Medien

„Panorama“ wird fünfzig, der „Spiegel“ gratuliert … und ich kriege Panik.

Von hier aus gelangen Sie auf die Autorenseite von und koennen alle kommenen Artikel mit "Link speichern unter" abonieren.

Zwischendurch gibt es Artikel in den Medien, die machen echt Angst. Sogar mir, der ich ja sonst eher selber gerne als „Buh“mann durch die Netzwelt tobe und Bürger erschrecke. Einen habe ich heute gefunden – im Spiegel. Er beschäftigt sich mit einem sehr harmlosen Thema: Panorama wird fünfzig. Eigentlich nichts, was man lesen müsste. Die Nachrichten- und Meinungselite beschäftigt sich mit sich selbst, was geht das den Bürger an? Ich selbst leben nunmehr seit sechs Jahren Fernsehabstinent. Man fragt mich manchmal, ob mir da nicht etwas fehlt.

Ganz ehrlich: nö.

Ohne Internet würde mir sehr viel fehlen – Nachrichten und Bilder. Aber was so von den Fernsehsendern durch den Äther gestrahlt wird, vermisse ich nicht. Das ist vielleicht der Grund, warum ich in dem Artikel über einen Satz in der Überschrift stolperte, der mir unheimlich vorkam:

Politische Berichterstattung, gibt’s die im Fernsehen eigentlich noch?

Da wurde ich doch stutzig. Also … wenigstens die sollten das doch wissen. Ich schaue mir das alles nicht an, aber wenn die sich noch fragen, ob es politische Berichterstattung noch gibt, die Leute, die im Nachrichtengeschäft leben – dann scheint es dort ja sehr mau auszusehen. Also habe ich den Artikel gelesen.

SPIEGEL ONLINE: In den sechziger und siebziger Jahren gab es noch Lagerkämpfe, man wusste, wo der Gegner steht. War früher doch alles besser?

Reschke: Im Gegenteil: Es gab früher Sendungen, die könnte man heute nie mehr so machen,

weil sie nur aus Wiederholungen bestanden, ja ja. Das ist aber nicht die Antwort auf die Frage, eine Frage, die etwas voraussetzt, über das ich seit zwei Jahren schreibe: die real existierende Lumpenelite. Ich als kleine Philosoph aus der Eifel darf solche provokanten Vermutungen stellen, sie aber in DEM deutschen Nachrichtenmagazin als Voraussetzung für eine Rückschau auf alte Zeiten zu sehen … das verwundert schon sehr.

Früher gab es Lagerkämpfe, man wusste, wo der Gegner steht.

Und heute?

Haben sich die Lager vereinigt und kämpfen gemeinsam gegen das Volk. Das nennt man unter anderem Hartz IV oder Deregulation des Finanzmarktes. War ein Riesenknaller, hat die Gewerkschaften demontiert, die Staatsverschuldung explodieren lassen und die sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze – den Stützpfeiler unseres Versicherungsstaates – zu einem Auslaufmodell werden lassen zugunsten von Mietsklaven, an denen man herrlich verdienen kann.

Der Autor des Spiegel scheint genau dies im Blick gehabt zu haben, als  er seine Frage formulierte – sonst würde sie keine Sinn ergeben. Warum schreibt dann sein Magazin nicht deutlicher über die Monopolisierung der deutschen Politik, über den Brioniputsch in der deutschen Politik? Warum fragt Panorama eigentlich da nicht mal nach, wie er auf die Idee kommt, das es momentan in Deutschland keine Lagerkämpfe mehr gibt, sondern nur noch einen wirtschaftlich-politischen Komplex mit austauschbarem Personal?

Immerhin bedeutet dies das praktische – nicht das theoretische – Ende der Demokratie, da sollten doch politische Magazine Magazine in die Maschinenpistolen laden und mit ihren Tischen Barrikaden auf den Hauptstraßen bilden. So jedenfalls soll es früher mal gewesen sein.

Heute erlebt man viel … unheimlicheres.

SPIEGEL ONLINE: Voraussetzung für den „Panorama“-Journalismus ist ja immer auch der Rückhalt im Sender und eine gute Rechtsabteilung. Mal in die andere Richtung gefragt: Haben Sie schon Fälle der Einmischung des Senders in redaktionelle Belange erlebt?

Reschke: Ganz ehrlich: Ich kann mich an keinen einzigen Fall erinnern.

