Gestern hatten wir uns mal erlaubt, einen Skandalartikel zu verfassen. Es ist ein Thema, über das man ewig schreiben könnte – und ewig schreiben sollte, denn der deutsche Skandal besteht nicht darin, das wir Armut haben. Armut ist weltweit häufig anzutreffen, unsere Armen sind im Vergleich mit hungernden Kindern in Afrika noch recht reiche Leute und den hungernden Kindern in Afrika geht es im Vergleicht mit den deutschen Schulkindern, die heute auf der Straße von eilenden und skrupellosen Leistungsträgern überfahren werden, ebenfalls noch super, ebenso stehen sie im Vergleich mit jenen deutschen Kindern, die für die Kinderpornos deutscher Konsumenten verwurstet werden noch ganz akzeptabel da. Man hätte nun … das Thema auf sich ruhen lassen können, weil es noch andere existenzbedrohende Nachrichten gibt, die man gerne in der Masse der Meldungen versickern läßt, wenn die Reaktionen auf den UN-Bericht nicht ein heftiges Echo nach sich gezogen hätten: umgehend hat sich die Tagesschau des Problems angenommen.
Die Tagesschau ist nun das Flaggschiff des deutschen öffentlichen Nachrichtenwesens, für viele Deutsche ist sie „Nachricht“ schlechthin: was dort berichtet wird, hat nahezu den päpstlichen Nimbus der Unfehlbarkeit. Und was berichtet man dort? Das der UN-Bericht natürlich völliger Unfug sei, veraltet und völlig falsch. Natürlich … die Kinderarmut in Deutschland haben wir ja erst kürzlich künstlich heruntergerechnet, so wie wir die Arbeitslosigkeit künstlich herunterrechnen. Letzeres lobt der UN-Bericht ausdrücklich. Hinter dem Bericht stehen die Beobachtungen vieler Nichtregierungsorganisationen, die die Missstände in Deutschland seit Jahrzehnten bemängeln … oft im Einklang mit dem Bundesverfassungsgericht. Zwischen dem Volk, seiner Selbstorganisation einerseits und dem Verfassungsgericht andererseits stehen die Politiker und fühlen sich wie das Würstchen auf dem Brötchen: von beiden Seiten in die Zange genommen. Dank vielfältiger Kooperation mit Wirtschaft und Medien kann man sich jedoch noch eine Weile lang gut halten. Kein Wunder also, das die Welt sich darüber aufregt, das es dem Bericht an „seriösen Grundlagen“ fehlt.
Nun, Martin Storm, Staatssekretär aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, sprach vor dem Gremium der UN für die Bundesregierung, seinen Worten nach nimmt die Regierung die Verpflichtungen, die sich aus dem WSK-Pakt ergeben, sehr ernst, seine Rede findet sich hier. Er gibt in dieser Rede selbst zu, das man bei der Implementierung der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Menschenrechte national wie international weit vorangekommen aber noch lange nicht am Ziel angekommen sei. So redet die Regierung zu dem Gremium, das die deutsche Situation untersucht. Man freut sich über den fachkundigen Blick des hochkarätigen Gremiums, freut sich über den anstehenden Dialog , der die gemeinsame Umsetzung des WSK in Deutschland begleiten soll … reagiert aber verschnupft, wenn auch nur die leistest Kritik aus den Reihen der Menschenrechtler kommt.
Man bekommt das Gefühl, das die vor der UN nicht nur bei den Arbeitlosenzahlen schummeln.
Worum geht es eigentlich bei jenem ominösen Pakt, auf den sich der Bericht und der Staatssekretär beziehen? Wikipedia klärt auf:
Als Ausgangspunkt der internationalen Normierung von Menschenrechten wird die „Four Freedoms Address“ des us-amerikanischen Präsidenten F. D. Roosevelt vom 6. Januar 1941 angesehen. Vier fundamentale Freiheiten sollten nach seiner Vision einer neuen Weltordnung grundlegend sein: Die Freiheit der Meinung und der Religion sowie die Freiheit von Mangel und Furcht.
Hierauf aufbauend wurde in der Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945 der Gedanke des Menschenrechtsschutzes allgemein als Zielbestimmung in der Definition der Zwecke der Vereinten Nationen aufgenommen.
Erst mit der am 10. Dezember 1948 feierlich proklamierten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) erhielt der völkerrechtliche Menschenrechtsgedanke seinen ersten fassbaren Ausdruck, wenngleich auch keinen völkerrechtlich verbindlichen.
