Alltagsterror

Die Wirtschaft frisst unsere Kinder, unser Leben, unsere Zukunft – und alle klatschen?

Von hier aus gelangen Sie auf die Autorenseite von und koennen alle kommenen Artikel mit "Link speichern unter" abonieren.

Gelegentlich erzähle ich mal was über mich selbst. Eigentlich tut das nichts zu Sache. Manchmal lasse ich gerne durchblicken, das ich in den teuersten Hotels Deutschlands übernachtet habe – und dort sehr aufmerksam die Gäste beobachtete. Ich schreibe über Lumpenelite nicht aus der Sicht eines zwanzigjährigen Studenten, sondern als jemand, der schon mit Milliardären gespeist hat – wenn auch eher hinten am Tisch. Ich bin sehr dankbar dafür, das das Schicksal mir solche Einblicke gewehrt hat, denn so … kann ich die Vermutung aussprechen, das es auch auf höchster Ebene „Verschwörungen“ gibt, weil ich sie durchgängig auf allen anderen Ebenen beobachten konnte – man nennt sie nur nicht so. Die gängige Bezeichnung ist … „Strategie“.

Der Druck ist schlimmer geworden seit der Betonung von „Share Holder Value“. Das war wohl der Auslöser. Auf einmal arbeiteten alle nicht mehr für die Firma, den Job, den Kunden … sondern nur noch für die Rendite des Kapitals, die gar keine Grenze mehr kannte.  Ich hatte diese Entwicklung begrüsst – in der Hoffnung, das sie viele Degenerationserscheinungen innerhalb der Firmen eleminieren und zu mehr Demokratie im Betrieb führen würde. Damit hatte ich in gewisser Weise recht, die Macht der Provinzfürsten innerhalb der Firma wurde deutlich geringer, aber gleichzeitig ging ein Ruck durch Deutschland (und die Welt), der die Situation zusätzlich verschlimmerte.

Der Leistungsdruck wurde erhöht, die Produktqualität spielte keine Rolle mehr, wer die Leistung nicht mehr brachte, wurde gefeuert – auch fristlos während der Krankschreibung. Ich habe Freunde verloren, die dem Druck nicht standhielten und sich umbrachten.

So etwas hinterlässt seine Spuren.

Nun bin ich ja auch noch Vater – von sieben Kindern aus zwei „Beziehungen“, wie man so schön sagt. Das bringt mich regelmäßig in die Situation, Rat erteilen zu dürfen: welche Schule soll nach der vierten Klasse besucht werden?

In der Zeit lese ich aktuell einen Artikel über einen Vater, der seiner Tochter einen Brief schreibt, einen Brief, den ich unterschreiben könnte. Er beschreibt detalliert, wie die Entwicklung der Konzentration auf  „Share Holder Value“ im Leben unserer Kinder ankommt und ihre Kindheit vernichtet. Bekannt ist das schon länger. Als ich Abitur gemacht habe, war ich politisch in mehreren Bürgerinitiativen aktiv, war Redakteur einer Stadtzeitschrift, Mitglied einer ausserschulischen Philosophie-AG sowie einer abenteuerlichen Selbsterfahrungsgruppe, machte Musik, wanderte viel und schaffte neben dem Abitur auch noch das Fachabitur für Wirtschaft.  Zusätzlich hatte ich  Nebenjobs um Geld zu verdienen, war im Krankenhaus tätig, habe als Wachmann und Holzfäller gearbeitet. Ich schätze mal, einige weitere Aktivitäten habe ich schlichtweg vergessen.

Sehe ich mir die Jugend heutzutage an, so wird auch mir Angst und Bange. Schule, Handy, Fernsehen. Das war es dann. Sie fangen schon mit 12 an einem Job hinterher zu rennen, der sie einfach nur auffressen wird – doch das sagt man ihnen nicht. Ich könnte es ihnen sagen. Ich weiß, was eine Arbeitswoche mit 120 Stunden mit einem Menschen anrichten kann. Klar, man kann stolz darauf sein, das man so etwas gebacken bekommt – so blöd ist man ja noch, wenn man jung ist. Wird ja auch gut bezahlt -und ist allemal besser als Arbeitslosigkeit. Führt auch direkt in Scheidung, Alkoholismus oder Herzinfarkt – aber auch das wird billigend in Kauf genommen.

„Vernichtung durch Arbeit“ wird inzwischen tagtäglich praktiziert … ist aber ein grosses Tabu in unserer Gesellschaft. Allenfalls als „Burn out“ wird es mal verniedlicht wahrgenommen.

Soll ich mal an dieses Tabu rühren? Mal richtig schockieren?

Schreibt keine tollen Artikel über das Lob der Langeweile, seid mal richtig mutig und schickt eure Kinder auf die Hauptschule. Unsere Hauptschule vor Ort hat inzwischen keine fünfte Klasse mehr … zu wenig Anmeldungen. Schenkt euren Kindern doch mal was ganz besonders Wertvolles: ZEIT.

Wetten, das traut sich keiner? Hört ihr jetzt schon die laute Stimme in eurem Kopf, die auch tausend Argumente liefert, warum so etwas undenkbar ist?

