Medienkritik

Das Ende der politischen Bloggerei und des Nachrichtenspiegels

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Wissenschaftliches Arbeiten ist anstrengend. Man muss schlichtweg jede Aussage belegen, bis man ganz zum Ende der Debatte mal ein paar eigene Worte einfügen darf. Es reicht nicht, wenn man sagt: „Ich habe da mal gehört“ oder „Ich glaube, der und der hat das und das gesagt“. Der Professor will die Quelle genannt bekommen, damit jeder sie auch nachvollziehen kann. Autor, Name des Buches, Verlag, ISBN-Nummer, Auflagennummer, Veröffentlichungsdatum,  Seitenzahl. So arbeitet man seriös, nur dann können – geisteswissenschaftlicher Sicht – Schlussfolgerungen gezogen werden, die man ernster nehmen kann als bloße Meinungen.

Als ich nun mit der Bloggerei anfing – ein kleines Abenteuer zunächst – sah ich keinen Grund, ein anderes Verhalten an den Tag zu legen. Zwar kann man auch einfach so ins Gelände schreiben: „Das Geschichte vom Facharbeitermangel ist eine Lüge“ und aufgrund dieser Lüge seine Schlussfolgerungen ziehen, doch zuerst gilt es ja, die Lüge zu beweisen.

Nun – hierzu gibt es ja Medien. Ich kaufe mir ihr Totholzblatt und bekomme dafür Nachrichten. Oder ich lese ihre Werbung und konsumiere den Artikel im Internet. Ich könnte nun auch einfach den Quellenangaben der jeweiligen Medien folgen und die Nachricht als meine eigene ausgeben, doch das hielte ich für unseriös – man könnte mich für einen CSU-Baron halten.  Oft findet man jedoch auch bei den großen Medien keine Quellenangaben, siehe Welt:

Schätzungen des Branchenverbandes zufolge sind schon heute über 40.000 Ingenieursstellen unbesetzt – und die Zukunftsprognosen sind düster. „Wir werden über Jahre einen Mangel an Elektroingenieuren haben, da der Bedarf von den Absolventen nicht annähernd gedeckt wird“, sagt Sonja Dulitz, Bildungsexpertin beim ZVEI.

Wann wer wo das Interview mit Sonja Dulitz geführt hat, erfährt man nicht, ebensowenig, das sie eigentlich einen Doktortitel hat. Fachkräftemangel ist jedoch ein so wichtiges Thema, das man da nicht so kleinlich sein sollte. Immerhin will Frau Von der Leyen diesen Mangel ja intensiv bekämpfen, siehe Yahoo:

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) will verstärkt gegen den drohenden Fachkräftemangel vorgehen. „Arbeitskräfte werden knapp werden, und wenn wir nicht handeln, wird es zu einer Wachstumsbremse kommen“, warnte die Ministerin am Donnerstag bei der Vorstellung einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey in Berlin.

Hier droht eine grosse Katastrophe, die den Untergang des Abendlandes bedeuten könnte. Wir haben deshalb ja auch die Öffnung der Grenzen so sehr begrüsst (und ich habe alleine hier in der abgelegenen ländlichen Eifel direkt am 2. Mai dreimal Begegnungen mit Polen gehabt, es scheint also tatsächlich wahr zu sein: zwei kauften vor mir ein, zwei kamen mir mit einem rückwärtsfahrenden Lieferwagen die Serpentinen entgegen, einer überholte mich mit einem BMW und geschätzten 150 km/h auf einer Landstraße), weil wir keine Arbeitskräfte in Deutschland finden. Diese Öffnung wird die gesellschaftliche Struktur in Deutschland weiterhin verändern, aber wir waren bereit dazu, um das Schlimmste zu verhindern.

