Das ist nun mal eine Überschrift, die einem Magenschmerzen bereitet: „Nieder mit der Demokratie!“ Gibt es denn etwas Edleres, Schöneres, Größeres, das die Menschheit geschaffen hat? Ist nicht gerade die Demokratie Garant für die Allgemeinen Menschenrechte, jenem Willensakt der Völker, der alles von Menschen in die Welt gebrachte Leid für immer und ewig aus der Welt schaffen sollte, weil die Menschen endlich frei und ohne Zwang selbst über ihr Schicksal entscheiden dürfen?
Nun – wie frei und zwanglos Menschen über ihr Schicksal bestimmen dürfen, erfahren sie hierzulande von früher Kindheit an. Bis zum achtzehnten Lebensjahr durchlaufen sie ein minutiös determiniertes Programm von Kindergarten, Vorsorgeuntersuchung und … Schule. In der Schule lernen sie, wie das Leben läuft: der Boss hat das sagen, wer nicht gehorcht oder auch nur wagt, nicht optimal zu funktionieren, kommt auf die Abschussrampe: Hauptschule, Sonderschule, Psychiatrie.
Haben sie dann endlich einen Schulabschluss, sorgt das Jobcenter für die weitere Betreuung bis zum Rentenalter … dessen Eintritt ständig weiter herausgezögert wird.
Und doch ist es nicht der Autor dieser Zeilen, der das Ende dessen fordert, was uns aktuell als Demokratie verkauft wird, sondern der Schweizer Rechtsanwalt Edmund Schönenberger, der – in Erwartung des baldigen Endes unserer Gesellschaft – nun einen Bauernhof in Serbien betreibt: Nieder mit der Demokratie ist der Titel einer radikalen Kampfschrift, in der er den gesamten westlichen Wertekomplex als Farce darstellt und auf seine Ursprünge reduziert: die Diktatur der Reichen, die Herrschaft des Geldes. Es ist eine bittere Schrift und die bislang schärfste Abrechnung mit der modernen westlichen Gesellschaft (hier am Beispiel der Schweiz), die ich in den letzten zwanzig Jahren gelesen habe. Gerne würde ich ihm widersprechen – wie zum Beispiel jenen bei diesem Interview geäußerten Ansichten:
In einer Demokratie müsste das Volk der Souverän sein. Definitionsgemäss kann aber als der Souverän nur gelten, wer sämtliche Machtmittel kontrolliert. Das Medium, welches unbestreitbar die Welt regiert und alle antreibt, heisst Geld. Der scharfe Blick in die schweizerische Bundesverfassung deckt schonungslos auf, dass eben gerade nicht das zum „Souverän“ deklarierte Volk die seit Adam und Eva gehorteten und über die jährlich abgepressten Zinsen und Zehnten ins Unvorstellbare gesteigerten Vermögen besitzt, nein, die Verfügungsmacht über die astronomischen Summen bleibt ausdrücklich einer kleinen Schar von Eigentümern vorbehalten.
Aus meiner Analyse der tatsächlichen Verhältnisse wird auch klar, dass die Kompetenzen des Volkes sich lediglich auf die Nebensachen und Hilfsdienste beschränken. Jene Kompetenzen, die unser ganzes heutiges Leben bestimmen und das Leben jedes einzelnen umkrempeln, liegen ausschliesslich in den Händen derjenigen, welche hinter verschlossenen Türen ihre Unternehmerstrategien aushecken und umsetzen.
Doch es fällt mir schwer, hier eine Gegenposition zu finden, wo doch sogar die Welt – DAS Standardblatt des unternehmerfreundlichen Konservativismus vor der „gefährlichen Refeudalisierung der Politik“ warnt und sich über die Missachtung des Souveräns beklagt. Dabei wird der Souverän gar nicht missachtet: das Volk merkt nur gerade, das Geld die Welt regiert … weshalb sie ihres in immer größerem Maße abgeben müssen. Kein Wunder, das das Ansehen der Politik ein historisches Tief erreicht hat: als bloße Büttel der Superreichen dieser Welt haben sie auch nur noch nackte Verachtung verdient.
Lauschen wir Herrn Schönberger weiter:
Das heutige moderne Herrschaftssystem entstand, als jene, die früher auf dem Thron gesessen sind und sich als Kaiser und Könige zu erkennen gaben, ungestraft um einen Kopf kürzer gemacht werden durften. Das hat die Clique bewogen, sich in den Untergrund zu verziehen, die sogenannten „Societées Anonymes“ (Aktiengesellschaften) zu gründen und sich in den Verfassungen garantieren lassen, mit ihren Vermögen frei schalten und walten zu können. Diese Verfassungen wurden keineswegs vom Volk, sondern von jenen zusammengeschustert, die damals bereits alle Machtmittel in den Händen hielten.