Sie werden täglich geliefert: die Kluft zwischen guten und schlechten Jobs wächst, der Arbeitsmarkt ergötzt sich an seinem Billigwahn. Die Wirtschaft hat sich von der Gesellschaft verabschiedet: wenn es ihr gut geht, geht es der Gesellschaft noch lange nicht gut. Wir Erwachsene wissen, das wir doppelt rennen müssen, um die Arbeit zu schaffen – und das für Löhne, die real um 50 % gesunken sind. Was wir wissen – uns aber nicht eingestehen wollen – ist, das wir uns von unserer gemütlichen Demokratie verabschiedet haben. Das hatte man Helmut Schmidt in Davos gesagt: von nun an herrscht das Diktat der Finanzmärkte. Ich hatte mich damals gefragt, ob sich das ein Staat wohl gefallen lassen wird. Nun habe ich die Antwort: ja, wenn man sein Personal dafür mit Pöstchen und die Parteien mit Spenden schmiert.

Letztlich wird man sagen: unser Reichtum hat unsere Demokratie zu Fall gebracht. Auf einmal hatten kleine Grüppchen Geld genug über, sich Politiker kaufen zu können.  Für die Zukunft sollte man dort eine Grenze einbauen: niemand sollte so reich werden dürfen, das er politische Strömungen kaufen kann.

Wir Erwachsene haben den Terror der Ökonomie und die Diktatur des Profits am eigenen Leibe erlebt, erleben ihn tagtäglich neu – auch wenn viele Jobs noch sicher sind, so ist doch das Bewusstsein da, das Hartz IV auf jeden warten kann … ausser auf Beamte. Wir sind gebildet und wissen, das Global Brutal auch für uns jeden Tag Realität werden kann: wir konkurrieren mit Billiglohnländern.

Warum stellen wir uns eigentlich nie die Frage, warum das so ist?

Die Antwort darauf ist einfach: weil die Wirtschaft das Volk verraten hat. Die Wirtschaft? Nein, einige skrupellose Charaktere, die uns verkauft haben. Sie lassen in Asien produzieren. Wir als Bürger würden nicht wollen, das dort Kinder unsere Billigwaren produzieren. Wir würden – wenn wir es wüssten – lieber darauf verzichten. Verantwortungsvolle Individuuen hätten auch als Unternehmer gesagt: nein, da produziere ich nicht. Wovon sollen meine Angestellten denn dann leben, wenn ich das mache? Wer zahlt dann ihre Sozialversicherungsbeiträge, ihre Steuern und Abgaben – und wer soll meine Waren dann noch kaufen?

Früher hätten wir noch den Mut gehabt, nach der Notwehrenteignung zur Rettung der Volkswirtschaft zu rufen, heute wissen wir doch alle, das es zu spät ist … und lassen zu, das die Wirtschaft unsere Kinder frisst, das das Renditedenken ihnen die Kindheit raubt.

Täter sind wir da selber, auch wenn wir nach der bösen Politik schielen. Ich nehme mich da nicht aus – auch wir sitzen bis 19.00 Uhr an den Hausaufgaben anstatt mutig auf psychologische Studien und amtliche Richtlinien zu verweisen, die besagen, das da zuviel Stoff auf zu wenig Zeit trifft.

Jeder Elternabend zeigt, das alle dieselben Erfahrungen machen – und dieselben Konsequenzen daraus ziehen: dann müssen die Kinder eben doppelt so schnell rennen. Gute Lehrstellen sind halt rar. Da muß man halt durch.

Ich erlebe dann auch gerade das Ende der Entwicklung.

Ein Freund von mir hat aus der Philosophie heraus den Weg in die Altenpflege gefunden. Früher waren zehn Mitarbeiter auf der Station, mitlerweile sind es noch zwei.  „Grundpflege“ ist das Maximum, was erreicht werden kann. Details dazu möchte ich den empfindsamen Gemütern ersparen, erwähnt sei, das dort alte Menschen zwecks Säuberung mit Wasserschläuchen abgespritzt werden, was man von der Straße aus sehen kann. So bleibt das Haus wirtschaftlich in Ordnung, auch wenn die Selbstmorde zunehmen.

Angesichts dieser Erfahrungen kann ich es niemanden vorwerfen, das er so schnell rennt wie er kann, um dieser Situation im Alter zu entkommen.

Hoffnung auf Änderung?

Könnte von der Jugend kommen. Revolutionen sind ihr Vorrecht, ihre Aufgabe, ihre Pflicht. Aber wir sorgen jeden Tag selbst dafür, das die paar Kinder, die wir noch haben, perfektes Personal für die Volkswirtschaftsvernichtungsmaschine wird, charakterlose Menschen, die kein Problem damit haben werden, die Volkswirtschaft weiter auszuplündern.

Die Art von Revolution die die machen werden, könnte nicht in unserem Sinne sein. Kann man es ihnen verdenken, das sie sich irgendwann mal für die gestohlene Kindheit rächen werden? Fordern wir von ihnen nicht, besonders kreativ zu werden, um den Berg an alten Menschen, den wir ihnen hinterlassen, bewältigen zu können?

Woher sollte eigentlich die Hoffnung kommen, das diese auf Leistung getrimmten Egokämpfer auf einmal Werte wie Nächstenliebe, Fürsorge, Menschlichkeit entwickeln?

Wieviel davon haben sie dann in ihrer eigenen Kindheit erfahren dürfen?

 

 

 

 

 



Die letzten 100 Artikel