An manche Daten erinnert man sich jahrhundertelang. Während der Tag abläuft, ist eigentlich alles normal. Nichts deutet darauf hin, das der Tag so eine Gewalt bekommen wird – jedenfalls nichts im Alltag der Nordeifel – aber später, im Auge der Historiker – wird aus dem Tag ein weltbewegendes Datum größter Wichtigkeit. Der 1.9.1939 war so ein Tag. Für uns heute begann dort der Zweite Weltkrieg, für die Bewohner Deutschlands war es damals – laut Nachrichten – ein ganz normaler Tag mit Turbulenzen an der polnischen Grenze. Wenige Tage später wurde daraus Weltkrieg. Ich weiß nun nicht, ob der gestrige Tag die gleiche historische Würdigung bekommen wird – das hängt vom weiteren Verlauf der Ereignisse sowie von dem Lauf der anderen Schuldenkrisen ab. Machen die USA in zwei Monaten dicht, dann interessiert das kleine griechische Schuldenhäuflein niemand mehr.
Eine Chance hat der 29.6.2011 allerdings schon. Ungeheuerlich war zum Beispiel der Druck, den deutsche Medien aufgebaut haben. Es schien um Leben und Tod zu gehen: „Die Welt zittert mit Griechenland“ – so überschrieb der Spiegel seinen Artikel, die Welt lieferte ein Minutenprotokoll, das Handelsblatt fuhr eine Reihe von Experten auf, die die Parlamentarier nochmal eindringlich warnten, ja keinen Fehler bei der Abstimmung zu machen, von Selbstmord war die Rede.
Es schien, als läge das Schicksal der freien Welt in den Händen einiger Olivenbauern. Vergessen war die Krise in Island, Irland, Portugal, Spanien, Italien, Großbritannien, Frankreich und … ja auch … Deutschland. Die Medien zeigten mal wieder, wie gut sie dressiert sind: Entertainment auf höchstem Niveau in klusive der heutigen Beruhigungspille im Handelsblatt: Jobboom in Deutschland. Waren im Mai die Arbeitslosenzahlen schon deutlich unter drei Millionen zurückgegangen, so schrumpften sie im Juni nochmal – auf mindestens 3,278919 Millionen Arbeitslose, die die Bundesanstalt für Arbeit heute stolz in ihrer Jobbörse anpreist. Das ist eine Aufgabe für die Mathematiker unter uns: Wieviel muß ich von 2,96 abziehen um 3,27 zu bekommen?
Natürlich legte die Börse erstmal zu. „Wir haben ein Nein nicht auf dem Schirm“ – so äußerte sich blumig ein Börsianer im Radio. Nun – ich hatte ein Nein auch nicht auf dem Schirm. Wer stimmt schon gerne für Selbstmord? Und natürlich legt die Börse zu. Ganz viel deutsches Steuerzahlergeld fließt jetzt nach Griechenland um von dort aus ohne Umwege direkt in die Anlagekassen des Großkapitals zu fließen, die damit wieder in Firmen investieren.
Wir helfen den Banken deutlich, ihren Einfluss auf die Realwirtschaft beständig auszudehnen und die Managerboni in perverse Höhen zu treiben. Das sagt man uns jetzt nicht so deutlich – aber so läuft der Hase halt. Da die Politiker ein gutes Stück vom Kuchen abbekommen, wäre es schon seltsam zu erwarten, das auf einmal ihr Gewissen spricht.
Die Welt formulierte heute deutlich, worum es in Griechenland ging:
Für das Sparpaket zu stimmen, das bedeutete für die Abgeordneten der gewählten sozialistischen Regierungspartei Pasok, sich gegen den klar dokumentierten Volkswillen zu stellen.
Es war gewissermaßen das Gegenteil von Demokratie, so empfanden es zumindest die Protestierenden und allen Umfragen zufolge eine klare Mehrheit des Volkes.
