Labour-Chef Ed Miliband voll unterstützt.
Während Miliband dies sagte, gingen in London und anderswo die Massenverhaftungen weiter. Die Polizei brach Türen auf und durchsuchte Wohnungen in einigen der ärmsten Gegenden der Hauptstadt, und verhaftete jeden, den sie verdächtigte, sich an den Unruhen beteiligt zu haben.
Mehrere Gerichte in England arbeiten bis spät in die Nacht, um den bisher etwa 2000 Festgenommenen den Prozess zu machen. Eines der ersten Verfahren richtete sich gegen einen Elfjährigen, der angeklagt war, in einem Kaufhaus einen Mülleimer gestohlen zu haben
Das ist die Antwort der Sozialdemokraten, hier zitiert bei Wsws. Aus den Reihen der EU wurde dann gleich noch eins draufgesetzt:
Selbst das geht einigen nicht weit genug. Zuvor hatte ein konservativer Europaabgeordneter gefordert: „Es ist Zeit, andere Saiten aufzuziehen. Holt die Armee. Erschießt Plünderer und Brandstifter an Ort und Stelle.“
Aus dem Kampf der Regierung gegen die Armut ist der viel bequemere Kampf gegen die Armen geworden, die man notfalls auch einfach über den Haufen schießen möchte, wenn es schon nicht ausreicht, sie obdachlos werden zu lassen und zum langsamen Hungertod zu verurteilen.
So schwarz ich auch gerne manchmal male, so düster ich auch gerne den „worst case“ ausmale – ich hätte zu Beginn dieses Jahres nicht damit gerechnet, das eine britische Regierung Massenerschiessungen von Bürgern erwägt … Bürger, die zu einem nicht geringen Teil aus gut situierten Jugendlichen bestehen und so der Ökonomietherorie der Unruhen widersprechen.
Keine Frage, das Gewalt keinen Platz in der Gemeinde hat. Wenn ich jedoch eine Quelle auf meinem Land habe, die einen Fluß speist, von dem hundert Menschen leben und ich mauere die Quelle für mich ein, damit nur ich ihr Wasser habe und mir einen Megapool bauen kann, auf dem Wasserski fahren möglich ist, während andere verdursten … dann ist das auch Gewalt, die gleiche Gewalt, die durch das Ende des deutschen Wohlfahrtsstaates angedroht wird. Bürger kann man wie Burgen auch durch Belagern und Aushungern zu Fall bringen.
Vielleicht sollten wir uns der Forderung konservativer EU-Abgeordneter anschließen: „Erschießt die Plünderer auf der Stelle!“
Woran man Plünderer erkennt?
Nun – sie haben viel.
Die Reichsten zehn Prozent der Einwohner Londons besitzen 275 Mal mehr Vermögen als das ärmste Zehntel
Insofern liegen sie weltweit voll im Trend, in Deutschland besitzen dreissig Prozent der Erwachsenen 90 % des Vermögens, ein Prozent von ihnen hält 25 % des Vermögens.
Die reichsten 10 Prozent der Amerikaner erzielten 2007 mit 49,7 Prozent fast die Hälfte des Gesamteinkommens. In den 70er Jahren lag der Anteil noch bei 33 Prozent
- 1 % der Weltbevölkerung hält etwa 40 % des weltweiten Vermögens. Die reichsten 2 % der Weltbevölkerung besitzen mehr als 51 % des weltweiten Vermögens. Auf die reichsten 10 % entfallen etwa 85 % des weltweiten Vermögens.
- Auf die unteren 50 % der Weltbevölkerung entfällt weniger als 1 % des weltweiten Vermögens.