Helmut Kohl konnte sich auch oft an nichts erinnern, das geht vielen gerade so in der Republik. Guttenberg und Koch-Mehrin sind  zwei dieser Gestalten, die aktuell vergessen haben, wie die Zitate in ihre Doktorarbeiten kamen. Das ist natürlich die zentrale Frage, aber … die Antwort ist eine platte Lüge. Eine ganz platte Lüge – allerdings nur aus einer gewissen Perspektive.

Ich zitiere weiter:

SPIEGEL ONLINE: 2006 mussten die Polit-Magazine der ARD bei einer großen Programmreform Federn lassen, wurden von 45 auf 30 Minuten eingedampft. Zum Geburtstag kriegen Sie nun eine 45-Minuten-Ausgabe spendiert – einmalig?

Reschke: Ja, leider. Dadurch, dass uns eine Viertelstunde weggenommen wurde, fallen eben viele Themen hinten runter. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann würde ich auch klarkommen mit einer halben Stunde, aber bitte alle zwei Wochen. Einfach eine höhere Schlagzahl.

Wenn es nach mir ginge, gäbe es politische Magazine jeden Tag – drei Stunden lang. Morgens, Mittags und Abends. In einer schnelllebigen Zeit braucht man einfach mehr Präsenz, um politisch am Ball bleiben zu können, das geht nicht mit dreissig Minuten im Monat, das ist das Politik-Plazebo des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, mehr nicht. Und wie kann man besser in politische Magazine eingreifen als dadurch, das man IHNEN DIE SENDEZEIT KÜRZT???

So eine Diskussion auf dem Schulhof der Städtischen Realschule Bielefeld – ok. Als Interview im Spiegel macht das Angst. Und das Drama geht ja noch weiter:

SPIEGEL ONLINE: Es gibt ja immer mal wieder Überlegungen, die sechs Polit-Magazine der ARD unter einer Dachmarke zusammenzuführen…

Reschke : Ich persönlich finde sechs politische Magazine in der ARD schon viel. Aber dieser Gedanke stößt bei den anderen nicht auf große Sympathie.

WER bitte schön überlegt denn so etwas? Vielfalt gehört zur Demokratie wie Käse zu Pizza. Ohne geht nicht. Wollen wir denn wirklich dieses eine GROSSDEUTSCHE POLITIKMAGAZIN? Seit wann darf man in diesem Land über solche Zentralisation nachdenken, ohne gleich verhaftet zu werden?

SPIEGEL ONLINE: „Panorama“ war 2010 das erfolgreichste der ARD-Polit-Magazine mit durchschnittlich 3,08 Millionen Zuschauern; vor ein paar Jahren waren es noch 3,5 Millionen. Wie wichtig ist für Sie die Drei vor dem Komma?

Reschke: Es sehen einfach insgesamt weniger Menschen fern.

Es ist schön zu sehen, das die mich als Zuschauer vermissen. Ich komme auch nicht zurück, das programmlose Leben erleichtert mir die Erziehung meiner Kinder – sie wachsen nahezu werbefrei auf. Was aber die Meinung betrifft, das insgesamt weniger Menschen fern sehen: die ist schon etwas veraltet. Aktuell sieht das anders aus, siehe DVD und Filmblog:

24 Millionen Deutsche verbrachten in 2010 drei Stunden oder mehr am Tag vor dem TV-Gerät. Das ergab eine Allensbach-Umfrage zumFernsehkonsum der Deutschen. Damit ist die Zahl der Intensivnutzer gegenüber dem Vorjahr leicht gestiegen.
Dass die Deutschen immer mehr Zeit vor dem Bildschirm verbringen, ergibt sich auch aus den Daten der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF). 223 Minuten sah jeder Deutsche im vergangenen Jahr durchschnittlich pro Tag fern. Zum Vergleich: im Jahr 2000 waren es 190 Minuten. Besonders intensiv wird das Medium von älteren Menschen genutzt. Die Zuschauergruppe ab 50 Jahren sieht täglich 290 Minuten fern. Bei den 14-29-Jährigen liegt die Sehdauer dagegen bei 142 Minuten.

Die schauen noch ziemlich viel fern, weshalb ja gerade die Sendezeit für politische Magazine zugunsten anderer Senderformate gekürzt wurde: Wetten, dass … das Absicht war?

Doch zurück zum Interview. Bevor ich eine Panikattacke über den Zustand der öffentlich-rechtlichen Politmagazine bekomme, möchte ich noch einmal einen Blick auf ihr kritisches Potential werfen, denn immerhin drohen da gravierende Veränderungen:

SPIEGEL ONLINE: Politische Inhalte sollen in Zukunft eher totgeredet als erklärt werden, hat man den Eindruck. Haben Sie eine Meinung zu der für Herbst angesetzten Talk-Offensive von ARD-Programmdirektor Volker Herres?