Sollen wir uns so etwas gefallen lassen? Wir als Deutsche? Für die Schweizer mag es ja gelten, aber für uns?
Nun … kriegen wir nicht täglich vor Augen geführt, wie sehr unsere europäischen Volkswirtschaften gerade in atemberaubendem Tempo vernichtet werden, weil die Gegenmacht (die Sowjetunion) die Fahnen gestrichen hat? Vorgestern war es noch Griechenland, das uns ängstigte, gestern steigerte sich die Krise um Italien, aktuell wird Irland verramscht, ganz offen wappnen sich Investoren gegen den Kollaps der Euro-Zone, „Horrorszenarien“ könnten in Europa Realität werden – vielleicht Szenarien wie in Libyen, wo die von der Nato unterstützten „guten“ Rebellen bei ihrem Vormarsch gegen den (jetzt ganz aktuell böse gewordenen) Gaddafi zu umfangreichen Plünderungen und gravierenden Menschenrechtsverletzungen übergehen: mit freundlicher Unterstützung unserer westlichen „Demokratien“. Vielleicht doch alles Söldner? Irgendwo müssen die weltweit drei Millionen Spezialisten für Massenmord doch zum Einsatz kommen.
Darf ich noch mal Herrn Schönberger zitieren:
Der Durchschnittsbürger ist nicht annährend über das Unheil informiert, welches in diesem Staat geschieht. Kaum ein Schweizer ist sich zudem bewusst, wie sehr er von der Ausbeutung der Ärmsten in aller Welt profitiert. Wenn die Bürger der westlichen Demokratien jeden Tag miterleben würden, was auf dieser Welt in ihrem Namen alles geschieht, würde keiner mehr behaupten, er lebe in einer schönen Welt. Dann würde er sagen „nein, ich kann doch nicht in einer solchen Welt leben, wo es mir auf Kosten Ausgebeuteter ‚gut geht’“. Wenn ich mir einreden muss, dass es mir „gut“ geht, während andere auf schändlichste Art misshandelt, ihrer Freiheit beraubt und gefoltert werden, damit dieses System, diese Ordnung überhaupt funktioniert, habe ich den gesunden Menschenverstand verloren.
Mal ganz ehrlich: was wirklich in Libyen abgeht, weiß doch inzwischen keiner mehr von uns. Das gilt doch eigentlich auch für die ganze arabische Welt. Wer da warum gegen wen kämpft, erfahren wir doch nicht. Wir wissen nur, wessen Waffen dort benutzt werden (unsere!) und wer letztendlich gewinnen wird (unsere Konzerne).
Und wollen wir wirklich wissen, warum unsere „Discounter“ uns so wunderbare Waren wie Bananen, Orangen, Tee oder Kaffee so billig anbieten können? Wollen wir wirklich das Kinderblut an unseren Jeans oder auf unseren Teppichen sehen?
Lauschen wir nochmal dem Interview mit Herrn Schönberger, wo er sich zu der Frage nach dem Unrechtsbewußtsein äußert:
Das existiert nicht nur nicht, sondern dessen Entstehung wird durch eine systematische Gehirnwäsche verhindert. Heute ist es so, dass man in den ersten Lebensjahren Eltern unterworfen ist, welche bereits von der herrschenden Moral geleitet werden. Das geben sie alles ihren Kindern weiter. Sie wissen, dass man als Jugendlicher bei Fehlverhalten in ein Heim oder eine Anstalt gesteckt werden kann. Weil sie unter keinen Umständen wollen, dass solches ihren Kindern widerfährt, nehmen sie sie an die Kandare. Im Elternhaus werden also die ersten Weichen gestellt. Danach geht das Ganze weiter. In der Schule, in den Erziehungssystemen, in der Ausbildung, bei der Arbeit – je länger man durch dieses System geschleust wird, umso effizienter und raffinierter greift die Gehirnwäsche. Und die Unterprivilegierten werden dazu benutzt, all die Sklavenarbeiten zu verrichten, während sie durch die Ordnungssysteme – Polizei, Vormundschaftsbehörde, psychiatrische Anstalten, Drohungen der Strafjustiz – darauf konditioniert werden, dass sie sich absolut zu fügen haben. Die Widerspenstigen werden gnadenlos versenkt und so als abschreckende Beispiele benützt, damit sich alle „anpassen“.
