Politik

Deutschlands Mittelstand am Abgrund: Altersarmut, Jugendarmut, Rente mit 70, Stuttgart 21 und der SUV

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Wir wissen ja, das Deutschland toll ist, oder? Wir hören das doch täglich in den Medien! Unser Ansehen im Ausland ist einfach herrlich, die Leute lieben uns – je weiter sie von uns entfernt wohnen. Deutschland – das sind tolle Autos, coole Waffen, eine Frau als Regierungschefin und eine Partei, die sich um das Schicksal deutscher Frösche kümmert und der Bierdose – erfolgreich – einen gnadenlosen Kampf angesagt hat. Gut, sicher – die Griechen mögen uns momentan nicht so, Spanier, Portugiesen und Italiener dürften bald folgen, aber mal ehrlich: soll uns das kümmern? Diese Pleitenationen können sich doch mit dem Vierten Reich nicht messen, denn das ist – im Vergleich mit dem Dritten Reich – einfach nur herrlich: bei uns dürfen Frauen sogar Fussball spielen, auch wenn sie verlieren.

Doch leider … ist das Land kaputt, zerrüttet, zersetzt – und hat keine Zukunft mehr.  Das verblüfft vielleicht manche, aber ein Blick in einen Fahrbericht aus der Online-Ausgabe der Welt zeigt, das es viele wissen und sich durch den Kauf eines SUV genau darauf vorbereiten. Hören wir doch mal genauer hin:

Schon an der ersten großen Kreuzung zeigt sich, was so einen großen SUV, wie das neudeutsch heißt, vom gewöhnlichen Mittelklassefahrzeug unterscheidet: Der andere Verkehrsteilnehmer neigt eher mal zum Warten. Größe beeindruckt. Fußgänger zögern selbst bei grüner Ampel, wenn man langsam auf den Überweg zurollt.

Vorfahrtsberechtigte Verkehrsgegner lassen einem den Vortritt, wenn es eng wird, und sie hupen nicht einmal unbedingt, wenn man sie schneidet. Größe ist Macht.

Größe ist Macht. Dafür kann man schon mal vergessen, das man in einem demokratischen Rechtsstaat lebt, der zum Schutze der Schwachen Regeln erläßt, damit jene degenerierten Starken, denen es an Verstand, Gemeinschaftsinn und Moral mangelt, sich nicht hemmungslos über die Schwachen hermachen und ihre sadistischen Späße mit ihnen treiben können.

Es ist ein Auto, bei dem sogar die letzte Glatze ihren Kampfhund ängstlich am Halsband fixiert, wenn man mit unbotmäßiger Geschwindigkeit daherbollert. Das ist ein ganz schön gutes Gefühl.

Nur eine Beschreibung eines Autotesters – aber was ich sehe, ist der Erfahrungsbericht über den Umgang mit einer Waffe … und nebenbei merke ich, das es sich bei einem SUV wohl um eine bewußtseinsverändernde Droge handelt, die einen den Alltag vergessen läßt, eine Droge, die eigentlich verboten gehört, weil sie in den falschen Händen Schreckliches anrichten könnte.

Wer so ein Auto braucht (das für läppische hundert Kilometer schon mal ganze zwölf Liter jenes nicht regenerierbaren Rohstoffes verbraucht, von dem unsere ganze Kultur völlig abhängig ist), hat verstanden, das Deutschland am Abgrund steht und man in Zukunft mit anderen Straßenverhältnissen zu rechnen hat, das man zu Recht ein Gefährt wählt, das Mitmenschen Angst macht.

Allerdings braucht man nicht gerade die Begegnung mit dem in Deutschland so beliebten SUV, um Angst zu bekommen. Es reicht schon ein Blick in die dunkle Zukunft.

Nehmen wir die Kinder – das ist eigentlich alles, was wir wirklich an Zukunft haben. Ihre Arbeit wird unsere Lebensqualität im Alter bestimmen, von ihrer Laune werden wir abhängig sein, wenn wir im Pflegeheim liegen – auch wenn es ein superteures Privatheim ist. Kein Land in Europa hat weniger Kinder als Deutschland, und die paar, die wir uns neben den SUV´s noch leisten, halten wir in Armut: jedes sechste Kind in diesem angeblich so beliebten und superreichen Land ist von Armut bedroht.