Doch dann … habe ich wieder den üblichen Fehler gemacht. Ich habe zuviel gelesen – und zwar im Handelsblatt:

Der Fachkräftemangel wird nach einer Studie der staatlichen Bankengruppe KfW im Mittelstand nicht als Hauptsorge wahrgenommen. Der Problemdruck für kleine und mittlere Unternehmen bei der Stellenbesetzung sei deutlich geringer, als in der Öffentlichkeit vielfach diskutiert, teilte die KfW am Donnerstag in Frankfurt als Ergebnis einer Befragung von rund 12.500 mittelständischen Firmen mit.

Das passt jetzt nicht so richtig in das Bedrohungsszenario, erst recht nicht, wenn man bedenkt, das der Mittelstand 57 % der Arbeitsplätze in Deutschland stellt, siehe Wikipedia.

Irritationen dieser Art konnte ich früher nur mit meinem Lenkrad diskutieren, wenn ich sie im Radio aufgenommen hatte.

Nun hat sich die Welt aber weiter entwickelt. Inzwischen kann jeder Leser seine eigenen Leserbriefe ins Internet stellen. Wir nennen das zwar auch „Artikel“, aber sie sind ja weitgehend abhängig von anderen Nachrichtenquellen. Wir Blogger spiegeln eher Nachrichten als das wir selber welche bringen, ebenso wie moderner Journalismus seine Nachrichten von großen Agenturen kauft, also eher von Praktikanten am Schreibtisch als von Journalisten in Fukushima gemacht wird. Letzteres kann sich ja auch keiner mehr leisten.

Ach ja, Praktikanten – auch so ein Thema. Da meldet die Welt:

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) beklagt den anhaltenden Missbrauch von Praktika. „Trotz des drohenden Fachkräftemangels“ würden Praktikanten „immer noch als billige Arbeitskräfte ausgebeutet“, kritisierte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ingrid Sehrbrock. Der DGB stellte am Mittwoch zusammen mit der Hans-Böckler-Stiftung die Studie „Generation Praktikum 2011“ vor, für die Hochschulabsolventen befragt worden waren.

Na, das ist ja ein dickes Dingen. Fast so, wie der Fachkräftemangel. Doch bevor wir uns aufregen, meldet der Spiegel:

Nach dem Studium monatelange Knechtschaft, Kettenpraktika statt feste Stellen – das harte Los einer Generation von jungen Akademikern. Trifft dieses Bild wirklich zu? Arbeitsmarktforscher Joachim Möller beschreibt die massenhafte Ausbeutung von Hochschulabsolventen als Legende.

Wieder einmal ist man irritiert. Und langsam fängt man an, sich zu fragen: wo ist denn eigentlich die Wahrheit geblieben? Interessiert sich noch jemand für sie? Wahrheit ist relativ, das weiß der Philosoph. Er weiß aber auch, das er rational den Stuhl auf dem er sitzt nie zweifelsfrei beweisen kann – trotzdem benutzt er ihn.

Manchmal muss man mit relativen Wahrheiten auskommen … zum Beispiel mit der Wahrheit, das es Fachkräftemangel gibt – oder eben auch nicht. Oder der Wahrheit, das es einen Missbrauch von Praktikanten gibt – oder eben nicht. Seit nine-eleven ist die ganze Geschichte noch dramatischer geworden. Als jemand, der die Sicherheitskontrollen an amerikanischen Flughäfen persönlich kennengelernt hat, fällt es mir schwer zu glauben, das 19 bewaffnete Attentäter ohne gültigen Flugschein einfach so in die Maschinen kommen – wenn es denn noch wahr ist, das die gar keine Flugscheine hatten.

Früher hat man so etwas auf dem Dorfplatz oder in der Eckkneipe diskutiert. Das durfte man noch. Manchmal hat sich aus diesen Debatten ein Aufstand entwickelt. Wir modernen Freizeitmenschen in unserem nationalen Ferienpark haben inzwischen keine Zeit mehr für den Dorfplatz oder die Eckkneipe. Wir haben aber das Internet als globales Dorf und können uns hier zusammenfinden. Hier können wir diskutieren, was uns in der Medienwelt so an krummen Dingen aufgefallen ist, können uns darüber austauschen, warum Atomkraftwerke im Dezember 2010 todsicher und im März 2011 auf einmal einfach nur noch tödlich sind, können öffentlich Fragen stellen zu Diskrepanzen, die uns so auffallen und uns unsere eigenen kleinen Gedanken machen.

