Politik

Deutschland 2011 und 1931: die Tage vor dem Weltkrieg verbracht in spätrömischer Dekadenz?

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Es ist gar nicht so lange her, da hatte China im Zusammenhang mit der Ermordung des Terroristen Bin Laden den USA gedroht, das jeder Angriff auf Pakistan in Zukunft als ein Angriff auf China gedeutet wird. So meldete der Spiegel am 24.5.2011:

Nach dem tödlichen US-Einsatz gegen Osama Bin Laden hat Peking den USA offenbar eine harsche diplomatische Warnung zukommen lassen: Jeder Angriff auf Pakistan werde künftig wie eine Attacke auf China gewertet. Die Rückendeckung kommt Islamabad gerade recht – die Beziehungen zu Washington sind eisig.

Solch eine Art Beistandspakt hat 1939 zum Beginn des Zweiten Weltkrieges geführt. Wer Geschichte als Abiturfach haben durfte, der erinnert sich vielleicht noch daran, das Beistandspakte manchmal einen unaufhaltsamen Flächenbrand auslösen können. Politiker denken sich in ihren Schachspielstrategien ein paar schlaue Züge aus, die irgendwann – alternativlos – im Weltkrieg enden. Ich hatte eigentlich erwartet – weil es dem diplomatische Respekt der Staaten untereinander geschuldet ist – das die USA irgendwie auf diese Warnung Chinas reagieren.

Das tun sie auch, aber nicht so, wie ich dachte. So meldet der Spiegel heute:

Die massiven Proteste der pakistanischen Bevölkerung scheinen die USA nicht zu beeindrucken: Bei einem Drohnenangriff wurden an der Grenze zu Afghanistan mehr als zwanzig Menschen getötet. Ziel der Raketen war ein Ausbildungslager von Extremisten.

Man erfährt nebenbei, das die US-Ausbilder das Land verlassen – angesichts der Drohung Chinas kein Wunder. Jetzt ist die Frage, wie die Diplomaten die Angriffe auf die pakistanische Zivilbevölkerung werten – ist das ein Angriff auf Pakistan oder gehört das Volk schon nicht mehr zum Land? Die Frage ist doch: auf wen wird denn da eigentlich noch geschossen? Osama bin Laden ist tot, jetzt wahrscheinlich endgültig. Das ist so sicher, wie  Massenvernichtungswaffen im Irak oder die Barbarei der alten irakischen Soldateska. Und wenn der Chef da jetzt tot ist und man seit zehn Jahren dort Menschen tötet – hauptsächlich unbeteiligte Zivilisten in immer größerer Zahl – dann sollte man doch meinen, das da langsam kein Kopf mehr auf einem Talibanleib ruht. Wogegen kämpfen die denn da eigentlich noch?

Wir müssen uns diese Fragen stellen, weil wir uns daran gewöhnt haben, belogen zu werden. Kann sich noch an die Aussage erinnern, das die Natojets selbstverständlich keine Jagd auf Gaddafi machen sondern nur

die Universitäten des Landes angreifen – oder was sonst noch so im Wege steht? Was soll ich also mit der Nachricht anfangen, das sein Zelt bombadiert wurde?

Ich meine – wir haben doch die Todesstrafe selbst bei Massenmördern abgeschafft? Dafür sind wir als Demokraten doch bekannt, oder? Wir erschiessen nicht einfach so Leute, das machen die anderen, die „Bösen“. Wir, die „Guten“, tun so etwas nicht. Jedenfalls hatte man mir das während meiner Schulzeit in den siebziger Jahren so beigebracht. Offenbar hat sich seit der Zeit etwas geändert…wir nähern uns wieder den zwanziger Jahren an:

Die Gesellschaft der Weimarer Republik war eine zutiefst gespaltene. Wirtschaftliche Not bestimmte in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg den Alltag eines Großteils der Deutschen. Dem auch während der ”Goldenen Zwanziger” grassierenden Elend der am Rande des Existenzminimums lebenden Arbeiterfamilien stand eineKunst- und Kulturszene mit einem avantgardistischen Lebensstil kaum dagewesener Intensität gegenüber. Ebenso wie der Freizeit- und Vergnügungsbereich immer konkretere Formen annahm, wuchsen in einer durch Technikbegeisterung geprägten Zeit die Möglichkeiten der Kommunikation und der Motorisierung. Mit dem Automobil oder dem Motorrad, dem beliebtesten Verkehrsmittel der Weimarer Republik, unterwegs zu sein, bedeutete Unabhängigkeit und Flexibilität.

Das hört sich doch gar nicht so fern von uns an, oder? Die Kluft zwischen Arm und Reich im Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts wächst beständig, die einen amüsieren sich zu Tode, die anderen gucken in die Röhre, weil sie inzwischen für weniger als 15 Euro pro Tag arbeiten und darauf noch stolz sein können, in der Hauptstadt des Kapitalismus können 1,7 Millionen Menschen nur noch mit Lebensmittelmarken überleben.

