Politik

Armut, Kriminalität und die Verbrechen der Reichen

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Kürzlich war ich zu Besuch bei der Polizei. Ist immer schön dort – wenn man jemand da ist. Bei uns auf dem Dorf ist selten jemand da, meist gibt es nur einen Beamten, weil alles zu ruhig ist,  aber wir merken, das Kriminalität bei uns Einzug gehalten hat. Natürlich können wir nicht gegen die Statistik angehen, die sagt: hier wird alles immer ruhiger, Deutschland ist voll friedlich und gemütlich, nur in Paris greifen Jugendliche Polizeireviere an und bringen die Themen von Horrorfilmen in den realen Alltag ein. 150 Jahre hat es keinen Mord bei uns geben … diese Zeiten sind mitlerweile vorbei. Das war einmal. Auch Vergewaltigungen – oder die Auslöschung ganzer wohlhabender Familien durch „psychische Probleme“ gehören bei uns inzwischen zur Tagesordnung – aber das Krankenhaus will man schließen.

Interessant bei der Polizei war ein kleines Heftchen, das ich jedoch nicht mitnehmen durfte, weil es das letzte Exemplar war. Irgendein Polizeiwerbeblatt mit vielen Artikeln, unter anderem einem über den Zusammenhang von Armut und Kriminalität. Leider konnte ich den Artikel nicht ganz lesen, hatte aber die Quintessenz behalten: man fürchtet keinen Anstieg von Kriminalität sondern ganz konkret den Anstieg von Unruhen, die die Verantwortlichen für die Misere zur Rechenschaft ziehen werden.  Ungerechtigkeit scheint eher ein Faktor zu sein, der Kriminalität begünstigt … wobei wir in Felder kommen, wo „Kriminalität“ und „Armut“ besonderer Betrachtung bedürfen.

Es gibt viele differenzierte Betrachtungen zu dem Thema, auch aus den Reihen der Polizei selbst. Das Kriminalität bei Armen auffällt, liegt daran, das sie ansonsten schon einer gezielteren Beobachtung unterliegen. Darüber hinaus … haben sie einfach keine guten Anwälte. 120 Milliarden Euro vergeudet allein die EU jedes Jahr durch Korruption , Geld, das woanders fehlt. Die Täter bleiben … unerkannt, werden kaum verfolgt, es sind „Kavaliersdelikte“ – oder ihre Anwälte ziehen die Prozesse über Jahre hinweg in die Länge, bis ein „Vergleich“ dazu führt, das ein Teil der Beute abgeführt wird, man aber weitgehend straffrei ausgeht. Immerhin gehört man zu der Leistungselite des Kontinents, ist mit dem Richter oder seiner Frau im gleichen Golfclub oder kann sich wenigstens im Sozialcode der gehobenen Schichten bewegen, was vor Gericht immer Eindruck macht. Die gleiche Tat von einem jugendlichen Arbeitslosen begangen würde zu deutlich härteren Maßnahmen führen, da die Medien uns bewiesen haben, das Arme immer irgendwie bösartig sind, während Reiche schon alleine durch das viele Geld eine gewissen moralische Überlegenheit ausstrahlen. Details der Entwicklung findet man im compliancemagazin:

Bemerkenswert ist, dass sich Täter in den vergangenen Jahren seltener vor Gericht verantworten mussten. Stellten die Unternehmen zwischen 2005 und 2007 noch gegen 61 Prozent der Überführten eine Strafanzeige, sank die Quote zwischen 2007 und 2009 auf 50 Prozent. Dabei werden Täter aus dem Top-Management deutlich seltener angezeigt (33 Prozent) als mittlere Führungskräfte (49 Prozent) oder Beschäftigte ohne Führungsaufgaben (54 Prozent). Für 20 Prozent der überführten Top-Manager hatte ihre Tat sogar überhaupt keine Konsequenzen.

„Zwar lässt sich die relative Milde gegenüber Tätern aus der Führungsetage auch mit besonderen rechtlichen und sachlichen Schwierigkeiten im Einzelfall erklären. Allerdings ist diese Praxis unter dem Gesichtspunkt der Glaubwürdigkeit und Vorbildfunktion des Managements äußerst problematisch“, betont Salvenmoser.

Spannend in diesem Zusammenhang: das fehlende Unrechtsbewußtsein bei 62 % der  straffälligen Führungskräfte – die wissen gar nicht mehr, was Recht und Unrecht ist. Diese Dimensionen sind ihnen schon längst abhanden gekommen … falls sie sie je besessen haben. Insofern sollte man auch genauer nachfragen, wie viele der Ladendiebstähle wirklich auf Kosten der Kunden  gehen und wieviel vom Chef einfach gar nicht erst in dem Laden abgeladen wurde. Da er eine gute Chance hat, gar nicht erst angeklagt zu werden, selbst wenn er erwischt wird, scheint mir die Quelle der Verluste vielleicht auch dort zu liegen.