Im Mutterland der Demokratie beugt sich die Demokratie in aller Öffentlichkeit dem Diktat der Finanzagenten – was das definitive und klar erkennbare Ende der Demokratie darstellt. Kein Wunder das man uns mit Lügen über den deutschen Arbeitsmarkt bei Laune halten will. Es wäre schlecht, würden wir merken, in welche Zukunft man uns gerade hineinsteuert.
Griechenland ist für die Finanzdiktatur das, was für Hitler Polen war: der Beginn der heißen Phase. Portugal und Spanien werden folgen, Italien und Großbritannien stehen schon in den Startlöchern, Frankreich bekommt erste Risse … und Deutschland träumt von der Fußballweltmeisterschaft, bei der das Bier dank vielen vielen Jobs in Massen fließt.
Die Finanzdiktatur wird sich aber mit Griechenland nicht zufrieden geben. Griechenland war wichtig – als Symbol wichtiger als Portugal. Die Wiege der europäischen Demokratie zu vernichten ist ein großartiger Triumph, der einzige Abgeordnete, der seinem Gewissen gefolgt war, wurde laut Handelsblatt sofort aus der Partei ausgeschlossen: jetzt weiß man, wie der Hase läuft.
Dabei ist allen klar, das die Medien gelogen haben. Das Sparprogramm allein birgt enorme Risiken und nichts ein, wenn es nicht weitere, flankierende Massnahmen gibt, die es der Wirtschaft erlauben, sich zu erholen – siehe FTD. Das ganze Rettungsdrama des gestrigen Tages hat keine Substanz – ohne reales Wachstum der Wirtschaft rollt die Krise weiter – siehe Managermagazin. Und ebenso wie in Deutschland sind es unter anderem die priviligierten Ärzte, Notare, Apotheker, die enorme Kosten verursachen, die sich die Volkswirtschaft gar nicht leisten kann. Schon mal gesehen, wie unnütz hoch die Einkommen von Ärzten und Apothekern in Deutschland sind? Das riecht schon fast nach Plan. Kostet ja auch nichts – zahlt alles der Steuerzahler – bei wachsender Tendenz.
Der gigantische Betrug am Bürger, das Ziel der Eleminierung der Volkswirtschaften durch professionelle Finanzagenten wird auch öffentlich zugegeben – aber zwischen Fussballfieber, Jobwunder und der Freude über den erneuten endgültigen Atomausstieg geht das leicht unter. Der Spiegel bringt heute in Interview mit Stefan Homburg, der eine deutliche Sprache spricht:
Griechenland hat weder ökonomisch noch politisch die Möglichkeit, sich zu sanieren. Es wird niemals in der Lage sein, die bisher aufgenommenen Schulden zurückzuzahlen. Trotzdem wird die Bundesregierung zahlen.
Das ist moderne Demokratie: man darf so etwas erkenne, äußern, es wird auch gedruckt … nur hat es keinerlei Folgen. Es kommt noch besser:
Banken können sich nicht freiwillig beteiligen. Ein Vorstand ist auf das Wohl seines Unternehmens verpflichtet, nicht auf das Gemeinwohl. Verzichtet er zu Lasten seiner Gesellschaft auf Forderungen, ist das Untreue und strafbar.
Das ist altbekannt – sollte Grundschulwissen werden. Deshalb haben Manager keine Wahlfreiheit – und deshalb sind Konzerne Krebszellen der Volkswirtschaft. Damit das Volk dies aber nicht frühzeitig merkt, haben Medien und Politik gewissen Methoden entwickelt, die präzise Ziele haben:
Das Ganze war ein Schauspiel, das vor allem die deutsche Öffentlichkeit beruhigen sollte.