Reschke: Ich bin gespannt, wie das funktioniert. Jeden Abend Talk, das finde ich schon recht ambitioniert.

ich bin gespannt, wie das funktioniert? Das Totreden von zentral wichtigen politischen Themen? Sowas funktioniert im Kopf ohne Koks und Alkohol?

Kehren wir nochmal zurück zu den Aufgaben des Journalismus, etwas früher im Interview:

SPIEGEL ONLINE: Die jüngsten großen Enthüllungen gingen allerdings vom Internet aus, siehe WikiLeaks und GuttenPlag. Wie wichtig kann da das Fernsehen noch sein?

Reschke: Gut, bei WikiLeaks wurden Informationen zunächst an eine Internetplattform gegeben. Aber einschätzen und bewerten mussten das doch wieder Journalisten. Enthüllung ist aber auch nicht das einzig Entscheidende für ein Magazin wie unseres. Das Kerngeschäft ist, Hintergründe zu vermitteln. Bei der WikiLeaks-Geschichte haben wir zum Beispiel gezeigt, wie unwürdig mit Bradley Manning, der ja verdächtigt wird, die Dokumente an WikiLeaks gegeben zu haben, umgegangen wird. Der wird behandelt wie ein Verbrecher.

Einschätzen und bewerten mussten das wieder die Journalisten? Also … für mich nicht. Erst recht nicht, wenn die aktuell nicht einschätzen und bewerten können, was die Totredeoffensive des Arbeitgebers für die politische Information des Bürgers bedeutet. Talkshows sind Propagandaveranstaltungen, wo gerade nicht über Hintergründe informiert wird, deshalb sollte ein Journalist da nicht gespannt sein, wie das funktioniert, sondern einfach ein Verbot der Sendungen fordern – oder für jede Talkstunde zwei Stunden Hintergrundinformation ansetzen, um den angerichteten Meinungsschaden in Grenzen zu halten.

Merkt man langsam, warum bei mir die Panik hochkommt?

Wenn das das Kritikniveau unserer öffentlich-rechtlichen Anstalten ist … wundert es mich nicht, das die Fukushimalügen keinen großartig aufregen. „Lügen gehört zum Geschäft“.

Wieviele Bomben wurden eigentlich gestern auf Libyen abgeworfen? Wieviele Zivilisten sind durch den Angriffskrieg der Nato auf dieses Land ums Leben gekommen? Ist die Bayer-Coltan-Connection im Kongo eigentlich noch aktiv? Welche Hintergründe haben denn jetzt wirklich zu der Ermordung von Uwe Barschel geführt … und gibt es da möglicherweise Zusammenhänge zwischen dem hohen Anpassungsgrad der Politik an Konzerninteressen? Reicht  ja manchmal aus, wenn man ein Exempel statuiert – sieht man ja aktuell bei Hartz IV. Wenn Kennedy nicht nur von Oswald ermordet worden ist … wer waren denn dann die Hintermänner? Seit dem Mord an Kennedy wurde aus den USA ein militaristischer Staat – warum? Wieviele Luftangriffe flog die US-Luftwaffe gestern auf Pakistan trotz der chinesischen Drohung, dies als Kriegserklärung zu akzeptieren? Greifen die Chinesen die amerikanischen Streitkräfte in Pakistan an, dann sind wir als Deutsche in einem echten heißen alternativlosen Natokrieg, den wir uns finanziell gar nicht leisten können. Wer hat eigentlich persönlich alles an den Griechenlandkrediten bzw. an der künstlich provozierten Staatsverschuldung verdient, welchen Einfluss hatte die Euroeinführung auf das Preisniveau in Griechenland?

Alles Fragen, die mir im Moment einfallen – Fragen, auf die ich gerne eine Antwort hätte. Und es gäbe da noch viel mehr, was mich interessieren würde. Der Einfluss von Pro Christ in Deutschland, die Machtfülle der Rotarier, die Zusammenhänge zwischen dem Verein Atlantikbrücke und politischen Karrieren (und Morden) in Deutschland – Stoff genug für tägliche Magazine.

Was serviert man mir stattdessen?

Ein Talkshowinterview, das Angst macht. Angst, weil die wie selbstverständlich bestätigen, wie marode die Vierte Macht in Deutschland geworden ist – und wie selbstverständlich das schon für die Akteure geworden ist.


 

 

 



Die letzten 100 Artikel