Die Quelle des europäischen Reichtums ist vielerorts gerade die Kriminalität. Ohne die erfolgreichen Beutezeuge spanischer, französischer und englischer Kolonialisten wäre der Kontinent Europa deutlich ärmer – das rechnet nur kaum jemand aus, das möchte man auch nicht wahrhaben, obwohl man die Tradition immer noch fortsetzt. Große Vermögen sind mit dem Opium- und Sklavenhandel im 19. Jahrhundert gemacht worden, andere beruhen auf hemmungsloser Ausbeutung von Zwangsarbeitern … ein Geschäft, mit dem man auch heute noch gut verdienen kann, entweder durch Ein-Euro-Jobs (hier könnten Klagen inzwischen Erfolg versprechen) oder durch den Einsatz von Leiharbeitern in Kernkraftwerken.

In den seltensten Fällen stand bei der Gründungsveranstaltung großer Familienvermögen christliche Nächstenliebe als Pate zur Seite, noch fördert die Arbeit in einem großen Konzern Ethik und Verantwortungsgefühl … eher das Gegenteil scheint der Fall zu sein: 55 Prozent der großen Konzerne wurden Opfer ihrer kriminellen Mitarbeiter … und das sind nur die, die erwischt wurden, aktuell wird ja gerade ein ganzer Bankvorstand angeklagt.

Insofern kann man natürlich behaupten, das Kriminalität ein Problem der Unterschicht ist. Wenn die kriminell werden, werden sie  entweder entwischt oder erbeuten zu wenig, als das sie sich damit zur Ruhe setzen können. Wenn der Reiche erwischt wird, wird er oft erst gar nicht angezeigt. Sein Networking im Dunstkreis der Macht schützt oft vor der Strafverfolgung, Parteispenden und andere „Wohltätigkeiten“ zahlen sich aus – man hat halt mehr zu verteilen als der gemeine Ladendieb.

Das Reichtum eher eine Quelle des Bösen ist, ist die Botschaft vieler Religionen der Menschheit – gerade im christlichen Abendland sollte das bekannt sein. Fragen wir uns also, woher die Legenden über die „bösen Armen“ kommen, so werden wir am Anfang der Erzählungen wahrscheinlich einen kriminellen Reichen mit eigener Zeitung finden, der von sich ablenken will.

Somit hat der „kriminelle Arme“ eine besondere Funktion: er ist der Sündenbock für eine Gesellschaft, die im grossen Stil den Bach ´runtergeht,  Jung und Alt in Armut versinken lässt, sie ins soziale Abseits abschiebt , durch sinnlose Sozialreformen malträtiert und inzwischen immer öfter den Verzehr von Insekten  als große Lösung unserer Probleme anpreist.

Armut wird als unveränderbare Tatsache akzeptiert, so lautet jedenfalls die Ansicht von Wirtschaftsnobelpreisträgern:

Auf beiden Seiten des Atlantiks hat sich unter den Mächtigen der Konsens herausgebildet, dass nichts für mehr Arbeitsplätze getan werden kann. Anstatt entschlossen vorzugehen, werden Entschuldigungen ausgebreitet – gekleidet in eine Sprache der Weisheit und Verantwortung.

Andererseits sorgt man dafür, das sie weiter bestehen bleibt:

Die Regierung von US-Präsident Barack Obama soll Haiti massiv unter Druck gesetzt haben, den Mindestlohn pro Stunde nicht wie geplant auf 61 Cent zu erhöhen, was etwa fünf US-Dollar pro Tag entspräche. Das berichtet das US-Magazin The Nationund beruft sich dabei auf noch nicht veröffentlichte Informationen der Internet-Enthüllungsplattform Wikileaks.

Das man angesichts solcher Rahmenbedingungen den Anstieg von Unruhen fürchtet, scheint mir nicht unverständlich zu sein. Armut an sich macht nicht kriminell – Mönche aller Religionen praktizieren sie bewusst und absichtlich, ohne dadurch zu verrohen oder im Bereich der Asozialität zu versinken: ganz im Gegenteil scheint Armut eher mit dem christlichen Wert der „Nächstenliebe“ zu korrelieren als dies bei „Reichtum“ der Fall ist, möglicherweise findet man bei Armen ja auch ein höheres Unrechtsbewußtsein. Ohnmächtige scheinen mir grundsätzlich ein existentielleres Interesse an „Gerechtigkeit“ zu haben.

Studien zu diesem Thema werden allerdings aus bekannten Gründen weniger den Weg an die Öffentlichkeit finden.

Der weise, gerechte, Nächstenliebe praktizierende, glückliche und den Wirren der Welt gelassen gegenüberstehende Arme als Idealbild eines gelungenen Lebens ist anderen Heldengestalten gewichen: Dieter Bohlen, Karsten Maschmeyer und Gerhard Schröder kommen mir da gerade als Beispiele der Medien in den Sinn.

Gäbe es mehr von ihrer Art … die Welt wäre sicher ein Paradies.

Und schon lange völlig menschenleer, weil Wesen, die nur von anderen Menschen leben können, von ihrem Geld, ihren Stimmen, ihren Quoten ohne ein gesundes Gemeinwesen, das sie finanziert und stützt nicht existieren können. Außerdem … hat der Held von heute keine eigenen Kinder. Diese kostenintensiven Investments überlässt er lieber dem Prekariat.

 



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