In seiner ursprünglichen Schrift hat er einen interessanten Gedanken ausgeführt, der mich beschäftigt, seitdem ich Auto fahre. Jeder Autofahrer weiß, das infolge von Unaufmerksamkeit, Übermüdung oder durch einen technischen Deffekt das Auto Menschen töten kann. Man nimmt BEI JEDER FAHRT die Tötung von Menschen billigend in Kauf. Und es werden auch täglich Menschen getötet, verstümmelt, zerfetzt: vor allem Kinder und alte Menschen. So gesehen: eine Horrorkultur. Aber wir haben uns daran gewöhnt, wir sind dahingehend erzogen worden und beugen uns der … „alternativlosen“ … Wirklichkeit, die uns allein in Deutschland jedes Jahr mehr Menschenleben kostet als der Anschlag vom 11.9.2001 angeblich gekostet hat.
Doch Schönberger geht noch weiter. Nicht nur, das wir Täter sind, das wir unfrei sind, wir sind auch noch dumme, degradierte Tölpel:
Sie kreieren den abstrakten Begriff des sozialen Friedens. Was heisst das jedoch konkret? Konkret besteht der soziale Frieden darin, dass sich Menschen dazu degradieren lassen müssen, die in unseren modernen Gesellschaften anfallenden Tölpelarbeiten zu verrichten.
Man würde gerne wiedersprechen, doch was muss ich bei Karriere.de lesen, DEM deutschen Karriereportal?
Unsere Leistungsgesellschaft definiert ein glückliches Leben als eines, in dem ein erfüllender Job Wohlstand und Ansehen einbringt, zugleich braucht es noch einen Traumpartner, eine Traumwohnung, Traumkinder und einen Traumfreundeskreis. Menschen, die sich diesem gängigen Idealbild verweigern, müssen ein großes Selbstwertgefühl haben. Stellen wir uns eine junge Akademikerin vor, die statt einer Laufbahn als Ärztin, statt Ehe und Kindern, einfach lieber in einer WG wohnt und als Kellnerin jobbt. Sie wird diesen Lebensentwurf verteidigen müssen, und sie wird aller Wahrscheinlichkeit nach als beruflich gescheitert abgestempelt.
Das stammt nun nicht von Edmund Schönberger. Wenn eine Gesellschaft mich dahingehend bedrängt, meinen Partner, meine Wohnung, meine Kinder und meinen Freundeskreis nach ihren Vorstellungen zu kreieren: welche Freiheit habe ich dann noch? Was wäre denn, wenn mir als Mann langes Haar viel besser steht als kurzes, ich in Jesuslatschen super laufen kann, einen Vollbart sehr kleidend finde und vor allem: niemals Krawatten tragen möchte? Kleinigkeiten, die jahrtausendelang zu den normalsten Freiheitsrechten gehörten … aber wie weit komme ich im Alltag, wenn ich diese Rechte wirklich mal in Anspruch nehme und die Frisur noch gemäß der Traditionen der Irokesen gestalte?
Gehe ich jetzt sofort in eine ganz normale Einkaufsstraße: wie groß ist denn dann eigentlich das individuelle Erscheinungsbild der Menschen?
Mir fällt da das Gespräch ein, das ich mit dem Direktor einer Sonderschule 2005 geführt habe. Es gäbe immer größeren Konformitätsdruck, meinte er, und wer sich nicht anpaßt, landet bei ihm – obwohl eine andere Schulform vom Intellekt her angemessener wäre. Das hat Schönberger beschrieben – siehe oben.
Zunehmen fällt es mir schwerer, ihm zu widersprechen. Zunehmen merke ich, das ich meine eigenen Erfahrungen – und alles was ich durch Medien gelernt habe – verdrängen und vergessen muss, um gegen diesen Satz engegiert aufstehen zu können: „Nieder mit der Demokratie!“
Ist es wirklich das, was aus uns geworden ist? Ist das die bittere Realität, der wir uns stellen müssen? Das uns am Ende der demokratischen Bewegung in Europa angesichts der Ergebnisse nur noch eins übrig bleibt: der Ruf nach Abschaffung derselben? War das alles nur ein Theater, weil die Mächtigen die Guillotine fürchten?
Wie gut, das der Schweizer ist, da haben wir noch eine Ausrede: bei uns ist das nicht so!