Die Erfahrung der Armut teilen diese Kinder mit einer wachsenden Zahl von Rentnern: aktuell ist es jeder neunte Rentnerhaushalt, Tendenz steigend. Nun macht die Politik hier ihre Arbeit und versucht dagegenzusteuern, indem das Rentenentrittsalter auf siebzig Jahre heraufgesetzt wird:

Wer heute 30 Jahre oder jünger ist, muss bis zu seinem 70. Lebensjahr arbeiten, ehe er auf seine gesetzliche Rente hoffen kann. Diese Zahlen der EU-Kommission sorgen wieder für Verärgerung bei den Mitgliedsstaaten. Brüssel will sich nämlich angesichts der „Renten-Zeitbombe, die in den Händen unserer Kinder explodieren wird, wenn nicht etwas getan wird“, stärker in die Reformpläne der Regierungen einmischen, obwohl man gar nicht zuständig ist. 

So etwas möchte man gar nicht hören, solange die Rentner noch jung und aktiv sind, den ausplünderbaren Mittelstand bilden und eine gewisse Marktmacht haben: darum findet man die Veröffentlichungen dieser brisanten Pläne auch nur in der Mainpost und nicht eine Woche lang auf dem Titelblatt einer jeden Zeitung in Deutschland. Doch sehen wir es positiv: wer länger arbeitet, leidet kürzer unter Altersarmut – wie weise doch unsere Politiker sind!

Den Kindern geht es zunehmend schlechter, den Alten geht es zunehmend schlechter – und was ist mit denen, die noch „voll im Saft stehen“, der arbeitenden Bevölkerung?

Denen geht es ganz mies, weshalb die Verlängerung der Lebensarbeitszeit ihnen kaum Freude bereiten dürfte, siehe Ruhr-Nachrichten:

Die Arbeitnehmer konnten ihre Zufriedenheit auf einer Skala von 1 («ganz und gar unzufrieden») bis 10 («ganz und gar zufrieden») angeben. Während die Befragten diese 1984 im Schnitt noch mit 7,6 bewerteten, sank die Note bis zum Jahr 2009 auf den Wert 6,8. Ein «konkreter Zusammenhang» mit der Weltwirtschaftskrise im selben Jahr sei aber nicht zu erkennen, sagte Forscher Friedrich Scheller am Dienstag (2.8.): «Das ist ein langfristiger Trend.»

Ein Trend, der ganz direkt mit der Effektivitätssteigerung durch industriefinanzierte Unternehmensberatern zu tun hat: wer Menschen dafür bezahlt, das sie dafür sorgen, das andere Menschen beständig schneller im Rad laufen und sich durch „Zielvereinbarungen“ dazu verpflichten, die Leistung von Monat zu Monat um 10 Prozent zu steigern, braucht sich nicht zu wundern, das die Hamster irgendwann platt sind: in zwei Jahren zweihundertvierzig Prozent Leistungssteigerung schafft selbst den stärksten Mann oder den störrischsten Beamten. Auch bei fünf Prozent pro Quartal ist man nach fünf Jahren bei einer Verdopplung der momentanen Leistung angelangt, nach zehn Jahren bei einer Vervierfachung.

Eine positive Folge hat diese Leistungsoptimierung natürlich: man braucht immer weniger Menschen, weshalb Teilzeitarbeit und befristete Jobs ein Rekordhoch erleben – und das nicht nur in Brandenburg. Presst man so richtig viel aus einem Menschen in kürzester Zeit heraus, braucht man in nicht so lange zu bezahlen. Das der dann irgendwann krank und kaputt auf der Straße landet, braucht nicht zu interessieren. Angesichts dieser Politik wundert es nicht, das in Deutschland vor allem eins wirklich boomt – Hartz IV:

Über 1,42 Millionen Menschen wurden in den letzten sechs Monaten neu arbeitslos. Nicht wenige davon landen direkt im Hartz-IV-System

So etwas hat auch Folgen für die Familie:

Die Zahlen: Nach einer Studie der Bundesregierung hat jede vierte Frau zwischen 16 und 85 Jahren schon einmal oder mehrmals sexuelle oder andere körperliche Gewalt von ihrem Partner erfahren. 42 Prozent berichteten von psychischer Gewalt, sie wurden beschimpft, beleidigt oder bedroht.