Die AEMR enthält einen umfassenden Katalog bürgerlicher, politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte, der später in den beiden gleichzeitig am 16. Dezember 1966 von der Generalversammlung der UN verabschiedeten internationalen Pakten über bürgerliche und politische Rechte (IPbürg) bzw. über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR) aufging.
Vier Freiheiten sollen grundlegend sein – über den Rest reden wir später. Freiheit von Meinung und Religion, Freiheit von Mangel und Furcht.
Und was hatte der Bericht jetzt bemängelt? Der Tagesspiegel hält eine deutsche Übersetzung bereit, hier findet sich das Original. Bemängelt wird
1. das viele frühere Empfehlungen nicht umgesetzt wurden
2. das die Bestimmungen des Paktes von innerstaatlichen Gerichten nicht umgesetzt werden
3. die bleibende Begrenzung der Befugnisse des deutschen Instituts für Menschenrechte
4. die Zerstörung nationaler Wirtschaften im Ausland durch den Export subventionierter Agrarprodukte
5. die Ignoranz der Menschenrechtssituation bei Auslandsinvestitionen
6. die Ignoranz der Menschenrechtssituation bei Entwicklungsprojekten (Beispiel Kambodscha)
7. die exisitierende Ausländerfeindlichkeit
8. die asoziale Behandlung von Asylsuchenden
9. die hohe Arbeitslosigkeit in der ehemaligen DDR
10. die fortlaufende Diskriminierung von Frauen
11. das klischeehafte deutsche Frauenbild und seine Folgen für Kinderbetreuung und Beruf
12. die Benachteiligung von Behinderten am Arbeitsmarkt … und den diesbezüglichen Mangel in der Datenerhebung
13. den Einsatz von Strafgefangenen in der Privatwirtschaft
14. die Forderung an Langzeitarbeitslose, „jede zumutbare Arbeit“ anzunehmen, was praktisch „jede Arbeit“ bedeutet
15. das Streikverbot im öffentlichen Dienst
16. die zunehmende Besteuerung der Renten und den Verbleib von 2,5 Millionen Kindern unterhalb der Armutsgrenze
17. die Diskriminierung bei der Inanspruchnahme sozialer Leistungen durch Ostdeutsche
18. die relative Straflosigkeit von Gewalt innerhalb der Familie
19. die relativ hohe Armut, die den Verdacht nahelegt, das es unzureichende Leistungen oder eingeschränkten Leistungszugang gibt
20. die Ignoranz der Entwicklung bezüglich der Obdachlosigkeit im Lande
21. die Psychiatrisierung sexuell andersartiger Menschen
22. die menschenunwürdigen Bedingungen in Pflegeheimen
23. die Mangelernährung bei 25 % der Schulkinder
24. die hohe Zahl der Schulabbrecher
25. die Beibehaltung von Studiengebühren
26. die mangelnde Menschenrechtserziehung in den Schulen
27. den Datenmangel bei der Erfassung der Situation von Minderheiten
Ob die UN vielleicht mal ein Buch von Thilo Sarrazin gelesen hat oder schon von der geplanten Panzerlieferung nach Saudi-Arabien wußte, kann ich nicht beurteilen, die Vorwürfe jedoch … haben eine erschreckende Gemeinsamkeit. Nicht die Mängel als solche sind es, die erschrecken, sondern die Systematik, die dahintersteckt und die Verlogenheit, mit der sie durchgesetzt wird. „Leidensdruck“ bei Arbeitslosen soll doch bewußt und willentlich erzeugt werden! Mangel und Furcht werden doch bewußt hervorgerufen – man ist doch stolz auf seine „Sanktionen“ gegenüber den abscheulichen, unmenschlich bösen asozialen Arbeitslosen!
Leider vergisst man dabei schnell, das man mit dieser Strategie (und ihren Folgen) die Gemeinschaft der menschenrechtsfreundlichen Staaten weit hinter sich gelassen hat!
Das besonders Verachtenswerte an der deutschen Armut ist: sie verrät die demokratischen Werte eines demokratischen Staates und ist nicht das Ergebnis einer schlechten Wirtschaftsleistung, sondern das Ergebnis einer menschenverachtenden, ja, geradezu sadistischen Politik. Kurz gefaßt: die afrikanische Armut ist eine Katastrophe, die deutsche Armut ein Verbrechen. Allerdings gibt es viele dieser Verbrechen … und die Situation des afrikanischen Kontinents insgesamt beruht auf der gleichen Politik, gemacht von denselben Politikern. Das macht die deutschen Verbrechen aber nicht erträglicher.