So entstand die politische Bloggerei als Bürgerinitiative ohne Vereinscharakter.

In Zeiten, wo kleine betuchte Zirkel in direktes Interesse auf die Kontrolle über Information beanspruchen und bei erfolgreichem Kniefall der vierten Macht auch gerne zum Bundespresseball einladen oder Vorstandsposten vergeben (gilt aber vielleicht auch nur für Journalisten, die Kanzler heiraten, das kann ich noch nicht so genau erkennen), wo die fünfte Macht, der Lobbyismus, so langsam aber sicher die einzige Macht im Lande wird, die effektiv Richtungen vorgeben kann, in die die „Entscheider“ wandern sollen, ist das jedoch eine unerwünschte Richtung. Der gesellschaftliche Konformismus ist in Gefahr.

Das führt als Reaktion der betuchten Zirkel zu intellektuellen Ausfallerscheinungen der besonderen Art: Blogger informieren darüber, das Blogger nur Desinformation verbreiten – siehe Spiegel:

Manche Internetnutzer wissen alles: wie Osama Bin Laden getötet wurde, was im Atomkraftwerk Fukushima wirklich passiert, dass Aristoteles keine Ahnung von Fliegenbeinen hatte. Das Netz ist voll gefühlter Experten – und die brauchen dringend Nachhilfe.

Nachhilfe zum Beispiel von den etablierten Medien, etwa zum Thema Bin Laden, der bewaffnet oder unbewaffnet sich hinter einer Frau versteckte oder auch nicht und jetzt endlich wirklich tot ist – oder auch nicht. So ist halt die stabile Nachrichtenlage, seitdem Lobbyisten ihre eigenen Vorstellungen mit Bargeld in die Wirklichkeit hineindrücken und seitdem Journalismus nur noch Sprachrohr von Interessengruppen ist.

Das hier – politisch gesehen – eine „Expertendiktatur“ herbeigesehnt wird, scheint dem Horizont des Spiegelbloggers zu entgehen. Ich nehme an, das hat seine Gründe. Das der Bürger in dieser Glosse verspottet wird, sein Prozess der Meinungsbildung in den Dreck gezogen und verächtlich gemacht – nun, das ist man von Menschen gewohnt, die in herrschende Kreise hinaufbefördert wurden. Der Bürger darf zahlen und das Maul halten.  Er soll in seiner Kammer sitzen und drauf warten, das die Experten ihm via Medien ihre Meinung sagen, die er kritiklos übernehmen soll – ansonsten droht ihm der Kirchenbann: VERSCHWÖRUNGSTHEORIE!

Das Mittelalter läßt grüssen.

Nun, manchmal ist es gut zu sehen, aus welcher Ecke diese Worte kommen – und dann weiss man, das man dort nie wieder zu lesen braucht, siehe Tip-Berlin:

Klar, er hat sich in den „Spiegel“ gebloggt und ein lustiges Taschenbuch geschrieben, aber Sascha Lobo ist einfach der Inbegriff an Peinlichkeit. Das selbstgefällige Verständnis der Blogwurst als Internetexperte, das Ranwanzen an die SPD und dann der Verkauf seiner eigenen Marke an einen Mobilfunkanbieter. Lobo tritt so oft daneben, dass man ihn aus Mitleid eigentlich nicht mehr kritisieren will. Aber er lässt einem keine Wahl. Es sind Sätze wie diese, die seinen unerträglichen Gestus zeigen: „Erklären wir den vordigital Geprägten, dass sie herzlich eingeladen sind, teilzuhaben am digitalen Leben.“

Der Inbegriff der Peinlichkeit als Mahner für mehr Seriösität in der politischen Bloggerei? Da könnten einem ja die Haare zu Berge stehen.