Das macht dann nicht gerade Lust auf Kinder kriegen, oder? Wem will man wirklich schon dieses Leben zumuten: fremdbestimmt durch die Gegend hasten in einem Klima, das einem am liebsten bis ins Grab „auf Trab halten“ möchte?

„Rackern für die Altersarmut“ ist ein Wahlspruch, mit dem keine Partei Reklame machen würde – und doch ist es jetzt schon unser Leben.

Wer nun meint: „Halt, das geht doch nicht! Das macht uns unsere Zukunft kaputt und vernichtet uns den Mittelstand!“ der hat sicher völlig Recht. Doch das diese Entwicklung völlig alternativlos ist, zeigt das Beispiel von Stuttgart 21: hier zeigt die „Wirtschaft“ dem Volk, „wo der Hammer hängt“, hier demonstriert sie, das sie einen festen und sicheren Zugriff auf die Staatsfinanzen hat und sich dort gnadenlos und hemmungslos bedient:

S 21 („Schuttgart 21“) entwickelt sich zu einem Trauma für die Demokratie. Ein Bürgerbegehren in Stuttgart wurde dort zwei Mal für unzulässig erklärt – trotz ausreichender Unterschriften in kurzer Zeit. Die Bahn schafft Fakten – natürlich bevor der von der neuen Landesregierung vorgesehene Volksentscheid stattfinden kann. Dem Volk soll so demonstriert werden, dass seine demokratischen Möglichkeiten nutzlos sind, denn weder Dauerdemos, noch Unterschriften, noch das Abwählen einer ganzen Landesregierung hilft.

Auch Heiner Geißlers verzweifelter Versuch, wenigstens einen Kompromiss zu finden, landete im Papierkorb der Macher von Bahn und Bund. Verheerend für das ohnehin angeknackste Vertrauen der Menschen in die Politik. Wie ein Tsunami fegen die Schuldenmacher über die Menschen hinweg, die das aber alles bezahlen müssen. 
Stuttgart 21 war der Versuch des sparsamen Mittelstandes, sich in Zeiten knapper Kassen Gehör zu verschaffen und Vernunft walten zu lassen. Stuttgart 21 ist der Wendepunkt in der Geschichte der BRD, jener Moment, an dem klar erkennbar ist, das die Demokratie durch Verträge mit Konzernen abgeschafft und der Mittelstand entmachtet wurde.
Ohne Demokratie – kein Mittelstand. Ohne Mittelstand – keine Demokratie. Man treibt Millionen Kinder in die Armut, baut ihnen eine Zukunft, in der sie noch mit siebzig Jahren keinen Lebensabend genießen dürfen und dann – nach vielen Jahrzehnten harter Arbeit mit leistungssteigernden Zielvereinbarungen – wieder dort landen, wo sie hergekommen sind: in der Armut.
Und da wagt man es als „Wirtschaft“ über Bewerbermangel zu klagen? Man sollte sich darüber freuen, das es nicht noch mehr amoklaufende Massenmörder gibt: das ist das wirkliche Wunder unserer Tage … jener Tage, in denen offiziell „Fachkräftemangel“ herrscht, aber innerhalb von sechs Monaten 908000 Fachkräfte einfach mal entlassen worden sind.
Aber man merkt, warum man in Deutschland gerne SUV´s fährt, die sich wie ein Panzer durch die Alltagslandschaft eines angeblich zivilierten Rechtsstaates bewegen:
Das verleiht einem ein Gefühl von Sicherheit, das man braucht, um die Gefühle zu kompensieren, die die banale politische und wirtschaftliche Realität des Landes erzeugen würde, wenn man es wagen dürfte, darüber offen zu sprechen.

 



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