Es gibt einen roten Faden, der sich mitlerweile durch die Vorwürfe der UN zieht – und dieser Faden ist der Verdacht, das es in einem der Vertragsstaaten des WSK-Paktes schlichtweg AN POLITISCHEM WILLEN MANGELT, DIE MENSCHENRECHTE DURCHZUSETZEN!
Und hier sind wir an einem Thema angelangt, das wir vom Nachrichtenspiegel wie viele andere freie Journalisten auch seit über einem Jahr beobachten: das langsame Abgleiten der einstigen Bonner Republik zu einem asozialen Monster: der Berliner Republik, die sich wieder eher an den Prinzipien des Dritten Reiches orientiert, wo Arbeit noch frei machte. Der braune Geist der Missachtung „unwerten Lebens“ zieht sich quer durch alle Vorwürfe der UN – und nicht nur NGO´s bemerken dies bei ihren vielfältigen Arbeiten, während sich die deutschen Medien eher als Organe des systemtragenden Lobbyismus präsentieren.
Das ist der Kern des Unbehagens der UN, es geht hier nicht mehr nur um kleine Schönheitskorrekturen – es geht um den generellen Kurs, den dieses Land seit der Wiedervereinigung fährt – und dieser Kurs nährt die Besorgnis der UN.
Deshalb ist die naheliegende Schlussfolgerung ja so ungeheuerlich (und die beleidigte Reaktion der Täter umso verständlicher): die ausführenden Politiker der Bundesrepublik Deutschland haben das Staatsschiff bewußt und absichtlich auf einen Kurs gebracht, der das Land weitab aus den Gefilden der Erklärung der allgemeinen Menschenrechte bringt. Die Psychiatrisierung von Transsexuellen ist (was immer man sonst auch von dieser Mode persönlich hält) im Prinzip ein sehr eklatanter Verstoß gegen die Menschenrechte, der sich IN NICHTS von der Psychiatrisierung politischer Gegner unterscheidet, die Weigerung, Menschenrechte im Unterricht hinreichend zu würdigen bringt uns direkt in jene politische Kategorie, in dem sich auch China und Nordkorea befinden, die Behandlung eines Menschen ausschließlich unter dem Kriterium seiner Ausbeutbarkeit bringt uns ein eine Reihe mit den Sklavenstaaten des Altertums. Hier haben die Lobbyisten der Konzerne sehr gute Arbeit geleistet – auf Kosten von Demokratie, Sozialstaat und Menschenrechten.
Und hier merken wir, das Deutschland langsam zum Frontstaat geworden ist. Wir bemerken dies zwar im Alltag (überall dort, wo die UN es auch bemerkt), aber es wird im Prinzip nicht thematisiert: im Gegenteil springen die Medien der Regierung sofort bei, wenn Kritik geäußert wird.
Unsere Titanic auf den Eisberg zu … aber wollen nicht darüber reden, denn: unser Schiff ist unsinkbar.
Ich denke mal, wenn die Bundesregierung selbst in Person des Herrn Storm (und vieler anderer hochkarätiger deutscher Fachleute) vor Ort war, dann zeigt mir diese Tatsache hinreichend, das man sich auch in Regierungskreisen der Vorwürfe bewußt war, so wie man sich bewußt ist, das hier nicht alles rund läuft.
Die Art und Weise, wie hier aber taktiert wird – feiner Bückling vor der UN vor Ort, heimliches Geraune über die Kritik im Nachhinein – lässt erahnen, wohin die Reise geht: tarnen, täuschen und weiter abkassieren.
Was uns das im größeren historischen Rahmen einbringt?
Den Titel eines „Verräterlandes der Menschenrechte„, jenes Landes, in dem die Gegenbewegung gegen die Menschenrechte im 21. Jahrhundert im europäischen Raum Fuss fasste und dann über ganz Europa ausgebreitet wurde.
Wird nicht gerade – fast unbemerkt – das Prinzip von „Hartz IV“ auf andere europäische Staaten übertragen? Staaten, die bis gerade auch noch ohne Mangel und Furcht leben durften?
Mangel und Furcht jedoch … werden wieder deutsche Exportschlager.
Aktuell macht eine Forsa-Studie die Runde, die von der UN noch gar nicht zur Kenntnis genommen wurde: deutsche Kinder werden immer kränker – auch jenseits von Hartz IV.
Das wird dann der nächste Exportschlager – nach Hartz IV.
Wer sich übrigens fragt, wie das gesteuert wird, sollte sich die internationalen Kapital- und Auftragsflüsse anschauen. Je brauner Deutschland wird, umso besser wird unsere Auftragslage.
So steuert man Politik ohne Schlägerbanden mit Parteiuniform und viele verdienen recht gut an dem System.