Während die einen nur noch über die Vermehrung ihres Reichums sinnieren und ständig neue Moden entwerfen, um der Sinnlosigkeit des Mammons zu entkommen, haben 540000 Jugendliche Probleme, die an die Zeit nach dem ersten Weltkrieg erinnern:

Viele Jugendlichen gehörten der sogenannten verlorenen Generation an, die einschneidende Erfahrungen in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges sammelte oder ohne Väter aufwachsen musste. Die ihr nachfolgende „überflüssige Generation“ musste ab 1929 zumeist die bittere Erfahrung machen, während der Weltwirtschaftskrise auf einem überfüllten Arbeitsmarkt nicht Fuß fassen zu können. Arbeitslosigkeitund Massenverelendung kennzeichneten in der Wirtschaftskrise die Alltagssituation breiter Bevölkerungsschichten. Resignation und Verzweifelung waren Begleiterscheinungen der Krise, in der Tausende ihr als nutzlos empfundenes Leben freiwillig beendeten.

Weltwirtschaftskrise  hatten wir auch, wir reden aber nicht so deutlich darüber. Was früher Reparationszahlungen waren, erledigt heute der Euro, anstelle der Siegermächte ist ein Netzwerk von systemdestabilisierenden Banken getreten, deren eigene Finanzverfassung katastrophal ist. Auch wenn uns regelmässig neue Statistiken präsentiert werden, die unsere Arbeitslosenzahlen mit allen Tricks unter drei Millionen herunterrechnen, so beunruhigen die Ähnlichkeiten mit Weimar doch sehr:

Anfang 1931 waren in Deutschland bereits fünf Millionen Menschen als arbeitslos registriert. Das soziale System der Weimarer Republik war den Folgen der Wirtschaftskrise nicht gewachsen. Verelendung, Resignation und eine allgemeine Katastrophenstimmung prägten das Alltagsleben von breiten Bevölkerungsschichten.

Fünf Millionen Arbeitslose bekommen wir auch locker hin – kleine Änderungen in der Definition von „Arbeitslosigkeit“ und schon sieht die soziale Lage in Deutschland anders aus … die Stimmungslage dürfte aber mitlerweile ähnlich sich, erst recht, wenn aller merken, was die einbrechenden Exportzahlen für uns alle bedeuten.  Mit diesen Einbrüchen wurde schon länger gerechnet – was nicht weiter überraschen sollte, sieht es doch für die Zahlungsfähigkeit des Motors der Weltwirtschaft und seiner getreuen Verbündeten finster aus.

Und unsere Medien? Spiegeln die geistige Verfassung der zwanziger Jahre wieder. Nehmen wir zum Beispiel das intellektuelle Flaggschiff der Republik: die „Zeit“.

Was wird heute berichtet, was sollte uns am Vorabend des dritten Weltkrieges interessieren?

Das das Koalitionsklima nicht so dolle ist, der Schäuble mehr Geld braucht, was die Kanzlerin gut findet, das die Ehec-Fahnung schleppend läuft , Frauen nicht mit Ehemännern zusammen wohnen müssen und eine rot-grüne Landesregierung Probleme mit einem Bahnhof hat. Wir wenden den Blick gezielt von der internationalen Bühne ab und kümmern uns gezielt nur noch um uns selbst. Das die USA zur Unterstützung ihrer militärischen Abenteuer gezielt deutsche Bomber nachfragen, findet man dort nicht so interessant, berichtenswert sind der Rücktritt einer Schulleiterin, ein ungarischer Film über eine Prostituierte, die das Sorgerecht für ihr Kind will, die Empörung eines Autors über schlechte Kunst in Venedig oder Risiken von Bioweinamphoren.

Warum mir der Terminus „spätrömische Dekadenz“ gerade jetzt durch den Kopf geht, will ich nicht weiter ergründen. Lieber mache ich mir Gedanken darüber, das nicht alles so ist wie früher:

Die rauschenden Partys der „Goldenen Zwanziger“ endeten abrupt mit derWeltwirtschaftskrise. Die Verelendung der Bevölkerung spiegelte sich ungeschminkt in der Kunst wider: Hunger und Arbeitslosigkeit, Tristesse und Hoffnungslosigkeit wurden zu Bildthemen der Milieumalerei und der Photographie. Romane wieAlfred DöblinsBerlin Alexanderplatz“ (1929), Erich KästnersFabian – Die Geschichte eines Moralisten“ (1931) oder Hans Falladas „Kleiner Mann was nun?“ (1932) thematisierten die Not und den alltäglichen Überlebenskampf der Bevölkerung.

Ich denke, das wir mal Kunst über das Elend der verharzten Mitbürger zwischen Jobcenter, Tafel und Hoffnungslosigkeit sehen, wird angesichts der Strategien der Medieneigentümer lange auf sich warten lassen. Wir ignorieren Elend lieber, bleiben in unseren Egotempeln mit Doppelgarage, bewegen uns sicher mit benzinfressenden Geländewagen durch den Alltagsverkehr, die uns ein Gefühl von Unangreifbarkeit vermitteln und ganz nebenbei Beweglichkeit in Zeiten versprechen, in denen die Zivilisation nicht mehr ganz so tolle funktioniert….was darauf hindeutet, das man in manchen – „tonangebenden“ – Kreisen die Zeichen der Zeit schon recht deutlich versteht.

Und die anderen Kreise … werden beschäftigt, bis wieder einmal der Vorhang fällt.

Aber es bleibt ja noch eine Hoffnung. Vielleicht ist die Nachricht über Chinas Drohungen so gelogen wie die Nachricht über die irakischen Massenvernichtungswaffen, einfach die geschickte lancierte Nachricht eines SUV-Produzenten um den Absatz anzukurbeln.

Auch damit darf man heutzutage rechnen.

 

 

 



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