Nachdem aber nun weder Verachtung noch Verbannung ihre Wirkung getan haben und man erkannt hat, das man gegen den Freiheitsdrang von Menschen mit noch soviel Spott nicht ankommt und die Experten im Rahmen der Wirtschaftskrise noch einmal bewiesen haben, das sie auch nicht treffsicherer sind als die Kartenlegerin vom Jahrmarkt musste man sich neue Mittel und Wege überlegen – und die hat man jetzt gefunden: man lässt sich Zitate bezahlen, siehe Heise:

Gestern erhielt der Münchener Journalist Claus Vester, der unter anderem die Kinderbuchwebsite Erlebnis Lesen betreibt, ein Schreiben des Axel-Springer-Verlages, in dem er aufgefordert wird, wegen der Verwendung eines 397 Zeichen langen Zitats aus einer Rezension des Kinderbuchs Skogland 500 Euro zu zahlen.

Und ich dachte immer, ich tue den Totholzmedien einen Gefallen, wenn ich sie korrekt zitiere. Immerhin mache ich ja auch Werbung für sie. „Eifelphilosoph liest Welt“ ist zwar nicht gerade ein Ruhmesblatt für mich, aber ist für jeden Leser ein Anreiz, selbst tiefer in den Artikel des betreffenden Mediums einzusteigen. Ich denke, andere Medien werden ebenfalls nach Verdienstmöglichkeiten in dieser Art Ausschau halten, was dann – nach dem Ende des kritischen Journalismus auch das Ende des kritischen ungekürzten Leserbriefes bedeutet. Endlich teilen dann – Sascha Lobos Wunsch entsprechend – alle Leser die Meinung des Regierungssprechers und der Verbandsfunktionäre, über die sie durch bezahlte Vermittler in Kenntnis gesetzt werden.

Wer versucht, sich mit geisteswissenschaftlicher Methodik durch den Nachrichtendschungel zu bewegen, wird bestraft. Seit Guttenberg wissen wir, wie besser gestellte Kreise mit den Geisteswissenschaften umgehen.  So ist das ok, korrektes Zitieren nur dann, wenn man es bezahlen kann.

Soll ich jetzt etwa auch einfach klauen ohne die Quellen zu nennen? Oder muss ich erst genug Geld sammeln, um kund tun zu dürfen, das ich gewagt habe zu lesen?

300 – 500 Euro pro Zitat … ob die Welt auch den DGB oder Frau Dr. Sonja Dulitz für die Informationen bezahlt, die sie veröffentlichen? Muss ich in Zukunft vielleicht mit Informationen umgehen wie ein bayrischer Ministerpräsident, der meinte, der Wind hätte ihm ein Lied geflüstert?

Das geht auch.

Nun, wenn sich die Welt mit ihrer Art durchsetzt, dann ist das das Ende des Nachrichtenspiegels und der seriösen Bloggerei. Dann heißt es: öffentliche Meinung nur noch gegen Bezahlung. Ein weiterer Schritt in Vermarktung und Verkauf der Demokratie. Vielleicht sollen wir dann letztendlich auch bei Wahlen unsere Stimmzettel käuflich erwerben? Oder nach der Geburt erstmal Eintrittsgeld für den Bürgerstatus abdrücken?

Ich hoffe, ich habe mit dieser Idee jetzt niemanden auf dumme Gedanken gebracht.

Also … wenn hier bald nur noch dunkel ist … dann haben wir auch eine Rechnung erhalten. Die „Welt“ bitte ich höflich, mir mitzuteilen, wenn sie nicht mehr gelesen werden möchte oder nicht mehr möchte, das man das Gelesene im Gedächtnis behält oder korrekt darauf hinweist, wo man es gelesen hat.

 

 

 



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