Die angebliche Ansteckungsgefahr ist eine Legende, die der wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhält. Wenn man meine Überzeugung teilt, dass das Gerede, Griechenland sei systemrelevant, dummes Zeug ist, gibt es für Rettungsaktionen keinen Grund …
Solange man noch solche Gegenmeinungen publiziert, hat das System den Anschein von Freiheit. Nur haben diese Gegenmeinungen keine Chance mehr gegen die Alternativlosigkeit der Wirklichkeit, in der Abgeordnete aus der Partei fliegen, wenn sie mal dem Volkswillen folgen wollen. Die Partei lebt von dem Volk – nicht für das Volk. In Griechenland scheint man das gerade zu bemerken, weshalb das Volk sauer wird – zu spät, aber immerhin.
Der Deutsche fühlt sich heute gut. Das griechische Parlament hat „gut“ abgestimmt, die Börse freut sich, die Jobs rollen in Massen und sogar die boomende Privatwirtschaft beteiligt sich mit ihren Kapitalüberschüssen an der Krise.
Ist nur alles gelogen, aber hört sich gut an.
Man ist wieder einen Tag weiter. Währenddessen arbeitet die Finanzwirtschaft gezielt und mit System an der Vernichtung weiterer Volkswirtschaften. Lauchen wir nochmal Stefan Homburg:
Die Ansteckung läuft sogar genau andersherum, denn etliche Banken und Hedgefonds profitieren von folgendem Geschäftsmodell. Schritt eins: Sie verkaufen die Anleihen des betreffenden Landes. Schritt zwei: Sie bringen das Land ins Gerede. Schritt drei: Nachdem die Kurse der Anleihen gesunken sind, kaufen sie billig zurück. Und zuletzt jagen sie die Regierungen mit dem Unsinn ins Bockshorn, eine Insolvenz werde verheerende Folgen haben. In einem Nullsummenspiel gibt es nicht nur Verlierer wie uns Steuerzahler, sondern auch Gewinner.
Am 1.9.1939 wurde genau so gelogen. Ebenso gab es Menschen, die schon damals wußten, das damit der nächste große Krieg beginnen würden, wenn England und Frankreich ernst machen würden mit ihren Beistandserklärungen.
Diesmal ist es die Frage, ob die Finanzwirtschaft es ernst meint mit der Plünderung europäischer Volkswirtschaften – oder ob sie einfach jetzt mal damit aufhört. Ganz sicher werden sie an der deutschen Grenze aufhören, denn wir Deutschen sind gut, überall beliebt und einfach nette Menschen – oder das perfekte Volk. Niemand würde es wagen, etwas so putziges in den Schmutz zu ziehen.
Stefan Homburg sieht das anders:
Nachdem die griechischen Anleihen zum vollen Wert zurückgezahlt wurden, werden sich die Spieler dem nächsten Kandidaten zuwenden, etwa Portugal. Erlitten die Gläubiger bei Griechenland aber Verluste, dann würden sie dieses Geschäftsmodell aufgeben. Auch insofern wirken die Rettungsaktionen problemverschärfend.
Aber gewinnbringend für Leute, die viel zu viel Geld übrig haben. Manche Leute haben soviel Geld nutzlos im Keller liegen, das sie gar nicht wissen, was sie damit anfangen sollen. Also … lassen sie zu, das damit Volkswirtschaften ruiniert werden, ein Geschäft, bei dem man als Vorstand gut verdienen kann, wenn er seinen Job gut macht:
Verweigert die Bank nämlich ihren eigenen Beitrag, dann bezahlt der Steuerzahler allein. Genau darauf muss ein Vorstand hinarbeiten, um den Vorwurf der Untreue zu vermeiden.
Man weiß im Detail wie es läuft. Man kann die Täter benennen, das Geld der Hintermänner und Finanziers des Raubzuges gegen die europäischen Volkswirtschaften klar benennen, man kennt ihre Methoden und weiß, wo die Beute liegt. Das ist das, was wir Demokratie nennen.
Und das wir nichts dagegen tun können, nennen wir alternativlos.